Eine starke linke Positionierung aus Münster
Coronakapitalismus zerlegen!
Eine starke linke Positionierung aus Münster zur Corona-Politik
In den Jahren 2021 und 2022 traf sich eine Gruppe Autonomer aus Münster regelmäßig, um das Verhältnis der Linken zur Corona-Pandemie zu hinterfragen. Die Gruppe konnte die Positionen, welche sich in ihren Basisgruppen und im innerlinken Diskurs stattfanden nicht länger ertragen und entschied sich dafür, ihre Positionen auszutauschen und einen Text gegen die Coronapolitik und den "Coronakapitalismus" zu schreiben. Diese Gruppe, welche sich unter anderem auch wegen den Vorurteilen ihrer Basisgruppen nie öffentlich präsentierte, zeigt, dass es eben doch Kritik in der Linken gab. Ihren Text, den wir als Zuschrift erhalten haben, wollen wir nun breit veröffentlichen. Obwohl wir uns nicht alle im Text verwendeten Formulierungen und Redensarten zu eigen machen würden und bei einzelnen Absätzen darüber diskutiert haben, ob ein sprachlich weniger provokativer und ein unmissverständlicher Stil besser gewesen wäre, empfinden wir die Positionen als sehr teilenswert und hoffen, dass der ein oder andere autonom oder links eingestellte Mensch seine Position der letzten Jahre nochmal überdenken möchte.
Einleitung
Es hat den Anschein, dass „Corona“ fast vorbei sei: viele Maßnahmen wurden gelockert oder aufgehoben, Grundrechte wurden „zurückgegeben“, die Menschen treffen sich draußen wieder in größeren Gruppen. Eine „allgemeine Impfpflicht“ wurde nicht eingeführt. Trotz hoher Infektiösität der „Omikron-Variante“ ist der Krieg in der Ukraine das beherrschende Thema, auch in der Linken. Die moralische Verpflichtung aller Deutschen, als gute StaatsbürgerInnen auch kampfbereit zu sein, zumindest die Eskalation des Krieges mit Feuereifer voranzutreiben, bestimmt die Diskurse.
Aber machen wir uns nichts vor: „Corona“ ist nicht vorbei, auch wenn die Viren in die Sommerpause gehen sollten. Die Corona-Politik hat die Gesellschaft in den letzten zwei Jahren geprägt wie kaum eine Entwicklung der vorherigen Jahrzehnte.
Die Auswirkungen sind vielfältig: Vom Verlust des Sozialen, des einfachen Zusammenkommens, bis zu den Keilen, die in die Gesellschaft getrieben worden sind, über Reallohnverluste, der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen bis zum Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten etc. Seit 2020 gab es massive gesellschaftliche Zuspitzungen. Wir erlebten den absoluten Bankrott linker Politik angesichts der Elendsverwaltung, die sie selbst auch vorangetrieben hat. Die Logik des „Sachzwangs“ und der „Alternativlosigkeit“ bestimmte die politische Debatte.
Es ist anzunehmen, dass wir mit den Folgen lange zu kämpfen haben werden. Viele Menschen befolgen weiterhin Regeln, ohne dies zu müssen, unter anderem weil sie verängstigt sind oder sich schlichtweg daran gewöhnt haben. Im Herbst kommt möglicherweise das nächste tödliche Virus oder die ökologische Katastrophe erfordert plötzlich Einschränkungen von (unserer) Rechten und Lebensqualität.
Wir nutzen die „Corona-Feuerpause“, um aus linker Perspektive die Politik der letzten zwei Jahre zu reflektieren, einzuordnen, Leerstellen in der linken Diskussion aufzuzeigen und unsere Position deutlich zu machen. Dabei beziehen wir uns hauptsächlich auf die Situation in der Bundesrepublik.
Thesen
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Objektive Wissenschaft?
Eine der häufigsten Aussagen in den Diskussionen um Corona, die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung und ihre Folgen war der Appell, auf „die Wissenschaft“ zu hören
Dahinter steckt ein Wissenschaftsbegriff, der Wissenschaftlichkeit mit Objektivität und Wahrheit gleichsetzt und das wissenschaftliche Expertentum unkritisch zur Grundlage des eigenen Denkens und eigener politischer Forderungen erklärt.
Eine linke, emanzipatorische Perspektive auf Wissenschaft müsste hingegen „die Wissenschaft“ einer grundlegenden Kritik unterziehen: nicht um sie als etwas Schlechtes abzulehnen, sondern im Sinne einer Unterscheidung: Welchem Erkenntnisinteresse folgt eine wissenschaftliche Frage? Aus wessen Perspektive wird sie gestellt, welche Perspektiven werden darin unsichtbar gemacht?
Statt also einer Unterwerfung unter die Wissenschaft das Wort zu reden, gilt es kritisch nach den emanzipatorischen wie anti-emanzipatorischen Potenzialen von Wissenschaft zu fragen. Dazu gehört ein Verständnis und eine Kritik der Grenzen instrumenteller Vernunft ebenso wie die Frage nach dem Standpunkt des Wissens und damit etwa auch nach den Institutionen der Wissensproduktion und -vermittlung wie Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
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Kapitalistische Ökonomie und Gesundheit
In der staatlichen „Pandemiebekämpfung“ ging es nicht einen Moment allein um „Gesundheit“. Kapitalistische Staaten und die Blöcke, in denen sie organisiert sind, befinden sich in Konkurrenz zueinander. Ziel staatlichen Handelns war und ist es stets, einen reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Produktionsweise zu gewährleisten und den „eigenen“ Unternehmen Vorteile gegenüber denen der anderen zu verschaffen. Lockdown-Maßnahmen durften den reibungslosen Ablauf der Kapitalverwertung als Ganzes nicht stören. Allerdings ist eine Umschichtung und Umstrukturierung der Unternehmenslandschaft festzustellen: die Großen wurden subventioniert, die kleinen und mittleren Unternehmen dürfen und sollen zugunsten der großen Konzerne weichen. Die Maßnahmen dienten auch dazu, den „Digitalisierungsrückstand“ Deutschlands gegenüber anderen Industriestaaten wettzumachen. Z. B. Beschäftigte werden zwischen Homeoffice und „betrieblichen Erfordernissen“ hin und hergeschoben, Videokonferenzen und bargeldloses Bezahlen wurden noch alltäglicher. Für bestimmte Berufsgruppen wurde die Quarantäne verkürzt, und Infizierten ohne Impfung wurden im Krankheitsfall Urlaubstage gekürzt. Die Erforschung von Impfstoffen wurde zwar staatlich mit enormen Mitteln finanziert, die Gewinne aber privat angeeignet. Impfstoffe aus Kuba oder Russland werden unabhängig von ihrer Wirksamkeit nicht anerkannt, Impfpatente wurden auf Druck der Industrieländer nicht freigegeben für Länder des globalen Südens. Es geht offensichtlich um ökonomische Interessen, nicht um Gesundheit.
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Biopolitik
Die staatliche „Pandemiebekämpfung“ hat einen biopolitischen Blick auf das Thema „Gesundheit“. Leben und Gesundheit werden von den modernen Staaten im Rahmen ihrer politischen Ökonomie verwaltet, überwacht und gesichert. Die Lebensprozesse der Bevölkerungen werden so korrigiert, therapiert und optimiert. Es geht dabei nicht um das individuelle Glück und Begehren des je einzelnen Menschen, sondern um verobjektivierbare Faktoren, die auf der Ebene der Gesamtbevölkerung gemessen und reguliert werden können.
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„Kranke“ Krankenhäuser
Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Einrichtungen des Gesundheitssystems müssen profitable Unternehmen sein, sonst werden sie geschlossen. Aus diesem Grund sind viele Kliniken und Krankenhausbetten in den letzten Jahren abgebaut worden: Überlastete (Intensiv-)Stationen sind die Folge davon. Überlastungen werden jedoch auch erzeugt durch Privatisierungen im Gesundheitswesen, da Reproduktionsarbeit im Kapitalismus immer nur geringe Profite erzeugen kann. Beispielhaft für die Ökonomisierung des Gesundheitssystem steht das System der Fallkostenpauschalen (DRGs). Die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften sind seit Jahren katastrophal. ÄrztInnen in Impfzentren erhalten bspw. exorbitant hohe Entgelte für diese Tätigkeit, während ÄrztInnenstellen im Krankenhaus gestrichen werden. Die Krise der Gesundheitssysteme in Deutschland und anderen Ländern ist nicht durch Corona verursacht, sondern schon lange virulent. Was eben nicht gewährleistet wurde, war ein effektiver Schutz der durch Corona gefährdeten Risikogruppen. Die Gesundheit darf nicht davon abhängen, ob sie rentabel ist.
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Pandemie und Arbeit
Es ist nicht zu übersehen, dass es während der Pandemie zu einer Zuspitzung der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen gekommen ist. ArbeiterInnen können schneller entlassen werden, sollen oftmals unbezahlte Überstunden leisten und in ihrer Freizeit erreichbar sein. Sie tragen gesundheitliche Risiken, während viele Reallohneinbußen hinnehmen mussten. Viele wurden durch Kurzarbeit in den Ruin getrieben oder stehen kurz davor. Entscheidend für Jobverluste waren vor allem Geschlecht, Aufenthaltsstatus und Verwertbarkeit. Der Umgang mit den MigrantInnen auf den Feldern oder in den Schlachthöfen erinnert an Arbeitsverhältnisse aus früheren Jahrhunderten. Die Skandalisierung dieser Verhältnisse war nicht grundsätzlich genug und verschwand schnell wieder aus den Medien.
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Pandemie und Bildung
Die Situation in den Bildungseinrichtungen mit den lang anhaltenden Lockdowns hat vor allem benachteiligte Kinder und Jugendliche noch weiter abgehängt. Die Zunahme psychischer Instabilität und Erkrankungen ist bei vielen eine Folge davon. Durch die Schließung von Unis und Schulen sind junge Menschen sozial vereinsamt, ihre Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten wurden stark eingeschränkt.
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Gesellschaftliche Teilhabe im Austausch gegen Überwachung
Neben die Ausbeutung tritt die Überwachung der Arbeitenden und der gesamten Bevölkerung. Die Überwachung umfasst nicht nur die Verwaltung unserer Körper durch Autoritäten, sondern auch die Selbststeuerung und -regulierung der Körper. Die Pflicht, den Alltag und das persönliche Umfeld gegenüber staatlichen Stellen offen zu legen und zu denunzieren, ist abzulehnen. Zunehmende Kontrolle über unsere Daten üben die Digitalkonzerne aus, die dabei mit den Regierungen zusammenarbeiten. Die Entwicklung, dass viele Menschen sensible Daten aktiv preisgeben und die geforderte Selbstoptimierung längst verinnerlicht haben, ist bedenklich. Jeder Mensch hat das Recht, über seinen Körper selbst zu bestimmen. Auch wenn wir krank sind, sind wir weiterhin in der Lage, eigenverantwortlich zu handeln und brauchen dazu keine Babysitter, WärterInnen oder SchließerInnen. Eine Impfpflicht als Normalisierung körperlicher Übergriffe gegen den eigenen Willen lehnen wir entschieden ab, ebenso eine Unterscheidung und moralische Bewertung von Menschen nach ihrem Impfstatus, an den je nach dem mehr oder weniger Rechte und Teilhabemöglichkeiten geknüpft sind.
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Gesellschaft des Misstrauens
Wir wollen keine „Gesellschaft des Misstrauens“ und der allgegenwärtigen Kontrolle, wie sie sich immer stärker abzeichnet. Eine „pornografische Transparenz“ durch das ständige Vorlegen von Kontrollnachweisen wollen wir nicht. Sanktionen und digitale Impfpässe lehnen wir ab. Wir sind nicht bereit, den Anderen vorrangig als potenzielle Gefahr, die uns töten könnte, wahrzunehmen. Wir sind gegen die Verstärkung des sozialen Drucks und jede Form von Denunziantentum. Sozialer Druck verbreitet eine Blockwart-Mentalität, sich gegenüber anderen moralisch überlegen zu fühlen. Diejenigen, die von den eigenen Moralvorstellungen abweichen, werden offen denunziert und den Repressionsbehörden ausgeliefert. Wir wollen einen Alltag ohne Militär und Polizei, wir wollen auch keinen Hilfsbullen irgendwelche Dokumente unter die Nase halten müssen und vor allem selbst nicht zu Hilfsbullen gemacht werden. Durch das Streben nach immer mehr „Sicherheit“ besteht die Gefahr, dass Freiheit und solidarisches Miteinander auf der Strecke bleiben. Den zunehmenden Autoritarismus haben viele Bullen als Freifahrtschein dafür genommen, ihre Schikanen gegenüber den Menschen, die sie ohnehin häufig schikanieren, auszuweiten. Betroffen waren vor allem arme Menschen, MigrantInnen und Jugendliche.
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Ungeimpft und ausgeschlossen
Den Profiteuren der Coronakrise ist es gelungen, Sündenböcke zu markieren: Für das Fortdauern der Coronapandemie und der staatlichen Maßnahmen wurde den Ungeimpften die Schuld gegeben. In der Folge wurden sie verächtlich gemacht und aus dem gesellschaftlichen Leben weitestgehend ausgeschlossen. Medizinische Behandlungen wurden erschwert, durch Abweisungen in Kliniken und Arztpraxen. Durch den Ausschluss von Lohnarbeit können Menschen ihre Reproduktion nicht mehr sicherstellen, Zugang zu staatlichen Leistungen ist ihnen teilweise verwehrt. Der geimpfte Teil der Gesellschaft hat diesen Ausschluss fast ausnahmslos mitgetragen. Erhöhte Krankenkassenbeiträge, Geldstrafen und in letzter Konsequenz auch Inhaftierungen, standen im Raum. Viele Menschen unterstützen offen diese Ausschlüsse oder verhalten sich gleichgültig dazu. Das Narrativ eines Volkskörpers, der durch Schädlinge angegriffen wird, ist längst wieder tief in der Gesellschaft verankert. Als antifaschistische/antiautoritäre Linke, die dieses Narrativ immer abgelehnt hat, kritisieren wir dies.
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Militarisierung im Alltag
Es ist zu beobachten, dass im Rahmen der Pandemie Projekte zur Normalisierung der Bundeswehr im Alltag der Menschen verstärkt durchgesetzt werden. Dass der Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Infektionsschutzgesetz verankert wurde, Soldaten in Uniform in Altenheimen Impfungen vorbereiten und ein General den Corona-Krisenstab leitete, zeigt beispielhaft die Normalisierung einer Militarisierung des Alltags in Corona-Zeiten. Wir wollen Militär und Krieg als Teil dieser Gesellschaft und der Welt als Ganzes abschaffen.
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Für ein selbstverantwortetes und solidarisches Handeln!
Es wird Zeit, sich damit abzufinden, dass das Virus nicht verschwinden wird und wir damit leben müssen. Anstatt auf repressive staatliche Maßnahmen zu setzen, die angeblich die Pandemie bekämpfen, gilt es selbstverantwortetes und solidarisches Handeln zu entwickeln. Menschen sind in der Lage, sich dazu zu befähigen, eigene Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört, Risikogruppen und andere zu unterstützen, wenn sie das wollen. Unbedingt notwendig ist auch eine offene und kontroverse Diskussion darüber, welche Einschätzungen plausibel und welche Maßnahmen sinnvoll sind. Die Erzeugung von Angst und Misstrauen ist dabei nicht hilfreich.
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Kein Zurück zur Normalität
Während die Herrschenden uns ihren Ansatz der „Pandemiebekämpfung“ mit einer Rückkehr zum vorherigen Normalzustand, aber mit stärkerer Vereinzelung, Kontrolle und Überwachung, schmackhaft machen wollen, ist einer Verklärung der Vor-Pandemie-Zeit entgegenzutreten. Die alte Normalität hat uns die Pandemie wie viele andere Krisen und Ausbeutungsverhältnisse erst eingebrockt. Wir wollen sie nicht zurück!
Es bedarf eines Diskurses darüber, wie ein zukünftiges Leben aussehen soll, das ohne den Zustand einer permanenten Krise auskommt und für alle Teile der Gesellschaft lebenswert ist. Dazu gehört auch, die Gründe für das Auftreten einer solchen Pandemie offenzulegen. Diese liegen in dem kapitalistischen Zwang, jeden Winkel dieses Planeten und jeden Bereich der Gesellschaften verwertbar zu machen und auszubeuten.
Ausblick
Was in diesen Thesen deutlich wurde ist, dass Corona und die Reaktionen darauf uns nicht nur vor medizinische und gesundheitspolitische Fragen stellen. Vielmehr war die Pandemie auch Anlass, gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre wie Digitalisierung, Biopolitik, Autoritäre Formierung weiterzuführen und zu verschärfen. Das alles wird bleiben und Konsequenzen entfalten, die wir heute noch nicht überblicken können – auch wenn das letzte Coronavirus eines Tages verschwunden sein sollte, wird sich eine passende „Krise“ schon finden. Statt einer herrschaftsfreien, selbstbestimmten Welt erscheint ein neues Akkumulationsregime am Horizont: der Umbau der Gesellschaft hat sich beschleunigt. Was also bleibt von „Corona“?
Das Vertrauen in den Staat, das „Systemvertrauen“ in die herrschenden Institutionen ist im Zuge der Corona-Politik wieder gestiegen. Der „starke Staat“ wurde wiederentdeckt. Wer hätte uns denn sonst vor dem Virus „schützen“ sollen? Die Flucht in den Schoß von Vater Staat hat natürlich seinen Preis: Die Gesellschaft ist bereit, die Zumutungen des Krisenregimes zu schlucken. Der Verlust finanzieller Sicherheiten wird nicht hinterfragt, auch wenn wir täglich lesen können, dass bestimmte Kapitalfraktionen immer reicher werden und Geld für alles da zu sein scheint – nur eben nicht für einen Großteil der lohnabhängig Beschäftigten und diejenigen, die nicht in einem solchen Verhältnis stehen.
Der Staat darf jetzt fordern, dass wir für den „gerechten Krieg“ gegen das „dämonische Russland“ Opfer bringen: Kriegsgerät für die Armee der Ukraine bezahlen, 100 Milliarden zusätzlich zum riesigen Wehr-Etat in die Aufrüstung Deutschlands stecken und uns auch ansonsten als treues Mitglied des Kriegsbündnisses NATO verstehen. Natürlich müssen wir bereit sein, für die „gute Sache“ zu hungern und zu frieren, vor allem diejenigen, die sowieso schon kaum klar kommen. Vom Frieren und Hungern ist es nicht weit zu anderen Opfern, die es im Kampf gegen „das Böse“ zu erbringen gilt. Die Bereitschaft, eine Eskalation und Ausweitung des Krieges mitzutragen, einer Wiedereinführung der Wehrpflicht zuzustimmen und selbst die Sorgen vor atomarer Vernichtung beiseite zu wischen, hat für „solidarische MitbürgerInnen“ ebenso selbstverständlich zu sein, wie der fünfte „Booster“.
Die „Zero Covid“-Strategie und der angestrebte Siegfrieden gegen Russland weisen dabei eine Gemeinsamkeit auf: wir wollen den totalen Sieg! Das Virus muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet und Russland in den absoluten Ruin getrieben werden. Eine Alternative ist nicht vorgesehen, abweichenden Meinungen und Handlungen wird mit sozialer Ausgrenzung, Zensur und Repression begegnet.
Die Fantasien des „totalen Sieges“ zeigen deutlich, dass die instrumentelle Vernunft, die im Kapitalismus (und auch bei vielen seiner GegnerInnen) vorherrschend ist, noch stärker ins Irrationale kippt als bisher schon: Maskentragen und Impfen sind genauso religiös überhöht und dürfen ebenso wie der Krieg der „Guten“ gegen die „Bösen“ niemals hinterfragt werden.
Die etablierten Medien (darunter auch Social Media) sind unverzichtbare Werkzeuge bei diesen Hegemonie-Prozessen: Die dominant-mediale Dauerschleife ist zwar von „Corona“ zum Ukraine-Krieg geswitcht, aber weiterhin werden den KonsumentInnen mit Vehemenz staatliche Narrative eingehämmert, die „Bösen“ markiert und die Gründe, warum die bürgerlichen Versprechen von „Freiheit und Wohlstand“ nun auch für uns in den kapitalistischen Zentren nicht mehr gelten, dargelegt. Die Existenz eines „politisch-medialen Komplexes“, der reguliert, was die Köpfe der BürgerInnen erreichen soll / kann und was nicht, ist nun unverkennbar zu Tage getreten. Die bedingungslose Unterstützung herrschender Deutungsmuster sowie die Ausgrenzung der AbweichlerInnen setzt eine solche mediale Indoktrination voraus.
Neben den Gläubigen, die stets bestrebt sind, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen und die Angst vor dem Anderen verinnerlicht haben, gibt es einen erheblichen Teil der Menschen, die resigniert haben und sich apathisch verhalten. Und auch von denen, die sich mit dem Glauben schwer tun und eine gewisse geistige Dissidenz entwickelt haben, gab es nur sehr wenige, die sich nicht an die Gängeleien gehalten und andere nicht schulterzuckend ausgegrenzt haben. Dass es etwas anderes geben kann, als den neuen autoritären, digitalen Kapitalismus mit seinen Totalitätsansprüchen, kommt ihnen allen nicht in den Sinn. Die Vorstellung von diesem Anderen am Leben zu erhalten, ist aber gerade heute Aufgabe und Existenzberechtigung linker Politik.
Niemand hat das Recht über den Ausnahmezustand zu bestimmen!
Gruppe Autonomie und Solidarität
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