STREIKKASSE - GEWERKSCHAFTLICHE GEGENMACHT
Eine Reihe von regionalen Gewerkschaften, darunter die baskischen ELA, LAB, ESK sowie der galicische Gewerkschafts-Verband CIG verfügt über Widerstandskassen. Die katalanische Intersindical und die aragonesische Osta sind im Begriff, solche Streikkassen einzuführen. Auch die anarcho-syndikalistischen CGT und CNT werden auf ihren jeweiligen Kongressen in diesem Jahr erörtern, ob ein struktureller Solidaritätsfonds aktiviert werden soll oder nicht. Denn nur andauernde Streiks sind erfolgsversprechend.
Bei Streiks geht es in der Regel um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Doch zuerst bedeutet Streik eine Lohneinbuße, weil die Arbeitgeber die Zahlung einstellen. Um die Kampfkraft zu stärken, haben Gewerkschaften solidarische Streikkassen eingeführt, so können sogar lange Streiks durchgehalten werden.
Nach Angaben des spanischen Arbeits-Ministeriums gab es im vergangenen Jahr 606 Streiks. 47% davon wurden in der Autonomen Baskischen Region Euskadi (224) und in Navarra (59) durchgeführt. Zusammen kommen diese beiden Gebiete auf knapp 2,8 Millionen Einwohner*innen, sie stellen also nur 6% der staatlichen Gesamtbevölkerung. Aussagekräftige Zahlen und Prozentsätze sind immer von Bedeutung: Wie viele Streiks werden ausgerufen, wie viele Arbeitnehmer beteiligen sich daran, wie viele Ausfalltage kommen zusammen, wie hoch ist der Durchschnittslohn dieser Bevölkerung und wie hoch ist die Arbeitslosenquote.
Fragen
Die zu Beginn genannten Zahlen drängen zu folgender Frage: Warum gibt es gerade im Baskenland ein ganz spezifisches Panorama von Arbeitskämpfen? Manche versuchen sich mit einseitigen ideologischen Antworten: "Es gibt Gewerkschaften, die für die baskische Selbstbestimmung sind, die interessieren mich nicht", sie versuchen, diese Gewerkschaften zu diskreditieren. Besonders weit führt dieser Erklärungsansatz nicht. Die baskische Gesellschaft ist stärker politisiert als andere, dies findet seinen Niederschlag auch in der Bereitschaft, sich gewerkschaftlich zu organisieren und für die eigenen Rechte auf die Straße zu gehen.
Die baskischen Mehrheits-Gewerkschaften ELA und LAB sowie eine kleinere, aber ebenso kämpferische Gewerkschaft wie ESK, wissen genau, dass Zahlen eine wichtige Rolle spielen, wenn es um Geld und Arbeitskonflikte geht. Diese drei Gewerkschaften verfügen über die größten Widerstandsfonds (Streikkassen) im spanischen Staat. Auf diese Tatsache blicken mit einem gewissen Argwohn andere Gewerkschaften, die sich ebenfalls als Gegenmacht verstehen. Ihre Strategie zur Lösung von Arbeitskonflikten unterscheidet sich allerdings grundlegend von der der größten und repräsentativsten Gewerkschaften im Staat: der ex-kommunistischen CC OO (Arbeiterkommissionen) und der sozialdemokratischen UGT. (1) (2)
25% in die Solikasse
ELA ist die größte Gewerkschaft im Baskenland. Sie schloss das letzte Jahr 2021 mit 100.925 eingeschriebenen Mitgliedern und 41% der gewählten Betriebsräte und Betriebsrätinnen ab, gefolgt von LAB mit 20% Vertretung, CCOO (19 %) und UGT (10%). Bei ELA wird gerne amüsant kommentiert, dass nicht einmal der populäre Fußballclub Athletic Bilbao so viele Mitglieder hat. ELAs Jahreshaushalt beläuft sich auf 22 Millionen, wovon 92% der Einnahmen auf Mitgliedsbeiträge zurückgehen. Bei keiner Gewerkschaft sind die Beiträge so hoch wie bei ELA: 23,64 Euro für eine ordentliche Mitgliedschaft ist der höchste im Staat. Selbst der ermäßigte Mitgliedsbeitrag (11,82 Euro) ist höher als der Standardbeitrag der meisten anderen Gewerkschaften, seien sie groß, klein, auf staatlicher oder regionaler Ebene arbeitend. Doch trotz der hohen Beiträge kommen die neuen Mitglieder gerade aus den Sektoren mit den prekärsten Löhnen und Arbeitsbedingungen.
Von diesen Beiträgen widmet ELA 25% ihrem Widerstandsfonds. Anders ausgedrückt: von den 20,2 Millionen Euro Beitragsgeldern gingen im Jahr 2021 mehr als 5 Millionen Euro an den Streikfonds. Wie viel Geld sich auf dem Konto des ELA-Widerstandsfonds angehäuft hat, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse im Baskenland und nur drei Personen bekannt. "Ihr könnt in eurem Artikel so viel spekulieren, wie ihr wollt, wir werden es nicht preisgeben, auch ich weiß es nicht", sagt Joseba Villarreal, der Leiter der Abteilung Wahlen, Mitgliedschaft und Mobilisierung gegenüber den Redakteur*innen von “El Salto“. Den Betrag offenzulegen würde bedeuten, dem Gegenpart, den Arbeitgeber-Verbänden in Euskadi und Nafarroa, einen Vorteil zu verschaffen.
Was Villareal bestätigt ist, dass die hohe Quote eine strategische Entscheidung war, die in der Gewerkschaft als historisch betrachtet wird: "Als die Comisiones Obreras (CCOO) seinerzeit eine Quote von 50 Peseten festlegten, haben wir eine Quote von 200 Peseten festgelegt. Ohne Beiträge gibt es keine Kasse. Ohne Streikkasse nehmen Konflikte zwangsläufig andere Formen an. Unserer Meinung nach kann es keine autonome, unabhängige Gewerkschaft geben, die zu Gegenmacht in der Lage ist, ohne über einen Widerstandsfonds zu verfügen. Denn all das ist nur mit einem entsprechenden Streik-Haushalt möglich", fasst Villarreal zusammen.
Novaltia
Er weiß, dass es Leute gibt – Geschäftsleute, Arbeitgeber-Verbände – die darüber spekulieren, wie lange ein Streik in Euskadi dauern muss, bis der Solidaritätsfonds von ELA zu Ende geht. Er beendet die Frage mit der Feststellung, dass "die einzigen, die auf diesem Weg nicht leiden werden, wir sind". Ein Beweis dafür sind die 17 Mitglieder, die sich derzeit im europaweit längsten Streik befinden, bei Novaltia, dem Unternehmen, das in Bizkaia Medikamente an die Apotheken liefert. Mittlerweile (April 2022) befinden sie sich seit 1.013 Tagen im unbefristeten Streik. Als sie mit dem Streik begannen, bekamen sie nicht einmal den aktuellen Mindestlohn, sondern 950 Euro im Monat. Der Anwalt der Streikenden kündigte gestern ein positives Urteil an, in dem Novaltia zu einer Geldstrafe in Höhe von 120.000 Euro für moralischen Schaden und Schadensersatz verurteilt wurde, weil die Geschäftsführung das Streikrecht verletzt habe – unter anderem durch eine finanzielle Belohnung der Streikbrecher. Der Anwalt Héctor Mata hofft, dass dieser Verweis einen Wendepunkt in einem Unternehmen darstellt, dessen Leitung sich weigert, sich an einen Tisch zu setzen, um einen bisher mehr als schlechten Betriebs-Tarifvertrag neu zu verhandeln. Das Geheimnis um die Widerstandskasse bleibt bestehen.
Galicien
Der galicische Gewerkschafts-Zentrale CIG (Confederación Intersindical Galega) (3) ging 1994 aus der Fusion zweier Gewerkschaften hervor. Eine davon hatte eine Streikkasse, die andere nicht. Die CIG behielt den Widerstandsfonds bei, den drittältesten im Staat. Der zweitälteste stammt aus dem Jahr 1985 und gehört zur 1950 in christlichen Kreisen gegründeten Gewerkschaft USO, die auf spanischer Ebene aktiv ist. Zufall oder nicht: die CIG ist ebenfalls die größte Gewerkschaft in ihrer Region, Galicien, sie zählt 76.801 Mitglieder, 4.767 Delegierte und 30% der Betriebsrät*innen (Ende Dezember 2021). Der normale Mitgliedsbeitrag beträgt 12,60 Euro, der ermäßigte Beitrag 5,90 Euro und der symbolische Beitrag für Personen ohne Einkommen und Rentner*innen 3,05 Euro. Die Intersindical Galega widmet 10% ihrer Mitgliedsbeiträge für den Widerstandsfonds. Das würde bedeuten, dass die Gewerkschaft im letzten Jahr (2021) rund 800.000 Euro bereitgestellt hat zur Unterstützung von Arbeitskämpfen.
CIG-Organisations-Sekretärin Susana Méndez ist der Ansicht, dass der Fonds "ein grundlegendes Instrument für die Arbeiterklasse ist, um für ihre Rechte zu kämpfen, ohne dass sich ihre materiellen Bedingungen verschlechtern, damit der Streik diesen Kampf nicht bremst. Und dass er eine Hilfe ist, um die aktive Beteiligung zu fördern. Insbesondere in Situationen von Unsicherheit, von niedrigen Löhnen und von Inflation, in der Tage, Wochen oder sogar Monate ohne Einkommen eine problematische Situation darstellen können". Im vergangenen Jahr hat sich der Streik in der Aluminium-Fabrik Alcoa in der Gemeinde San Cibrau (Galicien) schließlich auch auf die Nebenbetriebe und die gesamte Region ausgeweitet. "Wir führen viele Streiks, wir befinden uns mitten in einer Krise, besonders im Norden", erklärt sie. Die Mitgliedsbeiträge, fügt sie hinzu, entsprächen der galicischen Realität: "Wir können uns nicht mit dem Baskenland vergleichen".
ESK und LAB
Die Gewerkschaft ESK mit 6.000 Mitgliedern und einem Standard-Mitgliedsbeitrag von 45 Euro pro Quartal wurde 1985 gegründet und war die zweite in Hegoalde (Süd-Baskenland), die einen Fonds einrichtete. Seit 2007 gehen 5% der Beiträge an diesen Fonds, erklärt ESK-Sprecher Igor Mera.
Die baskische Gewerkschaft LAB verfügt seit zehn Jahren über einen Solidaritätsfonds. "In einem Jahrzehnt haben wir etwa 3.000 Arbeitnehmer*innen unterstützt. Im Falle eines Streiks werden 30 Euro pro Tag gezahlt, zwischen 900 und 930 Euro pro Monat, mit zwei Besonderheiten: Wir zahlen 30 Euro unabhängig davon, ob es sich um eine Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung handelt, und wir haben eine Obergrenze von 1.500 Euro, so dass die Beihilfe logischerweise das Gehalt der Arbeitnehmer*innen nicht übersteigt", erklärt der stellvertretende Generalsekretär, Igor Arroyo. Der Fonds deckt auch Geldstrafen und Sanktionen ab, die sich aus Gewerkschafts-Aktionen ergeben, bis zu einem Höchstbetrag von 15.000 Euro. "Wir legen Wert darauf, dass unsere Mitglieder im Streik Widerstand leisten und dass sie aktiv sind, was das Risiko von Geldstrafen mit sich bringt", sagt er.
Über die Funktionsweise des Fonds hinaus beschreibt Arroyo den theoretischen Rahmen, der zur Einführung des Fonds geführt hat: "Der Prozess der Prekarisierung begann in den 1990er Jahren mit der Einführung der Leihfirmen (ETTs) und hat sich beschleunigt mit den digitalen Plattformen und der Offensive zur Verarmung der Arbeiterklasse von 2008". Darüber hinaus führte LAB 2017 einen Reflexionsprozess durch. Überlegt werden sollte, wie die am prekärsten beschäftigten Arbeitnehmerinnen organisiert werden können. Dieser Prozess führte zu Bündnissen mit der landesweiten Plattform der Rider (Straßen-Lieferant*innen) und Hausangestellten. Im vergangenen Jahr hatte die Gewerkschaft zum ersten Mal mehr weibliche als männliche Mitglieder und im Februar kündigten sie ein neues Beitragssystem an, das nach fünf Einkommens-Stufen gestaffelt ist, von 21,33 Euro für Gehälter über 2.001 Euro bis 5 Euro für Einkommen unter 705 Euro.
Katalonien
Zwei weitere regionale Gewerkschaften sind dabei, Widerstandsfonds einzuführen. Die katalanische Intersindical (4) und die aragonesische Osta. Sergi Perelló erklärt, dass die Mitgliedschaft bei Intersindical in vier Jahren von 1.000 auf 6.000 Mitglieder gestiegen ist, was auf eine politische Initiative im Jahr 2017 zurückgeht. In Katalonien gibt es eine spanische Gewerkschafts-Mehrheit und eine Gegenmacht-Gewerkschaft wie die CGT, die in der Tradition des historischen Anarcho-Syndikalismus dieses Gebiets verwurzelt ist und dieses Jahr 20.000 Mitglieder erreicht hat. Der Mitgliedsbeitrag von Intersindical beträgt 10 Euro, im Januar 2020 wurde beschlossen, mit der Vorbereitung des Fonds zu beginnen, in den bereits ein beträchtlicher Betrag eingezahlt wurde, der sich in diesem Jahr verdoppelt hat. Bei “El Salto“ ist die Summe bekannt, wird jedoch nicht publiziert. "Wir bereiten unsere Kampfbedingungen vor, wenn das nationale Gremium der Intersindical die Vorschriften für das Funktionieren des Widerstandsfonds genehmigt, wird bereits ein Überschuss vorhanden sein", so Sergi Perelló.
Aragon
Der Generalsekretär der Gewerkschaft Osta, David Lázaro, erklärt, dass seine Gewerkschaft mit 10% der Betriebs-Delegierten die drittstärkste Kraft in Aragón sind (5). Diese eher kleine Gewerkschaft mit 4.500 Mitgliedern erhebt einen Mitgliedsbeitrag von 11,90 Euro pro Monat und beschloss im November 2021, 5% davon für den Widerstandsfonds zu reservieren. "Es kommt eine Zeit bei den Belegschaften großer Unternehmen, in der die Strategie von Comisiones und UGT (spanische Mehrheits-Gewerkschaften) darin besteht, lange auszuhalten und Streiks zwar anzudrohen, sie aber fast nie durchzuführen. So sind die Arbeitnehmer*innen gezwungen, die Angebote der Unternehmen anzunehmen, da sie keine Alternativen haben. Wir denken, dass die Widerstandskassen für die Mitglieder eine Unterstützung darstellen, um den Druck durch Streik aufrechtzuerhalten, mehr zu mobilisieren und bessere Vereinbarungen zu erreichen. Denn die Bosse wissen, dass es ohne eine Widerstandskasse im Rücken schwierig ist, einen Streik aufrecht zu erhalten", erklärt er. Seit vier Jahren arbeitet die Gewerkschaft an ihrer Kampfkraft, auch sie hat beschlossen, keine Zahlen zu nennen.
Effektiver Wettbewerb
Der Ökonom Endika Alabort von der anarcho-syndikalistischen CNT Bilbao spricht bei seiner Beschreibung des baskischen Arbeitskampf-Panoramas von einem "effektiven Wettbewerb". Hier gibt es viele Gewerkschaften und weit mehr Mitglieder als anderswo. Und nicht zufällig 283 Streiks. "Das ist eine gute Beschreibung, die unsere Funktionsweise angemessen erklärt: wenn die übrigen Gewerkschaften funktionieren und zu Streiks greifen, dann machst du das auch, oder du bleibst zurück", sagt er. Je mehr Konfliktbereitschaft, desto mehr Konflikte. Und bessere Ergebnisse.
“Der Widerstandsfonds wird als ein objektives Recht der Mitglieder betrachtet. Es gibt besondere Statuten, in denen festgelegt ist, dass du ab dem dritten Tag des Streiks den Lohn erhältst, der dir seit dem ersten Tag zusteht“. Es gibt drei Arten von Unterstützung: die normale Zahlung (1.243,59 Euro), die verstärkte Zahlung (1.430,13 Euro, wird gezahlt, wenn mehr als 30% der Streikenden ELA-Mitglieder sind) und die außerordentliche Zahlung, wenn es für die Gewerkschaftsführung um strategische Konflikte geht. Das letzte Mal wurde diese Version für den Streik der Straßenreinigungskräfte in Gipuzkoa genehmigt (2.488,26 Euro). ELA verfügt seit 1996 über einen Widerstandsfonds. Seit 2001 hat sie dafür ihre eigenen Regeln. Niemand kann während des Streiks mehr verdienen als bei der Arbeit.
Lohn und Prekarität
Die CNT im Baskenland verfügt über keinen Streikfonds, deckt aber alle Rechtskosten ab, die sich aus Arbeitskonflikten ergeben. In der CNT wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft wächst "und immer komplexer wird". "Vor fünfzehn Jahren ging es um Lohnerhöhungen; heute geht es um Pandemie-bedingte Kurzarbeit (ERTE), um Betriebsschließungen und Tarifverträge und sogar um Vereinbarungen zur Beendigung von Streiks, insbesondere in Bizkaia", fügt Endika Alabort hinzu.
In seiner Analyse stimmt er mit Oscar Murciano von der CGT Katalonien überein: "Es gibt einen überaus interessanten Effekt im Baskenland und in Katalonien. Die Konfliktbereitschaft schreckt nicht ab, im Gegenteil: je direkter die Bedingungen in der Arbeitswelt benannt werden, desto größer die Konfliktbereitschaft und desto besser die Organisierung der Arbeitnehmer*innen. Das Baskenland liefert den Beweis", versichert er. Im Jahr 2021 wurden in Katalonien 98 Streiks ausgerufen (7,7 Mio. Einwohner*innen), in Galicien 48, obwohl es nur 2,6 Millionen Ew. hat, und 62 Streiks in der Gemeinschaft von Madrid (6,7 Mio. Ew.).
Antonio Díaz, der Generalsekretär der CNT erklärt, dass die CNT im kommenden Dezember in Granollers ihren Jahreskongress abhalten wird, dort soll unter anderem über die Einrichtung eines solidarischen und konföderalen Wirtschaftsfonds diskutiert werden. Im Juni wird sich die CGT auf ihrem Kongress in Zaragoza mit demselben Thema befassen. Oscar Murciano wird die Schaffung eines entsprechenden Struktur-Mechanismus verteidigen und sicherlich daran erinnern, dass der Streik um das Service-Telefon 112, an dem sich die CGT Catalunya beteiligte, zu einer Lohnerhöhung von 22% führte.
Pepe Aranda, Organisations-Sekretär dieser Organisation, erinnert daran, dass Solidaritätsfonds bisher in konkreten Bereichen bestehen, im Eisenbahn- und Bankensektor. Er selbst gehört dem Eisenbahnsektor an und zahlt eineinhalb Euro pro Monat in diesen Fonds, der nicht aus dem föderalen Pflichtbeitrag genommen wird. Erwartet wird eine Debatte darüber, ob es sinnvoll ist, die Pflichtbeiträge zu erhöhen, um einen Strukturfonds aufzubauen. Der normale Mitgliedsbeitrag beträgt derzeit 11,78 Euro.
Der Mythos der großen Gewerkschaften
Die nach dem Franquismus aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO) hat “El Salto“ ihre Mitgliederzahlen zur Verfügung gestellt: von 920.870 im Jahr 2017 ist die Zahl auf 970.025 im Jahr 2021 gestiegen. Es gibt sechs Arten von Mitgliedsbeiträgen, die sich nach dem Einkommen richten, von 4,50 Euro für die Super-Ermäßigten (23.000 Personen) bis 14,05 Euro für die Normalen (660.333 Mitglieder). Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 140 Millionen Euro an Beiträgen eingenommen, die auf die juristische Struktur, die verschiedenen Organisationen, 17 territoriale Organisationen und sechs Bereichs-Verbände verteilt werden.
Es gibt regionale Organisationen wie die CCOO Euskadi, die über einen Widerstandsfonds, aber keinen Strukturfonds verfügt. Ihr Sekretär für gewerkschaftliche Organisation und Erweiterung, Agustín Martín, stellt klar, dass "dieses Mantra der subventionierten Gewerkschaften wenig mit der Realität zu tun hat". Im staatlichen Amtsblatt (Boletín Oficial del Estado, BOE) sind die Kriterien der Bezuschussung je nach Vertretung beschrieben, die der Staat den Gewerkschaften gewähren muss. Letztes Jahr waren 17 Millionen zu verteilen. "Uns standen 6,9 Millionen zu", sagt er.
Er ist der Meinung, dass das wenig ist und dass "es in keinem Verhältnis zu dem steht, was die europäische Gewerkschafts-Bewegung erhält“. Die Gewerkschaften im spanischen Staat würden unterbewertet: “Wir denken, dass die Gewerkschafts-Bewegung stärker anerkannt werden sollte, weil wir eine Arbeit leisten, die der Bevölkerung zugutekommt". Einen Seitenhieb teilt er aus in Richtung der landwirtschaftlichen Berufsverbände, die nicht nur vollständig subventioniert, sondern auch mit öffentlichen Mitteln finanziert werden". Er fordert ein Gesetz über die Beteiligung der Institutionen, das die Gewerkschaftsarbeit im Rahmen der Verfassung definiert. (1)
Unabhängigkeit
Nicht alle sehen das in gleicher Weise. Die große Mehrheit der baskischen Gewerkschaften (außer CCOO und UGT) lehnen staatliche Subventionen ab, weil sie um ihre politische Unabhängigkeit fürchten. In Euskadi zum Beispiel beteiligen sich nur diese beiden spanischen Gewerkschaften an von der Regierung finanzierten Fortbildungs-Programmen. Dabei kam es in der Vergangenheit zu Unregelmäßigkeiten, Kurse wurden fingiert, um an die Subventionen zu kommen, der Betrug flog auf. ELA, LAB und ESK wollen damit nichts zu tun haben. Sie fordern eine eigene Regelung für den baskischen Arbeits- und Gewerkschafts-Bereich und setzen auf ihre Kampfkraft.
Doch Streiks sind oft problematisch, bei jedem Arbeitskonflikt stellt sich die Frage, welche Gewerkschaft (je nach Vertretung) mitzieht und welche nicht. Widerholt kam es bei Arbeitskonflikten zu der Situation, dass eine der streikführenden Gewerkschaften gegen den ausdrücklichen Willen der übrigen einem Tarifvertrag zustimmt. Zu einem extremen Beispiel wurde der Streik in den privaten und öffentlichen Altersheimen in Gipuzkoa.
Nach 262 Tagen Ausstand unterzeichnete die sozialdemokratische Minderheits-Gewerkschaft UGT einen völlig unzureichenden Tarifvertrag gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheits-Gewerkschaften. Diese Entscheidung wurde von den linken baskischen Gewerkschaften ELA und LAB scharf kritisiert. Sie bezeichnen die Vereinbarung als "undemokratisch" und "schwerwiegend", beide sind mit 60% und 20% im Pflege-Sektor vertreten, stellen also die große Mehrheit der Betriebsrät*innen – im Gegensatz zur UGT mit 7% Anteil. Ein offensichtlicher Verrat, der in diesem Fall eklatant ausfiel, aber nicht untypisch ist. Denn die beiden – auf spanischer Ebene größten, auf baskischer Ebene jedoch eher kleinen – Gewerkschaften tendieren aufgrund ihrer personellen, parteipolitischen und institutionellen Verknüpfungen (mit PSOE, Podemos) zu Sozialpartnerschaft, bei der die Interessen von Arbeitsnehmer*innen häufig auf der Strecke bleiben (6).
ANMERKUNGEN:
(1) “Caja de resistencia, estrategia para un sindicalismo de contrapoder“ (Widerstandskasse, eine Strategie für die gewerkschaftliche Gegenmacht), El Salto, 2022-04-30 (LINK)
(2) Das baskisch-spanische Gewerkschafts-Panorama. (A) ELA, Euskal Langileen Alkartasuna (Baskische Arbeiter Solidarität): Wurde 1911 aus dem Umfeld der christdemokratischen PNV gegründet, um den Klassengewerkschaften UGT und CNT den Wind aus den Segeln zu nehmen. Heute größte baskische Gewerkschaft mit kapitalismus-kritischem und anti-neoliberalem Kurs. (B) LAB, Langile Abertzaleen Batzordeak (Versammlungen abertzaler Arbeiter*innen): 1974 gegründet, Teil der baskischen Unabhängigkeits-Bewegung. (C) ESK, Esker Sindikalaren Konbergentzia (Konvergenz der Gewerkschafts-Linken): Ursprung im Franquismus, als eine Gruppe illegaler Gewerkschafter aus CCOO ausgeschlossen wurde, 1985 formal gegründet. (D) CCOO, Comisiones Obreras (Arbeiter-Kommissionen): hervorgegangen aus der Kommunistischen Partei Spaniens, als illegale Organisation im Franquismus der 1960er Jahre, größte spanische Gewerkschaft, die stark auf Sozialpartnerschaft setzt und jeglichen Klassencharakter verloren hat. (E) UGT, Unión General de Trabajo (Allgemeine Arbeites-Union): ehemals revolutionäre Gewerkschaft der damals sozialistischen Partei PSOE, 1876 in der Zeit der Industrialisierung gegründet, heute sozialdemokratisch. (F) CNT, Confederación Nacional de Trabajo (Nationale Arbeits-Konföderation): 1910 gegründete anarcho-syndikalistische Gewerkschaft, die im Spanienkrieg eine wesentliche Rolle spielte, strak vor allem in Andalusien und Katalonien. (G) CGT, Confederación General de Trabajo (Allgemeine Arbeits-Konföderation): 1979 gegründet als Abspaltung von der CNT, 85.000 Mitglieder, anarcho-syndikalistische Ausrichtung.
(3) CIG:Die Confederación Intersindical Galega ist eine Klassengewerkschaft mit galicisch-nationalistischer Ausrichtung, die 1994 durch den Zusammenschluss der Confederación Xeral de Traballadores Galegos (CXTG) und der Intersindical Nacional dos Traballadores Galegos (INTG) gegründet wurde. (LINK)
https://es.wikipedia.org/wiki/Confederaci%C3%B3n_Intersindical_Galega
(4) Intersindical-Confederación Sindical Catalana (Intersindical - Verband der katalanischen Gewerkschaften) ist eine für die Unabhängigkeit eintretende Klassengewerkschaft in Katalonien. Derzeit die fünftgrößte gewerkschaftliche Kraft in der autonomen Gemeinschaft. Nachfolgerin der Solidaritat d'Obrers de Catalunya (SOC) und der Confederació Sindical de Treballadors de Catalunya (CSTC), parteipolitisch unabhängig, der Esquerra Republicana nahstehend. (LINK)
https://es.wikipedia.org/wiki/Intersindical-CSC
(5) OSTA, Sindicato Obrero Aragonés - Sendicato d'os Treballadors y Treballadoras d'Aragón (SOA-STA) ist eine klassenorientierte Gewerkschaft in Aragon, Gründungsorganisation des Bloque Independentista de Cuchas (BIC), einer Koalition, die verschiedene Pro-Unabhängigkeits-Organisationen in Aragonien vereint. 1999 gegründet, ging aus der Abspaltung des Sindicato Aragonés (SIAR) hervor. Seit ihrer Gründung hat sie sich als Massenorganisation konstituiert, die sich auf Versammlungen stützt und die Befreiung der aragonesischen Arbeiterklasse zum Ziel hat, sowohl in nationaler als auch in sozialer Hinsicht. (LINK)
https://es.wikipedia.org/wiki/Sindicato_Obrero_Aragon%C3%A9s
(6) "Verrat unter Gewerkschaften - Minderheit unterschreibt schlechten Vertrag", Baskultur.Info, 2022-07-27 (LINK)
https://www.baskultur.info/politik/gewerkschaft/839-streik-altersheim