[Gö] Erneut Angriffe auf linkes Hausprojekt in Göttingen
Mit diesem Schreiben möchten wir möglichst viele Menschen über die Taten informieren und zum politischen Handeln aufrufen. Über eine Weiterverbreitung sind wir euch dankbar.
Anfang der Woche vom 18.7. wurden nachts an einem Auto vor unserem Hausprojekt in der Bürgerstraße vier Radmuttern an einem Reifen gelöst. Der*Die Täter*in/nen wählten dabei das Auto vor unserem Haus, welches an der am wenigsten einsehbarsten Stelle stand. Unsere Mitbewohnerin geriet in der Folge auf der Autobahn ins Schlingern und konnte das Auto gerade so noch stabilisieren und von der Fahrbahn steuern. Mit Glück verkantete sich eine der vier Radmuttern und verhinderte so, dass sie bei Tempo 140 ihren linken Vorderreifen verlor. Wir sind schockiert und wütend über diesen feigen Anschlag und werten dies als einen Angriff auf unsere Hausgemeinschaft, bei dem billigend der Tod unserer Mitbewohnerin in Kauf genommen wurde. Diese Tat fügt sich dabei in eine Reihe von kleineren und größeren Übergriffen auf linke Hausprojekte in Göttingen ein. Erst ein paar Tage zuvor kam es zu zwei Flaschenwürfen auf Bewohner*innen und Gäste unseres Hauses, welche sich im Garten aufhielten. Dabei verfehlte eine der Flaschen eine Person nur knapp. Trotz schneller Reaktion und Aufnahme der Verfolgung konnten die Angreifer entkommen. Beide Attacken werten wir als einen gezielten Angriff auf uns, unser Kollektiv und damit dem, wofür wir seit Jahren als Hausprojekt stehen.
Warum wir?
Als linkes Hausprojekt mit feministischem und emanzipatorischem Anspruch sind wir ein Ort, an dem Menschen solidarisch miteinander wohnen. Für uns gilt: Auch das Private ist politisch. Seit Jahren verstehen wir uns als kollektiver Zusammenhang, der es Menschen ermöglichen soll, bezahlbar zu wohnen und Ressourcen zu bündeln, welche wir im Kampf für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Unsere Arbeit richtet sich gegen die herrschenden Verhältnisse, welche Ausbeutung und Unterdrückung hervorbringen und damit das Erstarken rechter Strukturen ermöglichen. All dies wollen wir nicht widerspruchsfrei hinnehmen.
Als Haus war es uns schon immer wichtig, nicht nur nach innen für ein solidarisches Zusammenleben zu stehen, sondern auch nach außen politisch sichtbar zu werden und zu wirken. Vor unserem Haus befindet sich daher eine Plakatwand und ein Umsonstregal. Regelmäßig finden bei uns Veranstaltungen statt und beteiligen sich Bewohner*innen unseres Hauses an Demonstrationen. Aufgrund der Möglichkeiten, die unsere Form des Zusammenlebens bietet, sehen wir es unteranderem auch als unsere Aufgabe an, geflüchteten Menschen einen Ort zu geben, an dem sie Unterstützung erfahren. Gemeinsam stellen wir uns dagegen, dass Wohnen und Leben den Kapitalinteressen von Investoren untergeordnet wird. Als Teil eines Zusammenschlusses von Häusern in Göttingen setzen wir uns daher dafür ein, dass selbstverwaltetes und selbstbestimmtes Wohnen zur Selbstverständlichkeit wird und nicht die Ausnahme bleibt.
Angriffe auf Hausprojekte in Göttingen – keine Einzelfälle!
Diese Arbeit soll durch solche Angriffe verhindert und Menschen, die diese Arbeit leisten, eingeschüchtert werden. Die jüngsten Ereignisse stellen eine neue Dimension der Gewalt gegen uns dar, sind dabei aber keine neue Erscheinung. Immer wieder kommt es zu Beschädigungen von Transparenten und Plakaten, auf denen wir unsere Solidarität mit linken, feministischen und antifaschistischen Kämpfen erklärten, die bestehende Abschiebepolitik in Deutschland kritisieren und um die Opfer von Feminiziden* trauern [1]. Die jüngste Beschädigung fand in der Nacht vom 19.8.22 zwischen 22:30 und 1 Uhr statt. Derartige Angriffe richten sich dabei nicht nur gegen uns. Regelmäßig werden linke Hausprojekte in Göttingen zur Angriffsfläche rechter Gewalt. So kam es 2019 zu einem Brandanschlag auf ein Hausprojekt in der Goßlerstraße [2]. Kurz davor wurden ebenfalls Radmuttern an Autos vor dem antirassistischen Hausprojekt OM10 gelöst und Bremsschläuche von Fahrrädern manipuliert. Wie Unwillens die Göttinger Polizei beim Aufklären rechter Straftaten ist, zeigte sich auch dort. Während antifaschistische und antirassistische Arbeit regelmäßig delegitimiert und kriminalisiert wird, bleiben rechte Anschläge ohne Konsequenzen. Wenig überraschend scheint es da zu sein, dass die Göttinger Polizei jüngst damit beschäftigt ist festzustellen, dass in ihren eigenen Reihen unbehelligt Waffen und nationalsozialistische Reliquien gesammelt wurden [3]. Für uns als Menschen, die sich seit Jahren antifaschistisch und antirassistisch engagieren, ist klar, dass wir von Seiten der Polizei keinen Schutz zu erwarten haben. Schützen können wir uns nur selbst, in dem wir uns nicht einschüchtern lassen, uns in unserer Nachbarschaft vernetzen und Seite an Seite füreinander einstehen.
Rechte Gewalt braucht kollektive Gegenwehr.
Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz!
Die Bewohner*innen des Hausprojektes in der Bürgerstraße, am 25. August 2022.
[1] Als Feminizid bezeichnet man die Tötung von FLINTA* Personen (Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, trans und Agender) aufgrund ihres Geschlechts. In der Verunstaltung eines Plakats mit der Aufschrift „keine Mehr“ zu „eine Mehr“ sehen wir nicht nur eine Verharmlosung patriarchaler Gewalt, sondern deren Huldigung.
[2] Pressemitteilung des Hausprojektes Gosslerstraße 17/17a vom 28.10.2019: https://gosslerstrasse17a.noblogs.org/post/2019/10/28/pressemitteilung-b...
[3] NDR-Meldung vom 20.07.2022: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettinge...