Pflegenotstand in Deutschland
Mindestens 200.000 Pflegekräfte fehlen aktuell in Deutschland, darunter allein mehr als 4.000 auf Intensivstationen. Seit Jahren schon steigt diese Zahl kontinuierlich und es ist zu erwarten, dass sie bis 2030 für alle medizinischen Berufe die 500.000 übersteigen wird. Damit kommen im Schnitt 13 Patient*innen auf jede Pflegekraft, was eine fast unmöglich zu bewältigende Aufgabe bedeutet. Schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeiten und dauerhafter Stress stellen den Alltag von Pflegekräften dar. Dabei handelt es sich bei Pfleger*innen in Deutschland mit rund 1,7 Millionen Menschen um eine der größten Berufsgruppen.
Obwohl Betroffene seit Jahren auf die Straße gehen, in Streiks treten und sonstig auf die Situation aufmerksam machen, hat sich nichts Grundlegendes geändert. Einerseits handelt es sich beim deutschen Gesundheitssystem natürlich um eine staatliche Gesundheitsversorgung, andererseits entwickelt es sich zu einem ökonomisch immer wichtigeren Sektor und macht aktuell mehr als 12% des Bruttoinlandproduktes der BRD aus. Diese Tendenz ist besonders seit den 1990ern zu bemerken, seit denen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern, zunehmend Teile der Gesundheitssysteme privatisiert werden. Neben der Privatisierung von Krankenhäusern und Gesundheitsberufen äußert sich das beispielsweise in der Ausgliederung oder Nichtanerkennung bestimmter Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, was Patient*innen zu Zuzahlungen neben den gesetzlichen Kassenbeiträgen oder gar zur gesamten Eigenfinanzierung zwingt.
Im deutschen Gesundheitssystem lässt sich auch gut die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus erkennen. Einerseits steht ein gut finanziertes, reibungslos funktionierendes und auf dem neuesten Stand der Medizin bleibendes Gesundheitssystem im Interesse der Kapitalistenklasse. Denn erkrankte Arbeiter*innen generieren keinen Profit und eine Erhaltung der Arbeitskraft bis ins hohe Alter ist ebenso wünschenswert. Andererseits jedoch führen die erwähnten Privatisierungen immer wieder zu Kürzungen und zu für Patient*innen steigende Kosten durch Reformen. Im Zuge dieser “Gesundheitsreformen” wurde etwa eine höhere Beteiligung an Therapiekosten für gesetzlich Versicherte beschlossen. Es lässt sich regelrecht von einem System der Klassenmedizin sprechen, denn Privatversicherte sind davon allgemein kaum oder weniger betroffen. Wer es sich leisten kann, einen höheren Beitrag zu zahlen und die sonstigen Voraussetzungen erfüllt, erhält eben bessere Leistungen und höhere Rückzahlungen.
Ein oberflächlicher Vergleich mit den Gesundheitssystemen anderer Länder, wie beispielsweise der USA, lässt den Einen oder die Andere also unter Umständen zu einem falschen Schluss kommen – das deutsche Gesundheitssystem ist alles andere als perfekt. Nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Patient*innen leiden unter seinem Aufbau. Statt Lohnerhöhungen und allgemein besseren Arbeitsbedingungen bekommen Pfleger*innen lediglich mal ein dankbares Klatschen. Und besonders gesetzlich Versicherte dürfen sich über steigende Krankenkassenbeiträge sowie mangelhafte Versorgung beispielsweise in Krankenhäusern freuen.
Aus all diesen Gründen fand auch dieses Jahr im Mai wieder der Walk of Care statt. Zum internationalen Tag der Pflegenden sind zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um bessere Finanzierung, angemessene Personalbemessung, gute Aus- und Weiterbildung und politisches Mitspracherecht einzufordern. Ungefragt handelt es sich hierbei um wichtige, unterstützenswerte Zwischenziele, unsere Kritik und Forderungen dürfen hier jedoch nicht stehen bleiben. Denn wie man sieht wird die Kapitalistenklasse immer einen Weg finden, um uns Arbeiter*innen auszubeuten und so viel Profit wie möglich zu generieren, im Gesundheits-, wie auch in jedem anderen Sektor. Ein wirklich gerechtes Gesundheitssystem, welches nach den Interessen der Menschen gerichtet ist, kann es im Kapitalismus nicht geben. Es ist offensichtlich, wo die Prioritäten liegen, wenn kein Geld für Pflegekräfte und Soziales da ist, aber 100 Milliarden Euro für Aufrüstung locker gemacht werden können. Unsere Aufgabe bleibt es, uns zu organisieren und gegen den Kapitalismus zu kämpfen.