Solidarität mit den Betroffenen des Breite-Straße-Verfahrens! Erklärung & Blog
Am 27. August 2014 wurden in Hamburg, im Umfeld des zuvor besetzten und seit Jahren leer stehenden Hauses in der Breite Straße 114, fünf Personen festgenommen. Die richterliche Anhörung vor der Haftrichter_in über die Fortdauer der freiheitsentziehenden Maßnahme wurde auf den spätest möglichen Termin, zwei Tage später, festgesetzt. Allen Fünfen wurde der Tatvorwurf des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung, des schweren Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemacht. Während der Anhörung fanden gleichzeitig Hausdurchsuchungen statt. Die Anwält_innen wurden vor die Wahl gestellt, Rechtsbeistand bei der Hausdurchsuchung oder bei der Anhörung zu leisten. Ein Beistand bei der Hausdurchsuchung wurde so unmöglich.
Zwei der fünf Beschuldigten wurden in U-Haft genommen, die anderen drei mussten bis zum Ende der Squatting Days am 31. August in Anschlussgewahrsam verbleiben.
Die Verteidiger_innen schreiben in ihrer Presseerklärung anlässlich dieser ersten Anhörung1: „Der Umgang von Polizei und Justiz mit allen fünf Betroffenen war von nicht nachvollziehbaren Verzögerungen und Beschränkungen von Verteidigungsrechten geprägt. (...) So wurde erst Akteneinsicht gewährt, nachdem die Verteidigung mehrfach und eindringlich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den letzten Jahren hinwies, (…). Für {die} Akteneinsicht in eine mehrere hundert Seiten umfassende Akte wurde lediglich eine halbe Stunde gewährt.“
Bei den Haftprüfungen am Mittwoch (10.9.) und Donnerstag (11.9.) konnte ein Beschuldigter den Knast unter Auflagen verlassen, der andere (Jakob) ist nach wie vor in U-Haft.
Das seit der Räumung laufende Ermittlungsverfahren ist juristisch hoch gehängt. Dieses Verfahren ist offensichtlich vorrangig politisch gewollt und geht weit über die fünf bislang Beschuldigten hinaus. Die Haftprüfung in der gegen Jakob, ohne belastbare juristische Begründung, U-Haft verhängt wurde, unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der das Verfahren politisch voran getrieben wird.
Die Ermittlungsbehörden werden auch weiterhin alles dafür tun, ihr mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags hoch gestecktes Ziel, "endlich mal" jemand dran zu kriegen und zu verknacken zu erreichen.
Am Freitag (12.09.) gab es eine weitere Hausdurchsuchung gegen eine Person jenseits der zuvor fünf Betroffenen. Auch Observation gegen Personen innerhalb und außerhalb deren näherem Umfeld fanden und finden statt. Weitere Hausdurchsuchungen und Beschuldigte können in diesem Verfahren jederzeit hinzukommen.
„Betroffen sind wenige, gemeint sind wir alle" ist in diesem Zusammenhang mehr als ein schön klingender Slogan, der Angriff der Repressionsorgane richtet sich gegen die gesamte Bewegung und kann als solcher auch nur gemeinsam zurückgewiesen werden.
Dieses Verfahren richtet sich gegen jede Form von Besetzungen, jede Form von Raumnahme. Es soll verdeutlichen, wer das Staatliche Gewaltmonopol in Frage stellt, dem zeigt das Repressionssystem seine gesamte Härte.
Solange Besetzungen kriminalisiert werden und Leerstand nicht nur legal ist, sondern finanziell belohnt wird, während Wohnraum und Raum zur freien Entfaltung immer knapper bzw. unbezahlbar wird, spitzt sich der Kampf um Raum weiterhin zu.
Ein staatliches System, das auf verschiedensten Ebenen immer wieder deutlich macht, dass Gewinnmaximierung und Eigentum weit wertvoller sind als das körperliche Wohlergehen, übt permanent Gewalt aus. Sei es durch das Regelwerk beim Bezug von Arbeitslosengeld II, bei den Kürzungen im sozialen und pädagogischen Bereich oder bei der Zwangsräumung von Wohnungen. Die Mittel des Staates sind immer die Gleichen. Repression statt sozialstaatlicher Zuwendung: Kürzung der Bezüge, Knast für Schulschwänzer_innen und für Menschen, die sich kein HVV Ticket leisten können oder wollen, Polizeigewalt im Alltag und auf Demonstrationen. Listen die sich endlos fortführen lassen.
Vor diesem Hintergrund liegt die Infragestellung des Gewaltmonopols auf der Hand.
Bei der politischen Intensität mit der das Verfahren betrieben wird, ist wie sonst auch zu beachten: Keine Aussagen, keine Spekulationen.
Es ist jederzeit möglich, dass es zu weiteren Hausdurchsuchungen, weiteren Beschuldigten, oder Zeug_innen Vorladungen kommen kann. Aufräumen freut in dem Zusammenhang nicht nur die Mitbewohner_innen sondern erspart manches Ärgernis bei einer Hausdurchsuchung.
Der Abend der Räumung sollte im Moment kein Thema sein – <em>nicht am WG-Tisch, nicht in der Kneipe und nicht im Internet.</em> Egal wie einzelne die Aktionsformen zur Verzögerung der Räumung bewerten – der 27.08. liegt in der Vergangenheit und eine Diskussion über den Abend hilft ausschließlich den Repressionsorganen.
Lasst uns gemeinsam kreativ und solidarisch nach vorne gucken und den Ermittlungsbehörden die Suppe versalzen. Lasst uns überlegen wie wir unser Recht auf Stadt durchsetzen können und uns in unserer Vielseitigkeit unterstützen.
Für ein gesellschaftlich solidarisches Miteinander!
Leerstand zurück in die Nutzung bringen! Hausbesetzung ist notwendig und legitim!
Solidarität mit den Betroffenen des Breite-Straße-Verfahrens!
Ermittlungsausschuss Hamburg, Ermittlungsausschuss Wendland, outofaction Hamburg, Plenum des Infoladen Wilhelmsburg, Sauerkrautfabrik Harburg, Vorbereitungskreis Squatting Days 2014
Informationen, Kontakt und Solikonto: http://breitesoli.noblogs.org
Ergänzungen
Petition für die freilassung von Jacob S.
https://www.openpetition.de/petition/online/freiheit-fuer-jakob-s
Freiheit für Jakob S. !
Wir fordern die sofortige Freilassung von Jakob S., der am 27.08.2014 im Umfeld der Hausbesetzung Breite Straße in Hamburg unschuldig festgenommen wurde.
Begründung:
Text : Rote Hilfe e.V.
Unberechtigte Inhaftierungen nach Hausbesetzung in der Breitestraße. Akte und Videomaterial ermöglicht keine Identifikation der Mandanten als Täter. Trotzdem U-Haft angeordnet. Rechtswidrige Maßnahmen gegen Betroffene. Beschränkung der Verteidigerrechte.
Im Rahmen der Räumung eines in der Nacht vom 26. auf den 27. August 2014 besetzten Hauses in der Breitestraße 114-116 in Hamburg, nahm die Polizei in der Umgebung des Hauses gegen ca. 01:30 Uhr fünf Personen vorläufig fest. Allen Fünf wurde zunächst der Tatvorwurf des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung, des schweren Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemacht.
Gegen zwei Heranwachsende erließ das zuständige Gericht bei der Haftprüfung Untersuchungshaftbefehle. Dabei ging die Haftrichterin davon aus, dass der dringende Tatverdacht des versuchten Totschlags durch Werfen von Gegenständen aus dem Haus bestehe. Aus Sicht der Verteidigung ermöglicht die den Betroffenen und Ihren AnwältInnen vorgelegte Akte und vorgespieltes Videomaterial bereits keine Identifizierung der Mandanten als Täter. Darüber hinaus stellt sich juristisch die Frage, inwieweit das Werfen der Gegenstände aus dem Haus überhaupt den Tatbestand eines versuchten Totschlages erfüllen kann. In beiden Fällen wurde von den AnwältInnen unmittelbar nach Erlass der Haftbefehle Antrag auf Haftprüfung gestellt.
Gegen die drei anderen Festgenommenen wurden keine Haftbefehle erlassen, in zwei Fällen nicht einmal von der Staatsanwaltsanwaltschaft beantragt. Stattdessen wurde gegen sie bis zum Sonntagmittag um 12.00 Uhr Polizeigewahrsam angeordnet. Auch diese freiheitsentziehenden Maßnahmen sind aus Sicht der Verteidigung offenkundig rechtswidrig.
Es gibt keinerlei tragfähige Begründung dafür. Zwei Betroffene wurden vorübergehend festgehalten, obwohl das Gericht bereits deren Freilassung angeordnet hatte und zunächst keine Ingewahrsamnahme nach Polizeirecht ausgesprochen oder beantragt worden war.
Der Umgang von Polizei und Justiz mit allen fünf Betroffenen war von nicht nachvollziehbaren Verzögerungen und Beschränkungen von Verteidigungsrechten geprägt. Das in Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) festgeschriebene Recht auf unverzügliche richterliche Entscheidung über eine Freiheitsentziehung wurde in massiver Weise verletzt.
Den MandantInnen und der Verteidigung wurde erst nach 38-40 Stunden Freiheitsentziehung, im Rahmen der Vorführung vor der Haftrichterin, zumindest grob zur Kenntnis gegeben, welche Handlungen Ihnen vorgeworfen werden.
Zudem wurde den AnwältInnen der Betroffenen ohne erkennbaren Grund erst ca. 7 Stunden nach deren Kontaktaufnahme mit LKA und Staatsanwaltschaft die Möglichkeit gegeben mit ihren MandantInnen zu sprechen.
Wir haben sowohl der Hamburger Polizei als auch der Staatsanwaltschaft frühzeitig unsere Bedenken, das verfassungsrechtliche Unverzüglichkeitsgebot bei freiheitsentziehenden Maßnahmen betreffend, mitgeteilt. Gleichwohl hat die Polizei keine diesem Gebot entsprechende unverzüglichen
Information gegeben, ob eine Vorführung vor den Haftrichter erfolgen werde. Tatsächlich lag selbst dem zuständigen Gericht am Folgetag der Festnahmen bis Mittags noch keine Akte vor.
Auch die richterliche Zuführung am Freitag ab ca. 16 Uhr war von systematischen Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Betroffenen und des Rechts auf ein faires Verfahren geprägt. So wurde erst Akteneinsicht gewährt, nachdem die Verteidigung mehrfach und eindringlich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den letzten Jahren hinwies, wonach ein Beschuldigter, gegen den Untersuchungshaft beantragt ist, einen Anspruch auf Kenntnis der Akten hat, die dem Gericht bei der Entscheidung über die Untersuchungshaft vorliegen.
Für eine Akteneinsicht in eine mehrere hundert Seiten umfassende Akte wurde lediglich eine halbe Stunde gewährt, da der angeblich vorhandene Zeitdruck nichts Anderes erlauben würde, weil das Ende des auf die Festnahme folgenden Tages die äußerste gesetzliche Frist für eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung ist. Dieser Zeitdruck wäre vermeidbar gewesen, wenn den Verteidigungsrechten beispielsweise durch frühzeitige Fertigung von Kopieakten und Akteneinsicht vor Anhörungsbeginn Rechnung getragen worden wäre. Einigen AnwältInnen wurde gar keine Akteneinsicht gewährt.
Das Vorgehen von Polizei und Justiz ist aus Sicht der Verteidigung besorgniserregend verantwortungslos. Neben systematischem nicht Gewähren von Rechten sind die mit dem Erlass von Haftbefehlen verbundenen intensiven Grundrechtsbeeinträchtigungen für die von Untersuchungshaft Betroffenen keineswegs gerechtfertigt.
Im Namen aller Unterzeichner/innen.
Hamburg, 23.09.2014 (aktiv bis 20.10.2014)
https://www.openpetition.de/petition/online/freiheit-fuer-jakob-s
https://www.openpetition.de/petition/online/freiheit-fuer-jakob-s