Machtpolitik statt Menschenrechte - UNO-Gericht als Drohkulisse Erklärung zu der Rücknahme der Klage Deutschlands gegen Italien in Den Haag

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Deutschland hat im Streit um Entschädigungszahlungen wegen
Nazi-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg in Italien vor dem Internationalen
Gerichtshof (IGH) am 29.4.22 in den Den Haag Klage gegen Rom
eingereicht. Deutschland will verhindern, dass italienische Gerichte
weiterhin über die Ansprüche von NS-Opfern entscheiden. Es geht vor
allem um Prozesse ehemaliger NS-Zwangsarbeiter, darunter viele
sogenannte „Militärinternierte“, die von Deutschland keine Entschädigung
erhalten haben. Die Überlebenden der Naziverbrechen bzw. deren
Nachkommen klagen vor italienischen Gerichten, weil sie keine andere
Möglichkeit haben zu ihrem Recht zu kommen. Die Bundesregierung
verweigert beharrlich jegliche Zahlungen.

Deutschland hat zum zweiten Mal den IGH angerufen, um seine Interessen
gegen die NS-Opfer durchzusetzen. Dadurch sollen u.a. bereits ergangene
Urteile außer Kraft gesetzt werden. Außerdem fordert Deutschland
Entschädigungszahlungen von Italien. Dieser Schritt ist
rechtsmissbräuchlich, denn der IGH hat keine Kompetenz um über die
Ansprüche von Individuen zu entscheiden. Der IGH ist nur für
zwischen-staatliche Konflikte zuständig. Das erneute Ansinnen
Deutschlands stellt einen Angriff gegen die NS-Opfer, aber auch gegen
die Unabhängigkeit der italienischen Justiz und das Prinzip der
Gewaltenteilung dar.

Das höchste Gericht der Vereinten Nationen hatte vor zehn Jahren nach
einem langen Rechtsstreit geurteilt, dass Deutschland sich auf den
Rechtsgrundsatz der Staatenimmunität stützen dürfe und dass Klagen von
NS-Opfern vor Zivilgerichten unzulässig seien. Der IGH hatte schon
damals seine Kompetenzen überschritten. Daher entschied das Italienische
Verfassungsgericht 2014, dass die Entscheidung aus Den Haag für die
italienischen Gerichte nicht bindend sei. Die Bürgerinnen und Bürger
müssten im Fall von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit
die Möglichkeit haben vor Gericht ihr Recht zu suchen. Trotz einer
Vielzahl von Verurteilungen durch italienische Gerichte missachtet
Deutschland diese Entscheidungen. Deutschland erklärt sich für immun und
behauptet, dass Klagen vor Zivilgerichten im Ausland nicht zulässig sein.

Die italienischen Kläger sind nun dazu übergegangen deutsche
Liegenschaften in Italien zwangsversteigern zu lassen. Es handelt sich
um Liegenschaften in Rom, in denen sich die Deutsche Schule, das Goethe
Institut, das Archäologische Institut und das Deutsche Historische
Institut befinden. Am 25. Mail soll ein Vollstreckungsgericht in Rom
entscheiden, ob diese Liegenschaften zwangsversteigert werden.

Deutschland wollte ursprünglich den IGH dazu bringen, durch vorläufige
Maßnahmen die anstehenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen deutsche
Liegenschaften zu stoppen. Doch bevor darüber beim Gericht verhandelt
werden konnte wurde dieser Antrag zurückgenommen. Nach Medienberichten
sei dies deshalb geschehen, weil zum 1. Mai in Italien ein Gesetz in
Kraft getreten sei, dass es Gerichten verbiete, deutsches Staatseigentum
auf italienischem Boden zu konfiszieren. Offenbar hat die deutsche
Regierung mit der italienischen einen schmutzigen Deal zu Lasten der
Opfer durchgesetzt. Im Ergebnis wird dies die Prozesse in Italien nicht
verhindern können, aber so lange verzögern bis die letzten Überlebenden
der NS Verbrechen tot sind. Dies ist das schäbige deutsche Kalkül: Die
biologische Lösung der Entschädigungsfrage.

Mit der Klage in Den Haag beweist Deutschland einmal mehr, dass all die
warmen Worte an Gedenktagen für die Opfer der NS-Verbrechen nur
Heuchelei und schöner Schein sind. Wenn es darauf ankommt, verhält
Deutschland sich wie ein Schurkenstaat und tritt die Rechte der NS-Opfer
mit Füßen. Die meisten Opfer der NS-Verbrechen haben bis heute keine
Entschädigung erhalten.

Seit dem Pariser Reparationsabkommen von 1946 ist die Bundesrepublik zur
Zahlung von Entschädigungen in Höhe vieler hundert Milliarden gegenüber
den einzelnen von Nazi-Deutschland überfallenen Ländern verpflichtet.
Gezahlt wurde so gut wie nichts. Es ist ein Zeichen fehlenden
Verantwortungsbewusstseins und fehlender Moral, wenn 77 Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkrieges mit aller juristischen und diplomatischen Wucht
gegen Italien vorgegangen wird, um deren unabhängige, die Menschenrechte
und die Menschenwürde der NS-Opfer wahrende Justiz zu brüskieren. Vor
diesem Hintergrund ist es ein Alarmsignal, wenn gleichzeitig ein
„Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro Verwendung für Deutschlands
Aufrüstung und damit für neue Kriege finden soll. Das Geld ist da – der
Verwendungszweck ist falsch.

Hamburg, den 10. Mai 2022
AK-Distomo
Weitere Informationen:
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/ak-distomo/ 
Mail: ak-distomo@nadir.org

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