Adbustings zum Polizeikongress: Ein Rückblick. Teil 2

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2022 gibt es keine Demo zum Polizeikongress. Vermutlich werden die Cops das Fehlen einer Demo gar nicht bemerken, denn besonders konfrontativ waren die Demos in den letzten Jahren aller Verbalradikalität zum Trotz nicht. Dafür ärgerten sich die Sicherheitsbehörden so sehr über veränderte Werbeplakate, dass Adbustings sogar Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ waren. Doch die Repression war ein Bumerang: Sie führte letztlich dazu, dass in Berlin Adbusting de facto entkrimimalisiert ist und die Cops auf Werbung mit City-Light-Postern verzichteten. Teil 2 des analytischen Rückblicks, wie dieser seltene autonome Kampagnenerfolg ganz ohne Demos möglich war. Teil 1 dieser Analyse schilderte, wie Adbustings zum Polizeikongress ab 2016 eine Rolle spielen. Teil 2 dieser Analyse schildert, wie ab 2018 die Verunsicherungsbehörden wegen Adbustings zum Polizeikongress richtig ausflippen und eine Solikampagne anschließend Adbusting de facto entkriminalisiert.

Der diesjährige Verzicht auf eine Mobilisierung zum Polizeikongress ist eine gute Gelegenheit, nach dem Sinn großangelegter Demo-Mobilisierungen zu diesem Event zu fragen. Da keine Mobi stattfindet, fällt man mit kritischen Fragen auch niemanden unsolidarisch in den Rücken. Was uns hier besonders interessiert, ist die Frage, wie viel oder wenig durch die Demos erreicht wurde, dass es in der Mehrheitsgesellschaft zum Hinterfragen des neoliberalen Sicherheits-Narrativ und der Polizei kommt, und ob dies nicht viel eher z. B. durch andere Aktionsformen erreicht werden könnte.

 

"Da für Gewalt" im VS-Bericht
Im Sommer 2019 gibt es eine unangenehme Überraschung. Beim zufälligen Durchblättern des gerade frisch erschienenen "Verfassungsschutzbericht" für das Jahr 2018 des Bundesamt für Verfassungsschmutz stolpert die Kommunikationsguerilla-Szene über eine Sensation: Der Bericht enthält ein Bild der Aktion vom Polizeikongress. Für die Autor*innen des Geheimdienst-Berichtes ist klar: Plakate bekleben ist so schlimm wie Angriffe auf Beamte: „Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich (…) auch der Aktionsform des „Adbustings“. Dabei verfremden Linksextremisten Werbeplakate der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden im öffentlichen Raum, indem sie diese mit Parolen versehen, welche Polizeibeamte oder Angehörige der Sicherheitsbehörden als Verbrecher oder die Polizei als Instrument eines willkürlich agierenden Unrechtsregime darstellen. So wurden im Vorfeld des (…) Polizeikongresses Werbeplakate der Berliner Polizei so verfremdet, dass damit der Polizei willkürliche Gewaltausübung, „institutioneller Rassismus“ und die Absicherung bestehender „Ausbeutungsverhältnisse“ unterstellt wurden.“
 

vom bbc ins GETZ
Doch damit nicht genug: Spätere Recherchen zeigten, dass sich nach der Adbusting-Aktion zum Polizeikongress 2018 das "Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ)" 2018/19 gleich vier mal mit Adbustings beschäftigte. Hier sieht man, wie die sogenannten "Verfassungsschutzberichte" wirken: Sie sind Feinderklärungen. Wer im "Verfassungsschutzbericht" steht, ist richtig böse, ganz nah an Terrorismus dran und gegen Terror ist jedes Mittel recht.

Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen
Dementsprechend geht die völlig entgrenzte Repression gegen Adbuster*innen weiter. Das LKA 521 veranstaltet im Sommer 2019 weiter Hausdurchsuchungen und außerdem DNA-Analysen. Außerdem kommt es im Oktober zum Showdown: Der bundesweit erste Gerichtsprozess wegen Quatsch mit Werbevitrinen wird in Berlin zur Anklage gebracht.

Der Adbusting-Gerichtsprozess
Der Gerichtsprozess und der Eintrag im Verfassungsschutzbericht führten zu einer ungewöhnlichen Allianz. Betroffen waren eher nette freundliche bürgerliche Adbuster*innen. Und weil die mit der Repression eher überfordert waren, ließen sie sich von Linksradikalen helfen. Am Ende zogen in der Soligruppe plakativ tatsächlich bürgerliche und linksradikale Gruppen an einem Strang (bis auf das peng-Kollektiv, die haben es trotz gegenteiliger Verlautbarungen nicht nötig, mit anderen Leuten solidarisch zu sein...). Die gemeinsame Arbeit entwickelte eine für linke Projekte ungeahnte Durchschlagskraft.

Die Pressearbeit der Soligruppe plakativ führte dazu, dass bereits am Morgen des Verhandlungstag mehrere Berliner Medien über den Gerichtsprozess berichteten. Sämtliche Zeitungen der Stadt hatten Reporter*innen zur Verhandlung geschickt. Wie druckvoll sowas ist, zeigte sich bei der Vernehmung des Staatsschützers Kriminalkommisar Bähnisch. Er beschwerte sich über das Medieninteresse. Derart unter Beobachtung geriet die Verhandlung schnell zur Frace. Denn der Staatsschutz konnte trotz 1200 Aktenseiten und mehrern Jahren Ermittlungen nicht erklären, was oder wie hoch eigentlich bei den angeklakten Aktionen der Sachschaden gewesen sei. Um den staatlich bezahlten Gewalttäter*innen vom LKA weitere Peinlichkeiten zu ersparen, stellte die Richterin das Verfahren schließlich ein.

Von den Schilderungen der Cops zur Ermittlungsarbeit und dem vorläufigen Erfolg angestachelt, machte sich die Soligruppe plakativ daran, die Staatschutzbehörden gezielt anzugreifen. Als erstes suchte sie weitere Betroffene und ermutigte diese, sich ihre Akten zu beschaffen. Mit den hieraus gewonnenen Erkenntnissen sprach die Soligruppe plakativ gezielt Journalist*innen und Abgeordnete an. In Kombination mit weiteren Adbusting-Aktionen führte die mit den Kleinen Anfragen hergestellte öffentliche Druck schließlich dazu, dass die Behörden einknickten.

 

2020: „Rassismus schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz"
Doch erstmal stand ein weiterer Polizeikongress an. Im Jahr 2020 lief die Demo wieder Tage vorher und am Arsch der Welt durch Friedrichshain. Wie zum Beweis der thematischen Beliebigkeit ihrer Mobilisierung widmeten die Organisator*innen ihre Demo kurz vorher in eine Gedenkdemo für die kurz zuvor in ihrer Wohnung von Cops erschossene Maria um. Die hauptstädtische Kommunikationsguerilla-Szene hatte derweil mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Denn die Werbevitrinen am Alex und am bbc waren mit die ersten, die die betreiber*innenfirma Wall-Decaux durch digitale Anzeigen ersetzen ließ.

Also wichen die Chaot*innen vom „Bundesamt für Veralberung (BfV)“ aus und schlugen eine Schneise der Kritik quer durch die Berliner Innenstadt. Auch thematisch wendeten sie einen leichten Shift an. Statt die Polizei zu kritisieren, begrüßten sie die aus Köln zum Polizeikongress angereisten Geheimen aus dem Bundesamt für Verfassungsschmutz mit einer kritischen Poster-Serie.

Die gefälschten Poster erweckten den Anschein, als suche der Inlandsgeheimdienst neues Personal. Was die Kanditat*innen angeblich mitbringen müssen: Bock auf Rassismus, Gewalt und Männerbünde. Die Plakate thematisieren die dort herrschende gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: „Rassismus schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Unsere Behörde wurde von Alt-Nazis gegründet. Diese autoritäre, rassistische und sexistische Kultur pflegen wir bis heute.“

Auch der repressive Zweck, der sich hinter dem Euphemismus „Verfassungsschutz“ verbirgt, vermarkten die Plakate als vermeintlich gutes Arbeitsumfeld: „Willkürliche Gewalt schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Um Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu erhalten, tun wir alles: Spitzeln, Einschüchtern, Hetzen, beim Töten zusehen.“

Die toxische Männlichkeit, die in solchen hierarchischen fernab der Öffentlichkeit agierenden gewaltafinen Behörden herrscht, benennen die Plakate: „Bock auf Männerbund? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Leute bespitzeln, in Privatem von Anderen nach Belieben rumschnüffeln, staatliche Gewalt legitimieren.“

Die Aktion ist ein voller Erfolg: Taz, Berliner Zeitung und Berliner Kurier berichten und in den Unsozialen Medien wird die überzogene Repression der Behörden breit diskutiert.

Der Bumerang dreht sich
In der Rückschau stechen im Jahr 2020 die Monate Mai und Juni hervor. Denn nachträglich betrachtet bilden diese Monate den Wendepunkt in der Solidaritätskampagne in Sachen Adbusting. In dieser Zeit liegen vier wichtige Ereignisse. Im Mai 2020 veröffentlichte zererst der Bundestag eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Die Abgeordnete Ulla Jelpke hatte gefragt, welche Adbustings Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ waren.

Die Antwort überraschte: „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine weitergehende Beantwortung der Frage nicht erfolgen kann (...). Die Information (...) berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass der Schutz des Staatswohl dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt. Dies könnte einen Nachteil für die die Interessen der Bundesrepublik Deutschland (...) bedeuten.“

Die Kommunikationsguerilla konnte sich kaum halten vor Lachen bei der Vorstellung, dass es ausreicht, ein paar Adbusting-Poster aufzuhängen, um die Sicherheit der Republik zu gefährden. In der Kommunikationsguerilla-Szene breitete sich derweil Optimismus aus. Denn die blöde Antwort zeigt, dass der Geheimdienst keine Lust mehr auf dumme Fragen zum Thema Adbusting hatte und mit dem Blödsinn versucht, sich um die Debatte zu drücken. Also hing die Gruppe XYZ ein paar Adbustings mit dem albernen Zitat aus der Kleinen Anfrage im Herzen der Republik zwischen Reichstag und Kanzler*innenamt auf.

 

StA: Adbusting nicht strafbar
Doch damit nicht genug: Auch die Staatsanwaltschaft Berlin hatte auch keine Lust mehr, blöde Fragen zu Adbusting beantworten zu müssen. Die vermehrte Berichterstattung über Adbusting führte dazu, dass mehr Menschen diese Aktionsform ausprobierten und das wiederum führte dazu, dass die Polizei auch mehr Leute schnappte. So in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 2020 in Berlin-Tegel. Die Polizei stellte hier eine junge Aktivist*in auf frischer Tat an einer noch geöffneten Werbevitrine und legte diese Person wie bei Terrorist*innen üblich sofort in Handschellen.

Der Staatsschutz des LKA 521 beantragte bei der Staatsanwaltschaft mittels Dringlichkeitsantrag eine Hausdurchsuchung. Doch die Staatsanwaltschaft tat erstmal zwei Wochen gar nichts außer die Cops warten zu lassen. Dann entschied die Behörde, dass sie sich ihre Durchsuchung sonstwo hinstecken könnten und dass das Verfahren mangels Strafbarkeit sofort einzustellen sei, da nichts gestohlen oder beschädigt worden sei. Eine Sensation: Adbusting ist kein Terror, sondern straffrei. Der Beschluss geht als sogenannter "Darf-Schein" in die Geschichte der Kommunikationsguerilla ein.

Der Indy-Bericht dazu:

https://de.indymedia.org/node/91134

Der Beschluss im Wortlaut:

https://abschaffen.noblogs.org/post-an-polizei/

 

VS-Bericht jetzt doch ohne Adbusting
Den nächsten Sieg fuhr die hauptstädtische Kommunikationbsguerilla im Juni 2020 ein. Pünktlich zur Vorstellung des sogenannten "Verfassungsschutzberichtes" klebten am Wachhaus der Geheimdienst-Kaserne Adbustings: "Yeah, anstatt was gegen Rassismus zu tun, überwachen wir Adbusting!" Das Innenministerium verschob in letzter Minute die Pressekonferenz um zwei Wochen (wären wir das Peng-Kollektiv, würden wir hier jetzt einen kausalen Zusammenhang unterstellen und erstmal Spenden sammeln gehen).

Zwei Wochen später zeigt sich: Im Bericht steht kein Wort mehr zu Adbusting. Ulla Jelpke fragt erneut nach. Das Ministerium antwortet: Nein, kein Fehler, man habe auch nicht dem öffentlichen Druck nachgegeben. Stattdessen sei aufgefallen, dass das Bekleben von Werbepostern doch nicht gewalttätig sei. Ein großer Erfolg für die Solikampagne der Soligruppe plakativ: Adbusting ist nicht strafbar und steht nicht mehr im VS-Bericht.

„Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“
Als Sahnehäubchen veröffentlichten auchim Juni 2020 die Jurist*innen Prof. Dr. Fischer-Lescano und Dr. Gutmann von der Uni Bremen ein Gutachten, dass sich mit der Repression gegen Adbusting beschäftigt. Ihr Fazit: „Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“ und „Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“

Derartig motiviert legte die Kommunikationsguerilla-Szene Berlins so richtig los. Dabei machten die Chaot*innen so viel Wirbel, dass die Polizei bis heute auf weitere Werbung mit City-Light-Plakaten in Werbevitrinen verzichtete. Aber das kommt im dritten Teil.

Teil 1 dieser Analyse:
https://110prozentberlin.wordpress.com/adbustings-zum-polizeikongress-ein-ruckblick/

 

 

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