Solidarität braucht Vertrauen – Gedanken zum Outcall Domhöver

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In diversen Texten [2,3,4] wird derzeit der Outcall von Johannes Domhöver (folgend JD) besprochen. Auch wir wollen uns zu diesem Thema äußern. Wir haben vor einigen Wochen zufällig im Internet erfahren, dass es schwere Vorwürfe der (sexualisierten) Gewalt und Vergewaltigung [1] gegen JD gibt, der derzeit im §129 Verfahren Antifa-Ost dafür angeklagt wird, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein. Wenn wir im folgenden Text von Vorwürfen gegen ihn sprechen, meinen wir nicht die Vorwürfe der Bullen, sondern den Vorwurf der (sexualisierten) Gewalt und Vergewaltigung. Wir möchten der/den Betroffenen unsere Solidarität ausdrücken. Wir finden es unglaublich wichtig und extrem mutig, trotz der im Outcall beschriebenen [1] Drohungen, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir hoffen, dass die Betroffene(n) auf ein fürsorgliches und offenes Umfeld treffen, welches sie bei der Heilung unterstützt. Gleichzeitig sind wir wütend und entsetzt, dass das gewaltvolle Verhalten von JD so lange Teil einer Szene sein konnte, welche für Menschenrechte einsteht.
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In diversen Texten [2,3,4] wird derzeit der Outcall von Johannes Domhöver (folgend JD) besprochen. Auch wir wollen uns  zu diesem Thema äußern. Wir haben vor einigen Wochen zufällig im Internet erfahren, dass es schwere Vorwürfe der (sexualisierten) Gewalt und Vergewaltigung [1] gegen JD gibt, der derzeit im §129 Verfahren Antifa-Ost dafür angeklagt wird, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein.

Wenn wir im folgenden Text von Vorwürfen gegen ihn sprechen, meinen wir nicht die Vorwürfe der Bullen, sondern den Vorwurf der (sexualisierten) Gewalt und Vergewaltigung.

Wir möchten der/den Betroffenen unsere Solidarität ausdrücken. Wir finden es unglaublich wichtig und extrem mutig, trotz der im Outcall beschriebenen [1] Drohungen, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir hoffen, dass die Betroffene(n) auf ein fürsorgliches und offenes Umfeld treffen, welches sie bei der Heilung unterstützt. Gleichzeitig sind wir wütend und entsetzt, dass das gewaltvolle Verhalten von JD so lange Teil einer Szene sein konnte, welche für Menschenrechte einsteht.

Zu den strukturellen Problemen in Gesellschaft und linker Szene haben andere Gruppen bereits sehr gute Texte geschrieben [2,3], deren Inhalte wir teilen. Wir möchten deshalb unsere Gedanken dazu teilen, was wir unter Solidaritätsarbeit verstehen und wie problematisch der derzeitige Umgang mit Vorwürfen der sexuellen/sexualisierten Gewalt in Soli-Kampagnen ist.

Wir verstehen es so, dass die Vorwürfe der sexualisierten Gewalt gegen JD Personen aus seinem Umfeld schon seit Jahren bekannt waren. Es wurde außerdem bereits versucht, mit ihm an seinem Verhalten zu arbeiten. Für uns stellt sich deshalb die Frage, warum die Infos nicht früher geteilt wurden. Ob Menschen aus dem Solibündnis Antifa-Ost davon wussten, wird in ihrem Statement offen [4] gelassen. 

Menschen wie JD sind in vielerlei Hinsicht gefährlich für politische Zusammenhänge. Ganz offensichtlich ist, dass die patriarchale Gewalt, die FLINTA* innerhalb der Szene erfahren, deren Leben bedrohen. Die Unfähigkeit im Umgang und in der Aufarbeitung dieser patriarchalen Gewalt erschüttert auch unsere Werte, Strukturen und Glaubwürdigkeit. Weiterhin sind viele der Vorwürfe gegen JD strafrechtlich relevant und können von den Bullen als Druckpunkt genutzt werden, um bpsw. Informationen über andere Personen und Zusammenhänge zu bekommen. Es ist außerdem zu befürchten, dass der Outcall und der damit verbundene Ausschluss aus „der Szene“ Rachegelüste hervorruft, die dazu führen können, dass Interna veröffentlicht oder Menschen angegriffen werden. In diesem Kontext ist es absolut unverständlich und gefährlich, dass trotz der gravierenden Vorwürfe und der gescheiterten Aufarbeitung weiter politisch mit JD zusammengearbeitet wurde. Criminals for freedom teilen die Analyse [3], dass gewaltausübende Personen in unseren Zusammenhängen oft extreme Machtpositionen und eine Art Superheld*innen-Status innehaben. Umso wichtiger ist es doch die Zusammenarbeit mit Personen, welche so tiefen Einblick und Einfluss auf unsere Strukturen haben, zu pausieren bis sie sich mit ihrer Scheiße auseinandergesetzt haben. Ein Mensch, welcher nicht bereit ist sich mit eigenem gewaltvollem Verhalten auseinanderzusetzen, kann kein politischer Partner sein!

Krassen Vorwürfe gegen einen Angeklagten im Kontext einer Solikampagne riefen bei uns ein sehr starkes déjà vu hervor. 2018 wurde der sogenannte „Netzwerk-Fall“ in Russland bekannt – die Verhaftung und Folter mehrerer Anarchist*innen und Antifaschist*innen in Penza und Petersburg, um das Konstrukt einer terroristischen Vereinigung. Es wurde eine breite Solidaritätskampagne aufgestellt [5]. Mit der Zeit bröckelte die Fassade des Idealbild der Aktivist*innen und schwere Vorwürfe von sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung und zuletzt Mord kamen an die Öffentlickeit. Das war für uns ein Schock in verschiedener Hinsicht; Wie ist diese politische Bewegung aufgestellt? Warum passiert das immer wieder? Wieso wurden diese Informationen geheim gehalten, obwohl sie der Solikampagne bekannt waren? Wie können wir unseren eigenen Netzwerken in der Solidaritätsarbeit vertrauen? [6]

Soli-Kampagnen mit von Repression Betroffenen versuchen oft, ein widerspruchsfreies Bild von perfekten Aktivist*Innen aufzubauen. Eben jenen Superheld*innen, nach welchen sich alle so sehnen. Im Netzwerk-Fall in Russland war es so und wir befürchten, dass es hier ähnlich ist. In diesem Kontext ist es verständlich, dass Widersprüche in den Personen, die nicht in dieses Bild passen, unterdrückt werden, um die Soli-Kampagne nicht zu gefährden. Wir verstehen auch, dass aufgrund der nötigen Klandestinität und der Privatsphäre einer Person nicht jede Info in der Öffentlichkeit besprochen werden kann. Im Fall von JD ist es aus unserer Sicht aber eindeutig, dass die Infos zumindest in abstrahierter Form hätten veröffentlicht werden müssen.

Aus unserer Perspektive ist Vertrauen die Basis der Solidaritätsarbeit. Wenn eine Unterstützungsgruppe zur Solidarität mit einer Person aufruft, verlassen wir uns in einem gewissen Maße darauf, dass wir uns hinter unsere von Repression betroffenen Gefährt*innen stellen können. Grundlage dafür ist natürlich, dass die Unterstützungsgruppe den Personen, die sie unterstützt, vertraut. Es ist durchaus möglich einen Menschen für eine politische Aktion zu unterstützen obwohl die Person sich in anderen Kontexten Scheiße verhalten hat. Damit so eine Entscheidung nachvollziehbar ist und eine eigene stabile Positionierung möglich ist, braucht es jedoch Transparenz.  So kann jede*r selbst entscheiden, ob sie sich weiterhin mit der Person solidarisieren möchte. Wir halten es deshalb für absolut notwendig, derart gravierende Vorwürfe im Einvernehmen mit der von der Gewalt betroffenen Person zu teilen, sobald eine Solikampagne gestartet wird. 
Wir brauchen keine Superheld*innen. Was wir brauchen sind soziale Zusammenhänge, welche bei Gewalt nicht wegschauen, sondern Gewalt ausübende Personen stoppen und Betroffene unterstützen. 

Das Antifa-Ost-Verfahren ist in seiner politischen Dimension für unsere Bewegung sehr problematisch. Der Staat konstruiert linken Terrorismus und unterstützt Feindbilder von der mittlerweile in Teilen der Bevölkerung als Schimpfwort kursierenden Antifa. Und das in einer Zeit, in der rechte Positionen nicht nur in Teilen der Bevölkerung, sondern auch in den Ermittlungsbehörden stark verankert sind. Viele Informationen aus dem Verfahren wurden direkt von den Cops an Nazis weitergeleitet. [7]

Das macht klar, wir dürfen uns von Repression nicht unterkriegen lassen und brauchen breite Netzwerke und Unterstützung, um dieser politischen Entwicklung etwas entgegen zu halten. Aber genau für die breite Unterstützung ist Vertrauen in die eigenen Solidaritätsstrukturen notwendig. Um unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu sein und auch weiterhin eine glaubwürdige Soliarbeit zu leisten braucht es momentan nicht nur Texte und Bekenntnisse, sondern einen transparenten Umgang der Soli-Antifa-Ost-Kampagne sowie der anderen Angeklagten mit den Vorwürfen. Es braucht Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und in den eigenen Gruppen.

Sexualisierte Gewalt in unseren Strukturen stoppen und transparent und proaktiv aufarbeiten!
Solidarität ist unsere Waffe gegen staatliche Repression!

Links:
[1] Outing (21.10.2021) https://de.indymedia.org/node/156448
[2] Antifa Friedrichshain (21.10.2021) https://de.indymedia.org/node/156449
[3] Criminals for Freedom (26.10.2021) https://criminalsforfreedom.noblogs.org/2021/10/statement-zum-outing-ueber-den-taeter-johannes-domhoever/#more-1040
[4] Statement Solidaritätsbündnis Antifa Ost (26.10.2021) https://www.soli-antifa-ost.org/statement-des-solidaritaetsbuendnis-antifa-ost-zum-outcall-von-johannes-domhoever/
[5] Solikampagne Rupression zum Netzwerkfall https://rupression.com/
[6] Solidarität ist zerbrechlich – Gedanken zum „Netzwerk“-Fall vom ABC Dresdenhttps://abcdd.org/2020/04/06/position-des-abc-dresden-zu-den-letzten-updates-im-netzwerk-fall/
[7] Wer ist der Maulwurf? – Nach Veröffentlichungen aus Ermittlungsakten im Fall Lina E. ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Soko Linxhttps://www.akweb.de/politik/lina-e-ermittlungen-gegen-soko-links-in-sachsen-wer-ist-der-maulwurf/

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