[Antifa-Ost] Bericht vom 13. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 04.11.21

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Der Beginn des 13. Prozesstages am 04.11.21, dem Tag vor dem Jahrestag der Verhaftung Linas, wurde auf 09:45 Uhr verschoben. Bevor Lina in den Saal geführt wurde, bemerkten Angestellte der Justiz, dass die drei Angeklagten alle dasselbe Oberteil mit der Aufschrift „Free Lina“ trugen. Der Vorsitzende bat daraufhin die Verteidigung in das Verhandlungszimmer. Dort wurde der Kompromiss vorgeschlagen, dass die Angeklagten die Oberteile ausziehen müssen, diese dann jedoch Lina geschenkt werden dürften. Auf das Angebot sind die Angeklagten eingegangen und diese Solidaritätsaktion wurde von den Zuschauer:innen mit Beifall begleitet.

Um 10:00 Uhr begann die Verhandlung. Anwesend waren auch die Nebenklageanwälte Colini und Tripp. Die erste Frage des Vorsitzenden Schlüter-Staats richtete sich an die Nebenklage und er stellte verwundert fest, dass Kohlmann nicht da war, obwohl sich dieser Tag mit dem Tatkomplex seines Mandanten beschäftigte.

Dann äußerte er sich zum Antrag der Verteidigung vom Vortag bezüglich der Referendar:innen und meinte, dieser hätte ihn nicht überzeugt.

Die Zuschauer:innen wurden von ihm einmal auf politische Aufdrucke auf der Bekleidung überprüft und er wies nun alle Personen im Zuschauer:innenraum an, Masken durchgängig zu tragen.

Danach wurde die erste Zeugin in den Saal gerufen, welche zum Tatgeschehen am Wurzener Bahnhof aussagte. Sie war eine Bekannte eines Geschädigten und gab zu Protokoll, sich mit diesem am Bahnhof verabredet zu haben. Dort angekommen bemerkte sie eine Gruppe schwarz gekleideter Personen, die in der Nähe des Bahnhofgebäudes warteten. Jene Gruppe soll bei Eintreffen des Zuges um den Bahnhof herum gerannt sein. Wenige Minuten später, so die Zeugin, kamen die Faschisten aus dem Gebäude gelaufen, wobei mindestens einer blutete.

Im Anschluss an die Vernehmung und eine kurze Pause wurde ein weiterer Augenzeuge vernommen, der den Angriff auf die Wurzener Neonazis auf dem Bahnsteig mitbekommen haben soll. Dieser sagte aus, als er den Zug verließ, auf eine Gruppe von vier bis acht Personen gestoßen zu sein, welche am Bahnsteig auf ihn zu kamen. Da diese vermummt gewesen seien, bekam er Angst. Jemand aus der Gruppe teilte ihm mit, dass alles gut sei und er einfach weiter laufen solle.

Kurz darauf, so der Zeuge B. soll ein Mann am Bahnsteig angegriffen worden sein. Den Angriff selbst konnte er nicht sehen. Als die Gruppe flüchtete, rief Herr B. den Notruf und trat an den verletzten Neonazi heran, um ihm Bier und Zigaretten anzubieten, obwohl er, so sagte der Zeuge bereits in der polizeilichen Vernehmung, den 36 jährigen Rechten als bedrohlicher wahrnahm, als die attackierende Personengruppe.

Weiter merkte B. an, sei die Reaktion des Geschädigten, bei dem es sich wohl um Matthias Leder handelte, erstaunlich gewesen. Keineswegs überrascht oder überfordert hätte dieser gewirkt, eher als wäre dies nicht die erste Auseinandersetzung gewesen, in die er verwickelt gewesen sei.

Am Ende der Vernehmung füllte der Vorsitzende, wie bereits zuvor, die Lücken seiner Beweisaufnahme mit Verlesungen aus der polizeilichen Vernehmung. Dies sorgte für Streit zwischen Verteidigung und Richterschaft. Der Zeuge konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob die Personengruppe an einer Ecke wartete oder um die Ecke ging, auch da Metallverstrebungen seine Sicht auf die Situation verbargen. Die Verlesung der Vernehmung ist jedoch nur dann in die Beweisaufnahme einzuführen, wenn der Zeuge keine Erinnerung mehr an Sachverhalte hat, die zum damaligen Zeitpunkt noch dargestellt werden konnten. Ob die Erinnerung nun wegen des zeitlichen Fortschritts nicht mehr vorlag oder der Zeuge diese Erinnerung aufgrund der verdeckten Sicht nie hatte, war Gegenstand der Streitigkeiten, an deren Ende der Vorsitzende seine Verfügung bestätigte und sodann die Aussage ergänzte.

Im Anschluss wurde Nico Hartmann von der Ermittlungsgruppe (EG) zum Verfahren gehört. Der Kollege des am Vortag gehörten KK Junghanß wertete ebenfalls Speichermedien aus. Im konkreten Fall soll er eine SD-Karte, welche bei der Wohnungsdurchsuchung der Angeklagten gefunden worden ist, betrachtet habe. Auf dem Datenträger sollen sich insgesamt 5 verschiedene Bilder befunden haben, die jeweils dreimal in unterschiedlicher Auflösung vorlagen. Die Bilder seien aus einem Fahrzeug heraus aufgenommen worden, wobei Teile der Fahrzeugausstattung erkennbar sein sollen. Diese sollen verschiedene Straßenszenen zeigen. Auf dem letzten Foto soll ein Fahrradfahrer zu sehen sein. Auf einigen Aufnahmen erkannte Hartmann zudem einige Gegenstände im Fahrzeug, darunter einen Pullover, ein Smartphone, Kopfhörer und eine Sonnenbrille.

Während der Auswertung der Bilder stellte Hartmann Ermittlungen mittels Google Maps an, wo die Bilder aufgenommen sein könnten. Den Ausgangspunkt stellte ein Straßenschild dar, welches in der Nähe von Wurzen stehen soll. Insgesamt möchte der Ermittler alle 5 Bilder einem genauen Ort zugeordnet haben und so zu dem Schluss gekommen sein, es könnte sich um eine Ausspähaktion des Cedric Scholz, welcher im Jahr 2018 verprügelt wurde, sein. Wobei lediglich zwei Fotos im Wurzener Ortsteil Kühren, dem Heimatort des Geschädigten, entstanden sind.

Aus diesem Grund habe der Polizeiobermeister im Frühjahr 2021 den Cedric Scholz ein weiteres mal vernommen. Dort soll ihm das Bild des Fahrradfahrers gezeigt worden sein. Scholz identifizierte einen Mitspieler seines Vereins auf den Bildern, welcher ebenso geladen wurde, jedoch aussagte, dass ihm nichts Besonderes aufgefallen sei.
Die weitere Befragung, auch durch die Verteidigung, ergab, dass die Ermittlungsgruppe tatsächlich nach den Gegenständen, die auf den Bildern im Auto zu sehen sind, gesucht hat. Weder in einer der durchsuchten Wohnungen, noch in irgendeinem anderen Zusammenhang, konnten Sonnenbrille, Pullover, Kopfhörer oder gar das entsprechende Smartphone sichergestellt werden.

Dass auch das Fahrzeug, laut POM Hartmann ein Ford Transit, in keinem Zusammenhang mit den Beschuldigten steht, erklärten die Verteidiger:innen im Nachgang der Vernehmung. Dazu stellten diese fest, dass mindestens drei von fünf Bildern nicht den Ortsteil Kühren darstellen und keines den Geschädigten.

Rechtsanwältin Weyers beantragte im Nachgang der Erklärung ihrer Kollegen die Bereitstellung eines:r Aussagepsychologen:in, der:die die Aussage des Geschädigten Leon Ringl aus dem Eisenach-Komplex auf deren Konsistenz hin überprüfen soll. So wird sich dabei belegen lassen, dass die Aussagen des Ringl nicht der Wahrheit entsprechen können, da sie den jeweils aktuellen Kenntnissen des Geschädigten angepasst wurden. Weiter beschreibt er Wahrnehmungen, die er unmöglich gemacht haben kann.

Bei der letzten Zeugin des Tages handelt es sich um Konstanze Kästner, welche ebenfalls Teil der EG im LKA Sachsen ist. Diese hat einen in einem Fahrzeug beschlagnahmten Schlüssel begutachtet und durch einen Kollegen um 01:00 Uhr morgens prüfen lassen, ob dieser zu einer von zwei Wohnungen zweier Beschuldigter gehört. Die Schließprobe wurde auf Anordnung der derzeit verhandelnden Strafkammer umgesetzt. Dabei stellte sich heraus, dass von einem Schlüsselbund ein Schlüssel zur Haustür eines:r Angeklagten gehört, ein weiterer Schlüssel eines anderen Schlüsselbundes zu einer Kammer im Haus der:s Angeklagten, aber kein Schlüssel zur Wohnung oder zum zweiten Objekt. Nach ausführlicher Betrachtung, auch von Fotos der Schlüsselbünde, konnten die Verteidiger:innen mit der Befragung fortfahren.

Nach der Frage, welchem Modus Operandi die Ermittlungsgruppe der angeblichen kriminellen Vereinigung unterstellte, entbrannte ein Streit zwischen Gericht und Verteidigung.

Der Vorsitzende sah die Frage nach Ermittlungsansätzen oder Bewertungen der Ermittler:innen als irrelevanten Sachverhalt an, da auch wenn diese falsch seien, nur die schlichte Aussage des erhobenen Beweises zähle. Der Vorsitzende ist der Auffassung, dass es nicht, wie die Verteidigung anmerkte, seine Verantwortung sei zu kontrollieren, was die Exekutive da macht, dies sei seiner Ansicht nach ausschließlich Aufgabe der Dienstaufsicht und des Ermittlungsausschusses. Die Verteidigung war fassungslos in Hinblick auf diese Aussage, welche der Vorsitzende im Eifer des Gefechts noch damit komplettierte, dass er im Vergleich zwischen der Presse und der Verteidigung der Presse eine bessere Kenntnis des Verfahrensablaufs zugestand als der Verteidigung. Dies fasste die Verteidigung als eine Beleidigung auf und forderte eine Entschuldigung, welche der Vorsitzende ihnen verwehrte.

Nach Ansicht der Verteidigung ist die Frage nach dem Modus Operandi, vor allem im Hinblick auf die Konstruktion der kriminellen Vereinigung relevant. Es gilt zu prüfen, ob das LKA lediglich unaufgeklärte Verfahren verbunden hat, um diese nun einigen Personen vorzuwerfen.

Letztlich muss hier festgestellt werden, dass die Annahme, es gäbe eine feste Gruppe von Antifaschist:innen, die Angriffe auf Faschisten in den ostdeutschen Bundesländern verübte, begründet wird mit verschiedenen Tatzusammenhängen. Die Existenz einer eigenen Ermittlungsgruppe innerhalb der Sonderkommission „LinX“ des sächsischen Landeskriminalamts existiert ausschließlich zu dem Zweck, unaufgeklärte Fälle von Angriffen gegen Neonazis in einen Zusammenhang zur hiesigen Personengruppe zu bringen. Hierbei ist jedes Indiz, sei es noch so schwammig, Teil der Argumentationskette. Wobei zum Teil allein das Geschlecht der einzigen weiblichen Angeklagten für eine Prüfung von einzelnen Straftatkomplexen, zum Teil sogar für deren Beiziehung auszureichen scheint. Der sogenannte Modus Operandi der angeblichen Gruppe stellt hierbei einen zentralen Teil der Argumentation der Bundesanwaltschaft aber auch der Einleitung des Verfahrens selbst dar.

Wenn ein Tatverdacht gegen Personen aufgrund der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bestehen könnte, rechtfertigt dieser Tatverdacht möglicherweise auch den Tatverdacht wegen anderer Delikte, insbesondere wenn diese mit einem bestimmten Modus Operandi deklariert werden. So erschaffen sich Ermittlungsbehörden nicht selten eine selbsterfüllende Prophezeiung, die in diesem Fall sogar der Generalbundesanwalt übernommen hat.

Der Verhandlungstag endete um 17:15, sodass alle Zuschaunenden noch an der Kundgebung, die aufgrund der einjährigen Inhaftierung Linas vor dem Gebäude stattfand, teilnehmen konnten.

Im Nachgang des 13. Verhandlungstages stellten alle Verteidiger:innen einen Befangenheitsantrag, um den vorsitzenden Richter abzulehnen. Siehe Pressemitteilung.

Der nächste Verhandlungstag ist der 10. November 2021 um 09:30.

Während der Verhandlungstag demonstrierten etwa 70 Personen für die Freilassung von Lina mit Abschlusskundgebung vor dem OLG.

Dort harrten sie bis zum Abtransport von Lina aus.

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