Aktion: Täter:innenstadt Zwickau
Am frühen Morgen des 06.11.2021 haben wir die Ortseingangsschilder von Zwickau mit dem Zusatz „Täter:innenstadt“ versehen. Anlass dafür ist der 10. Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU im Jahre 2011, in dessen Folge die größte bisher bekannte neonazistische Mordserie der Nachkriegszeit aufflog. Wir kritisieren mit der Aktion dreierlei: Zwickau als die Stadt, wo die Täter:innen ungestört leben konnten, Zwickau als Stadt, in der sich das Unterstützer:innenumfeld nach wie vor wohlfühlt und Zwickau als die Stadt, die all dies immer noch nicht angemessen aufarbeitet.
Zwickau - Stadt der Täter*innen:Die Stadt Zwickau hat eine besondere Bedeutung für den NSU. 2000 zog das Kerntrio des NSU dorthin und lebte dort bis zur Selbstenttarnung 2011 zunächst auf der Polenzstraße, später auf der Frühlingsstraße. Aus diesem Grund kommt Zwickau auch eine besondere Verantwortung in der Aufarbeitung der neonazistischen Mordserie zu. Leider findet diese Aufarbeitung so gut wie nicht statt. Wenn überhaupt ist sie von Ignoranz, Abwehrreflexen und Desinteresse geprägt. In beiden Wohnungen hatten die drei wenig Probleme. Schnell freundeten sie sich mit Nachbar:innen an und pflegten soziale Kontakte. Die Leichtigkeit, mit der die drei am sozialen Leben teilnahmen, lässt bis heute die Darstellung als "Leben im Untergrund“ lächerlich erscheinen. Dass sie sich nicht verstecken mussten, spricht für ein Umfeld, das kein Problem mit der Ideologie des Trios hatte.Solange sich Zwickau nicht mit seinen unrühmlichen Bewohner:innen auseinandersetzt, bleibt die Stadt eine Täter:innenstadt. Zwickau - Stadt des Unterstützer:innenumfeldesDie Mordserie des NSU kam nicht aus heiterem Himmel, sondern entstand aus einem rassistischen gesellschaftlichen Klima in den 90iger Jahren.Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda, FAP und NPD, Jorge Gomondai und Alberto Adriano sind einige Stichwörter, die vielen noch bekannt sein dürften. Die Naziszene zu dieser Zeit war insbesondere in Sachsen und Thüringen gewaltbereit und gut vernetzt.In fast allen Orten, in denen der NSU lebte, konnte er sich auf ein weitreichendes Unterstützer:innen-Netzwerk verlassen. Neben Nazis aus dem Erzgebirgskreis, Thüringen und Chemnitz leistete auch die seit den 90iger Jahren aktive rechte Szene in Zwickau unterschiedliche Unterstützungstätigkeiten. So betrieb u.a. der Neonazi und NSU-Unterstützer Ralf Marschner einen rechten Laden in Zwickau. Andere besorgten dem Trio Arbeitsplätze und Ausweise. Ohne das gut funktionierende Netzwerk im Hintergrund hätte der NSU nicht so lange morden können. Bis heute wollen Lokalpolitiker:innen den Ruf Zwickaus vor einen "Imageverlust" bewahren. Deutlich wird dies zum Beispiel durch die Aussage des CDU-Landtagsabgeordneten Gerald Otto, der 2018 gegenüber der Zeit erklärte:"Zwickau ist kein Nazi-Nest". Der NSU habe sich demnach gerade Zwickau ausgesucht, da es dort keine aktive Neonaziszene gegeben hätte, um vor Überwachung geschützt zu sein.Die Kontinuitäten des Verschweigens und Verharmlosens rechter Strukturen, geht Hand in Hand mit der Kontinuität der selben seit den 90iger Jahren. Dafür ist Zwickau ein eindrückliches Beispiel. Bis heute ist die Stadt ein Hotspot neonazistischer Aktivitäten. Die regelmäßigen Schändungen der Gedenkstätte für die Opfer des NSU, Übergriffe auf alternative Jugendliche und regelmäßige Nazidemonstrationen sprechen eine eindeutige Sprache. Solange sich die Stadt nicht mit ihrer rechten Vergangenheit, Gegenwart und möglicherweise Zukunft auseinandersetzt und die Menschen unterstützt, die sich für eine Aufarbeitung und gegen Neonazis einsetzen, bleibt die Stadt weiterhin einen Täter:innenstadt“ Zwickau - Stadt der nicht vorhanden gesellschaftlichen Aufarbeitung Bis heute ist die die Haltung der Zwickauer Stadtgesellschaft davon geprägt, eine Aufarbeitung der Geschehnisse und das Gedenken an die Opfer des NSU möglichst klein zu halten. Die Angst vor einen „Stigma“ ist für die Stadt größer als der Wunsch nach Erinnern und Gedenken. Wenn überhaupt ist die Initiative, die von der Stadt selber ausgeht, halbherzig und aufgrund des öffentlichen Drucks entstanden. Kritische Stimmen, wie z.B. das Theaterfestival „Unentdeckte Nachbarn“ oder das NSU-Tribunal wurden entweder gar nicht oder erst nach öffentlicher Empörung gefördert. Solange die Stadt nicht alles dafür tut, eine kritische Aufarbeitung der größten rechten Mordserie der Nachkriegszeit zu unterstützen, ist und bleibt sie eine Täter:innenstadt und trägt zum Weiterbestehen mörderischer Strukturen in der Tradition des NSU bei. Aufarbeitung wurde bisher nur durch migrantische, antifaschistische und zivilgesellschaftliche Akteur:innen getragen. NSU-Watch, Keupstraße ist überall oder das NSU-Tribunal sind es, die das Gedenken an die Opfer des NSU bis heute aufrecht erhalten. Ihnen gilt unser Dank und Respekt.