(B) „Die Enteignung der Hausbesitzer*innen liegt auf dem Weg zur Sozialen Revolution“ Beitrag Anarchistischer CSD
Matrosenaufstand in Kronstadt, „Deutsche Wohnen enteignen“, Karl Marx und Stalin… Wie passt denn das zusammen?
Eine Kritik an "Deutsche Wohnen" kaufen und die Aufforderung die Enteignungsdebatte von anarchistischer Seite anzugehen
Beitrag für den ANARCHISTISCHEN CSD BERLIN 2021
In Auszügen gehalten in der Karl-Marx-Allee
„Die Enteignung der Hausbesitzer*innen liegt auf dem Weg zur Sozialen Revolution“
Parole vom Tuntenhaus der Mainzertsraße 1990
Matrosenaufstand in Kronstadt, „Deutsche Wohnen enteignen“, Karl Marx und Stalin… Wie passt denn das zusammen?:
„Hier stehen wir nun und können nicht anders. Die Bullen haben uns auf die Karl Marx Allee verschoben damit wir nicht mit den anderen CSD-Zügen in Berührung kommen. Inhaltlich ist das eine schöne Steilvorlage für den nächsten Beitrag. Bekanntlich war das ja mal die Stalinallee.
Der Doktrin des Diktators Stalins widersetzen sich die Kommunist*innen zu Lebzeiten kaum bis gar nicht. Das hatte gute Gründe. Wer nicht spurte und sich nicht widerspruchslos als Parteisoldat*in in die Machtpolitik der Partei einfügte, wurde kurzerhand eliminiert. Manchen ereilte noch die „Gnade“ von Schauprozessen, wo sie ihren Fehlern abschwören durften, bevor die Hinrichtung kam.
Die Komintern mit ihren Bespitzelungen der verschiedenen Strömungen innerhalb der Kommunist*innen war das internationale Werkzeug dieser Politik. Während des deutschen Faschismus wurden die nicht auf Linie befindlichen Parteisoldaten nach Moskau zitiert und verschwanden. Das Scheitern der Revolution in Spanien ist ebenfalls auch in Teilen der Politik Stalins zu anzulasten. Lieber sollte eine Revolution scheitern, als das sich ein anarchistisches Modell als Alternative zum Staatskommunismus und dem Faschismus durchsetzen könnte. Zum Faschismus sollte es nur eine Alternative geben; das sowjetische Modell.
Stalin war nur die konsequente Folge aus der Politik Lenins und Trotzkis, die bekanntlich die Matrosen in Kronstadt niedermetzelten, weil diese es gewagt hatten, die russische Revolution zu verteidigen. Statt der zentralen Steuerung durch die Bolschewiki wollten sie die Räte erhalten und wiederherstellen. Statt Bevormundung durch Doktrinen und Kadavergehorsam, ausgeübt von Funktionären, wollten sie die freie Sprache, die Auseinandersetzung und soziale Lösungen. Doch auch Lenin war nur die Konsequenz aus einer Analyse der Verhältnisse, die keinen Widerspruch duldete. Lenin brachte dies in vielerlei Hinsicht immer wieder vor. Zu den Anarchist*innen hatte er ebenfalls ein klares Verhältnis: „ In der ersten Phase der Revolution sind die Anarchisten nützlich, ja von unschätzbaren Wert. Wenn sie aber in der zweiten Phase die revolutionäre Staatsmacht nicht respektieren, müssen sie als Konterrevolutionäre betrachtet werden.“ so Lenin ( Augustin Souchy in Politische Erinnerungen) .
Es war Marx, der die Grundsteine legte für den autoritären Kurs, der zur Zerschlagung des Aufstandes von Kronstadt führte. Mit seinem von ihm betriebenen Ausschluss der Anarchistinnen aus der zweiten Internationalen zerbrach ein Bündnis, das bis dato noch international gemeinsam um Befreiung von der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen rang.
So alt ist der Widerspruch, der sich zwischen Anarchist*innen und Kommunist*innen entwickelt hat. Anarchist*innen lehnten grundsätzlich die Verwaltung der Gesellschaft durch einen Staat ab, die Kommunisten bauten gerade zu darauf auf - wenn denn sie an der Spitze sitzen und lenken. Anarchisten lehnen auch Eigentum als Anmaßung ab. Alles wird allen gehören können und von allen verwaltet, denn eine Verstaatlichung von Eigentum bleibt Eigentum in den Händen einer Elite, von einer Clique von Funktionären und Bürokraten. Eine Verstaatlichung von Eigentum hat aus einer anarchistischen Sicht mit einer befreiten Gesellschaft nichts zu tun.
Soweit die Einleitung zu dieser Straße. Schauen wir ins Heute:
Es gibt derzeit eine Initiative, die uns das Kaufen von dem Konzern „Deutsche Wohnen“ als Enteignungskampagne verkaufen will. Und weil es so schön ist, wird diese Kampagne als eine Vergesellschaftung ausgegeben. Das mag eine als unterhaltsamen Werbegag betrachten um die Kampagne besser verkaufen zu können, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Die Worte werden ihres Sinnes beraubt, die Sprengkraft dieser Worte werden benutzt, um der außerparlamentarischen Bewegung Sand in die Augen zu streuen. Es ist eine profane Unterschriftenliste, deren Petitionscharakter an den Senat gerichtet ist. Ein Senat, der unter RGR so viele Projekte geräumt hat wie schon lange nicht. Dazu brauchen wir gar nicht die CDU, die FDP oder gar die AfD.
Schauen wir kurz auf die sogenannten bisher vergesellschaftenen Wohnungsbauunternehmen wie „Stadt und Land“? Von gut 1,6 Millionen Mietwohnungen gehören knapp ein Fünftel (!) landeseigenen Vermietern. Mit böser Zunge gesprochen; sie sind also bereits „vergesellschaftet“. Lassen sie etwa von einer unsozialen Wohnungspolitik ab? Nicht die Bohne: denn sie sind zu Rendite verpflichtet. Und zur Zwangsräumung. „Stadt und Land“ baut z.B. für 10-12 Euro den Quadratmeter.
Das Eigentum in Hand des Staates ist nicht im Besitz einer sozialen revolutionären Kraft, sondern korrumpierter Politiker*innen mit ihren Sachzwängen gegenüber Kapital, Tourismusindustrie und Bauwirtschaft. Die Bullen putzen auf Befehl die Ecken aus. Und Andreas Geisel, der oberste Befehlshaber der Bullen, sorgt für den richtigen Zungenschlag. Soweit so schlecht.
Und nun gab es folgendes Ereignis:
Auf einer anarchistischen Kundgebung zu Kronstadt lief ein Unterschriftensammler umher, mit der bekannten gelblila-farbenen Werbeweste und reagierte arrogant auf die Kritik an seiner Form der Präsenz auf der Kundgebung. Er weigerte sich, seine Weste vielleicht mal abzunehmen, weil einige Menschen fanden die Bewerbung der Kampagne auf der Kundgebung deplaziert Sie forderten sie ihn auf die Werbejacke auszuziehen. Als er sich weigerte wurde dieser Umstand an die Moderation herangetragen, mit der Bitte dazu etwas zu sagen. Daraufhin wurde nun darum gebeten, auf der Kundgebung keine Unterschriften zu sammeln für eine Kampagne, die Null mit „sozialer Revolution“ zu tun hat. Der Unterschriftensammler von der „Interventionalistischen Linken“ zog dann ab. Im wurde nicht die Teilnahme an der Kundgebung untersagt, sondern er wurde aufgefordert das Sammeln sein zu lassen
Nun erhebt aber die Gruppe „Perspektive Selbstverwaltung (PS)“ im Nachhinein Widerspruch. Damit ist endlich eine Kontroverse eröffnet, der sich bisher innerhalb der Kampagne und dem Umfeld zum Kauf von Deutsche Wohnen verweigert wurde. Und das ist doch erfreulich. Die inhaltlichen Begründungen von PS sind allerdings sehr dürftig: Zitat sinngemäß: „Wenn wir nicht mal schaffen uns mit anderen Linksradikalen und Inis zu verständigen, welche Aussicht besteht dann“ Andere „von der befreiten Gesellschaft zu überzeugen.“ Die Kampagne und deren Macher*innen als Linksradikale auszugeben ist angesichts einer staatskonformen Kampagne, die alles macht, nur nicht wagt, die Eigentumsfrage zu stellen, schon gewagt. Aber vielleicht sind diejenigen, die sich da linksradikal nennen, dies nur noch dem Wort nach. Dann wäre eine solche Bezeichnung ja verständlich, wird doch heute innerhalb der weiß-heterosexuell-dominierten Linken ständig Radikalität vorgetäuscht, wo keine ist.
Die spannendere Frage bleibt doch eher, ob es vielleicht in der Verantwortung von uns als Anarchist*innen liegt, die Diskussionen mit den Teilen der Gesellschaft, jenseits solcher pseudoradikalen staatskonformen Positionen zu suchen, die diese Verarsche merken.
Und die radikale Linke? Da wird es richtig grotesk, wenn z.B. der Stressfaktor zu einer Sammelaktion aufruft, um die Kampagne finanziell abzusichern, die mehr als 30.000 Euro verheizt. Geld das dem radikalen Widerstand und entsprechenden Projekten in der Stadt fehlt. Oder wenn z.B. einen Tag vor der Brandschutzbegehung der Geisel-Truppen, Menschen Unterschriften für die Kampagne vor der Rigaerstrasse 94 sammeln. Oder wenn z.B. eine FAUler*in mit leuchtenden Augen bei einem Punkkonzert zugunsten des Köpiwagenplatzes Unterschriften sammelnd und diese als Weg zur sozialen Revolution ausgibt. Leute, was ist bloß los?
Und die „Perspektive Selbstverwaltung“? Sie distanziert sich sogar von dem „Rauswurf“ des Unterschriftensammlers (Der lediglich aufgefordert wurde auf einer anarchistischen Kundgebung gefälligst seine Werbeklamotten einzupacken und die Sammlung von Unterschriften dort einzustellen). Und PS weiter; das in der Tradition des Kronstädter Aufstandes doch sooo diverse Menschen zusammen gekämpft hätten, Anarchist*innen Sozialrevolutionäre, Kommunist*innen und und und...Ja und? Wofür? Doch nicht für eine Verstaatlichung von Eigentum, sondern das genaue Gegenteil. Und gegen wen haben die gekämpft? Da wird sich ausgeschwiegen. Die haben halt gekämpft.
Um mal die Gleichmacherei und Geschichtklitterung durch PS anzusprechen:
Die Kronstädter Matrosen haben gegen jene Kommunist*innen gekämpft die zielorientiert, taktisch und machtstrategisch Bevormundungsstrukturen in den Fabriken etablierten und gleichzeitig Selbstorganisierung zerschlugen, die Bäuer*innen beraubten, die einen bürokratischen Apparat und Geheimdienst aufgebauten, die einen Staatssozialismus propagiert haben, dessen marxistisch-leninistische Doktrin keine Widersprüche zuließ, deren politischen Schulung Kadavergehorsam heranzüchtete. Das Eigentum an Land und Produktionsmittel wurde in die Hände der Partei gelegt. Blutig und ohne Widerspruch. Das war das Werk von Kommunisten, genauer gesagt: Der Bolschewiki.
Es besteht also Diskussionsbedarf über das politische Erbe des Kronstädter Aufstandes und aktueller Kämpfe gegen den Angriff der Reichen auf Arme. Wenn wir über soziale Revolution reden, dann nicht im Zusammenhang mit „Deutsche Wohnen kaufen“.
Wenn wir heute diesen Widerspruch aufmachen zwischen einer neoliberalen Linken, die sich links kleidet und staatstragende Politik betreibt...
Wenn wir heute einen Widerspruch aufmachen zwischen Enteignen und Verstaatlichen…
Wenn wir heute einen Widerspruch aufmachen zwischen Bevormundung und Manipulation durch „Bewegungsmangern“ einerseits und Vergesellschaftung und kollektiven Besitzverhältnissen im anarchistischen Sinne andererseit...
– dann weil wir Anarchist*innen sind! Und uns nicht nur so nennen wollen.
Dann weil wir den Begriff „Enteignen“ als politischen und militanten Begriff gegen die Besitzenden, gegen die Reichen anzuwenden gedenken. Und auch gegen jene Linken, die längst ihren Frieden mit dem Staat geschlossen haben und uns Unterschriftenlisten vorsetzen. Schön, wenn es auch mal zu Konsequenzen kommt, wenn eine staatstragende Linke einfach ihren Stiefel nicht unwidersprochen durchziehen kann. Demgegenüber ist die Ablehnung einer sozialdemokratischen Unterschriftensammlung auf einer anarchistischen Kundgebung geradezu niedlich. Und darüber wird sich schon aufgeregt? Das wirft eher ein entlarvendes Bild auf die Haltung und das politische Bewusstsein jener, die sich darüber ärgern, als über die Entscheidung auf der Anarchistischen Kronstadt Kundgebung.
Es ist richtig, das auf einer anarchistischen Demonstration keine Nationalfahnen und Parteien etwas zu suchen haben. Das gilt auch für Kampagnen die sozialdemokratisch aufgestellt sind und Bewegungen versuchen zu instrumentalisieren und in die politische Irre führen – aus Eigennutz, aus machtpolitischen Gründen, aus taktischem Kalkül. Die Kampagne wird politisch krachend scheitern auch wenn die erste Runde der Unterschriften zustande gekommen ist. Die Bewegungsmanager sind schon in den Startlöchern um ihre Vorteile aus der Kampagne zu ziehen und uns auch deren Scheitern als Sieg zu verkaufen. Einer dieser Anführer hat bereits eine Stelle in der „Rosa Luxemburgstiftung“ für zwei Jahre um das bezahlt das fortzuführen, was wir nicht müde werden zu kritisieren.
Wir meine es ernst mit der „Sozialen Revolution“, wir meinen es ernst dass eine Anarchistische Bewegung sich in allen sozialen Fragen einmischen muss und militante Positionen beziehen sollte. Und dass wir Anarchist*innen gut daran tun, unsere Blase mal endlich zu verlassen und sich mit anderen Kämpfen zu verbinden. Das ist eine Frage der politischen Radikalität und eines sozialrevolutionären Ansatzes. Diese Einmischung in soziale Fragen, das Voranbringen sozialrevolutionärer Praxis und dies zu tun mit anderen Menschen zusammen, die sich von uns und unseren Ideen nicht betrogen fühlen - darum geht es uns. Und selbstverständlich die Eigentumsfrage in Konfrontation zu den Eigentumsverhältnissen zu bringen. Enteignen auf jeden Fall.
Letztes Jahr sind in dieser Stadt 18.000 Wohnungen umgewandelt worden in Eigentum. Das ist richtig viel. Der Angriff auf die Mieter*innenstadt ist nach wie vor in vollem Gange. Die privaten Hauseigentümer bilden noch vor den Konzernen, die größte Masse an Wohnungsbesitzende dieser Stadt ab. Der Anteil der großen Konzerne, die von der „Kampagne Deutsche Wohnen kaufen“ ins Visier genommen werden, macht für Berlin 14 % aus. Enteignen wir durch radikale Initiativen die den Namen verdienen.
Für die Enteignung aller Hausbesitzer im sozialen Kampf. Sabotage von Zwangsräumungen, Verteidigung der Rigaerstraße in allen Städten, Besetzung von Häusern und deren Verteidigung für Obdachlose! Massenmobiliserungen und Massenmilitanz kombinieren! Verhinderung jeder Verdrängung zum Nachteil der Reichen! Unterbrechen wir die Durchmischung der Kieze mit Hippstern und Bionadebourgoisie, die sich Eigentumswohnungen in unseren Kiezen kaufen! Mietstreiks organisieren, jede Umwandlung von Miete in Eigentum verhindern, besonders schlimme Hausverwaltungen blockieren, Besitzer von Häusern an ihrem Wohnort besuchen, Kaufinteressenten von Häusern angreifen und vor allem die Diskussion um Enteignen ohne kaufen auf den Weg bringen.
Thats it. Die Diskussion ist eröffnet. Es lebe die soziale Revolution. Für die Anarchie!“
Kritik von Perspektive Selbstverwaltung:
https://perspektivesv.noblogs.org/post/2021/06/22/statement-dwe-kronstadt-kundgebung/
Die Kritik an Kampagne Deutsche Wohnen „enteignen“ findet Ihr u.a. hier:
http://mietenstopp.blogsport.de/2021/07/16/deutsche-wohnen-kaufen-oder-enteignen-eine-kritik/
Anarchistischer CSD Berlin 2021: