HEUTE IST IDAHOBITA - Erfahrungen, Perspektiven, Apelle an uns und andere. Queere Kämpfe und die linksradikale Szene

Event: 

Wusstest du dass…am 17.05. IDAHOBITA ist? Oder was das ist? Von wem und wofür?
...und was das mit dir und auch unserer linken Szene zu tun hat?

 

Am 17. Mai 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten gestrichen. Aber noch immer erleben wir jeden Tag Homo-, Bi-, Inter*-, Trans*- Ace-, Aro- und Queerfeindliche Gewalt. Deswegen wird seit 2005 jedes Jahr am 17.5. der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Ace-, Aro- und Trans*feindlichkeit begangen. Diskriminierende Erfahrungen gehören für LGBTQIA* (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans*, Queer, Inter*, Asexuell und Aromantische) Menschen zum Alltag, genau so wie die Auseinandersetzung mit der strukturellen Gewalt und den Hürden, vor die uns dieses System immer wieder stellt.

Auf diese alltägliche Diskriminierung und die strukturelle Gewalt, die Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität erleben machen wir daher heute und jeden Tag aufmerksam!

...und was das mit dir und auch unserer linken Szene zu tun hat?

Wir verstehen uns als Teil der linksradikalen Szene und versuchen darin und daraus queerfeministische und queere Kämpfe zu führen. Immer wieder haben wir aber auch die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist in die Szene rein zu wirken und auf queerfeministische und queere Analysen und Praxen aufmerksam zu machen. Ausschlüsse passieren aus unserer Sicht viel zu oft, auch von uns, aber im Sinne einer emanzipatorischen Kritik und Praxis sehen wir es als unabdingbar an, gemeinsam und miteinander zu lernen. Hier wollen wir daher unsere Kritik anbringen, unsere Analysen teilen uns für die Schlagkraft einer gemeinsamen und stets neu überdachten Praxis einsetzen. Nur so können emanzipatorische Kämpfe auch gewonnen werden. 

Wir erkennen an, dass sich die allermeisten in unserer Szene klar gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Ace-, Aro- und Trans*feindlichkeit bekennen und gerade deswegen haben wir auch das Gefühl uns hier mit diesem Text an unserer Szene richten zu können. Häufig bleibt es aber bei einem Lippenbekenntnis. Wir meinen hiermit, dass mit der politischen Positionierung gegen Homo-, Bi-, Inter*-, Ace-, Aro- und Trans*feindlichkeit, dass Problem nicht automatisch aus der Welt geschafft ist, sodern die Arbeit eigentlich erst anfängt. Ein Konsens kann erst der Anfang sein, denn selbst wenn wir uns klar positionieren  reproduzieren wir diese Strukturen immer und immer wieder und müssen daher auch immer wieder an uns selbst arbeiten (und da nehmen wir uns auf keinen Fall von aus).

Das Ausruhen auf diesem vermeintlicher Konsens innerhalb unserer linksradikalen Szene führt unserer Beobachtung nach häufig dazu, dass sich nicht weiter mit Homo-, Bi-, Inter*-, Ace-, Aro- und Trans*feindlichkeit auseinandergesetzt wird. Letztlich entsteht aus so einem nicht wirklich umgesetzten Konsens, eben keine Awareness und politische Auseinandersetzung, sondern im Gegenteil. Es führt zu einem mangelnden Bewusstsein und Nicht-Wissen bzgl. queerer Themen und Lebensrealitäten und unseren damit verbundenen und daraus entstehenden Kämpfen. Für die explizit queeren Tage, die von Queers erkämpft und die meist von queeren und queerfeministischen Gruppen bespielt werden, wie den Trans* Day of Remenberance, den Trans* Day of Visibiltiy und eben den heutigen IDAHOBITA gibt es fast keine Aufmerksamkeit aus und in der linken Szene, oder gar ein Wissen darüber, dass diese Tage existieren. Darüberhinaus folgt häufig keine Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Umfeld und Kämpfe, die für uns ganz klar zu einem besseren Morgen dazugehören, werden nicht beachtet, oft gar nicht wahrgenommen und sind schon gar nicht Teil von linksradikalen Auseinandersetzungen nach innen und nach außen.

Linksradikale Praxis bedeutet für uns auch immer die Auseinandersetzung mit uns selbst, das Erkämpfen und Gestalten von anderen Räumen, das immer wieder Hinterfragen der eigenen Privilegien und Positionen. Teil dieser queeren und queerfeministische Kämpfe ist für uns auch immer eine Praxis, die wir in unseren Zentren, unseren Wohnzusammenhängen und unseren ganz verschieden gelebten Beziehungen umsetzen wollen.

Diese Kämpfe führen wir alltäglich und auf ganz eng mit uns selbst verbundenen Ebenen, wie unseren Körpern, oder wie eben genannt im engeren Umfeld und an den Orten an denen wir uns aufhalten wollen oder müssen. Das Streiten gegen heteronormative Geschlechter- und Gesellschaftsvorstellungen ist für uns klar eingebettet in eine antikapitalistische und antistaatliche Kritik am NORMalverhältnis. Das heißt auch, dass wir im Bestehenden Kämpfe führen (müssen), die sich ausgehend von der patriarchalen und kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, gegen die Abwertung und Ausbeutung des „Weiblichen“ richten.  Die bloße Aufhebung der Vorstellung zweier aufeinander bezogener Geschlechter – "Mann" und "Frau" – ist somit nicht losgelöst von anderen gesellschaftlichen Kämpfen und auch den Kämpfen um die Folgen patriarchaler Geschlechterordnungen. 

In dieser Geschlechterordnung ist auch die gesellschaftliche Vorstellung und Notwendigkeit von Heterosexualität angelegt. Das Diktat der (bürgerlichen Klein-)Familie und die darin festgeschriebenen Lebens- und Liebensweisen sind somit gleichermaßen Teil der patriarchalen und kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse. Darauf fußt die Abwertung und Anfeindung von homosexuellen, pansexuellen und bisexuellen Personen, die strukturell gesellschaftlich verankert ist. Auch abgewertet wird in diesem Normalverhältnis Asexualität und Aromantik. Nicht sexuell zu begehren, oder keine romantischen Beziehungen führen zu wollen ist in einer Gesellschaft, in der Sexualität und romantische Beziehungen einen hohen Stellenwert einnehmen, und oft auch als vermeintlich notwendig wahrgenommen werden etwas, was häufig auch gerade in queeren und queerfeministischen Kontexten doppelt unsichtbar gemacht wird (auch hiervon nehmen wir uns nicht aus).

In dieser Scheiszgesellschaft sind wir groß geworden, haben wir gelernt zu denken und zu handeln. Bestehende Herrschaftsverhältnisse haben daher immer auch etwas mit uns zu tun und zwar nicht nur in Bezug auf Geschlecht. Unsere Aufgabe ist es daher nicht nur das System zu hinterfragen, sondern damit notwendigerweise verbunden eben auch unsere eigenen Lebens-, Liebens-, Beziehungs- und Arbeitsweisen. Wir müssen unsere Privilegien hinterfragen und aktiv gegen festgefahrene Strukturen in uns und um uns herum ankämpfen. Und damit gilt: Das Private ist Politisch und das ist eine Chance für alle Geschlechtsidentitäten und jede Form des Begehrens!

Und jetzt mal ganz selbstkritisch – da haben auch wir noch viel Luft nach oben. Wir haben festgestellt, dass auch wir viel zu selten das vermeintlich Private politisieren, uns öffnen, gemeinsam diskutieren, unsere eigenen Beziehungen hinterfragen, uns streiten, solidarisch Kritik üben und zusammen lernen.

Diese Chance ist gleichzeitig Apell an uns selbst, als auch Aufforderung an andere. Für uns bedeutet der, zugegebenermaßen fast schon zu Floskel verkommener Spruch "das Private ist politisch", dass eine Auseinandersetzung mit uns selbst und unserem Umfeld immer Teil linksRADIKALER politischer Praxis ist. Unsere Kämpfe werden nicht nur auf der Straße, im Sinne der nächsten Demo oder Sponti oder klandestinen Nachtaktion geführt, sondern auch ganz alltäglich, gerade und notwendigerweise von FLINTA*s (Frauen*, Lesben, Inter*-, Trans*-, Nicht-Binäre und Agender Personen) und LGBTIQ* Personen. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass innerhalb der linksradikalen Szene diesen Kämpfen oft eine gewisse Radikalität und Militanz abgesprochen wird. Radikalität und Militanz werden innerhalb unserer Szene häufig nur mit bestimmten Aktionsformen und einem bestimmten Auftreten verknüpft. Dabei ist auch gerade die alltägliche Auseinandersetzung mit einer Homo-, Bi-, Trans*, Inter*- und Ace-, Arofeindlichen Dominanzgesellschaft eine radikale.

Sie bedeutet Kraft und politische Überzeugung, nicht nur beim Transpimalen, oder auf dem Plenum, sondern bei der Wahl der Kleidung, bei der Frage, wo kann ich wie auftreten, wo kann ich mich wie bewegen und wo kann ist es überhaupt möglich meine Lebensweise offenzulegen. Wenn wir dafür kämpfen so leben und lieben zu können wie wir wollen, werden diese Kämpfe innerhalb der linken Szene oft nicht ernstgenommen. Sie gelten als Kämpfe um die Anerkennung von Identitäten und ihnen wird eine weitere Gesellschaft- und Herrschaftskritik nicht zugesprochen. 

Dabei ist unsere queere und queerfeministische Analyse eine, die (selbstverständlich nicht ohne Lücken) Kämpfe für queere Lebensweisen immer notwendigerweise mit Patriarchats- und Kapitalismuskritik verknüpft. Die oben genannte Normalvorstellung von Zweigeschlechtlichkeit, heteronormativen Begehren und bürgerlicher Kleinfamilie, ist notwendig für kapitalistische Produktionsweisen und produziert auch die strukturelle Diskriminierung all derjeniger, die sich nicht in diesen Vorstellungen von Geschlechtsidentität, Begehren und Familie wiederfinden. Die Einbeziehung queerer Positionierungen und queerfeministischer politischer Positionen ist also kein nices Add-on, sondern greift den Kapitalismus und seine kleinste Zelle in seinen Grundfesten an. Dabei geht es uns nicht um eine Hierarchisierung von Herrschaftsverhältnissen, sondern um eine Verschränkung ebendieser. Unsere Praxis ist auch notwendigerweise Antifaschistisch, denn die Nationalist*innen und Faschist*innen beharren nicht nur auf der Vorstellung von „Mann“ und „Frau“ und den jeweiligen traditionell zugeschriebenen Rollen, nein sie brauchen diese Vorstellungen auch um die Reproduktion eines territorial festgeschriebenen "Volkskörpers" zu gewährleisten. Dabei wird Queers ihre Identität und queeren Lebensweisen die Daseinsberechtigung abgesprochen. Diese Vorstellungen sind nicht nur zutiefst queerfeindlich , sondern auch zutiefst rassistisch und antisemitisch. Unsere Kämpfe sind daher immer auch antirassistisch. Auch weil der Kampf gegen Homo-, Bi-, Trans*, Inter*-, Ace-, und Arofeindlichkeit nur mit einem Bewusstsein, für die darin unterschiedlichen Betroffenheiten von weißen und BIPoC (Black, Indigenous and  People of Colour) Personen geführt werden muss. Wir als weiß gelesene Gruppe versuchen dies zu reflektieren.

Wir wollen gemeinsam solidarisch für eine andere und bessere Gesellschaft kämpfen. Am IDAHOBITA, am 31.03. am 8. März, am 1. Mai und jeden Tag. Wir wollen Kämpfe zusammenführen, weil sie zusammengehören. Ja, wir kämpfen für eine Gesellschaft ohne Homo-, Bi-, Trans*-, Ace- und Arofeindlichkeit, und das geht für uns nicht ohne antikapitalistische, antifaschistische und antirassische Praxis! Genauso gilt für uns aber: kein Antifaschismus und Antikapitalismus ohne Queerfeminismus!

 

- solidarische Grüße von einer aktivistische Gruppe aus ffm. Wir organisieren uns bewusst ohne cis-Männer und setzen uns vor allem aus queerfeministischer Perpektive kritisch mit herrschenden Normen und Machtmechanismen auseinander und versuchen diese aufzuzeigen, zu unterlaufen, zu durchbrechen und irgenwann zu überwinden.

 

 

 

 

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