#FrauenImWiderstand - Redebeitrag: Keine Befreiung vom Naziregime, ohne den antifaschistischen Frauenwiderstand. Kein Antifaschismus ohne Frauenbefreiung.

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Im Rahmen des Gedenkens an die Befreiung von Nordostberlins am 22. April, hielt auch der Arbeitskreis »Frauen im Widerstand« einen Redebeitrag, in dem sich mit der vielfachen Unsichtbarkeit von Frauen in der Darstellung antifaschistischer Widerstandsgeschichte auseinandergesetzt wurde. Verbildlicht wurde dies anhand des »Denkmal der antifaschistischen Widerstandskämpfer«, an dem jedes Jahr in Weißensee das Gedenken an die Befreiung Nordostberlins gedacht wird. Zudem wurde im Redebeitrag auf die drei Weißenseer Widerstandskämpferinnen Frieda  Seidlitz , Else Jahn und Anna Ebermann eingegangen, sowie die Perspektive einer befreiten Gesellschaft.

 

Willkommen!

Schön, dass ihr alle hier seid! Ich sehe hier jung und alt beisammen!
So was erfreut  mich immer sehr!
Es zeigt sich: Antifaschismus lebt und ist in allen Generationen unserer Gesellschaft existent.

Zu erst möchte ich euch zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen:
Schaut euch einmal um, dreht euch einmal in Ruhe im Kreis, nehmt die Umgebung in all ihren Facetten und ihrem Farbreichtum auf. Hört bewusst die Geräusche, von der  Straßen,  vom  Kinderspielplatz.  Nun schließt bitte die Augen,  versucht  die Geräusche auszublenden, lasst die die Farben vor eurem inneren Auge verblassen bis  alles  mit  einem  Sepia-Filter  überzogen  ist.  Blendet  die  Menschen, um euch rum, aus. Der Park, die Straße, die ganze Umgebung ist leer. Auf einmal hört ihr Schüsse, Schüsse von Gewehren, Schüsse von Panzern, Kriegsgeräusche sind zu hören.  Ihr seht Soldat:innen der Roten Armee, Panzer der Roten Armee. Sie kommen von der Indira-Gandhi-Straße hier Richtung Weißer See. Sie gehen vorwärts Richtung Stadtmitte, dabei drängen sie die faschistischen Truppen zurück. Lasst diese Bilder, diese Eindrücke kurz wirken.

Und nun lasst den Geräuschpegel wieder zu euch vordringen, kommt wieder ins hier und jetzt. Öffnet die Augen.

Ihr seid wieder im Heute – Donnerstag, der 22. April 2021, 76 Jahre nach der Befreiung  Weißensees.  Hier stehen wir und gedenken der Befreiung vom Nationalsozialismus.

Wir haben uns hier am »Denkmal der antifaschistischen  Widerstandskämpfer« versammelt.
Ein genauer Blick lohnt sich.

Als Diplomarbeit einer Gruppe von Student:innen der Kunsthochschule Weißensee  entstand 1970 dieses Denkmal. Ihr seht hier zwei Figuren und eine Reliefwand aus Natur-  und Kunststein. Sie bilden zusammen ein szenisches Ensemble,  in dem eine Verbindungslinie vom Leid und  Widerstandskampf in der NS-Zeit zur DDR-Gesellschaft der damaligen Gegenwart gezogen wird.

Die dreiteilige Bildwand zeigt links KZ-Situationen mit Leichen, die von einer Frau mit Kind betrauert werden, und ausgemergelten Häftlingen, die die geballte Faust erheben,  vor  einer  Reihe  behelmter  Bewacher.  Auf  der  rechten  Seite  seht  ihr Szenen des Aufbaus und des fröhlichen familiären Zusammentreffens. In der Mitte ist ein Gruppenbild von Männern und Frauen. Vielleicht auf einer Kundgebung? Sie stehen offensichtlich als Verkörperung des Kollektivgedankens.

Neben mir seht ihr zwei männliche Figuren, ein Älterer und ein Jüngerer, beide von athletischer Statur, eine stereotypische Darstellung.

MOMENT  –  warum stehen hier eigentlich zwei Männer? Warum? Es heißt  zwar DER Antifaschismus. Bedeutet das aber auch, dass Antifaschismus ausschließlich männlich ist?

Bevor ich jetzt zu  meiner  ausführlicheren Antwort  komme, greife ich schon mal vorweg  und  sage:  NEIN,  Antifaschismus geht uns alle was an und ist nicht rein männlich.

Als wir uns in unserer Vorbereitungsgruppe für heute, also in unserer Arbeitsgruppe zu Frauen im Widerstand, vor ein paar Wochen mit der Gestaltung und Ausrichtung des heutigen Tages beschäftigten, haben wir auch diskutiert, wie wir mit diesem Denkmal hier umgehen.

Wir könnten die Figuren verhüllen oder wir basteln zwei Figuren, die Frauen darstellen und stellen sie daneben. Aber weder das eine, noch das andere hat uns überzeugt.  Verhüllen bringt gar nichts,  wir wollen die antifaschistischen Widerstandskämpfer  nicht  unsichtbar  machen.  Im Gegenteil:  wir stehen ja heute hier zur Erinnerung  an  die  Befreiung  Weißensees,  zu  der  auch  antifaschistische Widerstandskämpfer  beigetragen haben.  Ohne  sie  wären wir wohlmöglich nie befreit worden. Und zwei weibliche Figuren daneben stellen, bedient doch ehrlich gesagt  auch  nur  wieder  Stereotype.  Die  weibliche Darstellung als Gegenüberstellung: Mann versus Frau. Das macht nichts besser. Es ist einfach nur wieder klischeehaft.

Stattdessen wollen wir lieber mit Worten, Veranstaltungen und  kleinen  Aktionen den Fokus auf antifaschistische Widerstandskämpferinnen legen. Lieber kommen wir mit euch darüber ins Gespräch.

Und nun ganz ehrlich: adhoc fallen euch garantiert mehr männliche Antifaschisten zur Zeit des NS ein als weibliche. Oder?

Aus der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft lernen – das ist allgemein für antifaschistische Arbeit notwendig. Aktives Erinnern und der bewusste Blick in die Vergangenheit kann uns in unserer heutigen und zukünftigen antifaschistischen Arbeit stärken. Was liegt da näher als den lokalen antifaschistischen Widerstand zur NS-Zeit in den Blick zu nehmen? Hier in Berlin, im Zentrum allen Übels, gab es zu  dieser  grausamen  Zeit  trotzdem  antifaschistische  Widerstandskämpfer:innen, die im Kleinen für Lichtblicke und für den Sieg über den NS sorgten. Dabei fand der Widerstand in verschiedenen Bereichen statt – und zwar auch hier direkt lokal in Weißensee. Mit dem Blick auf Weißensee wollen wir antifaschistische Arbeit nah und fassbar machen und aufzeigen, dass Antifa nicht nur in der Theorie funktioniert, sondern immer auch Handarbeit ist.

Auch  heute  im  Jahr  2021  verknüpft  man  Antifaschismus  und  Widerstand  fast ausschließlich  mit  Männern.  Umso  wichtiger  und  notwendiger  endlich  Frauen hervorzuheben. Frauen gehen nach wie vor in unserer Gesellschaft unter, sei es im Hier  und  Jetzt  oder  in  der  Geschichte.  Wir  leben  in einer patriarchalen Gesellschaft.  Der Blick auf die Welt in männlich geprägt und  androzentrisch. Strukturen bevorzugen immer noch den  Mann.  Es geht um die Reproduktion patriarchaler, männlicher Strukturen und den Machterhalt des Mannes.

Frauen werden immer noch auf Kehrarbeit reduziert, immer noch auf das Bild der Hausfrau  der  westdeutschen  50er  Jahre.  Frauen  sollen  auch  in  unser  heutigen Gesellschaft  angepasst  und  hörig  sein,  aufräumen,  sich  kümmern  und  Kinder bekommen,  abhängig  von  der  Güte  ihres  Ehemanns.  Gerade  die  Nazis  haben dieses,  auch  heute  noch  dominierende  Frauenbild  in  Deutschland  geprägt:  die Frau,  die  alles  für  ihren  Mann,  ihre  Kinder,  ihre  Familie,  ihr  Deutschland,  für  den Erhalt und die Vormacht der deutschen Rasse opfert.

Worin zeigt sich die patriarchale, anti-feministische  Prägung  der deutschen Gesellschaft?  Es reicht hier ein Beispiel zu nennen: der sogenannte Muttertag. Keine Witz: Eingeführt durch massives Bewerben und Plakatieren  des Verbands  Deutscher Blumengeschäftsinhaber Anfang der 1920er Jahren und der Etablierung in der NS-Zeit mit Einführung des offiziellen Feiertags ab 1933 und der Verleihung des Ehrenkreuz der Deutschen Mutter ab 1938 gibt es diesen Tag auch heute noch.

In  Westdeutschland  wurde dieser Tag beibehalten. (1)  In der DDR wurde stattdessen der internationale Frauentag am 8. März offiziell gefeiert. So zeigt sich, dass Frauen in der DDR nicht   zwangsläufig über ihr Muttersein definiert wurden, sondern mit dem Frauentag versucht wurde den Androzentrismus wenigstens ein bisschen  zu  brechen.  Zurück zum Muttertag:  er offenbart, dass wir in einem patriarchalen Kapitalismus leben. Durch den patriarchalen und  androzentrischen Blick im kapitalistischen System, stets auf Leistung aus und Gewinnoptimierend, bleibt die Frau abhängig vom Mann – und zwar vor allem auch wirtschaftlich- finanziell.

Wer steckt nach wie vor zurück, wenn es um die Familie, um Sorge- und Pflegearbeit geht? Die Frau! Das kann sich nur ändern, wenn wir uns aktiv dafür einsetzen. Missstände thematisieren und vielfältig darauf aufmerksam machen: sei es mit dem Equal-Pay-Day, der uns jeden März vorhält, dass Frauen, auch hier in Deutschland, im Schnitt für den selben Beruf knapp ein Drittel weniger verdienen als  Männer.  Und das wohlgemerkt  2021 in einer Gesellschaft, die angeblich gleichberechtigt ist. Ich könnte jetzt hier noch zahlreiche Beispiele bringen: sexistische  Werbung,  stereotype  Farbwahl  der Kinderkleidung, überall Klischees. Das Fazit läuft aber immer darauf hinaus, dass es gilt den patriarchalen Kapitalismus zu bekämpfen und ihn letztendlich zu überwinden.

Die Menschen im Sozialismus leben in einer befreiteren Gesellschaft.  Frauen im Sozialismus leben in einer befreiteren Gesellschaft. Diese Gesellschaft kann sogar zu einer befreiten Gesellschaft werden – wenn denn dann alles überwunden wird. Aber warum führe ich hier nun den Sozialismus an? Es gibt die wissenschaftliche Erkenntnis darüber, dass Menschen, gerade Frauen, im Sozialismus selbstbestimmter sind. Der Sozialismus wirkt sich auf das gesamte Leben aus.

Ein Beispiel: Frauen haben im Sozialismus besseren Sex. Das liegt daran, dass sie wirtschaftlich nicht von Männern abhängig sind, nicht von ihren Ehemännern abhängig sind. Deswegen sind sie selbstbestimmter in ihrem Tun und Handeln, da sie nicht auf einen Mann angewiesen sind. Keine wirklich neue Erkenntnis: Wirtschaftliche Unabhängigkeit führt zu freieren Handlungen, da man nicht finanziell in einem  Abhängigkeits-Macht-Gefüge steckt. So kann man sich beispielsweise frei aussuchen mit wem man Sex hat.

Es  gibt  Frauen  im  aktiven,  antifaschistischen  Widerstand,  die  hier  vor  Ort  in Weißensee aktiv gegen Faschismus und den NS eintraten. Ich erzähle euch kurz von drei Frauen – alle drei auf unterschiedliche Art und Weise, in unterschiedlichem Alter  und  Lebensumständen.  Sie  zeigen  dadurch  einen  Querschnitt  durch  die Gesellschaft und die Generationen auf. Frauen, die nicht nur hinter ihren Männer, hinter antifaschistischen Widerstandskämpfern, sondern auch in den ersten Reihen stehen können. Eine kleine Anmerkung: alle drei Frauen agierten dabei ohne den Einsatz  von  Waffen.  Und  alle  drei  Frauen  spiegeln  sich  in  dem,  was  ich  vorher gesagt  habe  wieder.  Und  die  drei  Frauen  zeigen  auf,  dass  Antifaschismus  auch immer intersektional ist: die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Lebensumständen,  unterschiedliches  Alter,  Kinder,  keine  Kinder,  Mann,  Lebenspartner, unterschiedlicher Einsatz im antifaschistischen Kampf.

 

Frieda  Seidlitz,  geboren  am  2.  September  1907,  gebürtige  Weißenseerin. Umgebracht  von  den  Nazis  am  27.  Mai  1936.  Im  April  1933  wurde  sie  wegen verübten Widerstands gegen den Nationalsozialismus verhaftet – sie war aktives KPD-Mitglied und regelmäßig auf Demonstrationen.  Nach der Entlassung flüchtete sie in die Tschechoslowakei. Als Kurierin der KPD-Auslandsleitung kehrte sie nach Deutschland zurück und wurde Mitglied der illegale Gebietsleitung der Roten  Hilfe  in  Berlin-Brandenburg.  Sie  organisierten  mit anderen die Flucht von 40 bis 50 gefährdeten Widerstandskämpfer:innen. Frieda lebte »illegal« in Berlin und hatte innerhalb der Widerstandsbewegung der Roten Hilfe  eine  Schlüsselstellung  inne. Sie war sowohl die Materialkurierin zwischen den vier Berliner Bezirken als auch die entscheidende Verbindung  zur Tschechoslowakei. Im April 1936 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Am 27. Mai 1936 nahm sie  sich wegen der bei den Vernehmungen  erlittenen Misshandlungen das Leben. Sie wollte niemand anderen verraten.

– Anna  Ebermann,  geboren 10. Februar 1891, wurde 1931 aktives Mitglied der KPD.  1932 wurde Anna Ebermann nach der Teilnahme an einer Demonstration wegen »Widerstands gegen die Staatsgewalt« und »Beamtenbeleidigung« zu drei  Wochen Gefängnishaft  verurteilt. Nach 1933 wurde ihre Wohnung in der Gürtelstraße zu einem Treffpunkt illegal in Berlin lebender  Regimegegner:innen  und zu einem Versteck für jüdische Mitbürger:innen. Im Frühjahr 1943 verbrachte Anna einen Urlaub in ihrem Geburtsort Rottenbauer,  Nähe Würzburg, und machte dort gegenüber einer Bekannten »regimekritische  Äußerungen«.  Nach einer Denunziation wurde sie im Mai von der Gestapo wegen »Vergehens gegen das Heimtückegesetz« verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Würzburg eingeliefert. Im November 1943 wurde Anna vom Volksgerichtshof wegen »öffentlicher Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt. Nach ihrer Überführung nach Berlin-Plötzensee, am 17. März 1944, erfolgte noch am gleichen Tag die Hinrichtung.

– Else Jahn, geboren 17. September 1901, wurde sie erst in den 1920er Jahren Mitglied im Kommunistischen Jugendverband und 1924 Mitglied der KPD. In den Jahren  der Weltwirtschaftskrise wirkte sie aktiv für die Herstellung einer antifaschistischen Einheitsfront gegen die zunehmende faschistische Gefahr. Nach der NS-Machtübernahme ging sie in die Illegalität und wurde 1936 von der Gestapo verhaftet. Im anschließenden Prozess erhielt sie eine Strafe von drei Jahren Zuchthaus. Nach ihrer Entlassung 1939 setzte sie ihre illegale Tätigkeit fort. Als die Rote Armee Weißensee erreichte, nahm die illegale Widerstands gruppe, der Else angehörte, Verbindung zu den sowjetischen Truppen auf. Else stellte sich der kämpfenden Roten Armee als Lotsin durch das Häusermeer der Großstadt zur Verfügung. Aufgrund  ihrer  Ortskenntnis  wies  sie  einem Voraustrupp den Weg. Sie stand auf einem Panzer der Roten Armee, während die  sich  einen  Weg  durch  den  Stadtbezirk  bahnte.  Beim  Vorrücken  in  das Berliner Stadtzentrum wurde sie am 26. April 1945 bei einem Schusswechsel an der »Weißenseer Spitze« (Kreuzung Gustav-Adolf-Straße/Prenzlauer Promenade) zwischen SS-Einheiten und der Roten Armee von einer Kugel getroffen und kam so im Alter von 43 Jahren ums Leben. Wir wollen Antifaschismus nahe machen, nahbar machen, fassbar machen – und zwar anhand von Anna Ebermann, Else Jahn und Frieda Seidlitz. Wir wollen daraus lernen und Kraft schöpfen für unseren Einsatz im Hier und Jetzt. Wir nehmen sie als Vorbilder.  Wir  brauche  mehr  als  nur  bekannte  Vorbilder,  wie  Sophie  Scholl. Sondern lokale weibliche Vorbilder bestärken uns in unserem Tun und Handeln. Sie haben aktiv für eine Befreiung vom Faschismus und Nationalsozialismus gekämpft. Diesem Aktivismus schließen wir uns an und setzen uns weiterhin in Erinnerung an Anna, Else und Frieda für Antifaschismus ein.

Denn die befreite Gesellschaft bleibt weiterhin das Ziel!
Es gilt heute wie alle Tage: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Danke fürs Zuhören. Ein Hoch auf die Befreiung Weißensees!

Arbeitskreis »Frauen im Widerstand« (22. April 2021)

(1)  Kleine Anmerkung: Dieser Erfolg der Blumengeschäftsinhaber sollte uns ein Beispiel dafür  sein, dass massives dass sie Plakatieren und damit die Sichtbarkeit in öffentlichen Raum sehr wirksam sein kann – für den Moment und darüber hinaus sogar die Geschichte prägen kann.

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