[B] Skalitzer Prozesse: Freispruch in der 2. Instanz

Am 10.12.2020 um 9 Uhr fand die Fortsetzung zu dem Berufungsprozess vom 3.12.2020 in der Reihe der Skalitzer-Prozesse gegen das Urteil in den Skalitzer-Prozessen vom 16.09.2020 statt (ausführlicher Prozessbericht unter http://www.magazinredaktion.tk/gerichtsreport_zwei.php). Die Angeklagte ist damals in Berufung gegangen, verhandelt wurden 9 Monate auf Bewährung wegen gemeinschaftlichem Widerstand und tätlichem Angriff plus 800 Euro Geldstrafe.

Vor dem Gerichtsaal stand – scheinbar seit 8 Uhr Morgens – bereits eine kleine Gruppe Bullen zusammen, die auf den Prozessbeginn warteten. Sie haben offenbar aus dem letzten Prozess gelernt und im Voraus angemeldet, dass zwei von ihnen dem Prozess als Zuhörer beiwohnen werden; einer von ihnen, der Hauptbelastungszeuge des Verfahrens, dessen Befragung im letzten Prozessteil abgeschlossen wurde. Scheinbar war ihm der Fall so wichtig, dass er ihn unbedingt in seiner Freizeit weiter aktiv verfolgen wollte. Der andere Bulle war offenbar dienstlich unterwegs. Auf eine Anfrage diesbezüglich seitens eines Anwalts der Angeklagten erteilte er darüber zwar keine Auskunft, er betrat den Saal aber mit dem Beginn des Verhörs des letzten Zeugen und verließ ihn auch zeitgleich mit ihm. Vielleicht bestand sein Zweck allein darin, den vermutlich (zukünftig) als verdeckten Ermittler eingesetzten Bullenzeugen zu überwachen und seine Tauglichkeit zu überprüfen. Nach der fruchtlosen Befragung ebenjenes Zeugens, der, wie auch letztes Mal mit Perücke, Brille und eingeschränkter Aussagegenehmigung erschien, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Die Richterin merkte an, dass man ihr im Vorfeld den Eingangs verlinkten Prozessbericht anonym zur Beweisaufnahme habe zukommen lassen, sie ihn aber als nicht relevantes Beweismittel nicht verlesen oder in das Urteil einfließen lassen würde.

Nach dem Plädoyer der Anwält_innen der Angeklagten, die einen Freispruch forderten, folgte das der jungen Staatsanwältin. Sie zeigte sich emotional sehr ergriffen seitens all der Gewalt, mit der die Bullen so konfrontiert seien, die ja nur für uns alle ihren Job machen und heldenhaft all die Eingangsbereiche dieser Stadt freihalten. Sie behauptete zudem, die Angeklagte habe in ihrer Prozesserklärung zu Gewalt aufgerufen. Ihrer Aussage nach das erste Mal in ihrer Laufbahn, appellierte sie außerdem an die beiden Schöffen, da die Richterin ja so unverschämt genau die Polizeibeamten befragte, was wohl ihrer Meinung nach ein tendenziöses Vorgehen ist.

Nach etwa 45 Minuten Beratung wurde das Urteil gesprochen: die Angeklagte wurde freigesprochen. Den spontanen Jubel der Zuhörer_innen (bis auf den einen) unterband sie und legte detailliert dar, warum sie zu diesem Urteil gekommen ist. Die Aufgabe des Gerichts sei es, die Anklagepunkte, Vorwürfe und Beweismittel genau zu prüfen. So lagen keine eindeutigen Beweise zugrunde, die Angeklagte schuldig zu sprechen. Sich Unterhaken sei kein ‘gemeinschaftlicher Widerstand’. Es gebe keine Erfahrungswerte, dass Demonstrierende immer treten, noch gebe es Erfahrungswerte, dass Polizisten immer die Wahrheit sagen. “Im Zweifel für die Angeklagte”. Dass eine Richterin diesen Satz in ihrer Urteilsbegründung verwendet und sich, wie im ersten kurzen Bericht bereits erwähnt, über Polizeigewalt in den Videos, die als Beweismaterial aufgeführt wurden, empört, dazu einen Vermerk macht und die Staatsanwaltschaft auffordert, Ermittlungen einzuleiten, halten wir für sehr außergewöhnlich. Um darauf genauer einzugehen, und was dieses Urteil für zukünftige Verfahren wegen u.a.’gemeintschaftlichen Widerstand’ bedeuten kann, erachten wir es als sinnvoll, die verschriftlichte Urteilsbegründung abzuwarten. 

Erstmal freuen wir uns sehr für die Angeklagte, auch wenn die Staatsanwaltschaft inzwischen Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat. Außerdem denken wir, dass es sich bei diesen Urteilen um Präzedenzfälle handelt oder handeln könnte; es geht darum, wie der Paragraf des “Gemeinschaftlichen Widerstands” ausgelegt und abgeurteilt wird, und dies wird uns in der Zukunft mit Sicherheit noch viel beschäftigen. Am Ende wollen wir nochmal deutlich betonen, dass die Angeklagte diesen Prozess offensiv geführt hat: es gab eine solidarische Prozessbegleitung und -berichterstattung, sie hat ihr Aussageverweigerungsrecht gebraucht und sich nicht auf einen Deal eingelassen und hat eine politische Prozesserklärung verlesen, trotzdem wurde sie freigesprochen. Deals, Eingeständnisse und Aussagen schaden uns selbst und unserem Vertrauen zueinander und sind dementsprechend destruktiv, und wir möchten allen potentiell von Repression betroffenen nahelegen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, am besten kollektiv. 

Wir werden den Prozess weiter begleiten und darüber berichten.

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