[LE] Gegensätzliche Ansichten zum 13.12. in Connewitz

Regionen: 
Event: 

 

Dieser Text ist eine Antwort auf eine Nachbetrachtung eines Sonntages in einem Szeneviertel in einer sächsischen Szenestadt.

 

 

Prämisse 1:
Wenn Bullen zuhauen, so ist die Schuld für dieses Zuhauen bei niemanden zu suchen, außer bei den Bullen – die nun mal zuhauen.

Prämisse 2:
Dieser Text wird nicht von Postautonomen Linksliberalen geschrieben. Er ist nicht dafür gedacht politische Gewalt per se lächerlich zu machen oder abzutun.

Prämisse 3:
Kritik und Entsolidarisierung sind zwei völlig unterschiedliche Sachen.

Zur Kundgebung und den Inhalten der Kundgebung:
Danke. Den Organisator*innen und allen die sich Mühe gaben die Demo zu bewerben und mit Redebeiträgen inhaltlich zu füllen. Das Thema der immer offensichtlicheren Faschisierung der Exekutive auch mal klar bei Namen zu nennen war richtig gut!
Der Aufruf war nach langer Durststrecke endlich mal wieder ein „Antibullentext“ aus dem anonym-autonomen Teil der Bewegung, der inhaltlich Freude auslöste, da er wirklich (in der einem Aufruf gebotenen Verknappung und Andeutung) versuchte eine Gesamtanalyse mit einem Benennen einzelner konkreter Akteure zu verbinden.
Sich also zum 13.12. mit so einem Text in die Öffentlichkeit zu wagen und den permanenten Angriffen durch die Polizei dieses Jahr damit (inhaltlich offensiv) selbst etwas entgegenzusetzen: Stark!

Nicht so stark und Anlass dieser Kritik hingegen die dann versuchte „Sponti.“ Und richtig schwach auch die gefolgte politische Einordnung „einiger Beteiligter“.¹

Wir finden Spontis richtig gut. Und generell finden wir uns in den Teilen des Textes wieder, die auf autoritäre Krisentendenzen des Staates verweisen und auf den Druck sich diesen zu widersetzen. Trotzdem halten wir die Sponti für politisch falsch und taktisch eine Katastrophe.

Es geht im nächsten Absatz nicht darum, unsere Position darzulegen. Was wir feststellen, finden wir nicht gut, aber es ist wichtig das festzustellen: Seit Monaten, spätestens dem 07.11. schlagen die - auch von Linken befeuerten – Debatten über „unsolidarische“ Versammlungen zu Zeiten einer Pandemie hoch. Der Großteil der Bevölkerung bereitet sich mit erheblichen Frust mental auf einen zweiten noch härteren Lockdown vor, dessen Ende nicht abzusehen ist. Klar haben nicht autonome Demos diesen Frust ausgelöst, sondern die Querdenkendemos. Aber genauso klar fällt im gesellschaftlichen Diskurs hinten runter, ob eine Versammlung nun von achtsamen Autonomen mit Maske, vom Glühweinstand oder Corona-Faschist*innen organisiert wird – Die gesamtgesellschaftliche Toleranz gegenüber „unkontrollierten“ Geschehen ist gering. Ebenso ist diese Toleranz in den staatlichen Strukturen noch geringer als sonst. Auch große Teil des Staatsapparates (und ja auch der Bullen) findet die Pandemie nicht lustig. Auch diese Teile sind mit ihrer Geduld einfach am Ende. Alles in Allem ist dies ein Setting, dass bei egal welcher Aktion gerade mitzudenken ist. Es ist nicht nur eine faschistische Tendenz, die ein unkontrolliertes Bewegen gerade schwerer macht. Es ist auch einfach die Gereiztheit einer Gesellschaft und eines Staates, die die Faxen gerade dicke haben. Wer also denkt, sich mit der gleichen Narrenfreiheit, wie noch Ende Oktober, bewegen zu können, verkennt, dass sich etwas verändert hat.

Zum Abend selbst.
Die Verfasser*innen beschreiben selbst im ersten Absatz die Situation des Abends: Die Bullen haben den Aufruf als das verstanden was er ist: Ein persönlicher Mittelfinger gegen sie, eine klare Ansage, dass sie nicht nur in bestimmten Punkten, sondern in ihrer Gesamtheit als Scheiße angesehen werden. Verknüpft mit dem Datum des 13.12. ist hiermit also klar: Es geht nicht mehr nur um politische Kritik es geht um eine ganz persönliche Kampfansage sozusagen per Du von Autonom an Schwein. Dazu kommt: Erst waren zwei Kundgebungen angemeldet, auf Indymedia erschien ein Aufruf zu einer „autonomen Kiezdemo“, ebenso klebten Plakate auf denen das Wort vorkam². Dazu kommt: Das Ganze in Connewitz, einem Viertel in dem es alleine in den letzten zwei Monaten brennenden Barrikadenbau und eine beachtliche Frequenz an Angriffen auf die lokale Polizeiwache gab. Wenig überraschend fahren die Bullen also alles auf, was ihnen irgendwie zur Verfügung steht, in Erwartung, dass sich der bullenhassende Teil der Szene einfinden wird, um sich mit ihnen anzulegen.

Soweit so gut und kein Anlass zur Kritik.
Doch einige unverzagte Autonome lassen es sich nicht nehmen, sich die Straße zu nehmen und marschieren „kämpferisch“ los.
Sich in diesem Moment zu entschließen loszulaufen und nicht nur loszulaufen, sondern auch noch die bereitstehende Polizei anzugreifen, ist für uns kein „starkes Zeichen der Auflehnung“, sondern schlichtweg ein taktisches Totalversagen. Es geht hier nicht um eine Schuldfrage, ob die Sponti Schuld an der Repression und den Schlägen ist (s. Prämisse 1). Worum es geht: Es lag einfach sonnenklar auf der Hand, dass genau so etwas passieren kann. Was genau haben denn die Loslaufenden und vor Allem die Angreifenden erwartet? Und wo genau liegt das „starke Zeichen“ vom Herderpark bis nichtmal zum Kreuz zu laufen, um dann zurück in Richtung Kundgebung zu rennen?

Zwischenruf: Wer sich über die „Unverhältnismäßigkeit“ des folgenden Polizeieinsatzes mit wahllosen Schlägen und Kesselungen ernsthaft wundert, hat die Losung über die „Faschist*innen in Uniform“ wohl doch eher verbalradikal im Mund gehabt. Wer von Faschist*innen in Uniform schreibt, sollte sich doch dann nicht wundern, wenn sich diese gegenüber unliebsamen Redebeiträgen, Anwält*innen und Journalist*innen, sowie passiven Teilnehmer*innen dann eben nicht wie ein zahmer Haufen neutraler Ordnungskräfte benehmen, sondern eben wie – Faschist*innen. Das soll Verletzungen und Traumata nicht bagatellisieren – wir denken an alle Verletzten und hoffen vor Allem, dass ihr alle Menschen habt, mit denen ihr auch emotional aufarbeitet was euch angetan wurde und was ihr erlebt habt. Und ja: Die Bullen sind Schweine und sie haben ihre Schweinheit in dem Moment wieder deutlich gezeigt. Es soll stattdessen die Verwunderung und die übliche (Twitter)Empörung kritisieren, die von vielen Linken im Hinblick auf das Geschehen gefahren wird.

Zurück zur „Sponti“
Wir fragen uns wirklich ernsthaft, was die Hoffnung hinter diesem Loslaufen war. Nicht weil wir Besserwisser*innen sein wollen, sondern weil genau dieses Szenario so offensichtlich abzusehen war, dass wir es nicht besserwisserisch finden, das genauso zu schreiben: Es war klar, dass genau das passieren wird. Nun gibt es zwei Möglichkeiten:

Den Loslaufenden war klar, dass sie nicht weit kommen.
Dann ist die Frage warum und wofür. Wird es innerhalb der Bubble wirklich als „Erfolg“ oder „stabil“ gefeiert genau so weit zu Laufen, wie es das nicht vorhandene Spalier zu Beginn nun mal eben zulässt? Und waren die drei Flaschen (über Spektakelbilder mit Rauch sprechen wir hier nicht) auf Bullen es wert die gesamte Kundgebung zu smashen?
Wenn dieses Szenario vorhergesehen wurde, ist das (dann ja geplante) Zurückrennen in Richtung Kundgebung schlicht unsolidarisch. Denn es ist vorhersehbar, dass ein aktiver Angriff aus der Kundgebung heraus und ein Zurückziehen in diese Repression für die gesamte Kundgebung bedeuten wird. Wir sind keine Freundinnen der Idee, dass aus einer Kundgebung/Demo nie etwas passieren darf. Wir fordern selber Solidarität für militantes Handeln von jenen ein, die sich für sich dagegen entscheiden. Wir fordern genauso aber von jenen, die sich aktiv dafür entscheiden, ein sich auch jedes Mal die Frage zu stellen, ob ihr Handeln aus einer Situation heraus viele Menschen, die nicht damit rechnen in etwas hineinzieht. Denn Solidarität hat mit gegenseitiger Anerkennung und auch Vertrauen zu tun. Und militant Handelnde haben eben mit ihrer Art einen hohen Anteil daran solch ein Vertrauen aufzubauen - oder eben sich immer wieder zu verspielen (dazu später). Das Zurückziehen in eine kleine Kundgebung, die offensichtlich nicht die Stärke hat, sich selbst zu schützen (wie eine Großdemo zum Beispiel) finden wir, deswegen schlecht und ja eben unsolidarisch.

Oder: Die Loslaufenden waren davon überzeugt weiter zu kommen.
Hier wollen wir uns nicht so einen scharfen Tonfall heraus nehmen wie oben. Denn wenn das der Fall ist, so war es halt eine heftige Fehleinschätzung. Wir fragen uns dann aber schon, woher so eine massive Fehleinschätzung kommt. Ja in diesem Jahr ging auf Leipziger Straßen so Einiges was ziemlich doll wirkte. Bei näherem Hinsehen muss doch aber klar sein, dass von der Linksuntendemo bis hin zur Antirepressionsdemo Ende Oktober es klare Bullentaktik war, sich deeskalativ zurückzuhalten und nicht die „Stärke“ der Demos selbst, die die Bullen von Angriffen abhielt (wie sie bei der Linksuntendemo ja auch bewiesen: Als sie eingriffen, war die Sache dann auch gelaufen und der Großteil der Demo davon). Aus den diesjährigen Momenten abzuleiten, „es ginge gerade was“ auch in Anwesenheit der Bullen übersieht, dass nur solange „was geht“, wie die Bullen es eben zulassen. Woher kam denn die Einschätzung, dass die Bullen am ACAB-Tag im oben beschriebenen Pandemiesetting sich genauso handzahm mit Steinen beschmeißen lassen würden, wie auf der Linksuntendemo, oder bei den Spontis nach den Hausbesetzungen, als sie mit zu schwachen Kräften wirklich überrascht wurden?

Wir fragen uns ob in anderen Kreisen die Analysen da so komplett von unserer weggehen oder woher so eine unterschiedliche Einschätzung sonst kommt – fehlt uns dann doch der Austausch miteinander, damit wir besser verstehen können, was Andere denken?

Zum Taktischen haben wir nun genug rumgepöbelt. Wir schrieben: Wir finden den Entschluss loszulaufen politisch falsch.
Die Kundgebung und ihre Redebeiträge machten im Aufruf und an dem Abend wichtige Themen auf. Sie benannten offensiv Faschist*innen auch im Leipziger Staatsapparat. Sie wiesen auf gesamtgesellschaftliche Dynamiken hin. Auf die Polizei als ablehnenswerte Institution.
Was medial hängenbleibt ist jetzt aber nur, ob einzelne Beamte über die Stränge geschlagen sind oder nicht. Was erst wirkt wie ein PR-Desaster für die Bullen (Anzeigen gegen Beamte) im Stile von Neujahr, entpuppt sich als Pyrrhussieg. Statt über faschistische Netzwerke und Hundertschaftsführer, wird nun über einzelne prügelnde Beamte geredet. Und ja - vielleicht wäre die Kundgebung auch nicht beim MDR gelandet, hätte es keine Gewalt gegeben. Das ist aber Spekulation. Die Kundgebung wegen einer Vergewaltigung schaffte es am gleichen Tag auch ohne Sponti und Prügelbullen in die Öffentlichkeit. Wer eine Kundgebung abends im Herderpark macht sucht eh nicht die (Leipziger) Öffentlichkeit - Insofern sollte das Erscheinen der Sponti beim MDR auch kein positives Argument für die Sponti sein. Spekulation hin-oder-her: Was hängenbleibt nach dem 13.12. ist jedenfalls nicht ein Blick auf die Faschist*innen, sondern ein paar (sinnlose) Disziplinarverfahren gegen einige wenige Beamte.

In unseren Augen aber schlimmer:
Es bleibt bei vielen potentiell Teilnehmenden ein Gefühl der Verunsicherung.
Am Mittag kamen spontan über 400 Menschen im Osten zu einer Kundgebung zusammen. Abends in Connewitz auf einer schon länger beworbenen Kundgebung nur 150 Menschen. Wir wissen es nicht, aber wir sind uns – auch nach Gesprächen im Umfeld – sicher, dass hier nicht so sehr die Inhalte alleine die Differenz in der Teilnehmer*innenzahl ausmachte. Sondern das eben auch genauso dieses Gefühl von „da knallts bestimmt, trau ich mir das heute zu, ist es mir das heute in dem Kontext wert“ zu einer erheblichen Demobilisierung beiträgt. Wir wissen um einige Menschen, die abends nicht kamen, weil sie sowas vorhersahen und da schlicht keinen Bock drauf hatten, oder sich nicht in der Lage sahen. Und wir befürchten, dass bei vielen der an der Kundgebung Teilnehmenden ein solches Gefühl sich nun verstärken wird.

Wir schrieben oben: Militant Handelnde müssen selbst auch für Vertrauen sorgen.
Eine Sponti, die eine Kundgebung, deren Teilnehmer*innen das nicht erwartet hatten, mit reinzieht unterminiert dieses Vertrauen. Genauso, wie ein politischer Auswertungstext, der es schafft in keinem Satz Ansätze einer Selbstkritik aufkommen zu lassen. Das hinterlässt ein Bild, als ob es Teilen der militanten Leipzigs nur noch um ein „wir gegen die“-Ding geht, bei der das politische Jahr dann an der Zahl der Meter mit ACAB Rufen und Flaschenwürfen auf Cops berechnet wird.

Wir finden das schade. Denn wir finden es gut, auch Militanz im Werkzeugkoffer zu haben. Und wir sehen uns auch als Teil einer gemeinsamen Bewegung und nicht als Leute, die einfach auch irgendwie ihr Ding machen. Deswegen hoffen wir, dass eine manchmal auch etwas harsche Kritik am Ende vielleicht eher zusammenführt, als reine Abwehr auszulösen. Denn die Alternative zu auch kritischen Debatten ist nur, das zu erleben, was wir immer mehr erleben müssen: Sobald irgendwas nach Sponti oder „autonom“ riecht, stimmt die Leipziger Szene mit den Füßen ab und taucht kaum auf. Wir denken immer noch, dass sich hinter dem autonomen Ansatz einer der wenigen sozial-revolutionären versteckt. Und wir denken auch immer noch, dass Spontis oder autonome Kiezdemos ein wichtiger Ausdruck der Bewegung sein könnten. Autonomie und Militanz funktionieren nachhaltig, aber nicht nach der Haudrauf-Methode. Sondern dadurch Vertrauen zu schaffen und Leute zu ermutigen, sich im passenden Moment mit den wohl gewählten Mitteln selbst zu ermächtigen. Dazu gehört für uns eben auch Situationen einzuschätzen und dann das Mittel zu wählen, dass der Situation angemessen erscheint. Das heißt eben auch: Wenn die Situation es offensichtlich nicht hergibt auch mal Abstand von den eigenen Impulsen zu nehmen und sich für den Moment ein anderes Werkzeug aus dem Koffer zu nehmen. Be water – Nicht ein Ram(m)bo(ck).

Fragend schreiten wir voran [auch übers Kreuz hinaus ;)]

¹http://4sy6ebszykvcv2n6.onion/

² Posse am Rande: Die Ankündigungsplakate wurden in mindestens zwei Stadtvierteln wenige Tage vor der Demo großflächig geweißt. Da das Ganze auch noch koordiniert in zwei Vierteln stattfand, lässt sich denken, dass es sich hier nicht um entrüstete Nachbar*innen handelt. Dies ist eine so bislang hier noch nicht gekannte Praxis und lässt zumindest spekulieren, dass sich einzelne Bullen doch ziemlich angestochen fühlten. Dass einige Plakate mit neo-nazistischen Müll versehen wurden, gibt dem Ganzen einen besonderen Beigeschmack.

 

 

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen