Neuigkeiten zur Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt Münster
Am 16.10.2020 kam es in der Justizvollzugsanstalt Münster (NRW) morgens um kurz nach 6 zu einer Geiselnahme.
Gegen 9:20 Uhr wurde der Insasse von Sondereinsatzkräften der Polizei erschossen.
Nun liegt ein Bericht des Justizministeriums vor.
Der Ablauf
Wie sich aus dem schriftlichen Bericht des Justizministeriums NRW zur 64. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtages von NRW am 23.10.2020 ergibt, sei gegen 6:05 Uhr die Zelle des nur wenige Stunden später erschossenen 40 - jährigen
Insassen durch drei Bedienstete geöffnet worden.
Dieser sei seit dem 23.09.2020 wegen Drohungen in Einzelhaft untergebracht gewesen, so dass die Zelle nur durch mindestens zwei Bedienstete geöffnet werden durfte.
Bei Zellenöffnung habe er eine 29-jährige weibliche Bedienstete an den Haaren gepackt, ihr einen messerähnlichen Gegenstand an den Hals gehalten und sei mit dieser durch das Hafthaus gegangen.
Er habe einen Hubschrauber gefordert.
Ab 6:50 Uhr hätten Polizeikräfte die Lage übernommen.
Gegen 9:20 Uhr seien dann von mehreren Polizisten des Sondereinsatzkommandos Schüsse auf den Gefangenen abgefeuert worden und dieser noch "vor Ort seinen ...Verletzungen" erlegen.
Er sei nicht im Besitz einer, wie zuvor in den Medien berichtet, Rasierklinge gewesen, sondern habe lediglich über eine "angespitzte...Zahnbürste" verfügt.
Nach Angaben der Geisel hätte der Gefangene während der Geiselnahme geäußert, er sei der "Sohn der Jungfrau Maria" und müsse "zu einem Feld an einem roten Haus in Spanien, um einen Hammer zu holen und mit diesem Hammer das Coronavirus zu besiegen".
Verurteilt sei der Gefangene u.a. wegen fahrlässiger Trunkenheit (Geldstrafe, 2001), fahrlässigen Vollrauschs (Geldstrafe, 2006), versuchten Totschlags (4 Jahre 6 Monate sowie Unterbringung in einer Entzugsklinik, 2007) und Körperverletzung (Geldstrafe, 2019).
Aktuell habe er eine viermonatige Strafe wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, d.h. Polizisten (Urteil des AG Münster vom 21.02.2020) verbüßt, weil er auf dem Gelände der psychiatrischen Anstalt Münster am 04.09.2019 "randaliert" und einem Platzverweis nicht Folge geleistet habe.
Bewertung
Die wenigen Mitteilungen über die Vorgeschichte des Mannes deuten, bei aller gebotenen Vorsicht, auf einen Menschen hin, der Hilfe und Zuwendung benötigt hätte und keine Isolationshaft und schon gar nicht den Tod durch Erschießen.
Allerdings ist es trauriger Alltag in Deutschland und auch andernorts, dass Menschen, die "psychisch auffällig" agieren, hohes Risiko laufen, durch die Polizei erschossen zu werden.
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu vermuten, dass die "noch laufenden Ermittlungen" zu nichts führen werden.
Den Polizeikräften wird wahrscheinlich, wie in fast jedem solcher Fälle, bescheinigt werden, rechtmäßig von der Schusswaffe Gebrauch gemacht zu haben.
Problematisch erscheint auch die Außendarstellung des Falles, denn in regionalen wie überregionalen Medien war stets die Rede von Rasierklingen, was selbstverständlich viel aufregender und gefährlicher klingt als eine angespitzte Knastzahnbürste.
Und vom Plan des Mannes, in Spanien das Coronavirus mittels eines Hammers zu erschlagen, war auch nicht die Rede, nur die Forderung nach einem Hubschrauber schaffte es in die Meldungen.
So scheint hier am 16. Oktober ein einsamer, trauriger und verzweifelter Mensch erschossen worden zu sein.
Hat er wirklich so sterben müssen?
Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg