Die neue baskische Linke - Strategisch gespalten

Baskische Linke, gespalten

Jahrzehntelang prägte der militärische Konflikt zwischen ETA und dem spanischen Staat den Kampf der der baskischen Linken (abertzale Linke) für ein unabhängiges und sozialistisches Baskenland. Eine Veränderung ihrer politischen Strategie bedeutete vor etwas mehr als zehn Jahren die Abkehr vom bewaffneten Kampf, die schließlich 2018 zur endgültigen Auflösung von ETA führte. Auf diese Weise veränderte sich auch die politische Landkarte im Baskenland. Neue Organisationen betraten die politische Bühne.

Warum es die baskische Linke in ihrer alten Version nicht mehr gibt. Welche Strategien die verschiedenen Strömungen in der abertzalen Linken verfolgen. Und wieso man im Baskenland von keinem Friedensprozess sprechen kann. Eine Bestandsaufnahme.

Mehrere Verhandlungs- und Friedensinitiativen in den Jahren 1989, 1998/99 und 2006/2007 scheiterten immer wieder sowohl an der starren Haltung des spanischen Staates als auch an den “Hardlinern“ bei ETA. Ab 1997 verschärfte der Staat seine Repression unter der Ägide des international bekannten Untersuchungsrichters Balthasar Garzón nochmals um ein Vielfaches. Unter der Doktrin “Alles ist ETA“ wurden Zug um Zug fast alle Organisationen der baskischen Linken verboten, ihre Aktivist*innen für ihr politisches Engagement eingesperrt und ihre Infrastruktur weitgehend zerschlagen. An eine (institutionelle) politische Partizipation war nicht zu denken. In den 2000er Jahren befand sich die baskische Gesellschaft daher in einem permanenten Ausnahmezustand. (*)

In dieser Situation wurde von einem engen Kreis an Personen um den ehemaligen Sprecher der Partei BATASUNA, Arnaldo Otegi, eine neue einseitige Strategie zur Lösung des Konflikts im Baskenland entwickelt. Diese sah einerseits die Beendigung des bewaffneten Kampfes durch ETA und deren Auflösung vor. Andererseits sollte die Fortsetzung des politischen Kampfes von nun an innerhalb legalistischer und gewaltfreier Rahmenbedingungen stattfinden. Diese wurden als Notwendigkeit betrachtet, um überhaupt wieder politisch handlungsfähig zu werden. Zunächst wurde diese Strategie innerhalb der politischen Basis, in den Strukturen von ETA und im Kollektiv der baskisch-politischen Gefangenen, EPPK, diskutiert und anschließend mit großer Mehrheit beschlossen (1).

Hinein in die Institutionen!

Am 09.Februar 2012 betrat mit SORTU (2) ein neuer politischer Akteur die Bühne, der die Nachfolge der verbotenen Partei BATASUNA antreten sollte (3) (4). Mit der sozialdemokratischen Eusko Alkartasuna sowie der Vereinigte-Linke-Abspaltung Alternatiba bildete Sortu die Parteienkoalition EUSKAL HERRIA BILDU (EH Bildu – Baskenland sammeln), die mit der Zeit zunehmend als eigenständige Partei auftreten sollte. Später kam Aralar dazu, eine Abspaltung von Batasuna aus dem Jahr 2001.

SORTUs Parteiziel ist nach ihrem Programm “ein Bruch mit dem kapitalistischen und patriachalen System, sowie der Aufbau einer völlig anderen, auf partizipativer Demokratie beruhenden Gesellschaft“. Auf der Grundlage von ideologischer Konfrontation, institutioneller Vertretung und gewerkschaftlicher Mobilisierung will SORTU neue Mehrheiten für Selbstbestimmung und eine andere Gesellschaftsform erreichen (5). Nach Aussagen von Arnaldo Otegi komme der abertzalen Linken die Aufgabe der Bildung eines “historischen Blocks“ zu, an deren Spitze sie zur Realisierung eines fortschrittlichen Gesellschafts-Projekts stehen müsse.

Seit ihrer Gründung sind sowohl die Partei SORTU als auch die Wahlkoalition EH BILDU in nahezu alle Institutionen in Hegoalde (6) (dem spanischen Teil des Baskenlands) zurückgekehrt. In der Provinz Gipuzkoa sowie in der Autonomen Gemeinschaft Navarra war sie in unterschiedlichen Mitte-Links-Koalitionen an der Regierung beteiligt. In Donostia-San Sebastian und Iruñea-Pamplona stellte sie für jeweils eine Legislaturperiode den Bürgermeister. Aus den Wahlen zur Comunidad Autonoma Vasco(Region Autonome Baskische Gemeinschaft) im Juli 2020 ging das Wahlbündnis EH BILDU als zweitstärkste Kraft (27,87%) mit deutlichen Stimmenzuwächsen (6,77%) hervor. Für diesen Zuwachs scheinen unterschiedliche Faktoren eine Rolle zu spielen. Ihren Kurswechsel scheint ein großer Teil der abertzalen Linken mitzutragen. Darüberhinaus scheint sie mit der Abkehr von der politischen Gewalt weitere Personenkreise über die eigene Bewegung hinaus anzusprechen.

Dazu tragen sicher auch Veränderungen im Charakter der Partei bei. Im Vergleich zu ihrer Vorgänger-Organisation Batasuna und in Folge des Strategiewechsels hat sie ihre Sprache verändert. Statt von Unabhängigkeit sprechen ihre Protagonisten heute von „demokratischer Selbstbestimmung“ oder “Souveränität“. Der Begriff “Sozialismus“ scheint aus dem Vokabular (weitgehend) gestrichen worden zu sein. Auch das äußere Erscheinungsbild wurde von jedweder traditionellen sozialistischen Symbolik bereinigt.

Bei Batasuna traf die Basis Entscheidungen bezüglich des politischen Prozesses und wählte Delegierte zur “mesa nacional“ (Anm: nationaler Tisch, eine Art kollektiver Parteivorstand), weshalb die Partei wesentlich transparenter erschien. Im Vergleich dazu ist Sortu heute eine Partei mit Mitgliedern, Parteibüros und Angestellten, bei der politische Entscheidungen in den jeweiligen Gremien getroffen werden.

Welche ihrer programmatischen Ziele konnte sie bisher in konkrete Projekte umsetzen?

Aufgrund ihrer starken lokalen Verankerung in den ländlichen Gemeinden und Kleinstädten in den Provinzen Gipuzkoa und Navarra – keine andere Partei im Baskenland stellt mehr Gemeinderäte – versucht sie, vor Ort ihre Vorstellung von einer anderen Gesellschaft umzusetzen. In der gipuzkoanischen Kleinstadt Orrereta-Renteria zum Beispiel regiert EH Bildu seit einigen Jahren gemeinsam mit Unidos Podemos. Gemeinsam unter Einbeziehung der Bevölkerung wurden in der ehemaligen Industriestadt mehrere munizipalistische Projekte initiiert. In der Einrichtung “Haus der Frauen“ finden Bildungs- und Beratungsangebote von und für Frauen statt. Verwaltet wird das Projekt in einem Zusammenspiel zwischen der Stadtverwaltung und der lokalen feministischen Bewegung. Auf dem Sektor der lokalen Wirtschaftsförderung unterstützt die Kommune junge Unternehmer*innen bei der regionalen und nachhaltigen Verankerung ihrer Produkte mit der Bereitstellung von Infrastruktur, der Vernetzung mit anderen Akteuren und der Existenzgründung unter genossenschaftlichen Rahmenbedingungen.

In Irunea-Pamplona konnte die von den Abertzalen geführte Stadtregierung (Anm: EH Bildu, PNV, Podemos, Vereinigte Linke) die Räumung des Mausoleums für die franquistischen Generäle Mola und Sanjurjo als einen großen Erfolg verbuchen (7). Dies geschah nicht mit viel medialem Getöse, wie der Räumung des Mausoleums von Franco durch die spanische Regierung (Anm: PSOE, Pedro Sanchez) in Madrid, sondern durch bedachte Verhandlungen mit der Kirche, den Familien und anderen Beteiligten. Allerdings musste EH Bildu auch einige Rückschläge hinnehmen. Die von ihr geführte Provinzregierung in Gipuzkoa wollte ein Recycling-Konzept nach bundesdeutschem Vorbild einführen, scheiterte aber bei ihrem Vorgehen sowohl an ihren politischen Gegnern als auch an der gesellschaftlich dominierenden Wegwerf-Kultur.

…zurück auf die Straße!

Im Frühjahr 2016 trat mit “Amnistia Ta Askatasuna – ATA“ (Amnistiaren Aldeko eta Errepresioaren Aurkako Mugimendua“ (Bewegung für Amnestie und gegen Repression) erstmals eine Organisation in Erscheinung, die sich in Dissidenz zur neuen politischen Strategie (Anm: ... von SORTU) seit 2012 verortet (8). Die Gründung von ATA ließ nun klar die Risse deutlich werden, die sich aufgrund des Strategiewechsels in den vorhergehenden Jahren in der Bewegung gebildet hatten. Viele ihrer Aktivist*innen wollten den legalistischen Kurs, den Schwenk in die politische Mitte und die Vehemenz, mit der SORTU in die Institutionen zurückkehrte, nicht akzeptieren. Die Aufgabe der zentralen und traditionellen Forderung nach Amnestie für die politischen Gefangenen durch SORTU bestärkten schließlich den Bruch, der zur Gründung von ATA führen sollte. ATA ist in einem Netzwerk aus Einzelpersonen und lokalen Gruppen organisiert. Unterstützung erfährt sie unter anderem aus Teilen der Memoria-Bewegung, von antifaschistischen Initiativen, sowie von mehreren ML- Gruppen.

Einige ihrer Aktivist*innen sind ehemalige politische Gefangene, die vormals bei BATASUNA organisiert waren. Inhaltlich vertritt ATA mit den Forderungen für Amnestie, Sozialismus, Unabhängigkeit, Feminismus und Ökologie viele Positionen der “alten“ baskischen Linken vor dem Strategiewechsel. Die Gründung einer neuen Partei scheint bisher nicht das Ziel ihrer Akteure zu sein. Zumal sie dafür das spanische Parteiengesetz (9) akzeptieren müsste. Genau jenes Parteiengesetz, für dessen Akzeptanz sie SORTU massiv kritisiert. In ihrer politischen Praxis setzt sie auf Mobilisierungen auf der Straße und besetzt somit die politischen Räume, die durch den Weg der Fraktion um SORTU/EH BILDU in die Institutionen frei geworden waren (10). Mit ihrer Praxis der sozialen Mobilisierung auf der Straße spricht sie seit ihrer Gründung verstärkt eine jüngere Generation an Aktivist*innen an, die einer institutionellen Form von politischer Praxis kritisch oder ablehnend gegenüber steht.

 

In den vergangenen Jahren bestand der Schwerpunkt der politischen Arbeit von ATA in der Amnestie-Frage und der Situation der politischen Gefangen. Dass SORTU / EH BILDU diese Fragen wieder auf ihre Agenda setzen mussten, kann sicher auch als ein Verdienst ihrer Arbeit betrachtet werden. Bisher weitgehend unklar geblieben ist der von ATA propagierte Sozialismus. Um diesen Begriff mit Leben zu füllen, fehlen bisher konkrete Projekte, an denen dies sichtbar und erfahrbar wird.

…die Gefangenen so weit entfernt wie eh und je…

Der Strategiewechsel der letzten Jahre hat die Situation der politischen Gefangenen ebenfalls stark verändert. Wurde die spanische Justiz bis dato von der Bewegung als politische bzw. koloniale Justiz betrachtet, mit der keine Verhandlungen geführt werden, vollzog SORTU eine Abkehr von dieser Doktrin. Von nun an wurde jedem Gefangenen gestattet, nach individuellen Lösungen zur Verbesserung seiner Haftsituation zu suchen, sprich mit dem spanischen Justizapparat zu verhandeln, ohne aber mit diesem zu kollaborieren. Somit wurde die einstmals zentrale Forderung der abertzalen Linken nach Amnestie, einer Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland, sowie die Rückkehr der Exilierten aufgeweicht bzw. in Teilen aufgegeben. Sie erschien einem Teil der Bewegung als nicht realisierbar. Die Gefangenen, die diesen Weg nicht mitgehen wollten, mussten das Gefangenen-Kollektiv EPPK verlassen und werden seitdem von der Strömung um ATA unterstützt. (...)

(WEITERLESEN:)

www.baskultur.info/kultur/gesellschaft/626-baskische-linke

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