Alle Bäder stehen still, wenn ihr starker Arm es will.
Wir haben heute eine Streikkundgebung der Gewerkschaft Ver.di besucht. Wir sind zwei Personen, die sich an der Kampagne „Nicht auf unseren Schultern!“ (NAUS) (https://www.naus-dresden.org/) beteiligen. NAUS soll linksradikale Gruppen in Dresden zusammen bringen, um angesichts der Coronakrise handlungsfähig zu sein. Wir kämpfen gegen die Bewältigung der Krise auf den Schultern von Lohnabhängigen, unbezahlten Sorgearbeiter:innen aber auch Geflüchteten, Wohnungslosen und FLINT-Personen. Wir sagen: „Der Kapitalismus ist die Krise!“
Mit einem kräftigen „Wer sind wir? Ver.di!“ stimmen sich die etwa 200 Teilnehmer:innen einer Streikkundgebung auf der Wiese vor dem Georg-Arnold-Bad ein, als wir gerade ankommen. Aufgerufen zu den Warnstreiks hatte die Gewerkschaft Ver.di alle Tarifbeschäftigten ausgewählter Kommunalverwaltungen, Sozialversicherungen, Sparkassen, Betrieben der Ver- und Entsorgung sowie das Städtische Krankenhaus in Dresden.
Auf der Wiese stehen die Streikenden in kleinen Grüppchen zusammen und unterhalten sich. Die Stimmung ist locker – vielleicht liegt’s am „freien“ Tag. Zwei Zelte markieren den Eingang, an dem auch wir uns in die Corona-Nachverfolgungslisten einschreiben und gleich ein Gespräch über Gewerkschaften beginnen. Die beiden Menschen am Eingang werben für den Eintritt. Bei uns ist niemand bei Ver.di organisiert, auch nicht bei einer anderen Gewerkschaft, wie wir bekennen müssen. Woran liegt das? Bestimmt nicht an mangelnden Problemen an der eigenen Arbeitsstelle, geben wir unumwunden zu. Doch ist Ver.di wirklich die richtige Organisation, um dem Kapitalismus das Fell über die Ohren zu ziehen? Vermutlich nicht. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass es gerade jetzt in der Corona-Krise einen starken Zusammenhalt unter den Lohnarbeiter:innen braucht. Es geht noch etwas länger um Arbeitsverhältnisse und Ansätze für gemeinsame Kämpfe und auch um die Freie Arbeiter:innen Union (FAU), der wir wohl zumindest politisch näher stehen. Als die Reden beginnen, lösen wir uns dann aber und laufen über die Wiese in Richtung Bühne. Auf dem Weg findet sich ein kleiner Informationsstand, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Streikgeldanträge zu verteilen.
Am Mikrofon spricht gerade eine Person des DGB über Arbeitskämpfe, die derzeit auch in anderen Branchen ablaufen. Ein sehr großes Thema sei die Angleichung von Lohn und Arbeitszeit in Ostdeutschland an das Niveau der neuen Bundesländer. In der Elektrobranche sind es beispielsweise 38 statt 36 Stunden, die in Ostdeutschland in der Branche gearbeitet werden. Außerdem gibt es gerade auch in der Lebensmittelbranche Arbeitskämpfe, etwa bei Unilever (Knorr), bei Bautzner Senf (https://www.lr-online.de/lausitz/hoyerswerda/tarifeinigung-streik-bei-ba...) und auch in der Riesaer Teigwaren Fabrik (https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-mit-riesa-teigwaren-gefragt-tarifvertrag-fuer-riesa-nudeln-keine-repressalien-gegen-den-betriebsrat/) Ganz offensichtlich ist dieses Jahr einiges los gewesen.
Der Anlass für den heutigen Warnstreik ist die dritte Verhandlungsrunde für den Tarif im öffentlichen Dienst. Die Diskrepanz zwischen dem vorgelegten Angebot (https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/tarifverhandlungen-angebot-vorgelegt-kommunen-wollen-4-8-milliarden-euro-springen-lassen/26281268.html) der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den Forderungen der Gewerkschaft ist groß. Ver.di fordert (https://swos.verdi.de/themen/++co++d93de3a6-00df-11eb-aa42-001a4a160119) 4,8% mehr Lohn und höhere Entlohnung von Auszubildenden und Studierenden bei einer 12-monatigen Laufzeit des Tarifvertrages. Dem hält die VKA eine einprozentige Erhöhung bei drei Jahren Vertragszeit entgegen. In den kommenden zwei Tagen wird sich zeigen, ob die Gewerkschaftsspitze zu ihren konfrontativen Aussagen steht oder einen Abschluss zu ungunsten der Lohnarbeiter:innen anstrebt. Sollte es nicht zu einem Abschluss kommen, stehen weitere Nachverhandlungen an, während derer nicht gestreikt werden darf. Danach hätten die Gewerkschaftsmitglieder selbst die Möglichkeit über das Ergebnis abzustimmen.
Gestreikt wurde nicht nur vor dem Arnold-Bad. An der Sachsenallee fanden sich die Angstellten der Sparkassen zusammen. Als wir auf dem Heimweg dort vorbei kommen, berichtet gerade ein Neumitglied von Erfahrungen aus einem Jahr Gewerkschaftsarbeit. Von den angestrebten 130.000 Neueintritten (https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gewerkschaften-verdi-will-reallohnplus-durchsetzen-und-den-mitgliederschwund-stoppen/25444502.html) im Jahr 2020 wurden heute vierzehn geschafft.
Die Tagesbilanz ist durchwachsen. Aus unseren eigenen Überlegungen heraus war und ist es sinnvoll bei laufenden Streiks vorbei zu schauen und uns solidarisch zu zeigen. Als subkulturell geprägte Linksradikale haben wir mit den Leuten, die heute gestreikt haben, meist nicht viel zu tun – denken wir zumindest. Und in Sachen Arbeitskampf sind hier viele sicherlich weit aus fitter als wir. Was das „Klassenbewusstsein“ angeht, haben wir also noch einiges zu lernen. Gleichzeitig bleibt die Frage unbeantwortet, ob Ver.di wirklich die Organisation ist, um „die Welt aus den Angeln zu heben“. Ergibt es Sinn hier viele Jahre Basisarbeit zu machen, die sich gegen die Funktionär:innenriege eine Hierarchiestufe weiter oben behaupten muss? Oder sollen wir Mitgliedsbeiträge und Energie lieber in eigene Kampagnen und Gruppen stecken? Oder braucht es vielleicht etwas ganz anderes? Wie soll eine linksradikale Klassenpolitik in der Coronakrise aussehen?
Nachtrag: Mittlerweile gibt es einen Abschluss (https://unverzichtbar.verdi.de/++co++cf0bc3e8-16c0-11eb-bcc3-001a4a16012a) zwischen der VKA und der Ver.di-Spitze, der als Erfolg seitens der Gewerkschaft gefeiert wird.
Wenn ihr wollt, schreibt uns gern eure eigene Meinung.
Einzelpersonen der Kampagne „Nicht auf unseren Schultern!“ (NAUS)
* Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre und Trans* Personen