Das Problem heißt Kulturrelativismus

Regionen: 

bezugnehmend auf die Stellungnahme der ag5: "Komplexe Fragen, einfache Antworten?" (https://linksunten.indymedia.org/de/node/187380)

 

In Reaktion auf das Massaker in Orlando, bei dem ein sich zum IS bekennender Muslim 49 Personen ermordet und 53 weitere verletzt hatte, veröffentlichte das Kasseler Antifakollektiv „raccoons“den Text "Das Problem heißt Islam", in dem gefordert wird, die Ideologie des Täters in den Fokus politischer Analysen zu rücken. Wie nicht anders zu erwarten, löste diese Selbstverständlichkeit großes Unverständnis und Empörung innerhalb linker Gruppen aus, die wie üblich von einer Kritik des Islam nichts hören wollen, selbst dann nicht, wenn in dessen Namen dutzendfach Menschen ermordet werden. So verfasste die Marburger „ag5“ eine Stellungnahme, in der der Text als rassistisch denunziert und sich positiv auf eine weitere Stellungnahme der Gruppe „qrew“ aus Kassel bezogen wird, die dem ak:raccoons Verharmlosung von LGBT*IQ-Feindschaft in westlichen Gesellschaften vorwirft.

 

Diese Verweigerungshaltung, sich ernsthaft mit Argumenten auseinanderzusetzen, ist symptomatisch für einen linken Abwehrreflex, der immer dann auftritt, wenn eine Kritik des Islam durch neue Gewalttaten sich aufdrängt. Dessen Ausgangspunkt bildet das linke Selbstverständnis, sich in Totalopposition zur herrschenden Gesellschaftsordnung zu verorten und jedevon dieser ausgehende Unterdrückung gleichermaßen zu bekämpfen. Dass dazu auch religiöser Fundamentalismus in all seinen Erscheinungsformen gehört, weiß auch die ag5 und dennoch wird dieser Anspruch nicht nur aufgegeben, sobald es um den Islam geht, Bemühungen eine solche Kritik zu formulieren werden pauschal als rassistisch abgewehrt und zu verunmöglichen versucht. Dies scheintdarin begründet, dass solche Linken – in Ermangelung eines kritischen Begriffes von Rassismus – dem rassistischen Weltbild ein anti-rassistisches entgegensetzen, das dessen Kategorien nicht durchschaut sondern bloß umkehrt und dadurch indirekt reproduziert. Der Islam wird nicht als eine den Muslim_innen äußerliche Ideologie begriffen, die wie jede Ideologie Herrschaftsmechanismen verschleiert, sondern als naturhafte Eigenschaft, der nicht mit Kritik sondern mit Respekt und Toleranz zu begegnen sei. Diese Naturalisierung ist die Grundlage der Vorstellung, Islamkritik sei das gleiche wie antimuslimischer Rassismus. Insofern ist der Abwehrreflex zu verstehen als ein Versuch, das eigene kulturrassistische Weltbild gegen Kritik zu immunisieren, die auf eine Überwindung von religiösen, kulturellen und ethnischen Zwangskollektiven zugunsten einer befreiten Gesellschaft abzielt, um im Gegenzug eben jenen Kritiker_innen Rassismus zu unterstellen. Dass dieser Prozess größtenteils nicht bewusst abläuft, schlägt sich auch auf die Argumentation derKulturrelativist_innen nieder, deren offenkundige  Widersprüchlichkeit kaum anders als durch unbewusste Projektionsleistungen zu erklären ist.

 

Durch die gesamte Stellungnahme der ag5 zieht sich der Vorwurf des antimuslimischen Rassismus, der gleich zu Beginn explizit gemacht wird, als der Text des ak:raccoons mit einem „AfD-Pamphlet“ verglichen wird. Damit einher geht der reflexhafte Versuch, "den Islam" aufgrund seiner Heterogenität als begriffliche Form nicht anzuerkennen. Diese Begriffsfeindlichkeit führt jedoch zur Verweigerung einer umfassenden Gesellschaftsanalyse auf universalistischer Grundlage. Dass mit "dem Islam" nichts anderes gemeint ist, als das messbare Erscheinen dessen, wie er heutzutage von dessen Anhänger_innen praktiziert wird, wird nicht anerkannt, sich jedoch im gleichen Atemzug auf "das Patriarchat" berufen.

Auch der Vorwurf der ag5, dem ak:raccoons würde "ein differenzierte[r] Blick auf das Spannungsfeld „Islam – politischer Islam – Islamismus“ fehlen, wird dadurch konterkariert, dass sie selbst diese drei Begriffe munter durcheinanderwerfen, ohne dabei eine Unterscheidung vorzunehmen.

Den Gipfel des Zynismus bildet der zur Verteidigung des Islam herangezogene Hinweis, dass es auch "innerhalb der Islamischen Republik Iran politisch aktive LGBT*IQ-Communitys gibt, die u.a. auch durch muslimische Selbstverständnisse geprägt werden." Im theokratisch regierten Iran werden LGBT*IQ zu hunderten im Namen des Islam zum Tode verurteilt und öffentlich an Baukränen aufgehängt. Dass die dort lebenden Betroffenen sich zusammenschließen um dagegen politisch vorzugehen, spricht nicht für den Islam, sondern gegen ihn. Und dass sich einige dieser Gruppen positiv auf die Religion, die das integrative Moment aller Vergesellschaftung im Iran bildet, beziehen, ist angesichts der Repressionen, denen sich "Ungläubige" ausgesetzt sehen, wenigverwunderlich. Solidarität mit LGBT*IQ im Iran und überall auf der Welt ist notwendig, eine kommunistische Kritik der Religion und die Forderung nach deren Überwindung ist davon integraler Bestandteil und kann nicht deshalb aufgegeben werden, weil es auch Betroffene gibt, die den religiösen Wahn selbst noch teilen.

 

Der Anspruch der ag5, "sich gegen jede gesellschaftliche Unterdrückungsstruktur, also u.a. gegen Rassismus, Kulturchauvinismus, Patriarchat, Homo- und Trans*feindlichkeit sowie antiemanzipatorische religiöse Einstellungen und Menschenfeindlichkeit" zu stellen, fungiert als bloße Schutzbehauptung, da im konkreten Fall eines islamistischen Attentats diese antiemanzipatorischen religiösen Einstellungen in aller Deutlichkeit und Schärfe kritisiert werden müssten, um überhaupt eine ernstzunehmende Kritik zu sein, die nicht alle Unterdrückungsstrukturen völlig abstrakt und damit indifferent, beliebig und letztlich austauschbar in eins setzt. Niemand käme auf die Idee im Falle eines Naziübergriffes die faschistische Ideologie der Täter_innen nicht ins Zentrum der Analyse der Tat zu stellen. Dass dies nach einem islamistischen Anschlag ebenso notwendig ist, um den Gehalt der Tat zu begreifen, kann nur verkennen, wer den Islam – eine Religion – als naturhafte Eigenschaft eines kulturfremden Täters begreift und nicht als eine von vielen Ideologien, die der Befreiung aller Menschen im Wege steht. Hier tritt ganz offensichtlich die kulturrelativistische und zugleich -rassistische Projektion linker Gesinnung zutage. Im Gegensatz dazu gilt es, einen universalistischen Anspruch auf Menschenrechte, die durch islamistischen Terror täglich und zunehmend der Barbarei[1] überantwortet werden, zu erheben und zu verteidigen.

Dass Homo- und Trans*feindlichkeit in der deutschen Mehrheitsgesellschaft wie überall auf der Welt existieren, wird weder von uns noch vom ak:raccoons geleugnet, ebenso wenig wie die Notwendigkeit diese zu bekämpfen.

 

Eine materialistische, dem universalistischen Anspruch verpflichtete Religionskritik muss die vielzitiert-geforderte Reflexion des Standpunktes nicht auf der Grundlage naturalisierender Merkmale anstellen, sondern ihre objektiven gesellschaftlichen Bedingungen in den Blick nehmen: Es besteht ein realer Unterschied zwischen  bürgerlichen Gesellschaften im aufklärerisch-westlichen Sinne, die, bei aller ihr inhärenten Regression[2], ein Mindestmaß an individueller Freiheit gewähren, und Gesellschaften, in denen die Menschen unmittelbar religiösen Moral- und Herrschaftsformen unterworfen sind. Dies anzuerkennen ist keine "Glorifizierung" des Westens, ganz im Gegenteil: Die Nichtbeachtung dieses sich real gesellschaftlich konstituierenden Unterschieds ist das eigentliche “In-den-Rücken-fallen”: den progressiven Strömungen in islamischen Gesellschaften, den LGBT*IQ im Iran, kurz: allen, denen der (selbstverständlich immer mehr zur Farce verkommende) Genuss bürgerlicher Freiheit verwehrt bleibt.

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Alex Gruber: „Vernichtung als Bazar der Kulturen. Zur Aktualität des Antirassismus“

(http://www.prodomo-online.org/ausgabe-14/archiv/artikel/n/vernichtung-als-bazar-der-kulturen.html)

 

Gruppe Morgenthau: „Die Nacht der Vernunft. Zur Sozialpsychologie des islamisierten Subjekts“

(http://www.prodomo-online.org/ausgabe-14/archiv/artikel/n/die-nacht-der-vernunft.html)

 

Christian Knoop und Thomas von der Osten-Sacken: „Zur Psychopathologie des Islamisten“

(http://www.wadinet.de/analyse/iraq/psychopathologiedesislamisten.htm)

[1]           Nicht nur für die furchtbaren Verbrechen des IS, auch vor dem Hintergrund des grassierenden Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften – angeführt vom Iran, der fleißig an der Atombombe bastelt und Israel offen und unverblümt mit der Vernichtung droht – ist diese Formulierung durchaus angebracht, gerade mit Blick auf den von Adorno formulierten Kategorischen Imperativ, „Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe.“

[2]             So reproduzieren ihre Mitglieder notwendig Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Homo- und Trans*feindlichkeit etc.

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen