Antideutsche, Israel und andere deutsche Tugenden

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Zum Thema Antideutsche als Antwort auf einen zutiefst schlechten, auf Emrawi gefundenen, Text.

{{01. Einführung.}} Innerhalb der linken und emanzipatorischen Bewegungen stellen sich immer wieder grundlegende Fragen: Zentralrat oder Selbstverwaltung? Massen­bewegung oder Avantgarde? Reicht es für politische Arbeit Ketamin zu nehmen oder muss ich mir dafür auch selber einen Mullet schneiden? Zwischen den verschiedenen wichtigen Fragen die Diskurse bestimmen gibt es eine Frage die immer wieder auf­taucht obwohl sie genau so sinnlos wie dumm ist: Eine überflüssige Positionierungs­frage zum Nahostkonflikt.
In den verschiedensten kruden Instagram-Posts und möchtegern-professionellen Ab­handlungen wird von einer verblendeten Minderheit darüber sinniert warum ein au­toritär-nationalistisch-religiöser Staat integraler Bestandteil einer positiv besetzten linken Position sein sollte.
Erschreckenderweise beobachten wir, dass es immer weniger Widerspruch gegen An­tideutsche Phantasien gibt – wir denken, dass es unter anderem daran liegt, dass viele junge Leute leider gar nicht richtig wissen was es damit auf sich hat – zu gering ist in den letzten Jahren der Austausch außerhalb des deutschsprachigen Raumes bei dem das reine Phänomen “Antideutsche” eine Reaktion irgendwo zwischen ungläubigem Lachkrampf und absolutem Entsetzen auslöst.
Es ist nicht unser Ziel in diesem Text eine abschließende Ausführung über An­tideutsche Politik oder Standpunkte zu vollenden, noch eine punktgenaue Auseinan­dersetzung zu führen (warum wir das sinnlos finden wird in Punkt 03. ausgeführt). In diesem Sinne kann der Text an gewissen Stellen durchaus auch als die Polemik ver­standen werden wie die Texte des sogennanten “kollektiv_negativ” anscheinend ja auch gemeint sind.

{{02. Was sind Antideutsche?}} Zu genau auf diese Frage einzugehen ist fast schon schade, da sich ja viele Antideutsche nichtmal selbst wirklich damit auseinanderge­setzt haben. Historisch versuchten Antideutsche eher  unüberlegt das politische Bild des zweiten Weltkriegs 1:1 auf ihre Verhältnisse zu übertragen und stellten damit eine nicht ernstzunehmende Position dar. Gegen Ende der 1990er bzw Anfang der 2000er entwickelten sich zwei etwas bedeutsamere Ideen aus rätekommunistischen (ISF) bzw. maoistischen (Bahamas) Ansätzen. Erstens die Gruppe ISF aus Freiburg die grob argu­mentierte, dass der Holocaust und in der Folge die Staatsgründung Israels die Speer­spitze des Kommunismus sei und etwas später aus dem Bahamas-Umfeld beinflusst vom 11. September 2001 die Idee, dass auch wenn die liberale-kapitalistische Gesellschaft nicht notwendigerweise gut ist, diese doch gegen den “globalen Islam­faschismus”[1] verteidigt werden müsse. Aus diesen Diskussionen entwickelte sich eine inkonsistente Mischung aus Positionen die sich aus einem Berufen auf “Leeren aus dem Holocaust”, der Kritischen bzw. Frankfurter Schule und einer unbedingten Israel­solidarität bzw. damit einhergehend auch größtenteils USA-Solidarität zusammensetzt. Der Begriff Antideutsche beruft sich dabei wahlweise auf die Ablehnung gegenüber des “deutschen”[2] oder (mittlerweile eher selten) auf eine teilweise von den selben Leuten getragene Position gegen die Wiedervereinigung Deutschlands. Als Gegenposi­tion gegen Antideutsche Ideen stehen hunderte Jahre kommunistischer Ideen und vor allem hunderte Jahre anarchistische Ideen die zum Beispiel gemeinsam haben, dass autoritäre Staaten meistens nur so semi-geil sind[3].

{{03. Moralischer Absolutismus.}} Warum macht es jetzt (wie schon oben erwähnt) un­serer Meinung nach so wenig Sinn genaue Ausführungen und Diskussionen einzu­fordern oder führen zu wollen? Natürlich könnte man sich auf die Unverhältnis­mäßigkeit bei Todesopfern und Verletzten berufen. Natürlich könnte man sich auf die Kriegsverbrechen die Israel begeht berufen. Natürlich könnte man sich auf das mas­sive Kräfteungleichgewicht berufen und so weiter. Allerdings prallen diese Argumente an den Antideutschen ab. Nein keine Diskussion! Sie argumentieren ganz im Sinne eines moralischen Absolutismus. Jede Handlung wird in gut oder schlecht Anhand eines bestimmten Maßstabes unterteilt und unabhängig von Situation, Motivation, Um­ständen oder sonstigen Handlungen ist die Handlung nur richtig wenn sie diesem Maßstab entspricht. Dieser Maßstab ist natürlich eine verschwommene und meist von irgendwelchen katholisch erzogenen Bonzen-Kindern ersonnene Vorstellung von Anti­semitismus.
Für die aufmerksamen Leser*innen stellen sich jetzt natürlich viele Fragen wie zum Beispiel: Wie vertragen sich eine deontologische Moralauffassung mit linken Positio­nen? (tun sie nicht) Ist es nicht ein moralischer Trugschluss eine Position auf einer gegen-/anti-Position zu begründen? (Ja) Ist es nicht erst recht ein moralischer Trugschluss eine Position auf einer gegen-/anti - gegen-/anti-Position zu begründen? (JA) Ist es nicht Eurozentristisch wenn vor allem Bio-Deutsche das vertreten und ausfor­muliert haben in einer Sichtweise die so wohl nur aus dem europäischen Gedankengut stammen kann? (Ja) Ist es nicht merkwürdig dass diese Ideen nur im deutschsprachigen Raum Anstoß finden? (N/a[4]).
Verbunden wird das natürlich mit einem fleißigen Fingerzeigen auf alles andere (eine wundervolle und sinnlose Auflistung davon liefert der Text “Zwischen Halbwahrheiten und Projektionen: Die Migrantifa Wien und der jüdische Staat” des schon genannten “kollektiv_negativ”). Wohl kaum bei einer Argumentation ist das so gut zu beobachten wie bei Queerfeindlichkeit. Es ist doch offensichtlich: Leute in Palästina sind queer­feindlich und das ist schlecht weil es ist aus dem Islam motiviert – Israel ist queer­feindlich und das ist gut weil es ist aus dem Judentum motiviert.
Ist es unsere Absicht innerhalb dieses vorgegebenen moralischen Absolutismus zu ar­gumentieren? Nein, er schließt Kritik ja schon kategorisch aus. In diesem Sinne macht das diskutieren mit diesen Leuten keinen Sinn. Sie wollen es gar nicht. Sie wollen ihre Position bedingungslos durchsetzen. Wie viele Leute dafür niedergebombt werden ist nebensächlich den es geschieht in ihrem Maßstab der Bekämpfung von Anti­semitismus. Und jede Handlung ist gerechtfertigt wenn sie dem entspricht.

{{04. Ursprünge des Zionismus.}} Dieser absolutischte Maßstab Antisemitismus wird im nächsten Schritt auch gleichgesetzt mit einem Antizionismus und dieser wird gle­ichgesetzt mit einer Anti-Israel Position und dieser wird gleichgesetzt mit einer Anti-jüdischen Position. Dass jeder einzelne dieser Schritte nicht zutrifft ist für jede Person erkenntlich die sich mit einer dieser Ideen auseinandergesetzt hat. Das eine Kritik am Staat Israel (vor allem als religiösen-nationalistisch-autoritären Staat) nicht gleich eine Anti-Jüdische Position ist muss notwendig sein um überhaupt noch einen Diskurs zu er­lauben und ist es auch weil es ein falscher Trugschluss ist das Judentum mit dem poli­tischen Staat Israel gleichzusetzen. Auch Antizionismus mit Anti-Jüdisch gleichzuset­zen ist auf mehreren Ebenen problematisch. Zum einen wird hiermit implizit eine christlich fundamentalistische Position vertreten (in diesem Fall sogar wirklich eine an­tisemitische [5]), sondern auch der Rückschluss Zionismus=Judentum oder zumindest pro-jüdisch würde problematische Argumentationen ermöglichen und in jedem Fall einen großten Teil der vielfältigen jüdischen Geschichte und Kultur auslöschen.
Zionismus ist dabei ein weiter Begriff und durchaus nicht eindeutig definierbar. In diesem Sinne gibt es auch unzählige Interpretationen von Zionismus. Allerdings eine spezifische Form von Zionismus implizit gleichzusetzen mit eine Position die alle Jüd*innen miteinander vereint und sogar weitergehend einer Position die so implizit im jüdischen verbunden ist, dass jeder Antisemitismus daran bemessen werden kann ist...sagen wir mal...wie würden es die Antideutschen nennen...antisemitisch (nur sehr viel komplexer ausgedrückt).
Dass von Hetzern und Nazis und auch von vielen Staaten Zion mit jüdisch gleichge­setzt wird und versucht wird so bestimmte Verbote zu umgehen und Judenhass so im­plizit ausdrücken zu können stimmt – das wird ja auch nicht bestritten. Aber ihr An­tideutschen zieht aus der falschen Schlußfolgerung der Nazis die noch falscher Schluß­folgerung, dass ihr ihnen implizit zustimmt. Um Hetze gegen Minderheiten zu verhin­dern wäre zum Beispiel eine geschlossene Position gut. Oder zumindest, dass eure Kri­tik die trifft die damit gemeint sind. Aber ihr kämpft gegen Windmühlen während ihr die wahren Gefahren an euch vorbeiziehen lasst. Noch viel schlimmer ihr argumentiert genau wie sie und ihr verharmlost damit jeden gerechtfertigten Verdacht auf Anti­semitismus und spielt damit auch noch denen in die Hände die ihr vermeintlich zu bekämpfen versucht. Wenn sich eure Statements nicht mehr von den Nehammers und Kickels dieser Welt unterscheiden lassen, dann wäre es Zeit diese zumindest zu hinter­fragen.
Ach ja und warum man auf jeden Fall gegen Israel sein kann und eigentlich sogar sein muss – so wie gegen jeden anderen Staat, das habt ihr ja selbst schon so gut zusam­mengefasst: “Was die Staatsgründung Israels angeht, so wurde dort im Zeitraffer einer Generation sichtbar, worauf auch alle anderen Nationalstaaten gründen: Auf Gewalt, Homogenisierung und Vertreibung”[6][7] In diesem Sinne stehen wir auch weiterhin ein für den Niedergang aller Staaten lieber gestern als heute – und ja das heißt auch Is­rael.

{{05. Islamophobie und andere deutsche Tugenden.}} Antideutsche zeichnen sich besonders durch ihre unglaublich schlechte Diskussionskultur aus. Alles was nicht ihrer Meinung entspricht ist gleich antisemitisch und eine Position der Hamas. Ursprünglich wollten wir auf eure Texte genauer eingehen und die Argumente analysiern. Allerdings ist es außerst langweilig einen Text zu lesen der fünf Seiten lang nur ist. “Nein, wir sind nicht die Hamas wie kommt ihr darauf?” um als Antwort zu bekommen “Doch”. Mit trotzigen Kleinkindern diskutiert man keine tieferliegenden politischen Fragen und mit zugespeckten Antideutschen die genau auf diesem Level argumentieren genau so wenig. Wir könnten uns auch ewig über Mediendarstellungen streiten nur welchen Sinn würde es haben außer euch Spielraum zu geben wie gut ihr mit eurem Publizistik-Wis­sen trumpfen könnt mimimi irgendwas mit trotz Auschwitz und kritischer Theorie.[8]
Plötzlich können antideutsche Kämpfe in der islamischen Welt wahrnehmen (Kämpfe in die Antiimps und Anarchist*innen schon lange auch aktiv verstrickt sind) und kri­tisieren aus dem nichts warum diese denn keine Aufmerksamkeit bekommen – von ihren eigenen Fehlern auf andere zu schließen ist eine schwache Tugend. Sind sie doch die Ersten die schweigen. Sind sie doch die, die auf einer Hanau Gedenkundgebung angefangen haben Trauernde verprügeln zu wollen um ihren glorreichen “Kampf gegen den Antisemitismus” fortzusetzen.
Das alles und so viel mehr sind die deutschen Tugenden der Antideutschen.

{{07. Waffenlobby oder Antimilitarismus.}} Natürlich kann die anarchistische Position hier leicht Stellung beziehen – aber auch für alle anderen ist es eigentlich gar nicht so schwer. Wir alle wissen wer im Krieg gewinnen wird – wer jeden Krieg bisher gewonnen hat. Wir können uns im Sinne der Staatsinteressen auf Seiten schlagen und ihr Spiel mitspielen – oder wir erinnern und an unsere Ursprünge und wissen wer wirklich gegeneinander kämpft. Lassen wir uns einfach weiter verbrennen für irgendwelche Staaten oder solidarisieren wir uns und kämpfen wir mit den Unterdrückten? Aktuell wirkt es recht klar wie die Antwort lautet:{
Krieg bedeutet Frieden.
Freiheit ist Sklaverei.
Unwissenheit ist Stärke.}[9]

[1] Justus Wertmüller
[2] Auf die merkwürdige Konnotation ein “Wir-gegen-Die” denken, dass als “deutsch” kritisiert wird mit einem “Wir-gegen-Die” nur jetzt eben gute Deutsche die verstanden haben das Deutsche nicht gut sind gegen schlechte Deutsche die nicht verstanden haben dass Deutsche nicht gut sind zu ersetzen wissen wir leider auch keine logische Antwort – würden uns aber sehr über eine kurze Abhandlung bzw. Erklärung freuen.
[3] Und gezielter nochmal eine Antiimperialistische Strömung die aber laut “kollektiv_negativ” empirisch widerlegt wurde ohne weiter Belege als diese Aussage zu bringen – würden uns aber sehr über eine kurze Abhandlung bzw. Erklärung freuen.
[4] Die logische Antwort würde bestimmt wieder als antisemitisch abgetan werden
[5] Die große Unterstützung die viele jüdische Personen auch schon vor dem Holocaust von christlichen und bürgerlichen Organisationen für die Gründung eines exklusiv jüdischen Staates erfahren haben war meistens darauf begründet “die Judenfrage in Europa endgültig zu lösen”. Die gütigere Interpretation (z.B. nach Herzl) ist hiermit die Erlösung der Jüd*innen mittels einer völkerrechtlichen Absicherung – allerdings war das Gebiet in Palästina gar nicht so wichtig: egal wo war recht, speziell Ostafrika oder auch Südamerika hätten ausgezeichnet gepasst) – die gleichzeitig laufende Argumentation war Europa von der “Plage der Juden” befreien zu können – also Hauptsache ein eigener Staat, Hauptsache nicht in Europa.
[6] kollektiv_negativ “Zwischen Halbwahrheiten und Projektionen: Die Migrantifa Wien und der jüdische Staat”, veröffentlicht am 04.11.2023 via emrawi
[7] Darüber hinaus beruft sich die Definition eines Staates übrigens auch auf ein klar abgegrenztes Staatsterritorium – etwas das Israel noch nie hatte.
[8] Die Doppelmoral der Argumentationsweise ist durchaus bewusst und soll ein realistisches Spiegelbild der Auseinandersetzung mit diesen Texten darstellen.
[9] George Orwell, 1984

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Ergänzungen

antizionismus meint eine politische haltung, nach der es den israelischen staat nicht geben darf. was passiert denn mit der dortigen bevölkerung, wenn die islamistischen milizen zusammen mit der leninistischen PFLP, unterstützt und ausgebildet von iran, türkei und katar die israelische armee besiegen und dort ein "palestinensisches" terrorregime errichten?

nach obiger definition sind  die meisten deutschen antideutsch, da sie weder israel vernichten wollen noch lust auf eine neue "DDR" haben.