Wissenswertes über Erlangen – zum 40. Jahrestag des Attentats auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke. Oder: Wieso wir heute die Lorleberg-Denkmäler angegriffen haben.
Erlangen ist nicht nur Universitäts- und Siemensstadt, sondern auch die Stadt mit dem zweithöchsten Bruttoeinkommen pro Kopf in der BRD. Erlangen ist bürgerlich, beschaulich und aufgeräumt. Im Jahr 1982 widmete die Band „Foyer des Arts“ der Stadt das Lied „Wissenswertes über Erlangen“.1 Es gibt Dinge, die man in Erlangen für wissenswert hält, und andere, die man lieber unter den Teppich kehrt. Zu Letzteren gehören die Nazi-Vergangenheit und die Nazi-Gegenwart der Stadt.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, im März 1945, wurde auf Weisung Hitlers der Offizier Werner Lorleberg als Kampfkommandant und damit als oberster militärischer Befehlshaber der Stadt Erlangen eingesetzt. Als treuer Nazi sah sich Lorleberg seiner Aufgabe so sehr verpflichtet, dass er sich bist fast zuletzt weigerte, die Stadt kampflos den amerikanischen Truppen zu übergeben und dadurch womöglich Zivilist*innen vor dem Tod zu bewahren. Für ihn stand „die Verteidigung eines jeden Meters deutschen Bodens“ an erster Stelle, und zwar „bis zum letzten Ziegelstein und bis zum letzten Schuss“.2 Als die Alliierten jedoch bereits in das Randgebiet der Stadt vorgedrungen waren, ließ er sich vom damaligen Bürgermeister zu einer Kapitulation überreden. Und das hält man in Erlangen für äußerst wissenswert.
Dem „Bewahrer“ und „Retter“3 der Stadt wurde ein Denkmal am Ort seines Todes gebaut, man bestattete ihn auf dem Ehrenfriedhof und benannte noch 1945 einen Platz in der Erlanger Innenstadt zum „Lorlebergplatz“ um. Alle Jahre wieder erweisen ihm hochrangige Politiker*innen die Ehre und gedenken seiner mit Blumenkränzen und rührseligen Reden.4 Dass er bis zu seinem Tod hochrangiger Nazi und Profiteur eines antisemitischen, rassistischen, zutiefst menschenverachtenden Systems war, wird dabei gerne übergangen. Die Erlanger*innen halten viel auf ihren Lieblings-Nazi: mit dem „Lorleberg“ und dem „Lorlebäck“ wurden gleich zwei Cafés nach ihm benannt.
Während man also in Erlangen das Nazi-Gedenken hochhält, wird derer kaum gedacht, die sich ein Leben lang gegen Antisemitismus und Nazismus einsetzten.
Der Erlanger Rabbiner Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke engagierten sich für den jüdisch-christlichen Dialog, unter anderem in der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Franken“ und im „Antifaschistischen Aktionsbündnis Nürnberg“. Im Jahr 1980 wurden die beiden von der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ aus antisemitischen Motiven ermordet. Während Lewin schon frühzeitig vor der Organisation gewarnt hatte, war die Gefahr, die von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ ausging, immer wieder von der bayerischen Landesregierung unter Franz-Josef Strauß relativiert worden.
Nach dem Doppelmord wurde in der Öffentlichkeit vor allem die Integrität der beiden Opfer infrage gestellt und ein Täter aus ihrem eigenen sozialen Umfeld, insbesondere der jüdischen Gemeinde, vermutet. Es fand somit eine Täter-Opfer-Umkehr statt, wie sie später auch die Familien der NSU-Mordopfer erfahren mussten, und wie sie in der BRD scheinbar Tradition hat.5 Und noch eines haben die NSU-Morde und der Mord an Lewin und Poeschke gemeinsam: Von staatlicher Seite wurde und wird standhaft eine Einzeltäterthese postuliert, die vor dem Hintergrund alter und neuer Untersuchungsergebnisse nie haltbar war. Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ agierte sowohl beim Oktoberfestattentat als auch beim Doppelmord an Poeschke und Lewin als Netzwerk, in das auch V-Leute verstrickt waren.
Doch davon will man in Erlangen lieber nichts wissen. Zwar wuchs Joachim Hermann als direkter Nachbar von Lewin und Poeschke auf,6 aber ein kritisches Gedenken der Tat steht nicht auf der Agenda der CSU. Bisher konnte sich der Stadtrat lediglich dazu durchringen, ein kleines Schild zur Erinnerung an das Paar am „Bürgermeistersteg“ anzubringen (und das auch erst 2010). Einzig antifaschistische Zusammenschlüsse bemühen sich in Erlangen um eine kritische Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat und um eine politische Gedenkpraxis.7
In Erlangen, das wussten schon Foyer des Arts, „steh`n Vergangenheit und Gegenwart dicht beieinander“. Nazis vorgestern, Nazis gestern, Nazis heute. Vor einigen Monaten wurden bei einem Mitglied der Erlanger Burschenschaft „Frankonia“ mehrere Waffen gefunden. Der Student hatte außerdem über einen längeren Zeitraum historische Nazi-Utensilienim Internet verkauft und auf seinem Instagram-Kanal rechte Symbole veröffentlicht.8 Obwohl die starken personellen und weltanschaulichen Überschneidungen der „Frankonia“ mit der rechtsextremen Szene immer schon bekannt sind, warb die Universität Erlangen noch vor einigen Jahren auf ihrer Homepage mit einem Link für die Burschenschaft.9 Nach wie vor werden in Erlangen Traditionslinien rechten Terrors verschleiert und die Gefahren rechter Netzwerke bewusst relativiert.
Heute ist der 40. Jahrestag des Attentats auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke. Als Opfer rechter Gewalt werden die beiden unsichtbar gemacht, während man den Nazi Lorleberg feiert.
Daher haben wir den Jahrestag zum Anlass genommen, das Grab von Lorleberg auf dem Ehrenfriedhof und das Denkmal an der Thalermühle mit Farbe zu markieren. Bewusst haben wir den Zeitraum gewählt, in dem die „Initiative kritisches Gedenken“ eine Kundgebung und Demonstration zum Jahrestag durchführte. Wir wollen aufmerksam machen auf die große Diskrepanz im Gedenken an Erlanger Persönlichkeiten und den ignoranten Umgang der Stadt mit ihrer Geschichte.
Keine Denkmäler für Nazis!
Keine Burschenschaften!
Keine CSU!
Für ein kritisches Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke!
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1https://www.youtube.com/watch?v=tQh8nY8lvxY
2https://www.nordbayern.de/region/erlangen/vor-65-jahren-war-erlangens-sc...
3https://www.br.de/nachrichten/bayern/vor-75-jahren-werner-lorleberg-rett...
4https://www.balleis.de/fileadmin/user_upload/Reden/Gedenken_65_Jahre_Kri...
5https://taz.de/Mord-an-Shlomo-Lewin-und-Frida-Poeschke/!5739506/
6https://www.youtube.com/watch?v=qopRjg783no
7https://kritischesgedenken.de/?page_id=28
8https://www.br.de/nachrichten/bayern/erlanger-student-wegen-verbotener-n...
9https://www.nordbayern.de/region/erlangen/erlanger-stadtrat-uni-soll-lin...
Ergänzungen
Recherche
Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke:„Eine Erledigungsmentalität“
19. Dezember 1980: In Erlangen werden zwei Menschen erschossen. Der Journalist Ulrich Chaussy recherchiert zu der antisemitischen Tat, die bis heute unaufgeklärt ist.
https://taz.de/Mord-an-Shlomo-Lewin-und-Frida-Poeschke/!5739506/
Vermutlich der hier beschriebene Vorfall?!
"Am Ehrenfriedhof besprühten die Täter mehrere Denkmäler (u.a. Ehrenmal zum Gedenken an die Verstorbenen des Ersten Weltkriegs) mit roter Farbe. Die mutmaßlich gleichen Täter beschmierten außerdem das Lorlebergdenkmal an der Thalermühlstraße mit schwarzer Farbe. Der hierdurch entstandene Sachschaden wird auf über 10.000 Euro beziffert.
Die Kriminalpolizei Erlangen hat die Ermittlungen nach den unbekannten Tätern aufgenommen. Zeugen, die im Bereich der Denkmäler verdächtige Personen oder Fahrzeuge wahrgenommen haben, werden gebeten, sich unter der Rufnummer XXX-XXXXXX mit der Polizei in Verbindung zu setzen."
weitere Information zum erwähnten Nazis der "Frankonia"
https://de.indymedia.org/node/127369
"21-jähriger Neo-Nazi aus der Burschenschaft Frankonia wegen Waffenbesitz zu Bewährung verurteilt"