Neue Arbeitsrechts-„Reform“ - Frankreich bleibt wach(sam)
Aus Teil 13 der regelmäßigen Berichte über die sozialen Kämpfe zur Abwehr des neuen Arbeitsrechts von Bernard Schmid direkt aus Frankreich
… Aber kommen wir auf die Platzbesetzungen näher zu sprechen.
Auf dem verkehrsberuhigten Platz sitzen sie in einem weiten Kreis. Abgestimmt wird mit Handzeichen. Wenn die Mikrophonanlage ausfällt, rufen sie sich in Wellen von innen nach außen zu, was soeben gesagt wurde. Seit Dienstag Abend (05. April) funktioniert jedoch das Mikrophon, das an einen Stromgenerator angeschlossen ist, dauerhaft. Um die Vollversammlung herum stehen weitere Hunderte von Menschen und diskutieren in kleinen Gruppen. Auch miese Witterungsbedingungen wie am Mittwoch (06. April) können dem Erfolg der Besetzung nichts mehr anhaben, während die Beteiligung eher anwächst als sinkt.
Sicherlich, Lernprozesse sind schwierig, und es kommen bisweilen auch seltsame Figuren oder Menschen mit schrulligen Anliegen nach vorne und ergreifen das Mikrophon. Betrunkene, Profilneurotiker, Verwirrte und Andere, die mitunter konfuses Zeugs von sich geben und die man in der Regel einfach ausreden lässt. Auch gibt es des Öfteren Redebeiträge, die darauf hinauslaufen, „nur keine Ideologie“ haben zu wollen („Die Parole ,Kampf den Reichen’ gehört einer vorgefertigten Ideologie an, man darf sich keinerlei Ideologie aufstülpen lassen“, faselte etwa eine Frau am Mittwoch), und bisweilen wird in warmen Worten die Republik beschworen. Am gestrigen Donnerstag (07. April) gab es zudem gleich mehrfach hintereinander Auftritte von – zum Teil tiefvermummten – militanten Veganerinnen und Veganern, die sich unter anderem dafür aussprechen, bedingungslos alle Tiere aus Ställen, Käfigen, Aquarien, Zoos und Zirkussen „freizulassen“. Nun möchte man sich nicht vorstellen, wie dann der arme Tiger verhungern muss und der arme Goldfisch auf dem Boden sein Ende findet. Aber manche Menschen haben eben ihre Privathobbys, mit denen sie die Menge agitieren müssen.
Der Mehrzahl der Anwesenden geht es jedoch um wesentlich ernstere Anliegen. Die convergence des luttes, also das Zusammengehen der Kämpfe in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, wird von vielen Rednerinnen und Redner am offenen Mikrophon immer wieder beschworen. Der linke Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon, einer der prominenten Köpfe in einer Bewegung, die keine Chefs haben möchte, beschwor die Versammelten am Sonntag (03. April), auf diverse andere soziale Milieus zuzugehen, um die Bewegung tunlichst zu verbreitern.
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So versammelten sich am Montag dieser Woche (04. April) rund 2.500 Menschen auf dem verkehrsberuhigten Platz. Doch in Hörweite demonstrierten afrikanische Oppositionelle aus der französischsprachigen Erdölrepublik Kongo-Brazzaville, die isoliert in einer Ecke des Platzes standen und durch Singen und Sprechchöre auf sich aufmerksam machten. Der dortige Präsident Denis Sassou Nguesso hatte im Oktober 2015 die Verfassung seines Landes ändern lassen, die ihm bis dahin eine erneute Kandidatur – nach 37 Jahren an der Macht mit nur vierjähriger Unterbrechung dazwischen – verbot, und sich am 20. März dieses Jahres formal hat wiederwählen lassen. Mobiltelefone, soziale Netzwerke und Internet sind seitdem in dem Land blockiert, dessen Oppositionskräfte von einer blutigen Farce sprechen. Unterdessen kommt es in Brazzaville zu Massenverhaftungen, bei den Protesten im Oktober 15 waren bereits allein 46 Menschen erschossen worden. ((Vgl. Ausführlich zur Situation in Kongo-Brazzaville: http://www.trend.infopartisan.net/trd0416/t310416.html ))
Nach circa einer Stunde forderte ein junger Afrikaner die Anwesenden bei der Vollversammlung dann jedoch dazu auf, ihre Ansprüche praktisch werden zu lassen und sich zu den Kongoles/inn/en zu begeben. Ihm wurde bedeutet, diese sollten doch lieber ihr Anliegen zur Vollversammlung bringen. Nachdem er insistierte, erhob sich tatsächlich ein Großteil der Anwesenden und ging auf die andere Seite des Platzes. Bei der nunmehr gemischten Versammlung wurden zunächst die internationale Rolle Frankreichs, seine Afrikapolitik und die Rolle multinationaler französischer Konzerne dort offensiv thematisiert. Frankreichs Präsident Hollande hatte angesichts einer Abstimmungsfarce, bei der sein Amtskollege Sassou Nguesso im Oktober 2015 seine Verfassungsmanipulation hatte absegnen lassen, dasu erklärt: „Der kongolesische Präsident hat das Recht, sein Volk zu befragen.“ Der französische Erdölkonzern TOTAL zählt zu dessen Hauptstützen. In den folgenden Stunden ging es dann wieder stärker um Gesetzesvorhaben in Frankreich, um Arbeitsleben, Ausbeutung und Prekarität.
Am Mittwoch Abend ersuchten dann auch Oppositionsaktivistinnen aus der, neben Kongo-Brazzaville liegenden, Erdölrepublik Gabun (die ebenfalls diktatorisch regiert und deren Regime ebenfalls durch Frankreich unterstützt wird) um das Wort.
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Auch in Brüssel gibt es inzwischen eine Nuit debout, die sich am Mittwoch, den 06. April erstmals versammelt hat (vgl. dazu auch ein Video aus der bürgerlichen Presse: http://www.lemonde.fr/societe/video/2016/04/07/la-nuit-debout-essaime-a-bruxelles_4897732_3224.html ). In der belgischen Hauptstadt geht es dabei auch um die Ablehnung des des Notstands, der seit den Attentaten vom 22. März 16 mit einem allgemeinen Demonstrationsverbot – auch für Trauerveranstaltungen – einherging ((auch wenn nunmehr am 17. April16 dort „gegen Terror und Hass“ demonstriert werden soll)). Bürgerrechtsengagements ist aus der Sicht der Initiator/inn/en jedoch eine weitaus bessere Antwort als Ausgangsverbote und „starker Staat“. Auch aus Amsterdam wird inzwischen der Wunsch, ein ähnliches Ereignis durchzuführen, vermeldet.
Mehr siehe: http://www.trend.infopartisan.net/trd0416/t330416.html