Höchste Zeit zu Handeln! Einschätzung und Vorschläge zum Umgang mit den Corona-Demos

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Seit einigen Wochen formiert sich, angetrieben vom Unmut über die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, in vielen Städten der Bundesrepublik eine neue politische Bewegung. Sie nennen sich „Hygiene-Demo“, „Widerstand2020“, „Corona-Rebellen“ oder „Querdenken“. Nicht alle Gruppen sind vernetzt oder beziehen sich aufeinander, dennoch teilen sie mehr als den diffusen Unmut. Es sind vor allem das von Abstiegsängsten geplagte Kleinbürgertum und (kulturell) abgehängte Teile der Unterschicht, die sich hier mit allerhand reaktionären politischen Randgruppen auf der Straße treffen.

Die Bewegung ist gerade alles andere als homogen. Unter den TeilnehmerInnen finden sich VertreterInnen aller möglichen Verschwörungstheorien. Neu sind diese Phänomene nicht. Von ImpfgegenerInnen, rechte EsoterikerInnen über christliche FundamentalistInnen, bis hin zur Reichsbürgerbewegung tummeln sie sich schon seit einigen Jahren am rechten Rand und konnten vom weltweiten Rechtsruck ebenfalls profitieren. Da sie sich in der Corona-Pandemie nun alle in ihren Theorien bestätigt sehen, wird ihre gänzliche Dimension sichtbar.

Neben ihnen auf der Straße findet sich aber auch ein großer Teil, der sich vorher kein bisschen politisch betätigt hat. Menschen aus dem abgehängten Kleinbürgertum, die durch den Lockdown von Abstieg bedroht sind oder bereits vor dem wirtschaftlichen Ruin stehen. Zu ihnen gesellen sich noch Angehörige der reichen Mittelschicht, die sich in ihrer Konsumfreiheit eingeschränkt sehen.
Den geringsten, aber medial am meisten hervorgehoben Teil stellen liberale GrundgesetzanbeterInnen und Personen da, die sich von der etablierten Politik nicht mehr vertreten fühlen und deshalb auf der Suche nach politischer Orientierung sind.

 Ihre zentrale Forderung lautet sämtliche Maßnahmen zum Infektionsschutz sofort zu beenden. Als Begründung dafür müssen wahlweise krude Verschwörungstheorien, das Grundgesetz, die Folgen für die Wirschtschaft oder die schlichte Behauptung, die Pandemie existiere überhaupt nicht, herhalten. Vielerorts wird die Forderung nach dem „zurück zur Normalität“ gebetsmühlenartig wiederholt. Wirklich belastbare Vorschläge zum Umgang mit der Pandemie gibt es nicht.

 Die Bewegung gegen die Corona-Einschränkungen versucht sich überparteilich zu geben, immer wieder wird betont man sei weder links noch rechts und es ginge lediglich um die Grundrechte. Alle sollten in dieser Situation zusammenstehen. Doch wer hinschaut erkennt schnell, dass sowohl inhaltlich als auch personell die politische Türe nach rechtsaußen sperrangelweit offen steht, während man von linken klassenkämpferischen Positionen oder auch nur einem Hauch Kapitalismuskritik nichts wissen will.

Diese Potential haben längst auch die verschiedenen Spektren der organisierten Rechten entdeckt. Je nach lokaler Stärke finden sich der „III. Weg“, die „AfD“, die „Identitäre Bewegung“ oder rechte Burschenschaftler auf den Demonstrationen wieder. Derzeit handeln sie allerdings weder einheitlich noch sind sie der bestimmende Teil der Bewegung.

Bei den „Corona-Demos“ trifft kleinbürgerlicher Individualismus auf die Interessen den Kapitals. Während die einen sich beim Tragen eines Mund-Nase-Schutzes zum Einkaufen in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt sehen, sehen andere durch die Wirtschaftskrise vor allem ihre Profite gefährdet. Schuld haben wahlweise Merkel, „dunkle Mächte“ oder die World Health Organization (WHO).

Trotz teilweiser absurd anmutender Argumentationsketten erhalten die Kundgebungen einen Zuspruch auch über die genannten Kreise hinaus. Es wäre in unserer Augen vermessen und falsch die Ansammlungen als einen Haufen Spinner abzutun und ihnen keine Beideutung bezumessen. Genauso falsch wäre es die Kundgebungen als klassisch rechte Veranstaltung zu behandeln und nach Schema F dagegen vorzugehen. Vielmehr bedarf es einer differenzierten Herangehensweise die an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzt.

Gerade zu Beginn sollte Recherche und Aufklärungsarbeit ein besonderer Augenmerk beigemessen werden. Wir müssen diese Veranstaltungen genau beobachten, die Teilnahme von bekannten Rechten dokumentieren, öffentlich thematisieren und den Schulterschluss politisch skandalisieren. Gleichzeitig erachten wir es als notwendige Aufgabe antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren. (Groß-) Veranstaltungen auf denen sich Nazis aus „Identitärer Bewegung“, „Blood & Honour“, Kameradschaften oder anderen Gruppen ungestört sammeln, können immer auch Ausgangspunkt von Übergriffen sein und eine reale Bedrohung darstellen. Nicht nur deswegen tut die antifaschistische Bewegung gut daran auf bewährte Methoden zurückzugreifen: Direkte Konfrontation und Einschüchterung haben schon immer einen Teil dazu beitragen, dass sich Rechte schwerer tun im öffentlichen Raum Fuß zu fassen.

Parallel gilt es für den kleinen Teil der TeilnehmerInnen an den Corona-Demos, die politische Orientierung zu suchen und potentiell auch für linke Themen ansprechbar sind, aber auch für andere Teile der Gesellschaft sichtbare Alternativen anzubieten. Schließlich ist nicht nur die Pandemie, sondern auch die Wirtschaftskrise real und das Krisenmanagement der Herrschenden nicht darauf ausgelegt im Sinne der Beschäftigten zu handeln. Die großen Unternehmen werden subventioniert, nicht die prekär beschäftigten Reinigungskräfte. Gerade deswegen ist es notwendig nicht bei der Arbeit gegen Rechts stehen zu bleiben, sondern auch als antifaschistische Bewegung unseren Teil zu linken Krisenantworten beizusteuern. Jetzt sind klare antikapitalistische Agitation und Praxis gefragt. Als Gegenpol zu den „Corona-Demos“ aber auch weit darüber hinaus. Erste Beispiele für linke Krisenmobilisierungen gibt es bereits in einigen Städten.

Welche Gefahren tatsächlich von der „Corona-Demo-Bewegung“ ausgehen werden, hängt sehr stark von ihrer weiteren Entwicklung ab. Vor allem die AfD versucht zunehmend in bekannter populistischer Manier auf den Zug aufzuspringen. Sie beteiligen sich teils offen, teils unerkannt an den Kundgebungen oder versuchen auch vereinzelt eigene zu organisieren. Während die RechtspopulistInnen zu Beginn der Corona-Krise noch vergeblich versuchten mit „Antichinesischem-Rassismus“ zu punkten und einen noch schnelleren Lockdown zu fordern, war es inmitten des gesellschaftlichen Stillstands ruhig um die Rechten geworden.
Die nun vollzogene politische 180-Grad-Drehung, also die Forderung nach der sofortigen Aufhebung aller Maßnahmen erscheint im ersten Moment zwar unlogisch, ist aber folgerichtig. Sie dient der AfD einerseits dazu in der aufkommenden politischen Bewegung Fuß zu fassen und sich andererseits als deren legitimer politischer Arm zu präsentieren und somit verlorenen Boden wieder gut zu machen. Die Forderungen nach einem Ende des Lockdowns erfüllen im Übrigen die Wünsche der Wirtschaft, die nur zu gerne ohne Rücksicht auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten weiter produzieren, transportieren und verkaufen wollen.

Sollte es der organisierten Rechten gelingen sich an die Spitze dieser Bewegung zu setzen, oder zumindest diese Bewegung soweit zu beeinflussen, um mit Blick auf die nächsten Wahlen Unterstützung zu erhalten, könnte dies zu einer weiteren Verschärfung des Rechtsrucks beitragen. Der AfD könnte es damit gelingen sich auch in wirtschaftlichen Fragestellungen als „Anwalt des kleinen Mannes“ zu inszenieren. So würden die RechtspopulistInnen in bekannter faschistischer Tradition zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: In der Krise die Klasse spalten und gleichzeitig den Interessen des Kapitals Vorschub leisten. Genau das zu verhindern erachten wir als die Aufgabe der antifaschistischen Bewegung.

Mai 2020

Antifaschistische Aktion Karlsruhe
Antifaschistische Aktion Südliche Weinstraße
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart
Antifaschistische Aktion [Aufbau] Tübingen
Antifaschistische Aktion [O] Villingen-Schwenningen
Antifaschistische Perspektive Ludwigsburg Rems-Murr
Antifaschistischer Aufbau München

 

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