Zaman-Redaktionsgebäude gestürmt
Die Politik Erdogans ist die einer schleichenden Hinwendung zu einer Autokratisierung der Türkei. Die Trennung zwischen Staat und Religion, das Vermächtnis des Staatsgründers Kemal Atatürk, aufzuweichen, scheint das übergeordnete Ziel seiner Regierung zu sein. Er entmachtete die durch die Verfassung bestimmten Wächter des Laizismus, die Armee, und entledigte sich symbolischer säkularer Werte, wie das Kopftuchverbot für Frauen in öffentlichen Ämtern und Räumen.
Erdogan baut seine Macht aus und lässt unliebsame Kritiker systematisch zum Schweigen bringen. Ein weiterer Schritt dazu passierte gestern Abend: Die türkische Polizei hat das Redaktionsgebäude der oppositionellen Zeitung „Zaman“ in Istanbul gestürmt. Gegen die protestierende Menge von Hunderten von Lesern, die sich seit dem Abend vor dem Haus versammelt hatte, sei die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen, berichtete die Zeitung in ihrer englischen Ausgabe online. Die Polizei hätte Überwachungskameras im Gebäude abgeschaltet, um Live-Bilder vom Einsatz zu verhindern. Die Mitarbeiter seien aufgefordert worden, das Haus zu verlassen.
Die Zeitung war am Freitag auf einen Gerichtsbeschluss hin unter die Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. „Diebe raus“, skandierten den Berichten zufolge die Mitarbeiter der Zeitung.
Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde zunächst nicht bekannt. „Zaman“ steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter Erdogans, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens „Hizmet“-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.
Amnesty International sieht einen schweren Schlag gegen die Pressefreiheit. „Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Erdogan Menschenrechte nieder“, teilte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, am Freitag in London mit.
Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte die Entscheidung des Gerichts, „Zaman“ unter Treuhandverwaltung zu stellen. „Damit werden die letzten Reste der Pressefreiheit in der Türkei ausgehebelt“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.
Die Chefredakteurin des englischsprachigen „Zaman“-Schwesterblattes „Today's Zaman“, Sevgi Akarcesme, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul am Telefon: „Das ist das Ende der Pressefreiheit in der Türkei, und das verstößt gegen unsere Verfassung.“ Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit in der Türkei mehr. „Die Regierung hat unsere Zeitung konfisziert“, klagte Akarcesme.
Gülen wird vorgeworfen, „parallele Strukturen“ - also einen Staat im Staate - in der Türkei gegründet zu haben mit dem Ziel, Erdogan zu entmachten. Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde zunächst nicht bekannt.
Der Parlamentsabgeordnete Emrullah Isler von der Regierungspartei teilte über Twitter mit, die Übernahme durch Treuhänder sei „ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die parallele Struktur“. Weiter schrieb er: „Sie zahlen den Preis für ihren Verrat gegenüber dem Staat und dem Volk.“