Sicherungsverwahrung auch über 10 Jahre! EGMR hat geurteilt.
Seit der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) 2009 entschieden hat, dass die BRD die Menschenrechtskonvention durch ihre Gesetzesänderung von 1998, damals wurde rückwirkend die Maximaldauer der (ersten) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von 10 Jahre auf "Lebenslänglich" ausgeweitet, verletze) setzten viele Betroffene, die dennoch weiter in Haft gehalten werden, ihre Hoffnungen auf weitere Urteile aus Strasbourg - und wurden jetzt enttäuscht.
Die Rechtslage
Durch ein Piloturteil des EGMR (http://www.freedom-for-thomas.de/thomas/texte/inpol/oS1yFmwNM0.shtml) von 2009 stand fest, dass die rückwirkende Verlängerung, wie auch die rückwirkende bzw. nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Artikel 5 und Artikel 7 der EMRK (Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte) verstieß. In der Folge wurden Dutzende Betroffene, nach teils jahrzehntelanger Haft, auf freien Fuß gesetzt. Die Rückfallhäufigkeit dieser Personen, wiewohl allesamt als exorbitant "gefährlich" klassifiziert, hielt sich in sehr engen Grenzen, (vgl. http://community.beck.de/gruppen/forum/sicherungsverwahrung-und-r-ckfall). Im Jahr 2011 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass trotz der Entscheidung des EGMR, "Alt-Fälle" (also jene die vor 1998 ihre Delikte begangen hatten) in Verwahrung gehalten werden dürften, wenn diese eine psychische Störung aufweisen und auf Grund dieser Störung hoch gefährlich einzustufen seien (vgl. https://freedomforthomas.wordpress.com/2011/05/11/sicherungsverwahrung-verboten/).
Die Gesetzesreformen von 2013
Vor zwei Jahren traten dann umfängliche Reformpakete im Bund und den Ländern in Kraft, in Folge derer die Haftsituation der Sicherungsverwahrten verbessert werden sollten, hierzu vgl. https://linksunten.indymedia.org/de/node/68014. Die Zellen wurden ein wenig vergrößert, ein paar TherapeutInnen mehr eingestellt um "Therapie" anzubieten, aber letztlich wurden die Verwahrten weiter verwahrt - auch über die 10 Jahre hinaus. Die Untergebrachten in Freiburg bekamen zudem landesweit den schäbigsten Vollzug zu spüren (auf meinem Blog berichte ich seit Sommer 2013 ausführlich darüber).
Das Urteil vom 07.01.2016
Anfang Januar dieses Jahres urteilte nun der EGMR auf Beschwerde eines in Niedersachsen inhaftierten, 72 jährigen Langzeitinsassen, dass die rückwirkende Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung kein Verstoß gegen Artikel 7 oder Artikel 5 EMRK darstelle (http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-159782). In dem entschiedenen Fall (Application no. 23279/14) kamen Sachverständige zu der Einschätzung, von dem Betroffenen seien, zumal unter Einfluss von Alkohol, schwere Sexualtaten zu erwarten.
Immerhin seit dem 9.10.1985 befindet der Kläger sich in Haft.
Nach Ansicht des EGMR liege schon deshalb keine Verletzung des Artikel 5 EMRK vor (dieser gestattet die Freiheitsentziehung nur unter eng begrenzten Voraussetzungen), weil bei ihm ein "unsound mind" diagnostiziert worden sei, d.h. eine "psychische Störung".
Aber es liege auch keine Verletzung des Artikel 7 EMRK vor (dieser verbietet die rückwirkende Erhöhung von Strafen), denn nach Ansicht des EGMR liege in der Sicherungsverwahrung, angesichts der Reformen von 2013 keine Strafe mehr (vgl. Urteil des EGMR, a.a.O. Rz. 182).
Folglich, da es sich um keine Strafe handele, liege in der rückwirkenden Verlängerung, auch keine Verletzung des Artikel 7 EMRK.
Die Folgen
Mit dieser, aus Sicht der Betroffenen, skandalösen Entscheidung, wird nun auch europarechtlich die dauerhafte, lebenslange, bis zum Tode dauernde Inhaftierung auf bloßen Verdacht hin, abgesegnet.
Sicherungsverwahrung, das kann nicht oft genug wiederholt werden, ist eine Maßregel, die die Nationalsozialisten (mit Gesetz vom 24.11.1933) einführten, welche das Oberste Gericht der DDR mit Urteil vom 23.12.1952 als "inhaltlich faschistisch" für das Gebiet der DDR verwarf. Bedenken, welche in der BRD Gerichte zu keinem Zeitpunkt hatten.
Menschen werden hier auf Basis zweifelhafter Gutachten und Prognosen weggesperrt; die Haftbedingungen sind partiell etwas komfortabler als in der Strafhaft, letztlich werden die Verwahrten aber in Gefängnissen untergebracht, von Wärtern des Strafvollzuges bewacht, von Juristen des Strafvollzugs beurteilt, von Psychologen des Strafvollzugs "therapiert".
Die bloße Prognose, jemand könne wieder straffällig werden (im vorliegenden Fall sitzt der Kläger schon seit 1985 in Haft) zu treffen, nach jahrzehntelanger Unterbringung hinter Gittern, das ist nicht weit entfernt von bloßer Kaffeesatzleserei.
Und so werden auch weiterhin, nunmehr aus Strasbourg abgesegnet, Menschen hoffnungslos, bis zum Tode verwahrt werden. Angesichts dieser Praxis werden vielleicht in absehbarer Zeit Betroffene, wie vor ihnen ein Insasse in Belgien, staatlich assistierte Suizidbeihilfe einfordern, denn Menschen, bar jeglicher Hoffnung wegzuschließen, und in der Praxis eröffnen auch die "Therapiebemühungen" wenig Chancen, im Gegenteil: nicht wenige Verwahrte bekommen nach Jahren der Therapie eröffnet, sie seien letztlich "hoffnungslose Fälle", diese Menschen also wegzuschließen, sie auf den Tod warten zu lassen, das ist faktisch eine Todesstrafe auf Raten. Da wäre es nur konsequent, den Betroffenen ein würdiges und selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8
79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com