Mitspielen oder Revolution?
Bei linksunten.indymedia wird gerade über folgende These diskutiert:
"Keine der sozialen Bewegungen hat ein nennenswertes Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus, solange sie nur mitspielen darf. In dem Moment, wo es ihr gestattet wird, hört sie auf, eine Bewegung zu sein." (https://linksunten.indymedia.org/de/comment/view/170313)
Dazu folgen im hiesigen Artikel einige Anmerkungen.
Wir hatten am Sonntag (3. Jan.) bei linksunten.indymedia einen Text mit der Überschrift Den Klassen-Begriff diskutieren! veröffentlicht. In einem Kommentar darunter zitierte eine anonym (namenlos) gebliebene Person unsere Formulierung (aus einem älteren Text):
„1. Das Konzept des (bzw. die Einsicht in die Notwendigkeit eines) ‚revolutionären Bruch/s’.
2. Die Verweigerung der Mitverwaltung des Kapitalismus (Absage an Regierungsbeteiligungen in bürgerlichen Staaten)
3. Klassenorientierung bzw. antagonistische Orientierung in Bezug auf ‚andere revolutionäre Subjekte’, z.B. Geschlechterverhältnisse, Rassismus, spezifisch diskriminierte Gruppen u.ä.“
Die vollständige Antwort dieser Person (unter der Überschrift „So wird das nix“) darauf lautete:
„Euer Unterfangen, die marxschen ‚Ausgebeuteten’ mit den postmodernen ‚Unterdrückten’ zu vermischen, ist ohne Aussicht auf Erfolg. Und zwar weil Ihr die unterschiedlichen Ebenen, auf denen diese Begriffe stehen, nicht seht oder sehen wollt. Ein paar Brocken Marx habt ihr verstanden, nur gelingt es Euch nicht, die strukturellen Differenzen in den Theorien und Begriffen, die Ihr verhandelt, zu sehen.
Die ausgebeutete Klasse bei Marx ergibt sich aus dem Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, sprich aus dem Wesen des Kapitalismus. Will das Proletariat seine Ausbeutung beenden, muss es die Mehrwertaneignung und damit den Kapitalismus abschaffen.
Die unterdrückten sozialen Gruppen der Postmoderne kämpfen nicht gegen den Kapitalismus. Sie möchten nur seine Anerkennung finden. Endlich leben und arbeiten können mit den gleichen Möglichkeiten wie die europäischen Männer. Dies ist der Traum der Menschen in Kandahar, Täbris und Haiphong. Es ist der Traum der Frauen in Charkow, Agadir und Chan Yunis. Vor 30 Jahren, bevor er in Erfüllung ging, war es auch der Traum der Frauen in Frankfurt, Sevilla und Mailand.
Keine der sozialen Bewegungen hat ein nennenswertes Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus, solange sie nur mitspielen darf. In dem Moment, wo es ihr gestattet wird, hört sie auf, eine Bewegung zu sein. Und die vorhandene Kapitalismusablehnung, die es, wenn auch nur schwach ausgeprägt, in jeder dieser Bewegungen gibt, verwandelt sich in Affirmation.
Wenn diese Soziale Bewegungen Herrschaft, Unterdrückung oder Ausbeutung sagen, meinen sie die Hindernisse, die sie selbst von Wohlstand, guten Jobs und Sicherheit abhalten. Wenn sie von Befreiung reden, geht es um das Wegräumen dieser Hindernisse. Emanzipation ist für sie Emanzipation zum kapitalistischen Subjekt. Deshalb hat ihr Begriff von Herrschaft, von Unterdrückung oder Ausbeutung, ihr Begriff von Befreiung und Emanzipation nichts mit diesen Begriffen bei Marx gemein. Und deshalb lassen sie sich auch nicht verknüpfen, wie Ihr es versucht.“
Einige Punkte haben wir bereits an Ort und Stelle (mit der Überschrift „postmoderne vs. marx ?“) richtiggestellt: z.B., dass wir gar nicht von „Unterdrückten“ gesprochen haben; auch, dass wir mit der Formulierung, „Die ausgebeutete Klasse bei Marx ergibt sich aus dem Ausbeutungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, sprich aus dem Wesen des Kapitalismus.“, weitgehend konform gehen. Allerdings sind wir auch der Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht das einzige Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis ist.
Wir möchten daher an dieser Stelle nur noch einmal ausführlich auf folgende – ebenfalls als Einwand gegen unseren Text gemeinte – Formulierung eingehen:
„Endlich leben und arbeiten können mit den gtleichen Möglichkeiten wie die europäischen Männer. Dies ist der Traum der Menschen in Kandahar, Täbris und Haiphong. Es ist der Traum der Frauen in Charkow, Agadir und Chan Yunis. Vor 30 Jahren, bevor er in Erfüllung ging, war es auch der Traum der Frauen in Frankfurt, Sevilla und Mailand.
Keine der sozialen Bewegungen hat ein nennenswertes Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus, solange sie nur mitspielen darf.“
Wir hatten bereits an Ort und Stelle [1] gesagt, dass wir dem zuletzt zitierten Satz vollständig zustimmen.
Wir möchten daher nur noch Folgendes ergänzen:
1. Wir haben keinesfalls eine optimistische Einschätzung des Standes der sozialen Bewegungen (weder der alten – der ArbeiterInnenbewegung – noch der „neuen“).
2. Wir halten z.B. den Arabischen Frühling hauptsächlich für demokratische Proteste (die deshalb nicht falsch, aber unseres Erachtens unzureichend sind). Bewusst geführte Klassenkämpfe – gar „antikapitalistische“, geschweige denn revolutionär-antikapitalistische – Klassenkämpfe spielten im Rahmen des Arabischen Frühlings nur eine sehr untergeordnete Rolle.
3. Eine ganz ähnliche Analyse vertreten wir hinsichtlich der demokratischen und Sozialproteste in Südeuropa.
4. Während des NaO-Prozesses stimmten wir bspw. der folgenden Lageanalyse bzgl. Griechenland der Genossen Jakob und Linus (beide RSB) zu (und wir stimmen ihr weiterhin zu):
„bei nüchterner Betrachtung feststellen, dass selbst dort – also nach mindestens 3 Jahren verschärfter Krise – keine größere revolutionäre Strömung auf der Matte steht. Der Prozess der Rekonstruktion revolutionärer klassenkämpferischer, wirklich sozialistischer (oder auch anarchistischer) Strömungen, die im Klassenkampf ein gewisses Gewicht haben, ist offenbar sehr komplex, langwierig und nicht am grünen Tisch zu beschließen oder umzusetzen.“
(http://www.nao-prozess.de/blog/welche-nao-oder-was-sollten-wir-in-und-mit-dem-nao-prozess-anstreben/)
5. Ebenfalls stimmten wir der Analyse des Genossen Pit (Revolutionäre Initiative Ruhrgebiet [RIR]) zu:
„Größtes Problem ist, dass sich die Bewegung der ArbeiterInnen nicht bewegt d.h., dass wir uns auf einem Tiefstand der offenen Klassenkämpfe befinden: […]. Die Bewegung gegen den sozialen Kahlschlag (gegen Hartz IV, Privatisierung usw.) ist ebenfalls auf einem sehr niedrigen Stand und tritt kaum öffentlich in Erscheinung. Angestoßen durch die Kämpfe in Griechenland und durch die occupy-Bewegung formierten sich aus einem Teil der überwiegend intellektuell geprägten post-autonomen revolutionären Linken die Anti-Krisen-Proteste, [...]. Sie verdichteten sich jedoch bisher nicht zu einer eigenständigen sozialen Bewegung, auch wenn weiterhin zu Aktionen aufgerufen wird. Die Anti-Atom-Bewegung, die durch Fukushima einen mächtigen Schub erhalten hatte, ist wieder stark zurückgegangen.“
(http://www.nao-prozess.de/blog/zur-politischen-lage-und-unseren-aufgaben/)
Schließlich – unsere Hauptkritik am NAO-Manifest (neben dem Umstand, dass es auf eine vorschnelle „breite“ Organisationsgründung ohne revolutionäre Tiefe orientierte) war gerade, dass es zu optimistisch sei. [2]
Das grundlegende Motto unserer ganzen Interventionen ist das Motto Gramscis:
„Optimismus des Willens, aber Pessimismus des Verstandes.“
Demgegenüber vertritt leider sowohl der Hauptstrom der eher ‚postmodernen’ Linken (Blockupy) als auch der Hauptstrom der ‚proletarisch/anti-postmodernen’ Linken eine – im Prinzip – optimistische Lageanalyse... – ...eine Lageanalyse, die häufig mit einer (geschichtsdeterministischen) Zusammenbruchstheorie und/oder Bewegungseuphorie einhergeht, die sich aber bei näherer Betrachtung als reines Wunschdenken herausstellt; also nicht gerade der Optimismus ist, den Gramsci meinte und sich aus einer revolutionären Überzeugung speist, sondern reiner ‚Zweckoptimismus’ oder noch genauer: eine Illusion!
Mit dem linken Optimismus brechen!
Kleine Brötchen backen, die dann aber immerhin keine Fata Morgana sind!
Lieber weniger, dafür besser oder Qualität vor Quantität –
das sind unsere Motti:
systemcrash und Theorie als Praxis (TaP)
1 Inzwischen hat sich dort die Diskussion auf Fragen des Geschlechterverhältnisses, der begrifflichen Abgrenzung von Herrschaft und Unterdrückung, der Selbst- und/oder Fremdbestimmung im Arbeitsprozesses und dem Konzept der Blockorganisation ausgeweitet; also alles Fragen, die durchaus auch Gegenstand programmatischer Debatten der Linken sind. Und schlussendlich wird auch die (unseres Erachtens zentrale Frage angesprochen: liegt der Hebel für eine Transformation des Kapitalismus bei der Verteilung („Verteilungsgerechtigkeit“) oder in der Produktion, also beim Wertgesetz (und seiner – möglichen – Überwindung)? – also, mehr Gehalt kann man doch wirklich nicht von einer Internet-Diskussion verlangen, oder? ;-)
2 Siehe z.B. http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/02/15/was-ist-wahr/ und: „Ebenfalls fällt auf, dass im NAO Manifest die Krise des Kapitalismus vollkommen überspitzt dargestellt wird, so als würde er morgen zusammenbrachen. Er hätte seine ‚Massenlegitimität’ verloren und die ‚Massen’ würden einen Ausweg suchen, der nur in der Bildung ‚breiter’ antikapitalistischer Formationen eine Lösung finden könne.
Dass es in Wirklichkeit einen schreienden Widerspruch zwischen den objektiven Bedingungen und den subjektiven Möglichkeiten der ‚radikalen linken’ gibt, scheint die NAO gar nicht (mehr) auf dem Schirm zu haben. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die ökonomische Krise zu einem Anwachsen ‚antikapitalistischen’ Bewusstseins geführt hat. Genauso gut kann sie rechten Kräften zugute kommt (wie man jetzt aktuell in der Ukraine sehen kann). Wobei in Deutschland insgesamt die „bürgerliche Mitte“ fest im Sattel sitzt.“ (https://systemcrash.wordpress.com/2014/03/20/was-bleibt-vom-nao-prozess-als-fliesstext/).