Für verantwortungsbewusstes Handeln und Gesundheitsschutz in der Corona-Krise, gegen Ausgangsbeschränkungen und -sperren!
Berlin, 22.03.2020
Während dieser Text entstanden ist, hat die Bundesregierung umfassende Kontaktsperren erlassen. Diese Maßnahmen lehnen wir entschieden ab, aus im folgenden Text genannten Gründen. Wir sind wütend, dass der Berliner Senat zusätzliche Ausgehverbote erlassen hat, diese dürfen nicht unwidersprochen bleiben!
Gegenwärtig erleben wir eine rasante Beschneidung der Grund- und Menschenrechte im Namen des Infektionsschutzes, die in liberalen Demokratien vor der Corona-Krise nicht denkbar gewesen wären. Viele der erlassenen Maßnahmen scheinen laut momentanem Kenntnisstand geeignet zu sein, um die Ausbreitung von Covid19 einzudämmen und dem Gesundheitssystem sowie der medizinischen Forschung Zeit zu verschaffen. Der Schutz und die Verantwortungsübernahme für besonders gefährdete Menschen ist unerlässlich und richtig, die Minimierung der physischen Sozialkontakte möglicherweise alternativlos. Mit der Schließung von u.a. Schulen, Kitas, Ämtern, Kultureinrichtungen, Kneipen, Stadtteilläden, Geschäften, Arbeitsstätten und mittlerweile auch Restaurants wurde das öffentliche gesellschaftliche Leben bereits auf ein Minimum beschränkt. Vielerorts dürfen sich nicht mehr als 10 Personen versammeln. All diese Maßnahmen stellen bereits massive Einschnitte in Grundrechte dar, werden jedoch gegenwärtig von einem großen Teil der Bevölkerung mitgetragen. Die Sinnhaftigkeit von weiteren Ausgangsbeschränkung in dieser Situation ist nicht gegeben und nicht zu rechtfertigen.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen solcher Maßnahmen zur vermeintlichen Erhöhung der Sicherheit (die Wirkung ist nicht erwiesen, in Italien breitet sich der Virus trotzdem aus) stehen in keiner Relation zu der drohenden Stärkung autoritärer Tendenzen und Einschränkungen von grundlegenden Ansprüchen und hart erkämpften Freiheitsrechten.
Das Verhängen von Ausgangsverboten wird fatale gesellschaftliche Konsequenzen haben, nicht nur für die gegenwärtige Zeit, sondern auch für die Zeit nach der Pandemie. Diese müssen jetzt trotz Krisen-Modus unbedingt mitgedacht werden!
Was ziemlich wahrscheinlich eintreten wird, ist eine massive Ausweitung von Polizeipräsenz und Polizeibefugnissen, im schlimmsten Fall wird es zusätzlich den Einsatz von Soldat*innen zur Aufrechterhaltung der „inneren Sicherheit“ nach sich ziehen. Damit wird ein Tabu gebrochen, welches schwer rückgängig zu machen sein wird und die Gefahr ist gegeben, dass diese Vorgänge die Tendenz hin zu einer autoritären Wende verstärken werden. Nochmal zur Erinnerung; schon heute werden die Weichen für eine Gesellschaft nach der Corona-Krise gestellt, und genauso wichtig wie verantwortungsbewusstes Handeln im Jetzt, ist es die Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft mitzudenken und politisch zu beeinflussen.
Außerdem sollten wir, wenn wir von Solidarität in Zeiten von Corona reden, nicht die Menschen außen vorlassen, die besonders schwer von den Auswirkungen betroffen sind und durch eine Ausgangssperre noch um einiges härter getroffen würden.
Gruppen, die in unserer Gesellschaft auch sonst schon marginalisiert sind, werden dies jetzt noch verstärkter spüren. Wenn aufgerufen wird zu Hause zu bleiben und die sozialen Kontakte einzuschränken, sollte das nicht zu sozialer Isolation derer führen, die diese auch sonst erleben. Weiterführende Ausgangsbeschränkungen erschweren oder verunmöglichen Zugänge zu Unterstützungs- und Ablenkungsmöglichkeiten für Menschen in dieser Situation, beispielsweise für Alleinerziehende.
Auch Menschen, die häusliche und/oder sexualisierte Gewalt erleben, werden auf diesem Weg Anlaufstellen, Ruhemomente und Öffentlichkeit genommen. Es wird eine direkte Auswirkung auf Menschen haben, die psychisch belastet sind, Ängste haben oder chronisch krank sind. Wie „gesund“ sind diese Maßnahmen in diesen Fällen, wie können sich Menschen vor den Folgen einer vom Staat auferlegten Regulierung schützen?
Hinzu kommt, dass sich mit den staatlich verordneten Ausgangsbeschränkungen zum einen repressive Maßnahmen festsetzen lassen und sich aber gleichzeitig in der Gesellschaft ein Klima entwickelt von Ächtung und Anfeindungen wegen angeblich verantwortungslosem Verhalten. Dies betrifft die Menschen, die aus dem Raster fallen, die Bahn nutzen um zur Arbeit zu fahren, keinen Wohnraum haben oder prekär leben, Unterstützung brauchen, Ablenkung und andere Räume suchen.
Die eigene Vorstellungskraft und der Blick in andere Länder verheißen, dass die mit den Ausgangsverboten einhergehenden Sanktionen vor allem Menschen treffen werden, die nicht in das gesellschaftliche Bild passen. Die Entscheidung welche Bezirke und Straßen kontrolliert werden, obliegt mit hoher Wahrscheinlichkeit der polizeilichen Willkür.
Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben, wenn sich nur noch maximal 2 Menschen zusammen bewegen können? Auf welche gesetzliche Grundlage berufen sich die Polizei und Bundeswehr im Falle einer Ausgangsbeschränkung?
Der Spagat zwischen dem menschlichen Dasein und der nötigen Prävention wird nicht durch eine Ausgangsbeschränkung gelöst.
Wir streben eine Verschiebung des Diskurses an, der sich nicht an dem staatlichen Vorgaben entlang entwickelt und der sich nicht nur an die privilegierte weiße Mittel- und Oberschicht richtet.
Für uns hört Verantwortungsübernahme nicht beim Händewaschen auf, sondern bezieht auch den kritischen Blick auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung mit ein.
Wir stehen für Solidarität, verantwortungsbewusste Handlungsfähigkeit und Gemeinschaft.
Diskutiert, bringt eure Standpunkte in den öffentlichen Raum ein und lasst uns Strategien entwickeln gegen eine autoritäre Verschiebung im gesellschaftlichen Diskurs!
Gegen eine Ausgangsbeschränkung, Ausgangsverbote und Sperrungen!
Weiterführende Artikel:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-welt-nach-corona-wird-jetzt-ausgehandelt
https://www.medico.de/blog/quarantaene-mit-augenmass-17650/
https://de.indymedia.org/node/72950
https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/wer-jetzt-allein-ist-wird-es...