Rechtsruck der FDP in den 1950er Jahren

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Die FDP umgarnte ehemalige Nationalsozialisten, was sich auch in ihrem völkischen Programm niederschlug. Eine Gruppe um Werner Naumann, dem letzten Staatssekretär des „Reichspropagandaministers“ Joseph Goebbels, versuchte, die FDP und andere rechte Parteien und Organisationen zu unterwandern und ein neonationalsozialistisches System zu installieren

Rechtsruck der FDP bis zum Ende des Jahres 1952

 

 

Kurz nach der Befreiung vom Nationalsozialismus war eine liberale Parteineugründung mit einigen Schwierigkeiten verbunden.[1] Es gab wenig Anknüpfungspunkte an ein intaktes liberales Milieu, eine Anlehnung an Organisationsstrukturen war kaum gegeben. Es bildeten sich auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens zahlreiche regionale liberale Gruppen, die eine große Heterogenität in ihren programmatischen Forderungen aufwiesen.[2] Am 27.05.1947 wurde schließlich der FDP-Landesverband NRW gegründet und der Westfale Gustav Altenhain zum Vorsitzenden gewählt.[3] Das Programm des FDP-Landesverbandes war rein marktwirtschaftlich ausgelegt und wandte sich gegen eine Vergesellschaftung von wichtigen Industriezweigen sowie gegen jede sozialistische Tendenz.

1947 beschloss die FDP die „Wirtschaftspolitischen Richtlinien“, in denen die von der SPD angestrebte und die von der CDU in ihrem Ahlener Programm[4] nicht ausgeschlossene Sozialisierung abgelehnt wurde. Bei den Landtagswahlen im April 1947 kam die FDP lediglich auf 5,9% der Stimmen und beteiligte sich wegen der antagonistischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen zur CDU und SPD nicht an der Regierungskoalition.

Seit Ende 1947 wandte sich der Landesverband NRW immer stärker dem Nationalliberalismus zu, was zu Parteieintritten von nationalistisch orientierten Personen und auch ehemaligen Nationalsozialisten führte, die in der Partei ein neues Betätigungsfeld suchten.[5] In einer Rede des Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve auf dem Landesparteitag in Münster im Juli 1951 hieß es: „Für das Recht der Entrechteten, für die Achtung der Missachteten, für die Ehre der Entehrten mit allem Ernst und Eifer einzutreten, darin sah die FDP vom ersten Tage ihres Bestehens an ihre Ehrenpflicht. (…) Diese vorkämpferische zielbewusste Haltung der FDP ist das, worauf sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens mit Fug und Recht am meisten stolz sein kann. (…) Wir waren es, die zuerst von der Ehre des deutschen Soldaten sprachen; davon, daß er sie nie verloren hat; daß sie ihm niemand streitig machen kann, daß er mindestens ein ebenso ehrlicher und anständiger Soldat war wie seine Gegner! Wir waren es, die seiner Zeit gegen das Unrecht und den Unfug der Entnazifizierung anrannten. Wir sprachen aus, daß man den Geist des Nazismus nicht durch Entnazifizierung, nicht durch Kategorisierung, nicht durch Diffamierung überwinden kann, sondern vom Geist her, durch die Überwindung jeder Hasspsychose, durch die Einreihung aller, die den guten Willen hatten und haben, dem Vaterland beim Aufbau einer zukunftsstarken Demokratie als einer echten Lebensform in einer echten Volksgemeinschaft zu dienen. (…) Die FDP als Wahrerin des Reichsgedankens, des Gedankens der deutschen Einheit, die einzige Partei, die als große Sammelpartei hierfür infrage kommt. Wir werden weit unsere Arme öffnen.“[6]

Um ehemalige Nationalsozialisten oder Wehrmachtsangehörige anzusprechen, waren die Deutschen Jungdemokraten (DJD) die wichtigste Vorfeldorganisation.[7] Die DJD organisierten regelmäßige Treffen, bei denen gezielt ehemalige Wehrmachtssoldaten oder HJ-Funktionsträger zur Mitarbeit ermuntert wurden. So organisierte das DJD-Mitglied Peter Tinschmann Anfang Mai 1950 eine mehrtägige Tagung, wo ehemalige HJ-Funktionäre, jüngere Mitglieder der Waffen-SS und der Wehrmacht auf führende Vertreter der nordrhein-westfälischen FDP wie Middelhauve oder von Rechenberg trafen.[8]

Bei dieser nationalistischen Neuausrichtung ging es im Wesentlichen um Klientelpolitik für leitende Beamte, frühere Wehrmachtssoldaten, „nominelle“ NSDAP-Mitglieder und „Heimatvertriebene“.[9] Die FDP entdeckte in der „Frontgeneration“ eine neue Wählerschicht. Vor den Landtagswahlen im April 1947 warb die FDP mit einem schwarz-rot-gold gehaltenen Wahlplakat, wo ein auf Krücken gestützter, beinamputierter Soldat zu sehen war. Darüber stand der Text: „Frontgeneration abseits? Eure Partei: FDP“.[10]

Die Rechten in der FDP sahen ihre politische Verortung in dem Vakuum zwischen der neonazistischen SRP und rechts von der CDU/CSU. Im Kampf gegen die alliierte Praxis der Entnazifizierung sahen die Liberalen ein probates Mittel, Wählerstimmen zu sichern. Begründet wurde diese Initiative mit der kruden Überzeugung, dass „durch die Entnazifizierung nicht etwa Verbrechen, sondern lediglich politische Gesinnungen (…) in nach rechtstaatlichen Kriterien fragwürdig erscheinenden Prozessen bestraft und somit große Teile der Bevölkerung vom Aufbau des neuen Staates zum beiderseitigem Nachteil ferngehalten würden.“[11]

Weiterhin plädierte die nordrhein-westfälische FDP für eine Generalamnestie für alle nach dem 01.01.1915 Geborenen, was mit dem Verweis auf deren „Unwissenheit“ begründet wurde: „Sie ahnten nicht, zu welchem Zweck das alles diente. Sie misstrauten nicht den schönen Worten, weil es zum Recht der Jugend gehört, Vertrauen zu haben, weil sie sich angesprochen fühlten in ihrem Willen, Kamerad zu sein und Mut zu zeigen.“[12]

Der Rechtsanwalt Friedrich Grimm, der ehemalige Nationalsozialisten und Freikorpskämpfer verteidigte, entwickelte sich zum „amnestiepolitischen Stichwort- und Ideengeber“ der nordrhein-westfälischen Liberalen.[13] Grimm gehörte vom November 1933 bis 1945 der NSDAP-Fraktion im Reichstag an und war für die Abfassung mehrerer Propagandaschriften verantwortlich.[14] Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus blieb er seinen alten Überzeugungen treu. In seinen nach 1945 geschriebenen Lebenserinnerungen kommt vor allem seine antisemitische Überzeugung unverhüllt zum Vorschein.[15] Am 12.02.1951 hielt Grimm vor dem „Industrie-Club“ in Düsseldorf einen Vortrag mit dem Titel „Generalamnestie als völkerrechtliches Postulat“. Dieser Vortrag spiegelte die Leitlinien der nordrhein-westfälischen FDP in Bezug auf ihre entnazifizierungspolitischen Ansichten wider. Grimm stellte die Forderung nach einer „allgemeinen Befriedungsamnestie“ als „Postulat des Naturrechts“ auf. Er plädierte für einen „Schlussstrich unter die bewegte Zeit des Krieges und der Kriegs- und Nachkriegswirren“. Weiterhin verlangte er, dass „reiner Tisch, tabula rasa, mit der Vergangenheit gemacht werden“ sollte.[16]

Beim Landesparteitag vom 20. bis 22.07.1951 in Münster wurden folgende Leitlinien verabschiedet:

 

„1. Alle Straftaten, die aus politischen Motiven oder im Zusammenhang mit Kriegsvorgängen vor und nach 1945 begangen wurden, werden amnestiert.

2. Die im Rahmen der Spruchgerichtsverfahren in der britischen Zone ausgesprochenen Verurteilungen sind in den Strafregistern zu löschen, anhängige Verfahren sind einzustellen und neue nicht mehr einzuleiten. Sühnegelder werden nicht mehr eingezogen, Freiheitsstrafen nicht mehr vollstreckt.“[17]

 

Die parteieigene Wochenzeitung „Die deutsche Zukunft“ wurde Anfang des Jahres 1952 gegründet. Die Wochenzeitung folgte der „Plattform. Halbmonatsschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur“, deren überregionale Verbreitung dazu diente, den Einfluss des nordrhein-westfälischen Landesverbandes auf Bundesebene auszuweiten. Der Leiter des „Presse- und Propagandareferats“ der nordrhein-westfälischen FDP, Siegfried Zoglmann, übernahm den Posten des Chefredakteurs. Zoglmann bekleidete im „Dritten Reich“ einen wichtigen Posten in der Schriftleitung der HJ-Reichszeitung „Die HJ“.[18] Nach dem Ende des 2. Weltkrieges gehörte Zoglmann zu den Gründungsmitgliedern des völkischen Witikobundes.[19] Der Name der Zeitung erinnerte an die HJ-Publikation „Wille und Macht“, die bis 1933 den Namen „Die deutsche Zukunft. Monatsschrift des jungen Deutschland bzw. Monatsschrift der nationalsozialistischen Jugend“ trug.[20] Die Publikation entwickelte sich zu einem Sprachrohr des immer weiter nach rechts rückenden Landesverbandes. Die Themen Entnazifizierung, Generalamnestie und Vergangenheitspolitik nahmen einen breiten Raum ein.[21]

Zum Rechtsruck der FDP stellten Lösche und Walter zu Recht fest: „Der rechte Flügel der FDP machte die Frustration des Bürgertums zu seinem politischen Thema. Er wetterte gegen die Alliierten, prangerte die Entnazifizierungsmethoden an, beklagte das Unrecht der Vertreibung, verbat sich jede Kritik am deutschen Soldatentum, hielt trotzig am Stolz auf die eigene Nation fest. (…) Sie suchten nach einem Wählerpotential, das unentschlossen war, da es sozial und kulturell den Katholiken und Sozialisten fremd gegenüberstand. (…) Die Wortführer des rechten Flügels in der FDP der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre hatten für den historischen Liberalismus nur Verachtung übrig. Montesquieu, Voltaire oder Kant – das waren für sie Philosophen von vorgestern; Rechtsstaatlichkeit, Humanität und Freiheit – das verhöhnten sie als liberales Geschwätz sentimentaler Philister.“ [22]

Der bayrische DGB-Vorsitzende Max Wönner kritisierte im Oktober 1951, dass die FDP weder mit Freiheit noch mit Demokratie das Geringste zu tun habe. Sie sei eine „deutschnationale Scharfmacherpartei“, die in „edlem Wettstreit“ mit der neonazistischen SRP stehe.[23] Der linksliberale baden-württembergische Ministerpräsident Reinhold Maier sprach von einer „Gefahr nach rechts, von rechts“: „Sie liegt nicht in dem Wiederaufleben des Nationalsozialismus Hitlerscher Prägung. Sie liegt nicht bei der SRP und ähnlichem. Sie liegt in der Möglichkeit, daß eine Nationale Rechte sich bildet, welche sich nicht radikal antidemokratisch gebärdet, (…) aber die Demokratie als schließlich doch zweitrangige Angelegenheit betrachtet und eben schließlich in autoritären Formen, ob sie will oder nicht, hineinstoßen wird.“[24]

Zu Konflikten zwischen den Rechten in der FDP und dem linksliberalen Flügel führte die Frage nach der Flagge auf Partei- und Landesparteitagen der FDP.[25] Die Linksliberalen bevorzugten die schwarz-rot-goldenen Farben der Paulskirche, während der rechte Flügel die schwarz-weiß-rote Reichskriegsflagge favorisierte. Auf dem Bonner Parteitag 1949 zeichnete sich ein Kompromiss ab, nach dem beide Flaggen gezeigt werden sollten.

Auf dem Münchener Parteitag 1951 sang der rechte Flügel alle drei Strophen des „Deutschlandliedes“. Freiherr von Rechenberg, der dem NRW-Landesverband angehörte, bemerkte zynisch, dass nun einmal jedes Lied mit der ersten Strophe anfange.[26]

Die Parteijugend erschien stets in uniformierter Kleidung und „postierte sich in Reih und Glied während der Konferenzverhandlungen und am Saaleingang und vor der Parteitagsbühne in HJ-Stil.“[27] Soldatische Tugenden waren in der FDP weit verbreitet. Der damalige Parteivorsitzende Blücher sprach in seinen Reden von „Ritterlichkeit“ und der „Integrität der deutschen Wehrmachtssoldaten.“[28]

Ein Protagonist der Pflege des Soldatentums innerhalb der FDP war auch der ehemalige Vizebundeskanzler und FDP-Bundesvorsitzende Erich Mende. Mende war in der NS-Zeit Major der Wehrmacht und Ritterkreuzträger. Er wehrte sich vehement gegen die „Verunglimpfung des Eisernen Kreuzes“. Im Mai 1965 gab er dazu eine Erklärung ab: „Mir ging es damals darum, festzustellen, daß zu allen Zeiten soldatische Tapferkeit eine Tugend ist, daß der einzelne Soldat keine philosophischen Betrachtungen darüber anstellen kann, ob er einen gerechten oder ungerechten Krieg führt. Es sind nirgendwo in der Welt in den Kasernen Urabstimmungen erfolgt wie vor einem Streik. Der Soldat ist Objekt der Entscheidungen der Politiker und Staatsmänner, in Deutschland und überall in der Welt. Für den einzelnen ist entscheidend, daß er seine soldatische Leistung in den Grenzen des Völkerrechts, gutgläubig und mit reinen Händen gebracht hat.“[29] Der frühere Parteivorsitzende der DVU, Gerhard Frey, bescheinigte Mende, er habe „zeitlebens an einer anständigen Bewertung des deutschen Wehrmachtsoldatentums“ festgehalten.[30]

Im Frühjahr 1950 ging der Landesverband NRW mit den „Nationalen Rechten“ ein Wahlbündnis ein.[31] Bei dieser Gruppe handelte es sich um den früheren NRW-Landesverband der DKP/DRP, deren Mitglieder in der Weimarer Republik überwiegend der von Alfred Hugenberg geführten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) angehört hatten. Der Vorsitzende des Landesverbandes der „Nationalen Rechten“ in Nordrhein-Westfalen war der Fabrikant Hermann Klingspor aus Siegen. Beide Parteien stellten eine gemeinsame Landesreserveliste auf, auf der für aussichtsreiche Plätze die Kandidaten der „Nationalen Rechten“ benannt und auch in den Einzelwahlkreisen auf den Namen der FDP-Kandidaten der „Nationalen Rechten“ aufgestellt wurden. Es wurde davon ausgegangen, dass vier bis sechs Abgeordnete in den neuen Landtag einziehen könnten, die als Hospitanten der FDP auftreten würden, jedoch völlig selbständig in ihren Entscheidungen und Entschlüssen seien. Das Ziel der „Nationalen Rechten“ bestand darin, die angeblich hegemoniale Stellung der SPD in der Regierung und im Landtag von Nordrhein-Westfalen zu brechen. In einem internen Papier der „Nationalen Rechten“ hieß es: „Das Bündnis mit der FDP ist kein Zufallsergebnis. Unter den Parteien, die links von uns vorhanden sind, steht uns diese Partei, die von ihren Gegnern als eine regelrechte ‚Rechtspartei’ angesehen und bekämpft wird, unstreitig am nächsten. Sie hat in NRW eine klare und entschiedene Oppositionshaltung gegen das entscheidend von der SPD beeinflusste Kabinett Menzel-Arnold-Amelunxen eingenommen und durchgehalten. In einer Reihe von Sachfragen ist mindestens auf längerer Wegstrecke unser Weg der gleiche. Vor allem geht das aber in derFrage, die die Entscheidungsfrage in diesem Wahlkampf schlechthin ist: in der Frage der SPD aus der Macht.“[32]

Die „Nationalen Rechten“ bestanden zum größten Teil aus ehemaligen Nationalsozialisten und anderen antidemokratisch eingestellten Personen.[33] Ein Beispiel dafür ist die Fabrikantin Emilie Tewagg aus Dortmund. Sie versandte im Juli 1950 persönlich gehaltene Schreiben an ehemalige Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen und lud diese zu internen politischen Gesprächen ein. Sie erwähnte in ihrem Schreiben, dass der Verlust des aktiven Wahlrechts wegen nationalsozialistischer Vergangenheit kein Grund sei, diese Personen in ihrem politischen Kreis nicht aufzunehmen.Emilie Tewagg war Mitglied der „Nationalen Rechten“ und stand als Kandidatin unter Nr. 37 auf der Landesliste der FDP. Sie hatte eine Maschinenfabrik geerbt und förderte schon seit den 1920er Jahren die „Völkische Jugend“. Später wurde sie aktive Förderin der SA und trat in die NSDAP ein. Dort unterhielt sie persönliche Verbindungen zur Schwester Adolf Hitlers.

Bei der Landtagswahl 1950 zogen drei Abgeordnete der „Nationalen Rechten“ über die Landesreserveliste der FDP in den Landtag ein. Es handelte sich dabei um Wilhelm Piepenbrink, Hansjoachim von Rohr und Lothar Steuer. Steuer war von 1925 bis 1933 Mitglied der DNVP-Fraktion im preußischen Landtag. Zwischen 1933 und 1938 gehörte er dem „Reichstag“ als Hospitant der NSDAP an.[34] Von Rohr war wie Steuer zwischen 1925 und 1933 als DNVP-Mitglied im preußischen Landtag vertreten. Danach wurde er im Februar 1933 Staatsekretär im „Reichsernährungsministerium“. Bedingt durch Konflikte mit der NSDAP wurde er schon im September 1933 entlassen und mehrfach verhaftet.[35] Einzig Wilhelm Piepenbrink hatte keine nationalsozialistische Vergangenheit.

Durch die Mandatsniederlegung eines auf der gemeinsamen Liste gewählten FDP-Abgeordneten wurde das Mitglied der „Nationalen Rechten“ Hirschfeld aus Weidenau/Sieg im Juni 1951 in den Landtag nachberufen. Hirschfeld war von 1937 bis 1945 NSDAP-Mitglied gewesen. Zwischen 1948 und 1953 war er Kreisvorsitzender der „Nationalen Rechten“ in Siegen.[36] Somit waren die „Nationalen Rechten“ mit vier Abgeordneten im Landtag vertreten.

Der Sozialdemokrat Dobbert bezeichnete die Abgeordneten der „Nationalen Rechten“ als frühere „Steigbügelhalter“ der Nationalsozialisten. Wenn sich die nordrhein-westfälische FDP „nicht von jenen Wegbereitern der Hitler-Diktatur“ distanziere, habe sie das „Recht verwirkt, sich noch frei und demokratisch zu nennen“.[37] Der FDP-Landesvorsitzende Middelhauve wies dies mit der Erklärung zurück, „dass die Kollegen der Nationalen Rechten (…) aus sehr starker Bejahung der heutigen Demokratie an den politischen Aufgaben unseres Vaterlandes (…) mitgearbeitet“ hätten.[38]

Die Ablehnung des demokratischen Systems von den Abgeordneten der „Nationalen Rechten“ lässt sich an mehreren Beispielen beweisen. Steuer äußerte sich im Dezember 1950 im Landtag lobend über das deutsche Kaiserreich: „Denn wie immer auch jemand heute über das nationale Symbol des deutschen Volkes denken mag: Unter den schwarz -weiß-roten Farben wurde das Deutsche Reich- im nächsten Jahr werden es 80 Jahre - gegründet. Und unter ihnen hat das deutsche Volk (…) Jahrzehnte des Glücks und des Aufstiegs erlebt.“[39]

Hermann Klingspor erklärte am 21.01.1951 auf einem Bundesvertretertag in Recklinghausen: „Dieser Staat ist nicht aus dem Willen des deutschen Volkes herausgewachsen, sondern von fremden Mächten uns ungefragt über den Kopf gestülpt worden. Deshalb können wir ihn auch nicht als etwas Endgültiges, sondern nur als ein vorläufiges, durchaus verbesserungswürdiges Gebilde ansehen.“ Er äußerte weiterhin den Wunsch, „aus den Reihen unseres Volkes einen Mann entstehen zu lassen, der einem Otto von Bismarck ein ebenbürtiger Nachfolger sein wird zum Wohle Deutschlands.“[40]

Die „Nationale Rechte“ errang bei den Kommunalwahlen am 09.11.1952 sechs Sitze im Siegener Stadtparlament. Auf dem Vertretertag der „Nationalen Rechten“ in Nordrhein-Westfalen wurde am 24.01.1954 in Recklinghausen die Auflösung der Parteiorganisation und der Eintritt in die FDP beschlossen, nachdem der FDP-Landesausschuss Steuer und Klingspor für ein Jahr in den erweiterten Landesvorstand der FDP berufen hatte.[41]

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vom Juni 1950 warb die FDP mit dem Slogan „Die Partei der nationalen Sammlung.“ Diese Öffnung gegenüber rechten Parteien und Wählermilieus sorgte bei der FDP für einen deutlichen Stimmenzuwachs bei den Landtagswahlen; die Partei konnte ihren Stimmenanteil von 5,9% auf 12,1% erweitern.[42] In ihren programmatischen Aussagen gab es inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der Agitation der SRP und anderen rechten Parteien. Die Forderung der „Wiedergutmachung des Unrechts, das Nationalsozialismus, Siegerwillkür und Entnazifizierung schufen, (…) war deckungsgleich mit denen völkischer Parteien.“[43]

Im nordrhein-westfälischen Landtag forderte der FDP-Abgeordnete Gustav Altenhain im Frühjahr 1948, dass bei der Entnazifizierung „eine politische Überzeugung nicht unter Strafe gestellt“ werden dürfe, weil auch frühere NSDAP-Mitglieder „eine durchaus anständige politische Überzeugung“ gehabt hätten.[44] Der damalige Fraktionsvorsitzende Middelhauve verlangte eine sofortige Beendigung der Entnazifizierung, die Begnadigung aller NS-Kriegsverbrecher sowie die Aufhebung der Spruchgerichtsurteile gegen ehemalige Funktionäre der NSDAP und ihrer Untergliederungen. Middelhauve betonte, im „Interesse der politischen Befriedung“ sei „ein radikaler Schlussstrich unter die Vergangenheit notwendig.“[45] 1951 wiederholte die FDP-Fraktion ihre Forderung, die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu beenden.[46] Das Mitglied des „Naumann-Kreises“, Ernst Achenbach, erklärte, dass „die uns von den Besatzungsmächten aufgezwungene so genannte Entnazifizierungspolitik zu einer schweren, wenn nicht der schwersten Belastung für den neu aufzubauenden freiheitlichen und demokratischen deutschen Rechtsstaat“ führen würde. Es dürfe keine „Verfolgung der politischen Gesinnung“ geben, dies sei „nun einmal das traurige Vorrecht totalitärer Diktaturstaaten“. (…) „Nach wilden, unerhört bewegten und revolutionären Zeiten“ sah Achenbach für das postfaschistische Deutschland „keine andere Möglichkeit, zu einem gedeihlichen Aufbau zu kommen, als den Weg über eine Generalamnestie.“[47]

1951 zeigte sich die nordrhein-westfälische FDP unzufrieden über die Politik der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn.[48] In nationalistischer Manier war vor allem der Bundesvorsitzende Franz Blücher, der ursprünglich aus dem NRW-Landesverband stammte, Zielscheibe der Kritik, da er sich nicht entschieden genug gegen die Verabschiedung der Montanmitbestimmung gewehrt hätte. Die FDP sah sich selbst als selbständige dritte Kraft neben der SPD und der CDU im bundesrepublikanischen Parteienspektrum. Vor allem wandte sich die FDP gegen die Gewerkschaften und die SPD und deren sozialistischen und internationalistischen Zielen. Bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden schickte der FDP-Landesverband ihren nationalistischen Vorsitzenden Freiherr von Rechenberg als eigenen Kandidaten gegen Blücher ins Rennen. Unstimmigkeiten mit dem ebenfalls nationalistisch geprägten hessischen Landesverband führten jedoch dazu, dass von Rechenberg nicht gewählt wurde.[49]

Der Landesverband NRW verabschiedete auf seinem Landesparteitag in Bielefeld am 26.07.1952 ein „Deutsches Programm“, das offiziell erst am 02.08.1952 verkündet wurde. Das „Deutsche Programm“ beschränkte sich nicht nur auf die FDP. Middelhauve erklärte: „Es soll ein ‚Deutsches Programm’ sein, denn es geht sich nicht um die FDP oder irgendeine andere Partei oder Gruppe, sondern es geht um Deutschland.“[50] In der Zeitschrift der FDP, „Die deutsche Zukunft“, wurde das „Deutsche Programm“ gefeiert. In der Überschrift hieß es: „Stunde der Nationalen Sammlung angebrochen. Appell zur Sammlung aller nationalen Kräfte erfolgreich. Nordrhein-Westfalen als der Ausgangspunkt für eine Neuorientierung der deutschen Innenpolitik.“[51] In der Präambel des Programms wurde ein Bekenntnis zum „Deutschen Reich als der überlieferten Lebensform unseres Volkes und als der Verwirklichung seiner Einheit“ abgelegt.[52] Buchna bemerkte: „Liberale Programmelemente wurden mit nationalistischen Phrasen verbrämt, deutschnationale und obrigkeitsstaatliche Sehnsüchte mit einem emotional aufgeladenen Reichsbegriff sowie der Forderung nach einem starken Präsidenten bedient, konservative Ressentiments gegenüber Parlamentarismus und ‚Parteiismus’ weiter geschürt.“[53] Die Neue Zürcher Zeitung sah in dem „Deutschen Programm“ ein Umgestaltungsversuch des nordrhein-westfälischen Landesverbandes, um vor allem ehemaligen Nationalsozialisten eine neue politische Heimat zu geben.[54]

Die Verantwortlichen für dieses völkisch-nationalistische „Deutsche Programm“ waren Werner Naumann, Werner Best, Franz Alfred Six und Hans Fritzsche. Alle diese Personen besaßen eine ausgeprägte nationalsozialistische Vergangenheit. Werner Naumann war der letzte Staatssekretär von Joseph Goebbels, von dem später noch die Rede sein wird. Werner Best war SS-Obergruppenführer, Chef des Amtes Verwaltung bei der Besatzungsbehörde in Frankreich sowie ab November 1942 „Bevollmächtigter des Deutschen Reiches“ im besetzten Dänemark. Franz Alfred Six war SS-Brigadeführer und wurde wegen Massenmordes zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch im Sommer 1952 freigelassen. Hans Fritzsche war Leiter der Rundfunkabteilung im „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ und im „Großdeutschen Rundfunk“.

Das „Deutsche Programm“ hatte nichts mehr mit dem historischen Liberalismus im 19. Jahrhundert zu tun. Die Begriffe „liberal“ und „demokratisch“ tauchten im gesamten Text nicht ein einziges Mal auf. Für die FDP wurde die Forderung zur „Pflicht nach rechts“ erhoben. Ehemalige Wehrmachtsangehörige galten darin als bevorzugte Zielgruppe. So hieß es: „Wir sagen uns los von den Urteilen der Alliierten, mit denen unser Volk und insbesondere sein Soldatentum diskriminiert werden sollte.“[55] Als politisches Ziel wurde im Programm ein plebiszitäres Präsidialsystem auf völkischer Grundlage angestrebt.[56] Der FDP-Landesverband wollte mit diesem Programm ein potentielles Wählermilieu ansprechen, „das von früheren Nationalliberalen bis zu ehemaligen Deutschnationalen reichte, das alte Nationalsozialisten einbezog und in den ländlich-agrarischen Bereichen der deutschen Gesellschaft feste Wurzeln hatte.“[57] Das „Deutsche Programm“ konnte sich aber auf dem FDP-Bundesparteitag Ende November 1952 in Bad Ems nicht gegen das „Liberale Manifest“ der Landesverbände Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg durchsetzen. Einen Erfolg konnte der rechte NRW-Landesverband dennoch verbuchen: Middelhauve wurde zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und hatte der FDP eine „Pflicht nach rechts“ verordnet: Ziel sei die Bildung eines „dritten Blocks“, einer „nationalen Sammlungsbewegung“ aller Kräfte rechts von der Union.[58]

Der Erfolg dieses Rechtskurses im nordrhein-westfälischen Landesverband zeigte sich neben den Landtagswahlen 1950 besonders bei den Kommunalwahlen am 09.11.1952. Mit den Slogans „Das deutsche Programm ruft alle zur nationalen Sammlung!“ und „FDP ruft zur nationalen Sammlung!“ erzielte die FDP bei den Gemeindewahlen 10,2% und bei den Kreiswahlen 12,6% der Stimmen.[59] Auch aus diesem Grund fristeten neofaschistische Parteien wie die SRP oder die DRP ein politisches Schattendasein und schnitten bei Wahlen schlecht ab.

 

 

Die „Naumann-Affäre“

Eine Gruppe um Werner Naumann, dem letzten Staatssekretär des „Reichspropagandaministers“ Joseph Goebbels, versuchte, die FDP und andere rechte Parteien und Organisationen zu unterwandern und ein neonationalsozialistisches System zu installieren. In einem Tagebucheintrag von Naumann vom 26.08.1950 hieß es: „Um den N.S. (Nationalsozialisten, M.L.) unter diesen Umständen trotzdem einen Einfluß auf das politische Geschehen zu ermöglichen, sollen sie in die F.d.P eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die Hand nehmen.“[60]

Werner Naumann, der in der Presse als „Kopf der Verschwörung“ galt, wurde 1909 als Sohn einer schlesischen Gutsbesitzerfamilie geboren.[61] Nach seinem erfolgreich bestandenen Abitur 1929 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin, Genf und im ehemaligen Breslau. Schon 1928 wurde er Mitglied der NSDAP. 1935 schloss er sein Studium als Diplom-Volkswirt ab und promovierte ein Jahr später im ehemaligen Breslau bei Professor Noell von der Nahmer. Naumann sah in von der Nahmer einen völkischen Gesinnungsgenossen, der ihm auch im Anschluss der Promotion eine Anstellung als Assistent an der Breslauer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät verschaffte. Von der Nahmer war in der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der von Hans Frank gegründeten NS-Akademie für Deutsches Recht. 1934 erschien im „Völkischen Beobachter“ ein Beitrag von ihm über „Mussolinis Zinssenkungsaktion“.

Naumann begann mit der Vorbereitung einer Habilitationsschrift über das Thema „Wirtschaftslenkung durch Menschenführung“, die er 1937 jedoch unterbrach, um zum „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ zu wechseln. Beim Ausbruch des 2. Weltkrieges war Naumann Unteroffizier der Luftwaffe. 1940 wechselte er zur Waffen-SS, wo er an der Unterwerfung Frankreichs, Jugoslawiens, Griechenlands und am Feldzug gegen die Sowjetunion teilnahm. Aufgrund einer schwereren Verletzung kehrte er ins „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ zurück und wurde 1944 zum Staatssekretär ernannt. Selbst im Angesicht der deutlich bevorstehenden Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands glaubte er noch als überzeugter Anhänger Adolf Hitlers an eine Wende des 2.Weltkrieges. In einer Rede im März 1945 in München erklärte Naumann: „Für die Verteidigung sind immer wieder nur militärische Gesichtspunkte bestimmend. Jeder Erker, jeder Wald, jedes Tal, jeder Platz haben eine Festung zu sein! Wir brauchen Zeit und unsere Feinde haben keine Zeit. Wenn der Führer am 24. Februar sagte, daß wir in diesem Jahr die historische Wende erzielen, dann ist das für uns eine Realität. Worauf er sich bezieht, wissen wir nicht. Der Führer weiß es.“[62]

Naumann wurde in Hitlers Testament zum Nachfolger von Joseph Goebbels bestimmt. Aus Angst vor einer Verurteilung durch die Alliierten lebte er bis 1949 unter falschem Namen in Süddeutschland.[63] Dann meldete er sich nach Rücksprache mit dem damaligen Rechtsanwalt und dem späteren Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger in Hessen unter seinem richtigen Namen an und beantragte ein Entnazifizierungsverfahren gegen sich selbst. Im Laufe des Verfahrens verlegte Naumann seinen Wohnsitz nach Nordrhein Westfalen, so dass das Verfahren an die dortigen Behörden weitergegeben wurde. Dort wurde das Verfahren jedoch nicht weiter verfolgt, so dass der fanatische Nationalsozialist Naumann ohne Strafe davon kam. Seit 1950 arbeitete er in der Firma Commibec in Düsseldorf, die seiner früheren Bekannten Slicky Lucht gehörte. Slicky Lucht war die Witwe des früheren Leiters der „Außenstelle der Wehrmachtspropaganda“ in Paris, Herbert Lucht.

Seit seiner Rückkehr in Nordrhein-Westfalen nahm er Kontakte zu ehemaligen Nationalsozialisten im In- und Ausland auf.[64] Schon bald bildete sich um Naumann eine Gruppe von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, die sich einmal im Monat in einem Düsseldorfer Hotel traf. Diese Versammlung von früheren NS-Vertretern wurde als „Naumann-Kreis“ bezeichnet.[65] Diesem Kreis gehörte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der FDP, Ernst Achenbach, an, der in der NS-Zeit Verwalter der „Adolf Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“ war. Werner Best, einer der Protagonisten des „Deutschen Programms“ des NRW-Landesverbandes der FDP, war ebenso Mitglied des Kreises. Die früheren „Gauleiter“ Friedrich Karl Florian (Düsseldorf), Josef Grohé (Köln-Aachen) und Karl Kaufmann (Hamburg) nahmen ebenfalls regelmäßig an den Veranstaltungen teil. Insgesamt soll der Naumann-Kreis etwa 100 Mitglieder gehabt haben und mit ca. 3.000 Personen aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik in Kontakt gestanden sein. Das Ziel des Naumann-Kreises bestand in der Restitution eines autoritären völkischen Staates auf der Basis der nationalsozialistischen Ideologie.[66]

Naumann bemühte sich auch um Kontakte zu ehemaligen Wehrmachtsangehörigen. Opitz schrieb: „Bereits Anfang 1951 war er der politische Berater, sowohl des ehemaligen Generalobersten Heinz Guderian, unter dessen Führung er einen Zusammenschluß aller ehemaligen und aller künftigen Soldaten in einem einheitlichen Soldatenverband zu erreichen hoffte und dieses Projekt mittels aller ihm zu Gebote stehenden Einflussmöglichkeiten in die einzelnen wiedererstandenen Soldatenbünde hinein betreiben ließ.“[67]

Gleichzeitig förderte Naumann durch die Verbindung mit neofaschistischen französischen Bankiers die rechte Zeitschrift „Nation Europa“.[68] Er kümmerte sich um die Konsolidierung der wirtschaftlichen Basis des Publikationsorgans und schrieb auch selbst für „Nation Europa“. Naumann stand dabei in engem Kontakt mit dem Vorsitzenden Arthur Ehrhardt. Außerdem hatte er enge Verbindungen mit Herbert Böhme vom Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes (DKEG) und mit Waldemar Schütz, dem Besitzer des rechten Göttinger Plesse-Verlages.

Naumann verfolgte den Plan, die FDP-Landesverbände von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) sowie auch Teile der Deutschen Partei (DP) durch die Infiltration ihm zugeneigter Personen in die Hand zu bekommen. Zusammen mit anderen neonazistischen Kleinstparteien und mit Hilfe der Vertriebenenverbände wollte er die Neugründung einer einheitlichen faschistischen Partei herbeiführen.[69]

Naumann nahm längere Zeit Einfluss auf die Politik des FDP-Landesverbandes Nordrhein-Westfalens. Dabei gelang es ihm, Gesinnungsgenossen in Schlüsselpositionen der FDP-Parteiführung zu installieren. Der erste größere Erfolg war dabei die Unterbringung seines ehemaligen Mitarbeiters Wolfgang Diewerge als persönlichen Assistenten und Berater des Vorsitzenden des Landesverbandes der FDP, Friedrich Middelhauve.[70] Diewerge war außerdem für die Rednerschulung der FDP zuständig. Naumanns Intimus Diewerge war im NS-Staat „Gaupropagandaleiter von Danzig/Westpreußen“ und später Vorsitzender der Rundfunkabteilung des „Propagandaministeriums“. Neben Diewerge stand Naumann in engem Kontakt mit dem Landesgeschäftsführer Wolfgang Döring, der im 2. Weltkrieg einen Offiziersrang innehatte, und dem Pressereferenten der FDP, Siegfried Zoglmann, der im NS-System Referent der „Reichsjugendführerschaft“ war. Döring und Zoglmann nahmen an einer Tagung im Jahre 1951 in Bielefeld teil, bei der die beiden Spitzenfunktionäre im privaten Kreis erklärt hatten, „dass sie sich lediglich einer anerkannten, demokratischen Partei angeschlossen hätten, weil sie der Meinung seien, dies sei der beste Weg, auf dem ehemalige Nazis zur Macht zurückkehren könnten.“[71]

Anfang 1953 war der Landesverband an entscheidenden Stellen durchsetzt mit ehemaligen Nationalsozialisten.[72] Geschäftsführer war Alfred Rieger, ehemaliger Kreisleiter der NSDAP, Sozial- und Wirtschaftsreferent Heinz Jaeckel, früherer Hauptgeschäftsführer der „NS-Reichsarbeitskammer“, Referent für Kommunalpolitik und Vertriebene war Walter Brand, ehemaliger „Adjutant“ Konrad Henleins. Die Stelle des „Propagandareferenten“ bekleidete Rudolf Stolle, ehemaliger KdF-Geschäftsführer.

In den Bezirksverbänden sah es nicht anders aus.[73] Der Bezirksverband Westfalen-Lippe wurde angeführt von Josef Rieger, ehemaliger Kreisleiter der NSDAP in Groß-Strelitz. Der Verantwortliche des Landesverbandes Westfalen-Süd war Hans Mertens, ein ehemaliger „HJ-Bannführer“. Franz Oswald Finzel, ein früherer Oberst der Wehrmacht, leitete den Landesverband Westfalen-Nord. Den Landesverband Aachen führte Carl Peter Marks, ein ehemaliger Oberst der Waffen-SS. Siegfried Gröschel, früherer „SS-Hauptsturmführer“, war verantwortlich für den Landesverband Nordwest; Günter Prager, ein ehemaliger „HJ-Obergebietsführer“, für den Landesverband Ruhr. Der Landesverband Düsseldorf hatte Hugo Kraatz, Generalmajor der Waffen-SS und letzter Kommandant der SS-Divison „Hitler-Jugend“ zum Vorsitzenden.

Die Kreisverbände wurden ebenfalls von ehemaligen Nationalsozialisten dominiert.[74] Im Ennepe-Ruhr-Kreis wurde der ehemalige NS-Bürgermeister und „SS-Standartenführer“ Düsterloh in den Kreisrat gewählt, in Wesel der ehemalige NS-Bürgermeister von Breslau und „NSDAP-Reichsredner“ Schönwalder in die Stadtvertretung. Der ehemalige NS-Stadtkämmerer Türk hatte in Köln ein Posten in der Stadtvertretung inne ebenso wie in Mönchengladbach der „SS-Sonderrichter“ Gahlen, in Heheim-Hüsten der ehemalige NS-Ortsgruppenleiter Bechschäfer, in Brilon der ehemalige NS-Landrat Schramm, der ehemalige Ortsgruppenführer Görke und der ehemalige NS-Bürgermeister Werpers.

Wolfgang Diewerge, der persönliche Referent Middelhauves, war mitverantwortlich für die Empfehlung des FDP-Landesvorsitzenden, dass Horst Huisgen Ende 1949 in der niedersächsischen FDP Landesgeschäftsführer wurde.[75] Huisgen war im „Dritten Reich“ Gebietsführer der HJ in Oberschlesien, „Gauamtsleiter“ der NSDAP und später Reichstagsabgeordneter. In der Landesgeschäftsführung brachte er ehemalige Weggefährten unter wie Lothar Kühne, einen ehemaligen Funktionär der SS.

Middelhauve duldete, dass ehemalige Nationalsozialisten in führende Positionen der FDP in Nordrhein-Westfalen vordrangen. Er ging dabei von der (naiven) Vorstellung aus, NS-Verbrecher in das demokratische System der BRD zu integrieren. Auf einer Sitzung des FDP-Bundesvorstandes am 06.07.1952 sagte er: „Wir müssen diese Menschen nicht nur als Wählerstimmen gewinnen, sondern als aktive Mitarbeiter der Partei. Kann es uns dann stören, wenn einige Kreisleiter der NSDAP waren? (…) Im Augenblick, wo jemand gewillt ist, auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie und auf dem Boden unserer Partei zu stehen und diesen guten Willen manifestiert in der Gegenwart, in dem Augenblick haben wir die Pflicht, nicht nur das Recht, ihn in Bezug auf Ausübung des bürgerlichen Rechtes der Mitgestaltung und Verantwortung in unserer Partei mitarbeiten zu lassen.“[76] Für die Annahme, dass Middelhauve selbst an einer Installierung eines neonationalsozialistischen Systems interessiert war, gibt es keine Indizien.[77]

Verhandlungen zwischen Naumann und dem BHE-Vorsitzenden Kraft ab dem Jahre 1951 endeten damit, dass ehemalige Nationalsozialisten auf den Listen des BHE bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen kandidierten.[78] Florian, Mitglied des Naumann-Kreises, sorgte dafür, dass bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im November 1952 zwei seiner Gesinnungsgenossen auf die Kandidatenliste des BHE gesetzt wurden. Florian trat als Gegenleistung bei Wahlkämpfen des BHE in Niedersachsen in Erscheinung. Der Vertraute Naumanns, Werner Trumpf, ehemaliger „SA-Obersturmbannführer“ und Leiter des Verbindungsbüros der „Reichsstudentenführung“, besaß ebenfalls sehr gute Kontakte zum BHE.[79] Den Kontakt zur DP stellten der ehemalige „Reichsstudentenführer“ Albert Derichsweiler und Karl Erich, ehemaliger NSDAP-Hauptgeschäftsführer, her. Durch August Haußleiter und Rudolf Aschenauer hielt Naumann Kontakt zur „Deutschen Gemeinschaft“ (DG). Oskar Adler war der Verbindungsmann zur rechten Splitterpartei „Bund für Recht und Wahrheit“. Gottfried Griesmayr und der frühere NS-Dichter Herbert Böhme sorgten für den Kontakt zur „Arbeitsgemeinschaft nationaler Gruppen“.[80]

Naumann stellte Ende 1952 fest, dass es im Landesverband Nordrhein-Westfalen Gruppen gebe, die als rein nationalsozialistisch gelten könnten.[81] Dabei bezog er sich keineswegs auf einzelne Kreis- oder Bezirksverbände, sondern auf die Spitzenfunktionäre der nordrhein-westfälischen FDP. Dies kann als Beleg für seine erfolgreichen Unterwanderungsversuche angesehen werden.

Die Vorstellungen des Naumann-Kreises von der Restituierung einer nationalsozialistischen Partei fielen innerhalb der westdeutschen Bevölkerung und vor allem bei den Anhängern der FDP auf fruchtbaren Boden. Bei einer Meinungsumfrage kam heraus, dass der Anteil derjenigen, nach deren Meinung der Nationalsozialismus Deutschland mehr Gutes als Schlechtes gebracht hat, im Dezember 1952 bei 44% lag. Unter den Anhängern der FDP und anderer rechter Parteien lag der Anteil der Befürworter des NS-Regimes sogar bei 59%. Zu der Frage einer erneuten „Machtergreifung“ durch eine neonationalsozialistische Partei erklärten 24% der Befragten, sie würden sich mit allen Mitteln dagegen wehren. 4% der befragten Personen würden dagegen alles für solch eine „Machtergreifung“ tun. Unter den Anhängern der FDP sprachen sich 25% für eine neonationalsozialistische „Machtergreifung“ aus.[82]

Naumann verkündete auf einer Rede am 01.11.1952 in Düsseldorf eine Weiterentwicklung der nationalsozialistischen Ideologie: „Die Gedanken des Nationalsozialismus, von denen unser Volk und 12 Jahre deutsche Politik entscheidend beeinflusst waren, haben wir weiter entwickelt. Mit dem Badenweiler Marsch und mit einer neuen Fahne ist gar nichts getan. Wir brauchen einen neuen Stil, neue Parolen, neue Begriffe und eine neue Sprache, wenn wir unser Volk wieder politisch formen und uns durchsetzen wollen. Dieser Stil wird nicht emphatisch, propagandistisch oder superlativisch sein, sondern streng, sachlich, ernst, ein getreues Abbild unserer Lage.“[83]

Am 14.01.1953 wurden auf Veranlassung des britischen Hohen Kommissars Yvone Kirkpatrick sechs Mitglieder des Naumann-Kreises verhaftet. Am 15.01.1953 wurden gleichzeitig vom britischen Außenministerium und der britischen Hochkommission in Bonn die Nachricht von der Aufdeckung einer „Verschwörung ehemaliger Nationalsozialisten“ und deren unmittelbare Verhaftung verkündet.[84] Dies als Alleingang der britischen Behörden zu werten, ist falsch. Bundeskanzler Adenauer wurde laufend über die Ermittlungen und die geplanten Maßnahmen informiert.[85] Sofort nach ihrer Verhaftung wurden die Beschuldigten in das britische Militärgefängnis nach Werl eingeliefert.[86] Das in ihren Wohnungen beschlagnahmte Aktenmaterial wurde nach Wahnerheide, dem Dienstsitz des britischen Hohen Kommissars Yvone Kirkpatrick, gebracht. Bei den Verhafteten handelte es sich um Werner Naumann, Gustav Scheel, Paul Zimmermann, Heinrich Haselmayer, Heinz Siepen und Karl Scharping. Gustav Scheel war ehemaliger „Reichsstudentenführer“ und kurze Zeit „Gauleiter“ von Salzburg. In Hitlers Testament war er für den Posten des „Reichskulturministers“ vorgesehen worden. Paul Zimmermann arbeitete in der Wirtschafts- und Verwaltungsabteilung der SS, die für die Verwaltung der Konzentrationslager zuständig war. Heinrich Haselmayer leitete im NS-Staat den nationalsozialistischen Studentenbund in Hamburg und gab Bücher über „Rassenwissenschaft“ und die Sterilisierung von „erbkranken“ Menschen heraus. Heinz Siepen war ehemaliger Ortsgruppenleiter der NSDAP. Karl Scharping war Beamter in der Rundfunkabteilung des „Reichspropagandaministeriums“ aus.[87] Wenig später wurden auch Karl Friedrich Bornemann, ehemaliger Ministerialrat im „Reichspropagandaministerium“ und der ehemalige „Gauleiter“ von Hamburg, Karl Kaufmann, verhaftet.

Hintergründe der Verhaftungen wurden im offiziellen Kommuniqué dargelegt. Dort hieß es: „Es ist den britischen Behörden seit einiger Zeit bekannt, daß sich eine Gruppe ehemaliger führender Nazis mit Plänen der Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland befasste. Auf dem Gebiet der Außenpolitik war das Hauptziel dieser Gruppe die Verbreitung antiwestlicher Anschauungen und Richtlinien. Die Tätigkeit der Gruppe wurde von Zellen in der britischen Zone geleitet. Im Einklang mit den ihm nach dem revidierten Besatzungsstatut vorbehaltenen Befugnissen hat der britische Hochkommissar entschieden, daß die Tätigkeit dieser Gruppe näher zu untersuchen ist. Auf seine Anweisung sind die Rädelsführer verhaftet und zwecks Untersuchung in Gewahrsam genommen worden, damit festgestellt werden kann, in welchem Umfang die Tätigkeit dieser Männer innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik im gegenwärtigen Augenblick eine Bedrohung der Sicherheit der alliierten Streitkräfte darstellt.“[88]

Aus dem bei der Verhaftung Naumanns sichergestellten Quellenmaterial ergab sich eindeutig, dass der Naumann Kreis im Besonderen die Infiltration der nordrhein-westfälischen FDP und der DP plante.[89] Der mit der Verhaftung verbundene Hinweis war unübersehbar: Jede neonationalsozialistische Agitation und Betätigung wird sofort unterbunden und besitzt keine Entfaltungsmöglichkeiten.[90] Ernst Achenbach, Mitglied des Naumann-Kreises, setzte sich  nach der Verhaftung Naumanns für ihn ein und übernahm seine Verteidigung. Dieses Bekenntnis eines der bekanntesten FDP-Politiker im Landesverband Nordrhein-Westfalens zu Naumann brachte die Bundespartei in zusätzliche Erklärungsnot und Handlungszwang, was in der Forderung nach einem sofortigen Rücktritt Achenbachs vom Vorsitz des außenpolitischen Ausschusses gipfelte.[91]

Diese Verhaftungen, die für die breite Öffentlichkeit überraschend kamen, hatten eine Vorgeschichte.[92] Schon Mitte November 1952 berichtete ein aus britischen Quellen bestehender Artikel in der Stockholmer Zeitung „Dagens Nyheter“ von einer von Werner Naumann angeführten „Hundertmann-Gruppe“ führender Nationalsozialisten sowie von einer FDP, deren rechter Flügel „auf dem Weg zu einer neuen Harzburger Front weit fortgeschritten“ sei. Am 03.01.1953 trafen sich etwa 30 Vertreter verschiedener Kreisverbände in Köln mit dem FDP-Bundesvorsitzenden Franz Blücher, um ihre „ernste Besorgnis über den Zustrom rechtsradikaler Elemente“ zu diskutieren.

Die Verhaftungen lösten in der BRD wie im Ausland höchst unterschiedliche Reaktionen aus. Während in Frankreich und Großbritannien die Entlarvung einer „Nazi-Untergrundbewegung“ nach den vorhergegangenen Meldungen über die Kritik an der Entnazifizierung, die Anfangserfolge der SRP und die antisemitischen Straftaten als ein weiteres Indiz für die Berechtigung des Misstrauens gegen das postfaschistische Deutschland gewertet wurde, gab es in der BRD selbst zunächst mehr ablehnende als zustimmende Äußerungen.[93] So kommentierte der britische „Daily Express“: „Wenn man den Deutschen Gewehre gibt, wer kann dann sicher sein, wohin letzten Endes diese Gewehre zeigen werden. Es gibt nur einen Weg, sicherzugehen, ihnen überhaupt keine Gewehre zu geben! (…) Denkt an die Herrenrasse! (...) Jene, die Vergeben und Vergessen predigen, neigen dazu, die Verschwörungen der neuen Nationalsozialisten beiseite zu schieben und stattdessen auf den ehrenwerten Herrn Dr. Adenauer zu zeigen.“[94]  Die französische Zeitung „Le Monde“ legte dar: „Wenn auch niemand die Ernsthaftigkeit der Absichten des Kanzlers genauer bezweifeln könne, so sei doch andererseits festzustellen, daß überall in Westdeutschland die alten Nazis wieder ihre Köpfe erheben. (…) Die alliierte Propaganda hat bei weitem nicht alle unsere Nachbarn jenseits des Rheins von den Schönheiten der Demokratie überzeugen können. Wenn man sie zur Wiederbewaffnung in reaktionären und autoritären Kadern aufruft, so werden die Vereinigten Staaten und alle anderen, die auf diesem Weg folgen, letzten Endes nur erreichen, daß nach und nach wieder das soziale und geistige Klima geschaffen wird, in dem einst der Nationalsozialismus die Macht erobern konnte.“ [95] Viele bundesdeutsche Presseorgane legten bei ihrer Berichterstattung den Fokus weniger auf die Aufdeckung eines konspirativen Zirkels ehemaliger Nationalsozialisten als vielmehr auf das angeblich fragwürdige rechtstaatliche Vorgehen der britischen Besatzungsmacht.[96] Dies lag daran, dass die BRD sich dem Ausland als lernbereite, im demokratischen System verwurzelte Gesellschaft präsentieren wollte. Alle gegenteiligen Fakten wurden ausgeblendet oder klein geredet.

Thomas Dehler, damaliger FDP-Justizminister im Kabinett Adenauer, missbilligte das Vorgehen der britischen Behörden. Es zeuge von keinem großen Vertrauen in die Bundesrepublik, wenn „außerdeutsche Geheimdienste“ hier „Unternehmen“ ausführten, „die eigentlich den Deutschen vorbehalten bleiben sollten“.[97] Middelhauve ging es erst mal darum, politischen Schaden von der FDP abzuwenden. Er verkündete: „Irgendeine Beziehung der Freien Demokratischen Partei zu den Verhafteten oder ihrer Organisation besteht nicht“.[98] Außerdem verlangte er eine „eingehende Klärung“ der Vorgänge, durch die „das rechtsstaatliche Empfinden des deutschen Staatsbürgers empfindlich gestört“ worden sei.[99]

Der nationalsozialistische Schriftsteller Hans Grimm schrieb nach der Verhaftung Naumanns und seiner Anhänger einen offenen Brief an den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, der in der rechten Zeitschrift „Nation Europa“ abgedruckt wurde. Er forderte in diesem Brief Heuss dazu auf, dafür zu sorgen, dass „das Naumann-Spiel nicht weiter gespielt wird: es ist die Vergewaltigung und große Hilflosigkeit eines einzelnen Deutschen“.[100] Die gegen Naumann erhobenen Anklagen waren für Grimm „nichts als Phantasien einiger von Haß gegen alles Deutsche verblendeter Briten oder allenfalls bloß politischer Klatsch.“ Grimm führte weiter aus: „Für mich handelte es sich nur um einen Deutschen, gegen den in der unanständigsten Weise verfahren wurde; der sich nicht verteidigen konnte, während mit dem Rufe des Wehrlosen, selbst von höchsten Regierungsstellen in der Öffentlichkeit gespielt wurde.“[101]

Nach langer Vorlaufzeit distanzierte sich der FDP-Bundesverband von den neonationalsozialistischen Praxen in der eigenen Partei. Einer extra dafür eingesetzten Untersuchungskommission, bestehend aus Alfred Onnen, Thomas Dehler und Fritz Neumayer, fiel die Aufgabe zu, die Vorgänge im Landesverband Nordrhein-Westfalen zu untersuchen. Middelhauve versuchte systematisch, die Arbeit der Kommission zu behindern. Thomas Dehler beklagte sich mehrfach über die „mangelhafte Unterstützung“ von Middelhauve.[102] Die Untersuchungskommission der FDP-Bundespartei forderte, Achenbach aus der FDP auszuschließen, weil er „nach seiner Grundhaltung niemals zu uns gehört“ habe.[103] Dieses Ansinnen wurde jedoch vom Landesverband Nordrhein-Westfalen nicht umgesetzt. In der parteiinternen Kommission wurde Middelhauve schwer belastet. Er habe „durch sein Verhalten eine Gefahr für den Bestand und das Ansehen unserer Partei gesetzt.“[104] Im Juni 1953 wurde der abschließende Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Fazit der Untersuchung lautete allen Ernstes, dass der Landesverband Nordrhein-Westfalen „nicht unterwandert“ sei und kein Spitzenfunktionär eine „belastende Verbindung“ zum Naumann-Kreis gehabt habe: „(…) Der Landesvorsitzende und der Landesvorstand von Nordrhein-Westfalen sind in ihrer Bereitschaft, ehemalige Nationalsozialisten zur Mitarbeit im demokratischen Rechtsstaat heranzuziehen, durch untreue Kräfte in einigen Fällen getäuscht, und in einem Falle schwer missbraucht worden. Dadurch sind Gefahren für das politische Ansehen der Partei entstanden. Eine scharfe Wahrnehmung der Aufsicht wird dem Landesverband von Nordrhein-Westfalen durch den Bundesvorstand zur Pflicht gemacht.“[105]

Diese Aussagen können nur als parteitaktische Erwägung, Relativierung und Bagatellisierung der eigentlichen Situation verstanden werden. Nach der Naumann-Affäre verteidigte Middelhauve immer noch die Aufnahme von „ehemaligen jungen Aktivisten des Nationalsozialismus, die für eine Mitarbeit am Wiederaufbau geeignet sind und die guten Willens sind“, mit dem Argument, dass sie andernfalls zur SRP abgewandert wären und dann „aus Trotz, Verbitterung, Enttäuschung und Hass (…) wieder den falschen Weg“ eingeschlagen hätten.[106]

Als die britischen Behörden das Untersuchungs- und Gerichtsverfahren der festgenommenen Personen an die deutsche Justiz abgegeben hatte, wurden die Beschuldigten umgehend wieder freigelassen und später auch von allen Anklagepunkten freigesprochen, ohne dass es zur Eröffnung des gegen sie beantragten Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe kam.[107]




[1] Zur Gründungsgeschichte der FDP in der britischen Besatzungszone bzw. Nordrhein-Westfalen vgl. Hein, D.: Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949, Düsseldorf 1985, S. 133-157; Henning, F.: 25 Jahre FDP in Nordrhein-Westfalen, in: Das Rathaus. Zeitschrift für Kommunalpolitik 24 (1971), S. 113-119; Papke, G.: Liberale Ordnungskraft, nationale Sammlungsbewegung oder Mittelstandspartei? Die FDP 1946-1966, Düsseldorf 1998, S. 9-27; Schleimer, R.: Demokratiegründung und Parteipolitik. Die nordrhein-westfälische FDP in der Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik, in: Geschichte im Westen 13 (1998), S. 7-39

[2] Schröder, K.: Die FDP in der britischen Besatzungszone 1946-1948. Ein Beitrag zur Organisationsstruktur der Liberalen im Nachkriegsdeutschland, Düsseldorf 1985, S. 15

[3] Von Alemann, Nordrhein-Westfalen: ein Land entdeckt sich neu, a.a.O., S. 131

[4] Im Ahlener Programm aus dem Jahre 1947 versuchte die CDU, eine Melange zwischen „Staatswirtschaft“ und „liberaler Marktwirtschaft“ herzustellen. Dabei spielte die Vergesellschaftung des Bergbaus und der Eisenindustrie eine große Rolle. Außerdem wurde eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei „grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialer Gestaltung“ in größeren Betrieben und Konzernen angestrebt. Das Ahlener Programm propagierte einen christlichen Sozialismus, der in der christlichen Soziallehre des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurzelte. Vgl. dazu John, A.: Ahlener Programm und Bonner Republik, Vor 50 Jahren: Ideenwettlauf und Rivalitäten, Bonn 1997

[5] Hüttenberger, P.: Grundprobleme der Geschichte Nordrhein-Westfalens zwischen 1945 und 1970, in: Von Alemann, U. (Hrsg.): Parteien und Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Köln 1985, S. 48-68, hier S. 57

[6] Zitiert aus Buchna, K.: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945-1953, München 2010, S. 99

[7] Rommel, H.-O.: Die Deutschen Jungdemokraten nach 1945, in: liberal. Vierteljahreshefte für Politik und Kultur 22, (1980), S. 563-573, hier S. 563ff

[8] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 74

[9] Krämer, J. D.: Das Verhältnis der politischen Parteien zur Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen, Frankfurt/Main 2001, S. 386

[10] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 48

[11] Ebd., S. 51

[12] Zitiert aus Ebd., S. 50

[13] Ebd., S. 54

[14] Hubert, P.: Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Vertretung 1933-1945, Düsseldorf 1992, S. 73

[15] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S.59

[16] Grimm, F.: Generalamnestie als völkerrechtliches Postulat, Köln/Opladen 1951, S. 5f

[17] Zitiert nach Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 67

[18] Buddrus, M.: Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend und nationalsozialistische Jugendpolitik, Band 2, München 2003, S. 1229f

[19] Der Witikobund zählt seit seiner offiziellen Gründung im Jahre 1947 zum rechten Rand der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL). Das wichtigste Ziel des Witikobundes ist der revanchistische Anspruch auf die Eingliederung des Sudetenlandes in die Bundesrepublik. Es wird Kritik an den „verbrecherischen Benes-Dekreten“ formuliert und die Tschechische Republik mit dem Vorwurf der „Raubsicherungspolitik“ konfrontiert. Vgl. dazu Grumke/Wagner, Handbuch Rechtsradikalismus, a.a.O., S. 439-442 oder Dietzsch, M.: Kader gegen die Fünfundvierziger. Die völkische Gesinnungsgemeinschaft Witikobund, in: Kellershohn, H. (Hrsg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit, Duisburg 1994, S. 133-142

[20] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 87

[21] Rütten, T.: Der deutsche Liberalismus 1945-1955. Deutschland- und Gesellschaftspolitik der ost- und westdeutschen Liberalen in der Entstehungsphase der beiden deutschen Staaten, Baden-Baden 1984, S. 89

[22] Lösche, P./Walter, F.: Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, Darmstadt 1996, S. 28f

[23] www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp2.htm

[24] FDP-Bundesvorstand. Die Liberalen unter dem Vorsitz von Theodor Heuss und Franz Blücher. Sitzungsprotokolle 1949-1954, Band 1: 1949-1952, Düsseldorf 1990, S. 553

[25] Lösche/Walter, Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, a.a.O., S. 30

[26] Ebd., S. 31

[27] Ebd.

[28] Ebd.

[29] Zitiert aus Duve, Die Restauration entlässt seine Kinder oder Der Erfolg der Rechten in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 108

[30] Elsässer, J.: Braunbuch DVU. Eine deutsche Arbeiterpartei und ihre Freunde, Hamburg 1998, S. 101

[31] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[32] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[33] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[34] Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalens (Hrsg.): 50 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Land und seine Abgeordneten, Düsseldorf 1996, S. 510

[35] Ebd., S. 447

[36] Paul, J.: Die nationalsozialistische Vergangenheit in den Debatten des nordrhein-westfälischen Landtages 1946-1958, in: Geschichte im Westen, Jg. 16, Heft 2/2001, S. 226-241, hier S. 230

[37] Ebd., S. 231

[38] Ebd.

[39] Ebd., S. 233

[40] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[41] Kaack, H.: Zur Geschichte und Programmatik der Freien Demokratischen Partei, Meisenheim am Glan 1976, S. 47

[42] Hein, Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949, a.a.O., S. 57

[43] Dudek/Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik: zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, a.a.O., S. 39

[44] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[45] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[46] Paul, Debatten über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus im Landtag Nordrhein-Westfalen von 1946 bis 2000, a.a.O., S. 75

[47] Ebd.

[48] Rütten, Der deutsche Liberalismus 1945 bis 1955. Deutschland- und Gesellschaftspolitik der ost- und westdeutschen Liberalen in der Entstehungsphase der beiden deutschen Staaten, a.a.O., S. 124f

[49] Lösche/Walter, Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, a.a.O., S. 32

[50] Zitiert aus Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 107

[51] Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[52] Juling, P.: Programmatische Entwicklung der FDP 1946-1966. Einführung und Dokumente, Meisenheim am Glan 1977, S. 120ff

[53] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 223

[54] Neue Zürcher Zeitung vom 22.11.1952

[55] Zitiert aus Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen

[56] Lösche/Walter, Die FDP: Richtungsstreit und Zukunftszweifel, a.a.O., S. 34

[57] Ebd.

[58] www.zeit.de/2002/23/200223_a-fdp-nazi.xml

[59] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 154

[60] Ebd., S. 127

[61] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 162f

[62] Zitiert aus Hirsch, Rechts von der Union: Personen, Organisationen, Parteien seit 1945: ein Lexikon, a.a.O., S. 418

[63] Ebd., S. 419

[64] Opitz, Neofaschismus in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 38ff

[65] Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, a.a.O., S. 361ff

[66] Opfermann, Wie Ehemalige scheitern. Der frühe Rechtsradikalismus in Westdeutschland, in: Geschichte im Westen, a.a.O., hier S. 62

[67] Opitz, Neofaschismus in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 40

[68] Ebd., S. 41

[69] Ebd., S. 42

[70] Hirsch, Kommen die Nazis wieder? Gefahren für die Bundesrepublik, a.a.O., S. 9

[71] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 430

[72] Hirsch, Kommen die Nazis wieder? Gefahren für die Bundesrepublik, a.a.O., S. 9

[73] Ebd., S. 10

[74] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 13

[75] Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, a.a.O., S. 364

[76] Zitiert nach Papke, G.: Unser Ziel ist die unabhängige FDP. Die Liberalen und der Machtwechsel in Nordrhein-Westfalen 1956, Baden-Baden 1992, S. 74f

[77] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 33

[78] Opfermann, Wie Ehemalige scheitern. Der frühe Rechtsradikalismus in Westdeutschland, in: Geschichte im Westen, a.a.O., S. 63

[79] Hirsch, Rechts von der Union: Personen, Organisationen, Parteien seit 1945: ein Lexikon, a.a.O., S. 69

[80] Ebd.

[81] Gutscher, J.M.: Die Entwicklung der FDP von ihren Anfängen bis 1961, Meisenheim am Glan 1967, S. 156

[82] Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, a.a.O., S. 369

[83] Zitiert nach Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 168

[84] Ebd., S. 161

[85] www.zeit.de/2002/23/200223_a-fdp-nazi.xml

[86] Ebd.

[87] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 162f

[88] Ebd.

[89] Gutscher, Die Entwicklung der FDP von ihren Anfängen bis 1961, a.a.O., S. 152

[90] Herbert, U.: NS-Eliten in der Bundesrepublik. Bestrafung, Toleranz-Integration, in: Teppe, K./Thamer, H.-U.: 50 Jahre Nordrhein-Westfalen, Münster 1996, S. 7-22, hier S. 17

[91] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 166

[92] www.zeit.de/2002/23/200223_a-fdp-nazi.xml

[93] Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 169

[94] www.kokhavivpublications.com/kuckuck/archiv/karc0007.html

[95] Ebd.

[96] Buschke, H.: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer, Frankfurt/Main 2003, S. 256ff

[97] www.zeit.de/2002/23/200223_a-fdp-nazi.xml

[98] Ebd.

[99] Ebd.

[100] Nation Europa, 3. Jg., Heft 9 (1953), S. 65

[101] Ebd., S. 66

[102] Buchna, Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr, a.a.O., S. 162

[103] Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, a.a.O., S. 370

[104] www.udo-leuschner.de/liberalismus/fdp2.htm

[105] Hirsch, Rechts von der Union: Personen, Organisationen, Parteien seit 1945: ein Lexikon, a.a.O., S. 70

[106] Zitiert nach Der Spiegel vom 06.05.1953, S. 7

[107] Opitz, Neofaschismus in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 51

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