Thomas Morus Utopia
Morus‘ bekanntestes Werk ist Utopia in dem er ein erfundenes Inselreich mit einer ganz anderen Gesellschaftsstruktur beschreibt, als sie zu seiner Zeit in England herrscht. Wo Utopia liegt, bleibt ungeklärt. Aus Morus’ Vorrede erfährt man nur, dass die Insel in der Nähe von Amerika liegen soll. Die Hauptstadt Amaurotum heißt übersetzt „Nebelstadt“ und ist damit eine Anspielung auf London. In den Sozialwissenschaften wird das Werk als Kritik an den damaligen Verhältnissen und als Gegenentwurf zum zeitgenössischen England gesehen, andere sehen darin eine boshafte Satire desselben England. Der Begründer der Insel hieß Utopos, vorher hieß sie Abraxa. Die Insel hat 54 Städte, alle groß und prächtig, die in Sprache, Sitten, Einrichtungen und Gesetzen vollständig übereinstimmen. Das Glück des Lebens liegt dort in der Freiheit und Pflege des Geistes, alle Bürger sollten damit möglichst viel Zeit verbringen und nicht mit körperlicher Arbeit. Der Geist wird angeregt durch das Zusammenspiel von Religion und Philosophie, das auf Vernunft aufbaut. Krieg wird verabscheut. Der Ruhm, der im Kriege erworben werden kann, verachten die Utopier. Es gibt nur Übung im Kriegshandwerk von Männern und Frauen, um zur Verteidigung ausgebildet zu sein und die Grenzen zu schützen. Die Utopia ist aus der Bestrebung entstanden, die herrschenden Zustände anzuprangern und zu verbessern. Ein Idealbild der Gesellschaft nach dem Muster Platons wurde gezeichnet. Vielleicht greift Morus auch auf die bereits von Platon im Timaios angewandte Methode zurück. In dem Stadtstaat dieser Insel herrscht eine Art Kommunismus: die Interessen des Einzelnen sind denen der Gemeinschaft untergeordnet. Wie in einem (idealen) Kloster hat jeder zu arbeiten; jedermann bekommt Bildung und genießt religiöse Toleranz. Anders als in der Realität der Renaissance sind Grund und Boden gemeinsamer Besitz. Das Ende von Utopia wird bewusst offen gelassen: Die Aufgabe des Nachdenkens und der Bewertung wird dem Leser übertragen wie in Platons Dialogen. Nach dem Erscheinen in Löwen wurde es bald in mehrere Sprachen übersetzt und wurde der Vorläufer der Romanutopie. Für Kautsky ist Morus der Vater des utopischen Sozialismus; Bloch wertet Morus als bedeutenden Sozialisten.
Die Utopische Literatur ist die Bezeichnung für eine Gattung von literarischen Werken, die sich mit einer idealen Gesellschaft befasst, deren Realisierung für die Zukunft als denkbar möglich vorgestellt wird. Der tatsächlichen, aktuellen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit gegenübergestellt, übernimmt die Utopie eine Vorbildfunktion. Diese beinhaltet sowohl Ideengespinste der abstrakten als auch real mögliche konkrete Utopien. Im Gegensatz hierzu dient die Anti-Utopie, auch Dystopie genannt, der Abschreckung.
Sir Thomas Morus (1478-1535) war ein englischer Staatsmann und humanistischer Autor. Er ist ein Heiliger und Märtyrer der römisch-katholischen Kirche (Gedenktag 22. Juni). Morus war Sohn eines Richters, besuchte eine Lateinschule, besaß ein Stipendium für die Universität in Oxford, wo Morus Latein und Griechisch studierte. Ab 1496 durchlief er eine juristische Ausbildung in der Rechtsschule Lincoln's Inn, 1504 wurde er Parlamentsmitglied. 1516 verfasste Morus das erste Buch der Utopia und redigierte das ganze Werk, das im Dezember erschien. Er pflegte eine enge Beziehung mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam.1517 Mit 39 Jahren trat er ganz in den Dienst des Königs von England, der ihn bald zum Mitglied des Geheimen Rates machte. Morus wurde 1529 zum Lordkanzler ernannt, eine Position, die etwa der des heutigen Premierministers entspricht. In seiner Funktion als Lordkanzler ließ er Anhänger der Reformation verfolgen und verbrennen, er war ein entschiedener Gegner Luthers.
Im Jahre 1534 erließ König Heinrich VIII die „Suprematsakte“, durch die der Krone Englands sämtliche Vollmachten über die englische Kirche, auch die Entscheidung in Glaubensfragen, übertragen wurden. Morus weigerte sich, die Suprematsakte anzuerkennen, deshalb wurde er 1535 hingerichtet.
In der Utopia geht es um die Erzählungen eines Seemannes (Rafael Hythlodeus), der eine Zeit lang bei den Utopiern gelebt haben will. Raphael Hythlodaeus ist frei erfundene Person, die als weiser Philosoph beschrieben wird.
Die Handlung ist Antwerpen, die wichtigste Handelsmetropole Europas im frühen 16. Jahrhundert. Inhaltlich setzt die Erzählung mit der Begegnung dreier Figuren ein: Nach einem Gottesdienstbesuch trifft der Ich-Erzähler Thomas Morus den befreundeten Humanisten Peter Gilles, den er in ein Gespräch mit dem fiktiven Weltenbummler Raphael Hythlodaeus verwickelt sieht. Gegen Ende der Schilderung hält Raphael ein flammendes Plädoyer für die Institutionen der Utopier, doch Morus gibt sich skeptisch, was die Möglichkeit der Umsetzung auch in Europa betrifft.
Der zweite Teil des Werkes, die „Rede über die beste Staatsverfassung“ im Jahre 1515 wurde während Morus’ Aufenthalt in Flandern in engem Austausch mit Erasmus konzipiert. Das erste Buch mit der Staats- und Gesellschaftskritik und der bereits von Cicero erörterten Frage, ob ein Philosoph Staatsgeschäfte übernehmen sollte, wurde erst nachträglich im Jahre 1517 eingebaut.
Das Kernproblem des ersten Buches ist die Frage, ob der weise Philosoph in den aktiven Dienst des Fürsten treten soll oder nicht. Das Privateigentum wird als Hindernis gerechter Politik gesehen: Der Besitz sollte gleichmäßig und gerecht verteilt werden und das Privateigentum aufgehoben werden. Solange es besteht, wird der größte Teil der Menschheit immer in Armut leben. Der erste Teil des Werks hat eine Rahmenhandlung zum Inhalt, in der eine ausführliche Kritik an den damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Europas, insbesondere Englands, geübt wird. Heftig angeprangert wird beispielsweise die Praxis der Todesstrafe, die in England selbst Dieben droht, da es durch die harte Bestrafung für den Dieb keinen Unterschied mache zu stehlen oder zu morden.
Im zweiten Buch werden immer wieder Bezüge zur Situation in Europa hergestellt und zwar in einem negativen Sinne: die hohe Wertschätzung für Geld, Prunk und Ruhm, zu harte Gesetze, auf vertragsbrüchige Fürsten oder die kirchlichen Missstände.
Wo Utopia liegt, bleibt ungeklärt. Aus Morus’ Vorrede erfährt man nur, dass die Insel in der Nähe von Amerika liegen soll. Die Hauptstadt Amaurotum heißt übersetzt „Nebelstadt“ und ist damit eine Anspielung auf London.
Der Begründer der Insel hieß Utopos, vorher hieß sie Abraxa. Die Insel hat 54 Städte, alle groß und prächtig, die in Sprache, Sitten, Einrichtungen und Gesetzen vollständig übereinstimmen.
Die Vernunft ist das Fundament der Konstruktion von Utopia. Die Utopier halten sich an ein utilitaristisches Vernunftsprinzip, das den Gesamtnutzen der Gemeinschaft maximiert.
Der Staat der Utopier ist eine Republik. Das politische System der Utopier basiert auf einer förderalen Struktur. Das Volk wählt ein Oberhaupt, das lebenslang herrscht, wenn er tyrannische Züge zeigt, kann er abgesetzt werden. Es wird auch eine „Rat der gesamten Insel“ gewählt, über dessen Funktionen aber kaum etwas gesagt wird. Das politische Führungspersonal rekrutiert sich aus den fünfhundert von der Arbeit freigestellten Wissenschaftlern. Die Regierungsform ist eine Mischung aus Gelehrtenaristokratie und Demokratie. Die Idee der platonischen Philosophenherrschaft war hier Vorbild. Jede Stadt wird von einem Senat regiert, der sich aus Wahlbeamten auf Zeit zusammensetzt. Das jeweilige Stadtoberhaupt ist auf Lebenszeit gewählt; entwickelt er tyrannische Züge, so kann er abgesetzt werden. Nirgendwo anders soll es ein besseres Volk und ein glücklicheres Staatswesen geben.
Die Utopier leben in den Städten in Familienverbänden. Es herrscht allgemein eine patriarchalische Hierarchie, und die Älteren bestimmen über die Jüngeren. Überfamiliär ist die Gemeinschaft klosterähnlich organisiert mit Gemeinschaftsküche und gemeinsamen Speisungen. Ein jährlich gewählter Vorsteher hat die Aufsicht über einen Familienverband von 30 Familien.
Erwachsene Geschlechtspersonen gehen eine monogame Ehe ein. Die Utopier praktizieren ein liberales Eherecht, das dem christlichen entgegensteht. Scheidung und Wiederverheiratung sind erlaubt.
Geldverkehr kennen die Utopier nicht. Sie sollen aber durch eine Überproduktion an Gütern vieles davon anhäufen, und verwenden es um Söldnerheere oder Handel zu betreiben. Die Utopier selbst schätzen Gold nicht. Sie üben Kritik an den bestehenden Staaten wegen fehlender Gleichheit und einer Verschwörung der Reichen, die im Namen des Staates ihren Vorteil suchen. Sie profitieren von der Armut und der Arbeit der Armen. Armut würde beseitigt werden, wenn das Geld abgeschafft werde. Nächstenliebe wird gepredigt. Morus führt aus, mit der Abschaffung des Geldes werde die Geldgier verschwinden und damit Betrug, Raub, Mord und Furcht.
Die Städte dürfen nur eine bestimmte Größe erreichen. Überbevölkerung wird durch Migration bzw. Bildung einer Kolonie im Ausland ausgeglichen. Umgekehrt findet bei Einwohnermangel ein Rückfluss aus den Kolonien oder überbevölkerten Städten statt.
Das Glück des Lebens liegt in der Freiheit und Pflege des Geistes, alle Bürger sollten damit möglichst viel Zeit verbringen und nicht mit körperlicher Arbeit. Der Geist wird angeregt durch das Zusammenspiel von Religion und Philosophie, das auf Vernunft aufbaut. Es sind geistige Dinge, aus denen die Utopier ihre Freude ziehen. Falsche Bedürfnisse sind die Gier und die Jagd. Ein humanes Verhalten gegenüber behinderten Menschen wird ebenfalls praktiziert.
Müßiggang wird bestraft; es gibt keine Kneipe, kein Freudenhaus, ein puritanisches Leben wird von Morus favorisiert.
Es gibt auch Sklaven bei den Utopiern: entweder solche, die wegen eines Verbrechens zu Sklaven gemacht werden oder fleißige Tagelöhner aus anderen Staaten, die es vorziehen, freiwillig als Sklaven zu dienen. Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist verboten. Ehebrecher werden zu Sklaven gemacht. Es gibt nur bei schlimmen Verbrechen die Todesstrafe, weil Zwangsarbeit der Täter dem Staat mehr nützt.
Zweck des utopischen Erziehungswesens ist die Vorbereitung für die Übernahme von religiösen und politischen Ämtern sowie die Schulung für eine Integration in das kollektive Leben der Utopier. Es gibt eine Gleichbehandlung der Geschlechter: Jungen und Mädchen werden in gleicher Weise unterrichtet. Es werden alle Kinder in den Wissenschaften durch Priester unterrichtet, in ihrer Freizeit sollen die arbeitenden Menschen sich mit Wissenschaft beschäftigen. Die Kinder werden ab dem dritten Lebensjahr in Sprache unterrichtet. Später findet auch Unterweisung in praktischer Arbeit (Ackerbau und Viehzucht) statt.
Die religiösen Anschauungen sind nicht nur auf der Insel, sondern auch in den einzelnen Städten verschieden. Trotz Glaubensunterschiede gibt es den Konsens, dass alle an die Existenz eines höchsten Wesens glauben, der die Welt erschaffen hat. Dieses Wesen nennen sie Mythras. Es existiert religiöse Toleranz, einige der Utopier sind zum Christentum konvertiert. Priester können auch Frauen werden, männliche Priester können auch heiraten. Kein Amt besitzt bei den Utopiern höhere Ehre. Es gibt einen religiösen Pluralismus, aber weder Atheisten noch Materialisten gehören zu den Staatsbürgern Utopias. Trotz mancher Parallele mit christlichen Glaubenspraktiken ist die Religion der Utopier keine offenbarte, sondern eine vernunftbegründete. Die Utopier sind somit im theologischen Verständnis keine Christen, sondern Heiden.
Krieg wird dort verabscheut. Der Ruhm, der im Kriege erworben werden kann, verachten die Utopier. Es gibt nur Übung im Kriegshandwerk von Männern und Frauen, um zur Verteidigung ausgebildet zu sein und die Grenzen zu schützen. Die Utopier werben lieber Söldner für den Krieg an als ihre eigenen Leute zu opfern. Die Reihe der Gründe, die sie dennoch bewegen könnten, zu den Waffen zu greifen, reicht von der Verteidigung des eigenen Staatsgebietes über die Befreiung und Unterstützung der Bundesgenossen. Dies sei der Begriff eines „gerechten Krieges“.
Rationale Gesetzgebung und statische, prinzipiengeleitete Organisation der Lebensgemeinschaft werden zu Garanten des Glücks erhoben. Hauptsorge der vorindustriellen Gesellschaft war die Verteilungsgerechtigkeit für eine optimale Versorgung der Bürger mit den knappen Gütern und die Bewahrung des inneren und äußeren Friedens. Obwohl die Renaissance als Zeitalter der Entdeckung des Individuums gilt, wurde der Egoismus in seinen Formen der Sündhaftigkeit und triebhaften Unmoral als Antipode des Gemeinschaftssinns und damit als Störelement des gerechten Ausgleichs der Lebensverhältnisse und der Gemeinschaftsinteressen beschrieben.
Am Ende des Werkes wird ein Lob der utopischen Staatsverfassung erhoben, da dort die Belange der Allgemeinheit vertreten werden. Es gibt keine Armen und keine Bettler. Gegen Ende der Schilderung hält Raphael ein flammendes Plädoyer für die Institutionen der Utopier, doch Morus gibt sich skeptisch, was die Möglichkeit der Umsetzung auch in Europa betrifft.
Das Ende von Utopia wird bewusst offen gelassen: Die Aufgabe des Nachdenkens und der Bewertung wird dem Leser übertragen wie in Platons Dialogen.
Im Werk gibt es einige Merkmale, die nicht ganz zusammenpassen: Die Institution der Sklaverei widerspricht dem geforderten Prinzip der Gleichheit in einem klassenlosen Staat.
Nach dem Erscheinen in Löwen wurde die in lateinischer Schrift erschienene „Utopia“ bald in mehrere Sprachen übersetzt und wurde der Vorläufer der Romanutopie.
Die Utopia von Thomas Morus gilt es eine der besten Staatsromane des Humanismus. Er enthält Elemente der Literatur des „utopischen Sozialismus“ der späteren Zeit (Robert Owens „New moral world“ oder Fouriers „Neue industrielle und soziale Welt“).
Antike Wurzeln der Utopia sind Mythos vom Goldenen Zeitalter, die griechische Atlantis-Sage oder der biblische Garten Eden. Die Darstellung von einem Goldenen Zeitalter als dem Anfang aller Geschichte taucht erstmals bei Hesiod 700. v. Chr. auf. Platons Politeia war Vorbild für Morus bei der Abfassung seiner Schrift. Die ständische Gliederung der Politeia wird von Morus nicht übernommen.
Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ist eine zentrale Voraussetzung für das utopische Denken der frühen Neuzeit. Es gab eine Erweiterung des abendländischen Erfahrungshorizontes und die damit verbundene Wunschvorstellung einer besseren Welt.
Morus’ Utopia enthält nicht weder den Willen noch den Aufruf zur Realisierung. Das Werk ist konzipiert als fiktives Gegenbild, als gedankliches Experiment, es versucht, in kritisch-satirischer Absicht den herrschenden Missständen den Spiegel vorzuhalten.
Die Utopia ist aus der Bestrebung entstanden, die herrschenden Zustände anzuprangern und zu verbessern. Ein Idealbild der Gesellschaft nach dem Muster Platons wurde gezeichnet.
DasKernproblem der Deutungsversuche ist folgendes: Morus starb für die Einheit der katholischen Kirche am Galgen, ausgerechnet dieser Mann ist Urheber eines utopischen Entwurfes, der einen heidnischen, rationalen und sozialistischen Staat beschreibt und keinen genuin christlichen. In seinen Schriften „Dialogue Concerning Heresies (1529) und der „Confutation of Tyndale’s Answer“ (1532/33) sprach sich Morus gegen die Reformation aus.
In der christlich-konservativen Interpretation ist Utopia ist als mahnendes Gegenbild gedacht, um die korrupte Christenheit zur Besinnung zu rufen. Erst Erasmus von Rotterdam, der Humanist, habe den heidnischen Charakter, die kommunistische Lebensform und die religiöse Toleranz nachträglich in die Utopia eingefügt.
In der sozialistischen Interpretationen wird die Schrift gefeiert. Für Kautsky ist Morus der Vater des utopischen Sozialismus; Bloch wertet Morus als bedeutenden Sozialisten.
Die Utopia enthält keine praktischen Anweisungen für einen Übergang zur Wirklichkeit. Dies spricht gegen die Behauptung, Morus habe mit der Utopia ein politisches Handlungsprogramm entworfen. Als Lordkanzler versuchte Morus niemals, den utopischen Staat in die praktische Politik zu übersetzen.
Nach dem Vorbild Morus’ erschienen in den Folgezeit weitere Werke in utopischer Richtung. Tommaso Campanella (1568 in Kalabrien-1639 in Paris; eigentlich Giovanni Domenico) war ein italienischer Philosoph, Dominikaner, Dichter und Politiker, der den „Sonnenstaat“ entwarf. Im Pariser Exil widmete sich Campanella vorrangig der Veröffentlichung seiner Werke. Weiterhin unterstützte er die französische Politik und setzte sich für die Konversion der Hugenotten ein. La città del Sole oder auch Civitas solis (deutsch „Sonnenstaat“) ist ein 1602 in einem Kerker von Campanella verfasstes und 1623 publiziertes Werk, das den wirtschaftlichen und politischen Aufbau des idealen Staates darstellt. Er führt alle sozialen Übel auf das Privateigentum zurück. Dieses will er mit seiner voll kollektivistischen Gesellschaftsordnung, welche sämtliche Lebensbereiche umfasst, beseitigen. Genau ermittelte Bedarfspläne bestimmen nach ihm die Produktion. Die Institution der Familie, welche das materielle Denken fördert und deshalb das Privateigentum stützt, soll aufgelöst werden. An ihrer Stelle soll ein Weiber- und Kinderkommunismus verwirklicht werden. Im „Sonnenstaat“ bedeutet die Gattung alles, das Individuum nichts. Politisch träumt Campanella von einer päpstlichen Universalmonarchie; im „Sonnenstaat“ liegt daher die Macht absolutistisch in den Händen der priesterlichen Hierarchie.
Der lutherische Pfarrer Andreae schrieb das Werk „Christianopolis“ 1619 nach dem Vorbild Campanellas. Durch einen Schiffbruch wird der Ich-Erzähler an das Ufer der Insel „Capharsalama“ getrieben und dort von einem Wächter aufgenommen, der ihn in die Stadt „Christianopolis“ bringt. Nicht den Glauben der Europäer lehnen die Bewohner ab, sondern deren Sitten, weil die Europäer wegen des christlichen Glaubens Krieg führen. Damit kritisiert die Schrift die Missstände der Zeit. Dem Bildungs- und Erziehungsgedanken kommt höchste Priorität zu. Der Staat übernimmt die Erziehung der Kinder, die im Alter von sechs Jahren von ihren Eltern getrennt werden. Es wird die Abschaffung des Privateigentums gefordert. Andreae entwirft damit das Ideal eines christlichen Staates.
Francis Bacon (1561-1626) war ein englischer Philosoph und Staatsmann sowie Wegbereiter des Empirismus. Er machte als Jurist und Politiker in England Karriere. 1618 wurde er zum Lordkanzler befördert. Bacon verfasste zahlreiche philosophische, literarische und juristische Schriften. Etwa im Jahr 1614 schrieb er mit „Nova Atlantis“ eine Utopie, in der er die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach seinen Vorstellungen anregte. Ziel der Wissenschaft sei Naturbeherrschung im Interesse des Fortschritts, Wissenschaft muss einen praktischen Nutzen haben.
„Nova Atlantis“ erschien 1627 – ein Jahr nach dem Tod des Verfassers – in neulateinischer Sprache. Es ist der Versuch einer Darstellung eines vollkommenen Staatswesens, dessen Bestand und Zukunft durch die experimentellen Methoden der Wissenschaft und die wachsende Fülle ihrer Ergebnisse gesichert sein sollte. „Nova Atlantis“ ist die erste neuzeitliche Utopie, die sich sowohl im Titel als auch im Text explizit auf Platons Atlantis beruft. Bacon erhebt Atlantis dabei zum historischen Fakt, um der eigenen Geschichte mehr Glaubwürdigkeit zu geben. Dieses „alte Atlantis“ sei einst in der von Platon beschriebenen Katastrophe untergegangen, jedoch hätten sich einige Bewohner auf das „neue Atlantis“, die (fiktive) Südseeinsel Bensalem retten können. Rein äußerlich handelt es sich um einen romanhaften Reisebericht, der sich an der „Utopia“ von Morus zum Teil anlehnt. Bensalem ist eine Insel im Stillen Ozean, die Bewohner sind Christen voller Frömmigkeit und Menschenliebe. An materiellen Werten wie Gold oder Silber sind sie nicht interessiert. Bensalem ist wenigen Menschen bekannt, die Bewohner der Insel kennen jedoch die meisten Staaten der Welt ganz gut. Auf Bensalem siedelten sich Phönizier, Karthager, Ägypter, Palästinenser, Araber und Chinesen an. König Solamona, ihr Gesetzgeber, ordnete an, die Einwanderung von Fremden zu unterbinden aus Angst vor Neuerungen oder Verwirrung der Sitten. Einigen Juden, die auf der Insel leben, wird freie Religionsausübung gewährt.
Johann Gottfried Schnabels Werk „Insel Felsenburg“ hat sowohl utopischen Charakter[1] als auch bedeutende Schnittmengen mit der Robinsonade[2]. Bei der Darstellung einer unbekannten Welt geht es vor allem um die Schilderung persönlicher Einzelschicksale; die Figuren treten als individualisierte Charaktere auf. Der Zeitpunkt des Erscheinens von Schnabels Werk ist nicht festlegbar; zwischen 1731 und 1743 erschien es unter dem Titel „Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebornen Sachsen“. Anstatt dieses langen Titels setzte sich im Laufe der Zeit die Bezeichnung „Insel Felsenburg“ durch. Dieser Roman entwickelte sich zu einem der beliebtesten Schriften des 18. Jahrhunderts. Zwischen 1731 und 1772 gab es insgesamt 26 neue Auflagen.
Schnabel, der in der Nähe von Bitterfeld geboren wurde, nahm zwischen 1708 und 1712 auf Seiten Prinz Eugens in den Niederlanden am Spanischen Erbfolgekrieg teil.[3] Zwischen 1731 und 1741 arbeitete er als Herausgeber einer Zeitung und als Autor. In dieser Zeit entstand neben der Insel Felsenburg der Roman „Der im Irrgarten der Liebe herum taumelnde Kavalier“. Im Jahre 1750 veröffentlichte Schnabel den phantastischen Roman „Der aus dem Mond gefallene und nachero zur Sonne des Glücks gestiegene Printz“ unter dem Pseudonym Gisander. Unter diesem Pseudonym publizierte Schnabel auch den Roman Insel Felsenburg.[4]
Der utopische Charakter ist dabei in eine doppelte Rahmenhandlung eingebunden. Die äußere Handlung erzählt die Geschichte des fiktiven Herausgebers Gisander, der das Manuskript des Romans von dem Literaten Eberhard Julius erhielt, den er auf einer Reise kennenlernte. Nachdem Julius bei einem Postkutschenunfall verstarb, ordnete Gisander die Manuskripte von Julius und gab sie dann heraus. Die innere Handlung bildet dann die autobiographische Erzählung des Eberhard Julius. Als Julius einen Brief von dem Ahnvater der Insel Felsenburg, Albertus Julius, erhielt, brach Eberhard Julius mit dem Kapitän Leonhard Wolffgang auf, um ihn auf der Insel aufzusuchen. Nachdem er dort angekommen war, berichtet Julius von der fiktiven Insel und seinen Bewohnern.
Neben diesen Erzählungen berichten auch andere Emigranten über die utopische Insel. Deren Berichte heben immer wieder den Unterschied zwischen dem Europa im 18. Jahrhundert, wo schreckliche Zustände herrschten, und dem jetzigen Ort hervor. In verschiedenen Ländern Europas, aus denen die Emigranten ursprünglich stammten, gab es Krieg, Armut, allgemeinen Sittenverfall und religiöse Intoleranz. Ein Grund zur Rückkehr in diese Welt gibt es nicht, die Insel Felsenburg wird als glückseliger Ort beschrieben, wo die europäischen Zustände überwunden worden sind.
Kurz nach seiner Ankunft auf der Insel erzählte ihm Albertus Julius die Anfänge des Insellebens. Nach einem Schiffbruch erreichten er selbst, sein Freund Carl Frantz van Leuven, dessen Frau Concordia sowie der Kapitän des Schiffes, Lelemie, die Insel. Dort angekommen, wurden die Regeln der patriachalische „Gleichheit“ der Personen und des gemeinsamen Besitzes beschlossen. Albertus sagte zum Kapitän Lelemie:[5] „Die Zeiten haben sich geändert, euer Kommando ist zu Ende, es gilt unter uns dreien einer so viel wie der andere, die meisten Stimmen gelten, die Viktualien und andere Sachen sind gemeinschaftlich.“
Concordia als Frau wurden diese basisdemokratischen Entscheidungsbefugnisse vorenthalten, lediglich männliche Mitglieder durften abstimmen. Diese patriarchalische Ordnung setzte sich in der staatlichen Ordnung Felsenburg fort. Mit dem Hinweis auf die „Gottebenbildlichkeit“ des Mannes wurde deren Herrschaft legitimiert. Die freiwillige, monogame Ehe bildete die Grundlagen der Gesellschaft Felsenburgs. Frauen- und Kindergemeinschaften, die in Platons Staat wesentlich für das Gemeinschaftsleben angesehen wurden, gab es auf Felsenburg nicht. Hier dominierte die Kleinfamilie mit einer christlichen Lebens- und Moralphilosophie. Schölderle bemerkte:[6] „Die abgebildeten Ideale, allen voran die protestantische Religion, haben ihren Ort in der familiären Privatheit und nicht in den staatspolitischen Institutionen oder Repräsentanzorganen.“
Nach dem Tod van Leuvens wurden Albertus und Concordia ein Paar und zeugten neun Kinder, die schließlich die neun „Julischen Stämme“ bildeten. Diese Stammesfamilien waren die Organisationseinheiten des staatlichen Gemeinwesens auf der Insel Felsenburg. Die festgelegten basisdemokratischen Entscheidungsbefugnisse wurden im politischen System Felsenburgs nicht fortgesetzt. Das Vorbild der absolutistischen Herrschaft im Europa des 18. Jahrhunderts wurde zwar auch abgelehnt, aber es das staatliche System trug Züge einer monarchistischen Verfassung und einer starken Zentralgewalt. Diese Zentralgewalt sollte in ihren Befugnissen von neun Senatoren aus den jeweiligen Stammesfamilien eingeschränkt werden. Albertus stellte fest:[7] „Jedoch ist meine Meinung nicht, dass ein solches Oberhaupt als ein souveräner Fürst regieren und befehlen solle, sondern seine Macht und Gewalt muss durch das Ansehen und Stimmen noch mehrerer Personen eingeschränkt sein.“
Aufgrund der milden klimatischen Verhältnisse und des fruchtbaren Bodens gedieh das wirtschaftliche Leben auf Felsenburg. Mangel an Lebensmitteln gab es nicht, es wurde gar von einer Überflussgesellschaft berichtet, die im Gegensatz zum Europa des 18. Jahrhunderts die erarbeiteten Güter gerecht verteilte. In Felsenburg gab es bevorzugt Wirtschaftseinrichtungen im Acker-, Garten- und Weinbau. Felsenburg wurde als ein Ort dargestellt, wo „die Tugenden in ihrer angeborenen Schönheit anzutreffen, hergegen die Laster des Landes fast gänzlich verbannt und verwiesen sind.“[8]
Wie auch in anderen Utopien war auf der Insel ein geometrisches Ordnungsdenken vorherrschend. In einem Dreieck zwischen den beiden größten Flüssen befand sich die Albertsburg, das politische Zentrum der Insel. Um die Albertsburg herum wurden die neun Regierungsbezirke angeordnet. Rationalität und ein alles beherrschender Utilitarismus war auf Felsenburg vorherrschend:[9] „Die Natur wird, ohne jede Schwärmerei, durchweg nach den Kriterien der Nützlichkeit beurteilt und der menschlichen Herrschaft unterworfen, wobei die ‚zivilisatorische Rationalität‘ auch vor dem Menschen nicht halt macht.“ Rationale Gesetzgebung und eine statische, prinzipiengeleitete Lebensgemeinschaft wurden zu den Garanten des Glücks erhoben.
Auf Felsenburg gab es kein Geldverkehr oder Privateigentum, alles wurde nach dem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit auf dem ökonomischen Sektor organisiert. Es existierte „Gold, Silber, Kleinodien und Geld“ auf der Insel, was aber kaum eine Rolle spielte, da es auf der Insel keinen Nutzen brachte.[10] Es gab keinen Handel mit anderen Inseln in der Nähe, es kam lediglich in den neun Siedlungsterritorien zu einem Austausch von Gütern. Arbeit bedeutete für die Felsenburger keine Mühe, es wurde als Freude betrachtet. Müßiggang wurde abgelehnt und bestraft.
Die Insel wurde als schwer zugänglich beschrieben, so dass ein Bild der isolierten Abgeschiedenheit gezeichnet wurde. Das Innere der Insel wurde mit künstlichen Gräben und Hindernissen abgeschottet, um nicht von ungebetenen Neuankömmlingen belästigt zu werden. Schnabel betont die Exklusivität der Bewohner, der Zutritt blieb nur „gewissen erlesenen Leuten“ vorbehalten. Es wurde außerdem eine Art militärischer Verteidigung der Insel aufgebaut, um die selbstgewählte Isolation zu gewährleisten.[11] Durch die Abschirmung der Insel vom Rest der Welt kannten die Bewohner Felsenburgs keinen Krieg, wie er im Europa des 18. Jahrhunderts üblich war.
Schnabels Utopie enthieht weder den Willen noch den Aufruf zur Realisierung.[12] Das Werk war konzipiert als fiktives Gegenbild, als gedankliches Experiment. Es versuchte, den herrschenden Missständen im Europa des 18. Jahrhunderts den Spiegel vorzuhalten.
Schnabel versuchte niemals, das politische und soziale Programm der Insel Felsenburg in die Praxis umzusetzen. Er wollte die von Sittenverfall und Egoismus geprägten Verhältnisse in Europa mit dem Bild einer idyllischen Inselwelt, wo es keine Probleme und materielle Sorgen gibt, konfrontieren. Der Egoismus in seinen Formen der Sündhaftigkeit und Unmoral wurde als Antipode des Gemeinschaftssinnes und damit als Störelement des gerechten Ausgleichs der Lebensverhältnisse und der Gemeinschaftsinteressen beschrieben. Die Bewohner der Insel Felsenburg verzichteten auf den Kontakt mit der übrigen Welt; somit kann von einer Flucht vor den Problemen Europas gesprochen werden. Ihre Insel war dabei das positive Gegenbild einer problembehafteten Realität.
Schnabel wollte mit seinem Roman seine eigene bedrängte und als mangelhaft empfundene Gegenwart überschreiten und erdachte sich deshalb ein besseres Dasein wie so viele Utopisten wie Thomas Morus, Tommaso Campanella oder Francis Bacon vor ihm.
Schnabels Insel Felsenburg ist ein Prototyp der Utopie mit den Merkmalen: die Verwendung der Inselmetapher, die Berufung auf die Vernunft, die Identifizierung von Geld und Privateigentum als Wurzel allen Übels, die Geringschätzung von Gold und Silber, die geometrischen Ordnungsmuster sowie der Verzicht auf die Produktion unnützer Güter.[13] Die Organisation des staatlichen Gemeinwesens auf Felsenburg widersprach mit ihrer Mischverfassung der staatsabsolutistischen Praxis in den Staaten Westeuropas im 18. Jahrhunderts; dies war auch eine versteckte Kritik am Absolutismus und seinen Vertretern. Schnabels Utopie ging nicht nur auf die ideale politische und soziale Ordnung auf Felsenburg ein, er schilderte auch persönliche Einzelschicksale.[14] Bei allen Vergesellschaftungstendenzen auf Felsenburg wurde das Individuum diesen nicht streng untergeordnet, es blieb weiterhin ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Lebens.
Morus Utopia prägte auch die Ideen der Frühsozialisten. Der Begriff Frühsozialismus bezieht sich auf die Tatsache, dass die genannten Theorien und Ideen vor den Revolutionen von 1848/1849, vor den ersten eigentlich sozialistischen Vereinigungen und vor allem vor den Schriften von Karl Marx veröffentlicht wurden. Neben dem Wirken von Marx und dem Entstehen der Sozialdemokratie spielten auch Persönlichkeiten des vor allem in Süd- und Osteuropa erstarkenden Anarchismus wie Pierre-Joseph Proudhon und Michail Bakunin eine Rolle bei der Ablösung frühsozialistischer Ideen. Diese frühen oder utopischen Sozialisten lebten alle etwa um dieselbe Zeit, nämlich 1770 bis 1825. Diese sozialistischen Autoren seien aber keine Utopisten etwa im Sinne von Thomas Morus gewesen, denn sie hätten daran geglaubt, dass ihre ideal vorgestellten Gesellschaften in naher Zukunft zu realisieren gewesen seien.
François Noël Babeuf (1760–1797) war wahrscheinlich der erste Autor, der den Sozialismus als Staatsform anstrebte. Er gründete dazu während der Französischen Revolution die verschwörerische Société des égaux („Gesellschaft der Gleichen“): Damit begann der Frühsozialismus sich politisch zu organisieren. Über Filippo Buonarotti gelangten Babeufs Ideen zu den Frühsozialisten Charles Fourier (Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen, 1808) und Louis-Auguste Blanqui (1805–1881). Von seinen Ideen und denen des Henri de Saint-Simon war wiederum der 1834 in Paris gegründete Bund der Geächteten beeinflusst. Saint-Simon begründete nicht nur die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Denkschule der Saint-Simoniens, die in den 1830er und 1840er Jahren sehr bedeutsam wurde, sondern er wirkte auch stark auf die sozialpolitischen Vorstellungen vieler Autoren der Romantik und vor allem vieler politischer Akteure der Zeit.
Er zählte zu den Vertretern jenes Frühsozialismus, der den Widerspruch von Karl Marx erregte und insofern dessen Denken beeinflusste. Mit Le nouveau christianisme wurde er einer der Väter der katholischen Soziallehre, die um und nach 1900 florierte und sich als christliche Alternative zum atheistischen Sozialismus à la Marx verstand.
Von ihm spaltete sich 1836 der Bund der Gerechten ab, dessen Führung bis 1848 der Schneider Wilhelm Weitling übernahm. Weitling, ein Frühsozialist mit christlichen Überzeugungen, gilt als erster deutscher Theoretiker des Kommunismus.
Frühe Sozialisten waren auch der deutsch-jüdische Philosoph Moses Hess (1812–1875), der den sozialistischen Flügel des Zionismus begründete, Hermann Kriege und der deutsche Journalist Karl Grün (1817–1885). Der deutsche Ökonom Karl Rodbertus (1805–1875) gilt als Begründer des Staatssozialismus.
In England war Robert Owen der bedeutendste Frühsozialist, der sich aus Armut schon in jungen Jahren zum Unternehmer emporgearbeitet hat. Vor allem bis zu seinem öffentlichen Bekenntnis zum Atheismus war er auch in den gehobenen Gesellschaftsschichten sehr populär. Owen war, eine Ausnahme unter den Frühsozialisten, auch praktisch politisch aktiv, so beeinflusste er beispielsweise die Arbeiterschutzgesetze und versuchte sich (erfolglos) in Amerika mit einer sozialistischen Mustersiedlung. Er gilt als Vertreter des Genossenschaftssozialismus.
Viele Ideen, die Owen in seiner Baumwollspinnerei New Lanark hatte und umsetzte, sind heute in den Industrieländern selbstverständlich. Dazu zählen unter anderem: Abschaffung der Kinderarbeit, Schulbildung der Kinder, Arbeitszeitbeschränkung, effiziente Organisation der Betriebsabläufe, Motivation der Mitarbeiter, saubere Arbeitsplätze, Gewerkschaftsbildung, Genossenschaftswesen, etc.
1825 verkaufte Owen die Fabrik und ging in die Vereinigten Staaten, um dort seine utopisch genossenschaftlich konzipierte Kolonie New Harmony zu gründen. Die Siedlung war ihm von Johann Georg Rapp verkauft worden. Das Experiment scheiterte schnell. Owen kehrte 1829 nach England zurück. Die mittlerweile stärker gewordenen Gewerkschaften griffen seine Ideen der Genossenschaft auf.
Bei der Auseinandersetzung um den Utopiebegriff hält Thomas Schölderle eine Orientierung an die Musterschrift von Morus für sinnvoll, da sich aus Form, Inhalt, Funktion und Intention seiner „Utopia“ die meisten Kriterien eines generalisierbaren Begriffs ermitteln lassen. Schölderle definiert Utopie folgendermaßen:[15] „Eine Utopie ist der meist literarische Entwurf von idealtypisch und rational-experimentell konstruierten Institutionen oder Prinzipien eines Gemeinwesens, der den realhistorischen Verhältnissen in kritischer Intention gegenübersteht und auf ein besseres Leben der Menschen gerichtet ist.“
Er versteht Utopien als Instrumentarium der Sozialkritik, die in einem selbst geschaffenen Szenario die politischen Unzulänglichkeiten und Missstände der Gegenwart beschreiben und kritisieren:[16] „Utopien fungieren immer als Denkappell, als Spiel mit Möglichkeiten, als ein Raum des geistigen Experiments und als restriktionsbefreiter Entwurf von Ideen, der (…) nie mit der praktisch-politischen Tat zusammenfällt.“
Schölderle plädiert dafür, dass Utopien auch in der Zukunft benötigt werden, um gegenwärtige oder zukünftige gesellschaftliche Ungerechtigkeiten mit Hilfe von rationalen Lösungsstrategien anzuprangern:[17] „Als hypothetisch-anzipierte Realitäten sozialer und technischer Innovationen bleiben Utopien nach wie vor von zentraler Bedeutung. (…) Utopien fragen unablässig nach den institutionellen Bedingungen des gesellschaftlichen Daseins und Glücks, nach den Gerechtigkeitsprinzipien seiner Ordnung und nach der Rationalität seiner Umsetzung. (…) Sie wecken Bewusstsein, fordern Antworten und suchen Lösungen.“
[1] Waschkuhn, A.: Politische Utopien, München 2003, S. 14
[2] Die Robinsonade wird als eine Sonderform des Abenteuerromans gesehen. Der Terminus Robinsonade wird abgeleitet von Defoes Roman „Robinson Crusoe“ aus dem Jahre 1719. Das grundlegende Motiv ist ein exilartiger Aufenthalt in inselhafter Abgeschiedenheit. Seit dem 19. Jahrhundert nimmt die Robinsonade drei Ausprägungsformen an: als utopischer Staatsroman, als Abenteuerroman sowie als pädagogischer Roman für Jugendliche und junge Erwachsene. Vgl. dazu Stach, R.: Robinsonaden, Baltmannsweiler 1996, S. 11f
[3] Schölderle, T.: Utopia und Utopie. Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff, Baden-Baden 2011, S. 225
[4] Mayer, H.: Von Lessing bis Thomas Mann – Wendungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland, Pfullingen 1959, S. 37-78
[5] Meid, V./Springer-Strand, I. (Hrsg.): Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg, Stuttgart 1979, S. 88
[6] Schölderle, Utopia und Utopie, a.a.O., S. 228
[7] Meid, Springer-Strand, Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg, a.a.O., S. 601
[8] Ebd., S. 199
[9] Ebd., S. 602
[10] Ebd., S. 208
[11] Ebd., S. 246
[12] Freier, P.: Deutsche Literatur im 18. Jahrhundert, München 1995, S. 167ff
[13] Weber, A.: Kleine Literaturgeschichte, Berlin 1992, S. 287
[14] Mayer, Von Lessing bis Thomas Mann – Wendungen der bürgerlichen Literatur in Deutschland, a.a.O., S. 47
[15] Thomas Schölderle: Utopia und Utopie. Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2011, S. 481
[16] Ebd. S. 489
[17] Ebd.