Wiederbegründung der KPD in der SBZ
Am 11.6.1945 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), deren führende Funktionäre seit April in Deutschland eingetroffen waren, wieder zugelassen. Sie verlangte die Liquidierung des Großgrundbesitzes und Übergabe an die Verwaltungen zur Verteilung an die durch den Krieg ruinierten und besitzlos gewordenen Bauern, die Verstaatlichung aller Betriebe, die lebenswichtigen öffentlichen Interessen dienen (Verkehrsbetriebe, Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke). Denn sowohl in der KPD-Führung wie auch in der KPD-Mitgliedschaft standen sich noch immer zwei Strömungen gegenüber: auf der einen Seite das remigrierte Rest-ZK, das fest mit der KPdSU verbunden war, sich in den kontroversen Debatten im Exil auf die Leitlinien der sowjetischen Politik verpflichtete und durch die Stalinschen Säuberungen der späten 30er Jahre, die auch die eigenen Reihen betroffen hatten, auf die Anerkennung einer bedingungslosen Disziplin gegenüber der Stalinschen Führung fixiert war. Auf der anderen Seite standen jene Genossen, die teils aus der Westemigration, teils aus Zuchthäusern, KZ-Lagern oder der Illegalität kamen, und weder Taktik und Programmatik noch den Führungsanspruch der Heimkehrer von vornherein anzuerkennen bereit waren.
Am 10.6.1945 gestattete die Sowjetische Militäradministration (SMAD) mit dem Befehl Nr.2 die Bildung politischer Parteien und die Gründung von Gewerkschaften. Der SMAD-Befehl ging davon aus, dass „die Bildung und Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien zu erlauben sei, die sich die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der Grundlagen der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten (…) zum Ziel setzen.“[1]
Einen Tag später veröffentlichte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), deren führende Funktionäre seit April in Deutschland eingetroffen waren, ihren Gründungsaufruf: die Konzeption der Kommunisten für die Arbeit im postfaschistischen Deutschland. Der Aufruf war – im Namen des Zentralkomitees (ZK) der KPD – von 16 prominenten Funktionären unterzeichnet, 13 von ihnen waren gerade aus ihrem Exil in der Sowjetunion zurückgekehrt.
In diesem Gründungsaufruf[2] verwies das ZK auf die Situation Nachkriegsdeutschlands. Die Parteiführung beklagte „Ruinen, Schutt und Asche“, wies auf die Desorganisation der Wirtschaft hin und sprach von einer „Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes“, die „über Deutschland hineingebrochen“ war. Sie sah die Schuldigen an dieser Katastrophe nicht allein in der nationalsozialistischen Führung, sondern auch in den „aktiven Anhängern und Helfern der Nazipartei“, in den „aktiven Trägern des deutschen Militarismus“ und den „Großbanken und Konzernen“. Als Mitschuldige nannte die KPD „alle jenen deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zusahen, wie Hitler die Macht an sich riß, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und köpfen ließ.“
Das ZK räumte ebenfalls eine Mitschuld ein:[3] „Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit der Arbeiter, Bauern und Intelligenz entgegen allen Widersachern zu schmieden.“ Einen Ausweg sah die Partei nicht im Beginn einer sozialistischen Umwälzung, sondern in dem Bemühen, „mit der Vernichtung des Hitlerismus (…) gleichzeitig die Sache der Demokratisierung, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen (…) und den reaktionären altpreußischen Militarismus mit allen seinen ökonomischen und politischen Ablegern zu vernichten.“
Deutschland das „Sowjetsystem aufzuzwingen“ hielten die Autoren für „falsch“, weil dieser Weg „den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen“ nicht entspreche. Stattdessen plädierte die KPD dafür, „den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen-demokratischen Regimes“ zu gehen, den Weg „einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.“
Als erste Maßnahmen empfahl die KPD
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die Bildung freier Gewerkschaften und Parteien;
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die Säuberung des gesamten Bildungs- und Erziehungswesens;
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die Wiederaufrichtung der demokratischen Selbstverwaltungsorgane.[4]
Aus ökonomischer Sicht sprach sich die KPD für die Enteignung des gesamten Vermögens der „Nazibonzen und Kriegsverbrecher“ und „Übergabe dieses Vermögens in die Hände des Volkes zur Verfügung der kommunalen und provinzialen Selbstverwaltungsorgane“. Sie verlangte die Liquidierung des Großgrundbesitzes und Übergabe an die Verwaltungen zur Verteilung an die durch den Krieg ruinierten und besitzlos gewordenen Bauern, die Verstaatlichung aller Betriebe, die lebenswichtigen öffentlichen Interessen dienen (Verkehrsbetriebe, Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke) sowie den „Umbau des Steuerwesens nach dem Grundsatz der progressiven Steigerung“.
Allerdings plädierte die Führung der KPD auch für die „völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums“ bei gleichzeitigem „Schutz der Werktätigen gegen Unternehmerwillkür und unbotmäßige Ausbeutung“. Weiterhin sollte die Liquidierung des Großgrundbesitzes „in keiner Weise den Grundbesitz und die Wirtschaft der Großbauern berühren.“
Die Parteiführung hat damit ein Konzept vorgelegt, das auf die Entmachtung der agrarischen und industriellen Großunternehmer (Großgrundbesitz, Nazi-Bonzen und Kriegsverbrecher) zielte und Kleinbauern sowie das nicht nationalsozialistische Bürger- und Kleinbürgertum als Bündnispartner gewinnen helfen sollte. Gerade im Hinblick auf diese potentiellen Partner hatte die KPD darauf verzichtet, den Übergangscharakter des antifaschistisch-demokratischen Regimes zu betonen und dessen politische Perspektive, den Sozialismus, zu benennen. Diesem Zweck diente auch der Verzicht auf die Erwähnung von Marx, Engels oder Lenin.
In diesem Sinne stellte sich die KPD 1945 als eine scheinbar grundsätzlich gewandelte Partei dar. Tatsächlich aber reflektierte das KPD-Programm weder eine Abkehr von traditionellen Zielsetzungen noch allein die KPD- Interpretation der Lage im postfaschistischen Deutschland. Zwar verwiesen die Kommunisten in ihrem Aufruf auf jene Momente, die eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung statt des Beginns einer sozialistischen Revolution erforderlich machten: auf die große Zerstörung Deutschlands und die politisch-ideologischen Nachwirkungen des deutschen Faschismus.
Den Ausgangspunkt des Programms aber bildete die Einheits- und Volksfrontpolitik, die von den kommunistischen Parteien seit 1934735 entwickelt worden war, und die die Basis der strategischen Überlegungen aller kommunistischen Parteien – weithin unabhängig von den jeweiligen sozioökonomischen Bedingungen – bildete.
Im Interesse dieser Bündnispolitik konnte dies als programmatische Grundlage für die Bildung eines „Blocks der antifaschistischen, demokratischen Parteien (der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Zentrums-Partei und anderer)“ verstanden werden.
Um nun dieses Bündniskonzept zu verwirklichen, musste die KPD- Führung zunächst drei Probleme lösen:
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ihr neues Konzept des schrittweisen Übergangs zum Sozialismus in der eigenen Partei durchsetzen;
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zugleich einen Modus vivendi mit der Sozialdemokratie, d.h mit jener Partei finden, die sich bis 1933 als der stärkere Konkurrent um die Führung der Arbeiterklasse erwiesen hatte;
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dafür Sorge tragen, dass entstehende bürgerliche Parteien ihr Bündnisangebot, die Schaffung eines gemeinsamen Blocks, so akzeptierten, dass die KPD durch den Block ihr Transformationskonzept absichern und durchsetzen konnte.
Als wichtigste Aufgabe erwies sich die Durchsetzung des KPD-Programms in der KPD selbst. Bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus der Moskauer Emigration Ende April/Anfang Mai 1945 hatten die drei „Initiativ-Gruppen“[5] des Moskauer ZK (die Gruppe Ackermann im Raum Dresden, die Gruppe Ulbricht im Raum Berlin, die Gruppe Sobottka in Mecklenburg) feststellen müssen, dass die im Exil entwickelten Leitlinien der KPD für die postfaschistische Ära in Deutschland in den Überresten der KPD auf Widerstand oder Unverständnis stießen: KPD-Mitglieder kritisierten die ihnen neue Programmatik häufig als reformistisch und verlangten den Beginn oder wenigstens die Proklamation der sozialistischen Umwälzung.
Seine ersten Eindrücke von Begegnungen mit Kommunisten, die eben erst aus der Illegalität, aus Zuchthäusern oder Konzentrationslagern zurückgekehrt waren, schilderte Walter Ulbricht am 14. Mai 1945 in einem Brief an Wilhelm Pieck, der damals noch in Moskau arbeitete:[6] „Wir müssen uns Rechenschaft legen darüber, daß die Mehrheit unserer Genossen sektiererisch eingestellt ist, und daß möglichst bald die Zusammensetzung der Partei geändert werden muß durch die Hereinnahme aktiver Antifaschisten, die sich jetzt in der Arbeit bewähren. Manche Genossen führen unsere Politik mit Augenzwinkern durch, manche haben den guten Willen, aber dann ist bei ihnen doch die Losung „Rot-Front“ und manche (…) reden über Sowjetmacht und ähnliches. Wir haben energisch den Kampf gegen die falschen Auffassungen in den Reihen unserer Genossen geführt, aber immer wieder tauchen neue Genossen auf, die mit den alten Fehlern von vorne beginnen. Diese kurzen Andeutungen zeigen Dir, welche Bedeutung die ideologische Umerziehung unserer Genossen hat.“
Was Ulbricht in Berlin begegnete, erlebte Anton Ackermann in Sachsen:[7] „Mit manchen Genossen der eigenen Partei und anderen Antifaschisten waren klärende Auseinandersetzungen notwendig, denn viele hingen noch an Vorstellungen aus der Zeit vor 1933. Die rote Arbeiter- und Bauernarmee stand im Land – waren damit nicht etwa die Errichtung der Sowjetmacht und der Aufbau des Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt?“
Die Sobottka-Gruppe hatte mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen:[8] „In Waren gab es eine aktive Gruppe von Kommunisten. Diese Genossen hatten maßgebliche Funktionen besetzt, gaben eine Zeitung ‚Die Rote Fahne“ heraus und organisierten eine ‚Rote Miliz’ mit einem ‚Stadtkommandanten’ an der Spitze. Neben den Befehlen des sowjetischen Kommandanten erließen sie Verordnungen und verfügten Beschlagnahmungen. Die Kehrseite dieser Politik lässt sich denken. Unsere ‚energischen’ Genossen blieben unter sich und isolierten sich von der Bevölkerung.“
Siegfried Thomas stellte fest:[9] „Es ist (…) verständlich, daß viele alte Parteimitglieder die politische Arbeit unter Aspekten begannen, wie sie in den Jahren der Weimarer Republik gültig waren. Das kam unter anderem in den verschiedenen von kommunistischen Gruppen unmittelbar nach der Befreiung herausgegebenen Plakaten und Flugblättern zum Ausdruck, die Forderung nach der sofortigen Errichtung der Diktatur des Proletariats und der Sowjetmacht enthielten. Andere Genossen hatten sich, wegen des fehlenden Zusammenhalts ‚eigene’ politische Gedanken gemacht, was zu unterschiedlichen politischen Auffassungen führte.“
Diese angesprochenen Personen waren jedoch nicht nur unbekannte Parteimitglieder. Zu ihnen zählten vielmehr auch jene Parteikader, die von der DDR-Geschichtsschreibung als die „operative Leitung“ der Partei im Lande bezeichnet werden.[10] Mitglieder dieser Leitung waren die 1944 verhafteten und 1945 hingerichteten Franz Jakob, Theodor Neubauer, Anton Saefkow, Martin Schwantes und Georg Schumann. Sie hatten zwischen 1943 und 1944 immer wieder modifizierte Konzeptionen für eine kommunistische Politik zum Sturze des NS-Regimes und im postfaschistischen Neubeginn formuliert, in denen sie freilich selbst zu dieser Zeit noch von der Möglichkeit einer Selbstbefreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus ausgingen. In diesen Konzeptionen spiegelte sich zweierlei wider: die durch Illegalität und Informationsdefizite bedingte Schwierigkeit, die Programme und Strategiediskussionen der kommunistischen Weltbewegung nachzuvollziehen sowie offenbar auch ideologische Vorbehalte gegenüber der seit 1942 vom emigrierten KPD-ZK übernommenen Komintern-Taktik der „nationalen Front“.[11]
Für die Zeit nach dem Ende des NS-Regimes hatte z.B. die Berliner Saefkow-Gruppe ein Konzept entwickelt, was sich von dem des ZK und damit auch von den Intentionen des Gründungsaufrufs der KPD unterschied:[12] „Die Beseitigung des Faschismus wird nur dann zu einer wirklichen Lösung aller ungelösten sozialen und nationalen Probleme der werktätigen Massen führen, (…) wenn diese Beseitigung zusammenfällt mit der Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft überhaupt. (…) Über die Zerschlagung des Hitler-Regimes hinaus hat die Arbeiterklasse und ihre organisierte Vorhut die Aufgabe, die mit der Beendigung des Krieges zusammenfallende revolutionäre Situation auszunutzen, um die politischen Voraussetzungen für den Aufbau der sozialistischen Planwirtschaft zu schaffen. Bei der Lösung dieser Aufgabe wird ein Teil der Verbündeten von heute zu den Feinden von morgen werden.“
Die Differenzen zwischen dem Stand der Programmdiskussion im Lande und in der Emigration zeigten zunächst zweierlei:[13]
- das Scheitern aller Versuche des Emigration-ZK, die Arbeit im Lande kontinuierlich anzuleiten und zu koordinieren;
- die Nähe aller jener, vermeintlich 1933 stehengebliebenen Genossen zu der im Lande entwickelten und ihre Distanz zu der von den Remigranten vertretenen Übergangskonzeption.
Darüber hinaus verwiesen sie aber auch auf eine erstaunliche Realitätsferne der Illegalen, auf deren Isolierung, und den in kleinen und kleinsten Zirkeln durch Verfolgungen und Terror offenbar nur noch gewachsenen revolutionären Optimismus. Denn tatsächlich gingen die Autoren nahezu aller Flugschriften und internen programmatischen Dokumente noch bis Mitte 1944 von der Möglichkeit einer revolutionären Erhebung gegen die nationalsozialistische Diktatur aus und gelangten zu ganz anderen Transformationskonzepten als das Zentralkomitee, das seinerseits die Chance zur Mobilisierung zumindest von Teilen der Arbeiterklasse, aufgrund seiner Interpretation der Lage in Deutschland eher unterschätzte.
Auch die Unterschiede zwischen der Konzeptionsbildung in Deutschland und in der Emigration zeigen, mit welch starken Widerständen die zurückgekehrte ZK- Führung konfrontiert war, und wie dringend erforderlich es aus ihrer Sicht war, ihren Führungsanspruch durchzusetzen. Denn sowohl in der KPD-Führung wie auch in der KPD-Mitgliedschaft standen sich noch immer zwei Strömungen gegenüber: auf der einen Seite das remigrierte Rest-ZK, das fest mit der KPdSU verbunden war, sich in den kontroversen Debatten im Exil auf die Leitlinien der sowjetischen Politik verpflichtete und durch die Stalinschen Säuberungen der späten 30er Jahre, die auch die eigenen Reihen betroffen hatten,[14] auf die Anerkennung einer bedingungslosen Disziplin gegenüber der Stalinschen Führung fixiert war.
Auf der anderen Seite standen jene Genossen, die teils aus der Westemigration, teils aus Zuchthäusern, KZ-Lagern oder der Illegalität kamen, und weder Taktik und Programmatik noch den Führungsanspruch der Heimkehrer von vornherein anzuerkennen bereit waren.
Der erste Schritt zur Durchsetzung des Führungsanspruchs war die Veröffentlichung des von großen Teilen der Partei abgelehnten Gründungsaufrufes. Am 04.06 flogen Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka von Berlin-Tempelhof nach Moskau und verfassten dort gemeinsam mit Wilhelm Pieck die erste legale programmatische Äußerung seit 12 Jahren.[15] Der Gründungsaufruf wurde von Georgi Dimitroff akzeptiert und kurz darauf veröffentlicht.
Dadurch, dass der Partei die Grundlagen ihrer künftigen Politik also faktisch oktroyiert worden waren, hatte nun das ZK dafür Sorge zu tragen, dass zumindest der Parteiapparat das Programm annahm. Diesem Ziel diente die rasch einsetzende intensive Schulungs- und Propagandaarbeit zunächst durch die seit Juli 1945 erscheinenden „Vortragsdispositionen“ für die Zirkelarbeit innerhalb der Partei. In der ersten Ausgabe dieser Reihe mit dem Thema „Der Sieg des Faschismus in Deutschland und seine Lehren für unseren gegenwärtigen Kampf“ hieß es:[16] „Der Zweck des vorliegenden Schulungsvortrages ist es, unsere Funktionäre mit der Politik der KPD in den Jahren 1928-1933 vertraut zu machen und die entsprechenden Lehren aus dieser Politik für unseren Kampf zu ziehen.“
Ihre wichtigste Aufgabe sahen die Autoren in der Aufarbeitung der Fehler der KPD.[17] Darunter wurde die Unterschätzung der faschistischen Gefahr, Fehler in der Einheitsfronttaktik, eine falsche antifaschistische Bündnispolitik gegenüber Bauern, Mittelständlern und Intellektuellen, die Isolierung der Kommunisten in der RGO und die den Massen unverständliche Kominternsprache verstanden. Somit wurde aus den Fehlern der Vergangenheit die Richtigkeit des heutigen Parteiprogramms abgeleitet.
Die Einstimmung auf das neue Programm war umso notwendiger geworden, weil die Parteiführung nach der offiziellen Wiedergründung der KPD mit einer massiven Werbekampagne begonnen hatte – gemäß der Maxime Ulbrichts, die Zusammensetzung der Partei bald durch die Hereinnahme aktiver Antifaschisten zu verändern.
Entscheidend für die Durchsetzung des Führungsanspruchs des Emigrations-ZK war einerseits sein politisches Renommee als Wahrer der Parteitraditionen und andererseits die materielle und politische Unterstützung des ZK durch die SMAD. Diese Hilfe bestand zunächst in engen Arbeitskontakten der sowjetischen Militärverwaltungen der Länder mit den Initiativgruppen des ZK, unter deren Anleitung die Landesleitungen der KPD gebildet wurden, und in der engen Verbindung des ZK mit dem Chef der SMAD in Berlin. Die sowjetischen Behörden versorgten die Führungskader des ZK und der Landesleitungen der KPD nicht nur mit erheblichen Informationsvorsprüngen, sie halfen auch bei der materiellen Ausstattung des Parteiapparats mit Büros, Autos und Druckmaterial und verschafften ihnen vor allem durch die enge politische Zusammenarbeit das notwendige politische Gewicht gegenüber allen oppositionellen Strömungen innerhalb der eigenen Partei, d.h. sie schufen die politischen und materiellen Voraussetzungen für die schrittweise Durchsetzung des wesentlichen Prinzips des demokratischen Zentralismus, der Weisungskompetenz der Parteiführung.[18]
Die sich den Denkmustern vor 1933 verpflichteten Personen waren in der KPD auch bald quantitativ in die Minderheit gedrängt worden, und die neuen Mitglieder hatten sich offenbar rasch – sei es aus antifaschistischem Impuls, sei es zur Absicherung ihrer Karriere – den bolschewistischen Prinzipien der innerparteilichen Demokratie angepasst. Trotzdem war die innerparteiliche Diskussion im Sommer 1945 noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Bei vielen Funktionärskonferenzen, wo Walter Ulbricht sprach, wurde der neue Kurs der Partei kritisiert. Am 5.7. mahnte in Jena ein Vertreter der dortigen Parteienorganisation:[19] „Der Aufruf der KPD (…) hat verschiedentlich Erstaunen hervorgerufen, wie weit man die Grundsätze zurückgestellt hat. Zum Beispiel sind die Forderungen der Kommunistischen Partei Englands sehr viel weiter gestellt.“
Solchen Äußerungen trat Ulbricht mit Vehemenz entgegen:[20] „Die Voraussetzungen sind nicht da. Die Arbeiterklasse Deutschlands ist verseucht durch den preußischen Militarismus, durch den Imperialismus, durch die Rassentheorie. (…) Weiter sind wir uns darin einig, daß ohne starke Partei der Sozialismus nicht aufgebaut werden kann. (…) Deshalb unsere Arbeit erst einmal für eine antifaschistische, demokratische Ordnung. Aber der Kapitalismus wird in veränderter Form weiter bestehen.“
Während so die KPD-Führung in ihrer Partei einen scheinbar evolutionären Weg durchsetzen wollte, begann der Berliner Gründerkreis der SPD im Zeichen einer verbal sozialrevolutionären Programmatik.
[1] von Siegler, H.: Wiedervereinigung und Sicherheit Deutschlands. Eine dokumentarische Diskussionsgrundlage, Bonn/Wien/Zürich 1963, S. 82
[2] Ebd., S. 89
[3] Ebd., S. 93
[4] Ebd., S. 112f
[5] Über Struktur und Probleme dieser Gruppen siehe Ackermann, A.: Aufbruch, in: Staat und Recht, 14. Jahrgang, Heft 5, Mai 1965, S. 665-670, hier S. 665ff; Voßke, H.: Zur Tätigkeit der Initiativgruppe des ZK in Mecklenburg/Vorpommern, in: Befreiung und Neubeginn, Berlin 1968, S. 192ff und Leonhard, W.: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln/Berlin 1955, S. 389ff
[6] Zitiert aus Ulbricht, W.: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band II, Berlin 1966, S. 205
[7] Zitiert aus Schöneburg, K.-H.: Von den Anfängen unseres Staates, Berlin 1975, S. 78
[8] Ebd., S. 80
[9] Ebd., S. 81
[10] Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 5, Berlin 1966, S. 397f
[11] Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 201
[12] Ebd. S., 203
[13] Müller, Deutschland 1945-1949, a.a.O., S. 134
[14] Weber, H.: Der deutsche Kommunismus, Dokumente, Köln/Berlin 1976, S. 359
[15] Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 256
[16] Weber, Der deutsche Kommunismus, Dokumente, a.a.O., S. 387
[17] Olsen, G.: Germany after the Second World War, Boston 1991, S. 34
[18] Ebd. S. 72
[19] Ebd., S. 101
[20] Ebd., S. 108