Neonazismus in Magdeburg
Die Morde an Torsten Lamprecht und Frank Böttcher sowie der "Herrentag" 1994 mitsamt seinen rassistischen Ausschreitungen zeigen, dass die Neonaziszene in Magdeburg nicht mal vor Tötungsdelikten zurückschreckt und Gegner ihrer Weltanschauung nicht duldet. Seit 1999 gedenken jährlich Neonazis der Bombardierung der Stadt. Mit 1200 Teilnehmenden erreichten die „Trauermärsche“ 2012 ihre bislang zahlenmäßig größte Beteiligung. Gegen diese Aufmärsche richtet sich zivilgesellschaftlicher Protest. Übergriffe gegen Andersdenkende sind an der Tagesordnung.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde speziell für Sinti und Roma wurde das Zigeunerlager Magdeburg Holzweg errichtet. Die Inhaftierten wurden in das Konzentrationslager Auschwitz verbracht. Von 1943 bis 1945 befand sich ein Außenlager des KZ Buchenwald bei den Polte-Werken in der Magdeburger Liebknechtstraße. Über 3.000 Insassen – vornehmlich Juden aus den KZ Riga-Kaiserwald, Auschwitz, Stutthof und Ravensbrück sowie russische und polnische Gefangene – mussten hier schwere Arbeit verrichten und lebten in einem Barackenlager in Prester.
Ein erster Luftangriff auf die Stadt erfolgte am 22. August 1940. Ab 1943 wurde Magdeburg intensiv durch alliierte Bomberverbände angegriffen. Erste Ziele waren Industriebetriebe der Rüstung, wie das Krupp Grusonwerk in Buckau, wo Kettenfahrzeuge gebaut wurden, der Munitionshersteller Polte-Werke sowie in Rothensee das Brabag-Hydrierwerk zur Produktion von synthetischem Benzin für die Luftwaffe. Der Luftangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945 durch die britische Royal Air Force zerstörte etwa 90 Prozent der Altstadt, darunter auch 15 Kirchen. Auch die Gründerzeit-Viertel erlitten erhebliche Schäden. Der altstadtnahe Stadtteil „Nordfront“ und der Breite Weg, eine der schönsten Barockstraßen Deutschlands, wurden fast völlig zerstört. Bei diesem Angriff kamen mindestens etwa 2000 Menschen ums Leben, weitere 190.000 wurden ausgebombt. Auf die Seitenschiffe des Magdeburger Doms fielen mehrere Sprengbomben. Bei einem erneuten Angriff am 2. März 1945 wurde durch einen Treffer in die Westfassade die große Orgel des Doms zerstört.
Am 11. April 1945 bezogen US-Truppen an der Stadtgrenze Stellung. Eine Übergabe wurde am 12. April durch den General der Wehrmacht Adolf Raegener abgelehnt. Nach einem mehrtägigen Bombardement durchbrachen die amerikanischen Verbände die starken deutschen Verteidigungslinien und besetzten am 19. April 1945 den westlichen Teil der Stadt. Sie rückten vereinbarungsgemäß nicht weiter in Richtung Berlin vor. Am 5. Mai 1945 besetzten sowjetische Kräfte den ostelbischen Teil von Magdeburg.
Nach dem Krieg wurden die Innenstadt und betroffene Viertel enttrümmert. Aus Geldmangel, aber auch mit dem ideologischen Ziel eine neue sozialistische Stadt zu schaffen, wurden von den beschädigten Gebäuden nur die wertvollsten gerettet, beziehungsweise die von Zerstörung weniger betroffenen Bauten restauriert, darunter der Magdeburger Dom, das Kloster Unser Lieben Frauen und das Rathaus. So prägen heute nur wenige der Barockhäuser des Breiten Wegs, der Gründerzeit- und Jugendstilgebäude die Innenstadt, ergänzt um einige Bauten der Nationalen Tradition der Nachkriegszeit, die die sowjetische Architektur der Stalinzeit zum Vorbild haben. Die über Jahrhunderte gewachsene Stadtstruktur wurde weitgehend aufgegeben, so dass an die Stelle einer dichten großstädtischen Bebauung weite Freiräume traten, die von Bauten im Stil des sozialistischen Klassizismus gesäumt wurden.
Neonazismus und extrem rechtes Gedankengut breitete sich in Magdeburg schon seit Mitte der 1980er Jahre aus. Rechte Skinheads randalierten in Gaststätten, Jugendclubs und Bahnhöfen und griffen dabei „undeutsch aussehende“ Menschen an. Das Bezirksgericht Magdeburg verurteilte im November 1988 einen 18jährigen Jugendlichen zu zehn Monaten Gefängnis, der öffentlich Hitler als sein „Vorbild“ gepriesen hatte. In einem Ferienlager hatte bedrohte der Jugendliche einen jungen Spanier mit der Bemerkung bedroht, er wäre „früher ins KZ gesperrt und vergast worden“.[1]
Die DDR war eine hermetisch abgeriegelte Gesellschaft. Die DDR-Regierung ließ durch Beschränkungen der Reisefreiheit keine Weltoffenheit im Umgang mit Migranten zu. Diese waren lediglich als Repräsentanten der „sozialistischen Bruderländer“ bekannt oder als Vertragsarbeiter aus diesen Staaten, die für eine bestimmte Zeit in der DDR leben durften. Im Unterschied zu westdeutschen ausländischen Arbeitskräften, die individuell migrierten, wurden die Arbeitsmigranten in der DDR auf der Grundlage von zwischenstaatlichen Abkommen kollektiv angeworben.
Die für eine begrenzte Zeit in der DDR lebenden Vertragsarbeitskräfte aus Angola, Kuba, Mosambik, Polen oder Vietnam wurden separiert von der einheimischen Bevölkerung in Wohnheimen untergebracht, so dass ein intensiver Austausch zwischen Vertragsarbeitern und der DDR-Bevölkerung nicht möglich war.[2] In den Medien der DDR gab es kaum Informationen über die ausländischen Arbeitskräfte. Der Inhalt der Regierungsabkommen unterlag der Geheimhaltung der staatlichen Organe, Zahlen über die Anzahl der Vertragsarbeiter durften nicht genannt werden. Die Vertragsarbeiter wurden in eigenen Wohnheimen von der DDR-Bevölkerung separiert und damit gettoisiert. Thomä-Venske stellte fest: „Die Verdrängung der Ausländer in der Öffentlichkeit, ihre Zusammenballung in Wohnheimen, die fehlenden Begegnungsmöglichkeiten, das Verbot der Selbstorganisation, die teilweise vom Staat verhängte Kontaktsperre nicht nur gegenüber den Kirchen haben dazu beigetragen, daß Deutsche und Ausländer sich nicht kennenlernten.“[3]
Migranten in der DDR waren in allererster Linie von rassistischen Übergriffen betroffen. Bei einer im Jahre 1990 in Auftrag gegebene Studie zum Thema „Ursachen, Umfang und Auswirkungen von Ausländerfeindlichkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und zu den Möglichkeiten ihrer Überwindung“ zeigte sich, dass die überwiegende Mehrheit der befragten Migranten in der DDR schon mindestens einmal von Deutschen beschimpft oder beleidigt wurden.[4] Jeder fünfte befragte Migrant machte die Erfahrung, in Gaststätten nicht bedient worden zu sein, und ebenfalls ein Fünftel gab an, von Deutschen tätlich angegriffen und geschlagen worden zu sein.
Diese Studie macht deutlich, dass selbst militante Formen von Rassismus in der ehemaligen DDR keine Ausnahmefälle darstellten.
Die erste Ausländerbeauftragte der DDR, Almuth Berger, reagierte schockiert auf die rassistischen Übergriffe:[5] „Als wir am 4. November für eine demokratische DDR auf die Straße gegangen sind, da haben wir uns so etwas niemals vorstellen können. Niemand hat geglaubt, daß sich die nationale Welle auch darin ausdrücken würde, daß Menschen anderer Länder nicht mehr akzeptiert werden, daß also nationales Denken in Nationalismus oder sogar Rassismus umschlagen könnte.“ Spätestens nach der „Wiedervereinigung“ entwickelte sich in allen größeren und mittleren Städten in Ostdeutschland eine neonazistische Szene.
Der Verfassungsschutzbericht 1990 enthielt eine eindeutige Warnung, die sich später als unbequeme Realität herausstellen sollte:[6] „Die Sicherheitsorgane in den neuen Bundesländern gehen davon aus, daß mit der allgemeinen Gewalteskalation in und um Sportarenen und in Straßen mit besetzten Häusern auch der Anteil der neonazistisch motivierten Gewalt von Skinheadgruppen beachtlich zugenommen habe und weiter zunehmen werde. Polizei, Presse und Fernsehen dokumentieren immer wieder, daß neonationalsozialistische Skins in Ostdeutschland ihre Gesinnungsgenossen in Westdeutschland nicht nur in Anzahl, sondern auch in Politisierung und Brutalität deutlich übertreffen.“
Seit der „Wiedervereinigung“ ist Magdeburg immer wieder durch Gewalttaten mit rechtem Hintergrund in die Schlagzeilen geraten. 1991 schossen 50 Neonazis mit Schreckschussmunition auf Flüchtlinge und schlugen einen Araber krankenhausreif.[7] Am 31.12.1991 überfielen vermummte Schläger die Silvesterfeier in der PDS-Landesgeschäftsstelle mit Reizgas und Baseballschlägern.[8] Die Trabantenstadt Neu-Olverstadt, in der ca. 40.000 Menschen leben, galt als Hochburg der rechten Szene in Magdeburg.
Eine Umfrage aus dem Jahre 1991 unter 2.500 Einwohnern Magdeburg, die von der Projektgruppe Meinungsforschung an der dortigen Technischen Universität durchgeführt wurde, brachte erschreckende Zahlen zum Vorschein: 15,7% der Befragten waren der Ansicht, dass Ausländer die Ordnung und Sicherheit in Magdeburg beeinträchtigen, weitere 41,3% sahen die Ordnung und Sicherheit zumindest teilweise von Ausländern bedroht. 14,5% der Magdeburger glaubten, dass Ausländer „auf unsere Kosten lebten“, 32,5% nahmen dies teilweise an. Eine überwältigende Mehrheit forderte Maßnahmen gegen die weitere Zuwanderung: 59,4% wollten den „Zustrom von Ausländern eindämmen“, 33% wollten dies zumindest teilweise.
Im Mai 1992 wurde der 23jährige Torsten Lamprecht getötet, als etwa 60 extreme Rechte eine Punk-Geburtstagsfeier im Café Elbterassen stürmten und mit Baseballschlägern und Eisenstangen auf die Gäste einschlugen. Weitere acht Punks wurden schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. In der Zeit von 23:10 Uhr bis 23:20 Uhr erhielt die Polizei mehrere Anrufe von Anwohnern, die auf den Überfall aufmerksam machten. Die daraufhin abgestellten Polizeikräfte forderten weder Verstärkung an noch griffen sie ein, sondern beobachteten lediglich aus einiger Entfernung die Vorgänge. Erst gegen 23:45 Uhr, als die Angreifer sich bereits zurückgezogen und die Krankenwagen die Verletzten abtransportiert hatten, entschloss sich die Polizeikräfte doch mal einzugreifen. Sie stellten die Personalien der Angegriffenen fest und führten Waffenkontrollen durch.
Der Polizei wurde vorgeworfen, dass sie während des circa 30 Minuten dauernden Überfalls in der Nähe der Gaststätte gewesen sei, aber nicht eingegriffen habe und die Täter habe entkommen lassen. Infolge der Auseinandersetzungen wurden acht Punks schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Lamprecht erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen und erlag zwei Tage später seinen Verletzungen.
Die Polizei ermittelte gegen mehr als 30 Neonazis. Lediglich gegen 18 wurde Anklage erhoben. Die höchste Strafe erhielt ein Neonazi aus Wolfsburg, der wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Wer von den Neonazis für den Mord an Lamprecht verantwortlich war, konnte nicht ermittelt werden.
Zusammen mit anderen rechten Skinhead-Bands nahm die neonazistische Gruppe Elbsturm aus Madgeburg am 3. und 4. April 1993 an einem Konzert im Landkreis Stendal teil, zu dem 450 extreme Rechte anreisten. Die Texte von Elbsturm bestehen aus neonazistischem Gedankengut und rufen offen zur Gewalt auf.[9] Am 13.5.1993 durchsuchte die Polizei die Wohnungen von Mitgliedern der Band. Dabei wurde neben rechtem Propagandamaterial auch eine Flakrakete sichergestellt. Gegen die Bandmitglieder wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.[10]
Am so genannten Herrentag 1994 jagten ca. 30-40 rechte Jugendliche und Hooligans mehrere Afrikaner mit „Sieg-Heil“-Rufen durch die Innenstadt. Als die Afrikaner in ein Café flüchteten, kam es zu einer Massenschlägerei. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen wurde ein benachbarter türkischer Imbiss ebenfalls Zielscheibe der Angriffe. Bei nachfolgenden Ausschreitungen wurde ein Algerier angegriffen und mit einer Stange niedergeschlagen. Am Abend kam es zu einer Straßenschlacht zwischen den Neonazis und Hooligans sowie linken Jugendlichen und Migranten. Dabei wurden sieben Personen zum Teil schwer verletzt. Im Laufe des Tages wurden insgesamt 49 Personen festgenommen. Der Polizeipräsident von Magdeburg sprach in diesem Zusammenhang von einem „ausgeuferten Brauchtum“ und leugnete den rassistischen Hintergrund der Ausschreitungen.[11] „Alkohol und Sonnenschein“ waren für ihn die Ursachen des Gewaltexzesses, die von „irregeleiteten Einzeltätern“ ausgingen. Zwischen dem 22.7.1994 und dem 12.12.1994 wurden neun Neonazis und Hooligans im Alter zwischen 19 und 24 Jahren vom Amts- bzw. Landesgericht Magdeburg teilweise zu Freiheitsstrafen verurteilt.[12]
Nach den Krawallen wurden insgesamt 15 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet, es wurden jedoch alle Beschuldigten entlastet. Ein Beamter, der zunächst suspendiert worden war, wurde 1995 freigesprochen. Eine Berufungsverhandlung bestätigte den Freispruch.
Insgesamt wurden 86 mutmaßliche Täter der Himmelfahrtskrawalle ermittelt. Im Juli und August kam es zu acht Verurteilungen, zum Teil auch mit mehrjährigen Haftstrafen. Bei den unmittelbar auf die Krawalle folgenden Landtagswahlen am 26. Juni 1994 gab es einen Regierungswechsel, der die Versetzung Stockmanns in den einstweiligen Ruhestand durch den neuen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner (SPD) sowie den neuen Innenminister Manfred Püchel (SPD) zur Folge hatte.Als Antwort und Wiedergutmachung auf ihr Verhalten veranstaltet die Magdeburger Polizei seit 1996 jährlich das "Fest der Kulturen", das sich gegen rechte Gewalt und für ein interkulturelles Zusammenleben richtet.
Vom 20. bis 22.Mai 1994 trafen sich ca. 50 Magdeburger Skinheads zu einem Zeltlager auf einem Campingplatz in Gerwisch. Nachdem diese neonazistische Parolen brüllten und die Reichskriegsflagge hissten, wurde das Treffen von der Polizei aufgelöst und 33 Personen vorläufig festgenommen. Bei der Durchsuchung des Zeltlagers wurden Gasrevolver, Baseballschläger, eine Präzisionsschleuder, T-Shirts mit Hitlerbildern und rechte Tonträger sichergestellt.[13]
Ein für den 22.10.1994 geplantes Konzert, an dem neben der rechten Band Elbsturm auch andere Bands aus Baden-Württemberg und Großbritannien teilnehmen wollten, wurde im Vorfeld verboten. Dagegen protestierten ca. 30 Personen der rechten Szene, die eine kurzfristige Straßenblockade in Magdeburg durchführten.[14]
Zwei rechte Skinheads griffen am 7.8.1995 eine Gruppe von sieben geistig und körperlich behinderten Menschen in einer Straßenbahn an. Dabei wurde ein 21 Jahre alter Mann leicht verletzt. Nach Angaben einer Betreuerin sahen die Fahrgäste in der vollbesetzten Bahn dem Angriff tatenlos zu.
Am 18.3.1996 bewarfen ca. 18 Neonazis einen Sudanesen mit Steinen, rissen ihn zu Boden, verletzten ihn mit Fußtritten und schossen ihm mit einer Schreckschusspistole ins Gesicht. Am 7.8.1996 wurde ein Algerier vor seiner Wohnung von 13 rechten Jugendlichen, die mit Baseballschlägern, Eisenketten und Knüppeln bewaffnet waren, überfallen.[15]
Am 8.2.1997 wurde der 17jährige Punk Frank Böttcher im Stadtteil Neu-Olvenstedt von einem jungen Neonazi mit sieben Messerstichen und Tritten gegen den Kopf ermordet. Frank Böttcher, war am Nachmittag des 7. Februars 1997 mit einer Straßenbahn zum im Magdeburger Stadtteil Neu-Olvenstedt, der damals als Hochburg der rechten Szene galt, gelegenen Krankenhaus gefahren, um sich dort eine Handverletzung behandeln zu lassen. Den Krankenschwestern berichtete er von einer Gruppe rechter Skinheads, die ihn auf dem Weg angepöbelt hatten. Auf dem Rückweg traf er am späten Abend des 7. Februar an der Endhaltestelle der Straßenbahn erneut auf einen oder mehrere Jugendliche, die ihn aufgrund seines Aussehens als Punker angriffen. Der oder die Täter rissen ihn zu Boden und traten auf ihn ein. Kurze Zeit später wurden Böttcher mit sieben Messerstichen und Tritten gegen den Kopf tödliche Verletzungen zugefügt.Nach Hinweisen wurde nach elf Tagen für die Messerstiche der mit Böttcher gleichaltrige Marcus J. als Täter ermittelt. Er gab vor der Jugendkammer des Landgerichts Magdeburg an, sich von der „äußeren Erscheinung“ des Punks „provoziert gefühlt“ zu haben. Marcus J., der während der Tat stark alkoholisiert war, wurde wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Weitere Mittäter wurden durch Polizei und Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. Die Darstellung, dass es einen einzelnen Täter gegeben habe, ist mehrfach bezweifelt worden.
Kurz nach dem Mord an Frank Böttcher meldete der neonazistische Freiheitliche Volks-Block (FVB) eine Demonstration in Magdeburg unter dem Motto „Rotfront- und Antifaterror verhindern - gegen linke Gewalt und antideutsche Medienhetze!“ an. Die geplante Demonstration wurde jedoch verboten.
Im Zusammenhang mit dem Mord an Frank Böttcher wurde am 3. Januar 1998 die Wohnung von Franks älterem Bruder Peter Böttcher im Stadtteil Cracau von rechten Skinheads überfallen. Dabei wurde Peters Bekannter Gordon Gafert brutal zusammengeschlagen. Bei der Demonstration gegen Rassismus und rechte Gewalt zum ersten Todestag von Frank Böttcher am 9. Februar 1998 nahmen ca. 2.000 Menschen teil. Seitdem organisierten linke Gruppen jedes Jahr eine Kundgebung gegen die extreme Rechte am Todestag von Frank Böttcher in Magdeburg. Im Jahre 1998 wurde am Tatort ein Gedenkstein für Frank Böttcher aufgestellt. Dieser wurde mehrmals von rechten Jugendlichen geschändet und schließlich entwendet.
Am 6.4. 1998 verfolgten rechte Jugendlichen zwei ausländische Studenten und riefen dabei „Jüdisches Drecksschwein (…) Was ihr Ausländer auf deutschen Straßen zu suchen habt (…) Kanacken, ihr seid dreckig (…) solche Leute wie ihr werden vergast“. Neonazis schlugen am 8.8.2007 einen Sudanesen vor seinem Wohnhaus mit einem Holzpfosten zusammen; einer der Täter erhob den Arm zum „Hitlergruß“.
Im Jahre 1997 ging die Polizei in und um Magdeburg von ca. 700 Jugendlichen mit extrem rechtem Weltbild aus.[16] Ein Student aus Kamerun beschrieb den alltäglichen Rassismus folgendermaßen:[17] „In Studentenclubs gehen wir nicht mehr, weil auch dort die Anmache überhand nimmt. Im Oktober wurde ein Freund von uns vor dem Bauklub überfallen und niedergestochen. Nach einem zweiten Überfall hat er Magdeburg verlassen und ging nach Paris. Dort ist das Leben für uns viel sicherer.“
Die Zahl der politisch motivierten Übergriffe war auch in der Folgezeit sehr hoch. So wurden bereits im ersten Halbjahr 2006 über 96 Angriffe auf Punks, alternative Jugendliche und junge Erwachsene, Migrant_innen und Flüchtlinge im Raum Sachsen- Anhalt gemeldet. Allein in Magdeburg wurden über sieben Übergriffe registriert. Die Zahl auf Migrant_innen und Flüchtlinge pendelt sich auf ungefähr 25 Betroffene in Sachsen- Anhalt ein. Dies sind aber nur offizielle Straftaten, die Dunkelziffer liegt leider weitaus höher. Der aktuellste rassistische Übergriff in Magdeburg, der öffentlich bekannt wurde, war am 9. September 2006. Ein 22 jähriger Afrikaner wurde von vier Faschisten mit rassistischen Äußerungen beschimpft und später auch von ihnen geschlagen. Das Opfer erlitt mehrere Hämatome.
Am und um den 16. Januar finden in Magdeburg jedes Jahr zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, die an die Zerstörung der Stadt erinnern. An der Gedenkstätte an die Opfer des Angriffs auf dem Westfriedhof berichten Zeitzeugen von ihren Erlebnissen und Repräsentanten Magdeburgs legen Blumenkränze nieder. Die Magdeburgische Philharmonie spielt im Opernhaus des Theaters Magdeburg zusammen mit dem Magdeburger Opernchor und der Singakademie traditionell Beethovens 9. Sinfonie. Im Kloster Unser Lieben Frauen findet ein jährliches Orgelkonzert statt. Im Anschluss an diese Veranstaltungen läuten um 21:28 Uhr, dem Zeitpunkt des Beginns der Bombardierung, die Glocken aller Kirchen der Stadt für etwa zehn Minuten.
Seit 1999 gedenken jährlich Neonazis der Bombardierung der Stadt. Mit 1200 Teilnehmenden erreichten die „Trauermärsche“ 2012 ihre bislang zahlenmäßig größte Beteiligung. Gegen diese Aufmärsche richtet sich zivilgesellschaftlicher Protest. Seit 2009 veranstaltet die Stadt als Gegenprogramm eine „Meile der Demokratie“
Anfang 2013 kam es zu Neonazi-Aufmarsch zum 68. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg. Ähnlich wie die Veranstaltung in Dresden wollen die Neonazis Magdeburg als Opfer der Alliierten kennzeichnen und Geschichtsfälschung betreiben. Mit einem Straßenfest und einer Reihe von Gegendemonstrationen haben die Einwohner Magdeburgs einen Aufmarsch von Neonazis in der Innenstadt verhindert. Etwa 800 Rechtsextremisten mit schwarzen Fahnen mussten stattdessen durch den Stadtteil Salbke am südlichen Rand der Stadt ziehen. Im Zentrum Magdeburgs beteiligten sich Tausende an dem von der Stadt organisierten Straßenfest "Meile der Demokratie". Zudem hatten linke Gruppierungen und die evangelische Kirche zu Gegendemonstrationen und Blockaden gegen die Neonazis aufgerufen.
Anlässlich des 70. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg wurden gestern vor Ort mehrere Versammlungen durchgeführt. Den Anfang machte die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt am Westfriedhof gegen 15.00 Uhr. Hierzu hatte Magdeburgs Bürgermeister Dr. Lutz Trümper (SPD) aufgerufen. Ihm zufolge sollte dabei an die „verheerende Zerstörung“ der Stadt und an die „Getöteten und Verwundeten“ erinnert werden. Gleichzeitig mahnte Trümper in einer Pressemittelung, das sich Magdeburg „gegen den Missbrauch dieses traurigen Anliegens für die geschichtsverfälschende und demokratiefeindliche Propaganda rechter Kräfte“ wende.
Tatsächlich versuchten Neonazis auch am gestrigen Abend durch eine eigene Gedenkveranstaltung, einem so genannten „Trauermarsch“, die Erinnerung an den Bombenangriff vom 16. Januar 1945 für sich zu vereinnahmen und ihn ideologisch zu verklären. Allerdings war lange unklar, ob die seit 1999 jährlich durch die „Initiative gegen das Vergessen“ durchgeführte Versammlung in diesem Jahr überhaupt stattfindet. Eine Anmeldung lag erst 48 Stunden vor dem Veranstaltungsbeginn vor. Außerdem wurde, anders als bei den vorhergehenden Märschen, komplett auf eine Mobilisierung verzichtet. Erst in der Nacht vom 13. zum 14. Januar 2015 wurde mittels einer großangelegten Plakataktion im Stadtgebiet für ein „Magdeburger Gedenken“ am 16. Januar 2015 geworben. Zwischen 1.000 und 2.000 Plakate hatten Neonazis offenbar dafür auf zuvor möglicherweise gestohlenen, ehemaligen Wahlplakaten der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und „Pro Deutschland“ geklebt und an die Pfosten von Verkehrszeichen, Lampen und Ampeln angebracht.
Aufgrund dieser recht kurzfristigen Mobilisierung blieb die Anzahl der Teilnehmer_innen am „Trauermarsch“ im unteren dreistelligen Bereich. Ungefähr 300 Neonazis aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Thüringen und Nordrhein-Westfalen beteiligten sich an dieser Veranstaltung, die in diesem Jahr von Sascha Braumann, „Initiative gegen das Vergessen“ und ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der „Junge Nationaldemokraten“ (JN) in Sachsen-Anhalt, angemeldet wurde.
In Magdeburg kam es in der Nacht vom 10. auf den 11.Mai 2014 gegen 1.45 Uhr zu einem gewalttätigen Übergriff, bei dem mehrere Antifaschisten_innen von Anhängern der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) mit einem Messer bedroht, festgehalten und mit einem Baseballschläger verletzt wurden.
Nachdem mehrere Personen angeblich versucht hätten eine größere AfD-Werbetafel zu stürzen, stürmten zunächst zwei Unbekannte aus einem in der unmittelbaren Nähe parkenden Auto auf die Gruppe zu und bedrohten sie mit einem gezogenen Messer und einem Baseballschläger. Dabei griffen sie sich immer wieder eine Person heraus, die sie festhielten. Der Baseballschläger kam dabei wiederholt zum Einsatz und verletzte mindestens eine Person, die im Anschluss mit schweren Prellungen im Krankenhaus behandelt werden musste. Das gezogene Messer wurde dabei wiederholt in die Richtung der bedrohten Gruppe gestoßen und mit den Worten „Ich stech Euch ab!“ begleitet.[18]
Anfang 2015 haben etwa 20 Rechtsextreme haben die Tanzfläche einer Magdeburger Diskothek gestürmt, den Hitlergruß gezeigt und auf Gäste eingeschlagen. Anschließend attackierten sie vier Iraker in der Innenstadt. Zu dem Übergriff sei es gekommen, nachdem am Sonntagmorgen das Lied „Lieber bunt als braun“ gespielt worden war, teilte die Polizei in Magdeburg mit. Der Sicherheitsdienst der Diskothek habe die Neonazis im Alter von 19 bis 31 Jahren des Hauses verwiesen, die alarmierte Polizei Platzverweise erteilt. In der Diskothek seien zwei Menschen leicht verletzt worden. Danach gingen den Angaben zufolge die Neonazis, die Verbindungen zu der gewaltbereiten Fußballfan-Gruppe „Blue White Street Elite“ haben sollen, in der Innenstadt auf vier Iraker los. Polizisten hätten die Auseinandersetzung beendet.
Die „Blue White Street Elite“ sind eine Gruppe von Neonazis und Hooligans, deren harter Kern etwa aus 30-50 Personen bestand. Die "Blue White Street Elite" fährt zu Auswärtsspielen des 1. FC Magdeburg, um sich dort mit den Fans anderer Clubs zu prügeln. Sie terrorisieren Jugendclubs im Jerichower Land und tauchen oft vor bekannten Diskotheken im Umland auf, um dort Ärger zu suchen.
Die Mitglieder tragen meist schwarze T-Shirts mit den aufgedruckten blauen Buchstaben BWSE als Abkürzung für den Namen der Gruppierung und die blaue Aufschrift "Fight Club". Dazwischen sind zwei weiße, muskelbepackte, glatzköpfige Boxer aufgedruckt. Hervorgegangen ist die "Blue White Street Elite" aus verschiedenen Neonazikameradschaften im Jerichower Land. Zum ersten Mal auffällig mit ihrem Logo wurden sie bei einem Fußballspiel des 1. FC Magdeburg im Jahr 2005. Des Weiteren wurden sie bei dem Versuch eine Hartz-IV-Demo in Haldensleben zu stören gesichtet und bewarfen einen Sonderzug von Dynamo-Dresden-Fans mit Steinen. Die Gruppe wurde am 1. April 2008 vom Innenminister Sachsen-Anhalts Holger Hövelmann verboten.
[1] taz vom 18.11.1988
[2] Ebd., S. 140
[3] Zitiert aus Elsner, E.-M./Elsner, L.: Ausländerpolitik und Ausländerfeindlichkeit in der DDR, Berlin 1992, S.164
[4] Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (Hrsg.): Ausländerfeindlichkeit in der ehemaligen DDR, Köln 1990, S. 10
[5] Ebd., S. 106
[6] Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1990, Bonn 1991, S. 119
[7] Borchers, Neue Nazis im Osten, a.a.O., S. 19
[8] Seidel-Pielen, E.: Marschiert die Jugend nach rechts? Rechtsradikalismus und Jugendgewalt in Sachsen-Anhalt. Daten, Analysen, Interviews, Madgeburg 1992, S. 7
[9] Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.) Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 1992/1993, Madgeburg 1993, S. 5f
[10] Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.) Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 1993, Madgeburg 1994, S. 9
[11] Der Spiegel 8/1997, S. 79
[12] Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.) Verfassungsschutzbericht 1994, Madgeburg 1995, S. 46
[13] Ebd., S. 30
[14] Ebd., S. 31
[15] Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 1996, Magdeburg 1997, S. 21
[16] Ebd., S. 80
[17] Gleiwicz, A.: Rechte Orientierungen in Ostdeutschland, Berlin 1994, S. 45f