Pro NRW und Sarrazin
Die Pro-Bewegung will den Erfolg des Buches von Sarrazin agitatorisch ausschlachten. Der seit Jahrzehnten in der extrem rechten Szene verankerte Vorsitzende von Pro Deutschland, Manfred Rouhs, bot Sarrazin im Falle eines Parteieintritts den Vorsitz von Pro Deutschland an.
Der „Eisbrecher“ gegen die „Denkverbote der political correctness“ – Die Pro-Bewegung und die Sarrazin-Debatte
Wie nicht anders zu erwarten war, wurden die biologistischen, klassistischen und rassistischen Thesen von Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ von der Pro-Bewegung positiv bewertet. Eine genauere Betrachtung des Werkes von Sarrazin fehlt jedoch: es wurde weder eine Rezension oder Zusammenfassung des Buches veröffentlicht oder darauf hingewiesen noch die anschließende vehemente Diskussion in Politik, Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit nachgezeichnet.
Die Pro-Bewegung sieht Sarrazin als „medialen Eisbrecher“, der es „geschafft“ hat, dass „die von ihnen angesprochenen Themen gesellschaftsfähig“ wurden und in den Medien wochenlang diskutiert wurden: „Plötzlich gilt all das als diskussionswürdig, was zuvor noch durch ‚politisch korrekte’ Denk- und Sprechverbote tabuisiert war: die Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme, kulturelle und religiöse Integrationsprobleme, Ausländerkriminalität, Bildungs- und Arbeitsmarktprobleme aufgrund fehlender Deutschkenntnisse, Inländerdiskriminierung und Deutschenfeindlichkeit unter Jugendlichen, die Ghettoisierung ganzer Stadtteile, die Notwendigkeit einer deutschen Leitkultur, etc.“[1] Für den dubiosen „Finanzier“ der Pro-Bewegung, Patrick Brinkmann, hat Sarrazin „einen unerhörten Dienst für Deutschland geleistet“, indem er „Tabus aufgebrochen und eine Diskussion in Gang gebracht“ hat.[2]
Ohne sich auf eine offizielle Statistik oder Umfrageergebnisse zu stützen, ist sich die Pro-Bewegung sicher, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Thesen Sarrazins teilt.[3] Dank Sarrazins Buch würden sich nun immer mehr Menschen trauen, „endlich ehrlich ihre Meinung zu bestimmten Themen zu sagen.“ Die Pro-Bewegung sieht in der Veröffentlichung Sarrazins eine Art politischen Dammbruch: „Es ist so, als wäre plötzlich ein frischer Wind in das stickige und muffige geistige Klima dieses Landes gelassen worden.“[4]
Angeblich profitiert die Pro-Bewegung von der Sarrazin-Debatte ganz erheblich. Sie erlebe „seit Wochen eine Eintrittswelle“, die zu einer Zunahme „auf rund 2000 Mitglieder in 8 Bezirks-und Kreisverbänden“ in Nordrhein-Westfalen geführt hätte. Auch die Anzahl der Teilnehmer an lokalen Veranstaltungen soll seit der Sarrazin-Debatte angewachsen sein. So wurde bilanziert: „Die Menschen trauen sich dank Sarrazin plötzlich, Gesicht zu zeigen für ihre Überzeugungen, mitzumachen bei der größten freiheitlich-konservativen Oppositionsbewegung in Nordrhein-Westfalen und das Joch der ‚Blockwarte der politischen Korrektheit’ endlich abzuwerfen. Ja, jeder einzelne kann sehr wohl etwas bewegen, und Thilo Sarrazin hat viel für die Freiheit in unserem Land erreicht!“[5]
Diese selbst veröffentlichten „Erfolge“ der Pro-Bewegung müssen jedoch mit größter Vorsicht gelesen werden. In der Vergangenheit war es die Regel, dass die Teilnehmer an den von ihr organisierten Veranstaltungen und die eigenen Mitgliederzahlen manipulativ nach oben gerechnet wurden, um sich öffentlichkeitswirksam als einflussreiche politische Kraft darzustellen.[6]
In „Zeiten des Sarrazin-Fiebers“ will die Pro-Bewegung die Sarrazin-Debatte als „Steilvorlage“ dazu nutzen, um parteipolitischen Profit -in welcher Form auch immer- daraus zu ziehen: „Jetzt liegt es an der organisierten patriotischen Opposition, aus dieser Steilvorlage etwas zu machen. Der Eisbrecher Sarrazin hat eine erste Schneise geschlagen – jetzt müssen wir mithelfen, diese Schneise offen zu halten und zu erweitern. Deswegen wird pro NRW in den nächsten Monaten und Jahren ihre Anstrengungen verdoppeln, um nach der geistigen Wende auch die parteipolitische Wende zu schaffen!“[7] Patrick Brinkmann bemerkte: „Die Rechte darf ihre historische Chance in dieser Situation nicht verpassen. Viele Menschen warten jetzt auf ein Signal, dass nach dem Eisbrecher Sarrazin endlich eine vitale Rechte die politische Bühne betritt.“[8]
Dies soll vor allem durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit geschehen. Der „Generalsekretär“ von Pro NRW, Markus Wiener, äußerte sich folgendermaßen: „Gerade jetzt müsse die Gelegenheit genutzt werden, solange die von Sarrazin aufgestossenen Türen in der öffentlichen Debatte noch offen sind.“[9]
Die Pro-Bewegung versucht sich als parteipolitische Alternative darzustellen, die die Thesen Sarrazin in die politische Praxis umzusetzen imstande ist. Dies soll durch „den Weg der Kooperation aller seriösen rechtsdemokratischen Kräfte“ auf Bundesebene forciert werden, wobei vor allem eine „Annäherung“ an die „Republikaner“ erreicht werden soll.[10]
Eine der Kernforderungen der Pro-Bewegung ist dabei die Akzeptanz der „Ungleichheit zwischen den Menschen“: „Thilo Sarrazin bringt mit dieser Argumentation die von den Linken seit 40 Jahren erfolgreich verbreitete Propaganda der Gleichheit ins Wanken. Gleichheitswahn führt zur Zerstörung der gesellschaftlichen Fundamente. Es ist eine unerträgliche Unterstellung, dass man stets als Rassist bezeichnet wird, wenn man diese augenfälligen Unterschiede zwischen den Menschen auch nur nüchtern erwähnt. Es gibt keine homogene Gesellschaft, oder um es andersherum zu sagen: Die homogenisierte, links-ideologische hoch erhitzte Gesellschaft ist genauso steril wie H-Milch. Aus ihr kann nichts mehr entstehen, wachsen. Wenn wir dem Problem dieser Abwärtsspirale überhaupt begegnen wollen, dann müssen wir zunächst die Ungleichheit zwischen den Menschen wieder anerkennen, Elite fördern und nicht unter Faschismusverdacht stellen, die Bedingungen für die Leistungsträger in Deutschland verbessern.“[11]
Der seit Jahrzehnten in der extrem rechten Szene verankerte Vorsitzende von Pro Deutschland, Manfred Rouhs, bot Sarrazin im Falle eines Parteieintritts den Vorsitz von Pro Deutschland an. Rouhs bemerkte: „Wir würden in diesem Fall unverzüglich eine Bundesversammlung durchführen. Ich würde vom Bundesvorsitz zurücktreten und Sarrazin für dieses Amt vorschlagen. Mit ihm an der Spitze ließe sich das Parteiengefüge mühelos aufrollen. Demoskopen veranschlagen unser Wählerpotential im Bereich von etwa 20 Prozent der Stimmen. Sarrazin wäre der richtige Mann, um dieses Potential vollständig zu erschließen.“[12]
Diese vollmundige Ankündigung von Rouhs kann jedoch nicht wirklich ernst genommen werden. Rouhs wird aufgrund seiner jahrzehntelangen politischen Erfahrungen selber wissen, dass Sarrazin nicht in eine neu gegründete Splitterpartei eintreten würde, um seinen Thesen einen parteipolitischen Rahmen zu geben. Es liegt der Verdacht nahe, dass der Vorschlag eine Selbstinszenierung ist, um in den Focus der medialen Öffentlichkeit zu kommen. Ohne die mediale Aufmerksamkeit dürfte es für Pro Deutschland im Hinblick auf die im kommenden Jahr stattfindenden Wahlen in Berlin schwer werden, über eine Rolle als Splitterpartei hinauszukommen.
Am 3.10.2010 fand eine „Solidaritäts-Kundgebung“ von Pro Deutschland für Thilo Sarrazin vor der Berliner Gedächtniskirche statt, an der nach eigenen Angaben 100 Menschen teilgenommen hätten.[13] Diese öffentlichkeitswirksame Demonstration wird mit der kruden These gerechtfertigt, dass nach Sarrazins Ausschluss aus dem Vorstand der Bundesbank in der Bundesrepublik die „Meinungsfreiheit in Gefahr.“ wäre. Die Pro-Bewegung, die selbst schon in mehreren Verfassungsschutzberichten als rechtsextrem eingestuft wurde, will nun selbst das Grundgesetz „gegen Verfassungsfeinde“ verteidigen. Diese „Verfassungsfeinde“ seien in der herrschenden politischen Klasse zu finden: „Es geht um mehr und um etwas anderes als den Rauschmiß einer Einzelperson aus bestimmten Ämtern: Sarrazin ist zum Symbol für das mittlerweile aufgekommene Erfordernis geworden, die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gegen Verfassungsfeinde zu verteidigen. Und die sitzen heute nicht mehr nur an den politischen Rändern, sondern oben!“[14]
Diese Strategie, sich selbst vom Stigma der Verfassungsfeindlichkeit zu befreien und im Umkehrschluss die politischen Entscheidungsträger als „Verfassungsfeinde“ zu brandmarken, wird schon seit Jahren angewendet, um die eigene politische Glaubwürdigkeit zu stärken.[15]
Es wird ein rassistischer Dualismus zwischen Deutschen und Migranten hergestellt:[16] „Unablässig wird seitens der politischen Klasse darüber sinniert, wie man die hart erarbeiteten Sozial- und Rentenansprüche der Einheimischen zurückstutzen kann; aber die Milliarden Kosten für Fürsorgeempfänger mit Migrationshintergrund bleiben tabu.“ Diese Stimmungsmache gipfelt in der Lüge, dass Zuwanderer ohne reguläre Beschäftigung im Sozialsystem besser gestellt als Einheimische sind.[17] Zuwanderer werden als faule, integrationsunwillige Sozialschmarotzer dargestellt:[18] „So lange Teile der Migranten sich weigern, die deutsche Sprache zu erlernen, einen Beruf zu erlernen, sich unserem Rechtssystem unterzuordnen, so lange wird alles Gerede von Integration letztendlich inhaltsleeres Geschwätz bleiben. Wir dürfen auch nicht weiter schweigen, wenn unsere Sozialkassen regelrecht geplündert werden.“
Judith Wolter bezieht sich positiv auf die strikte Zuwanderungspolitik der USA, Kanadas und Australiens, wo meist nur hoch qualifizierte Personen einwandern dürfen und eine soziale Selektion nach wohlstandschauvinistischen Prinzipien erfolgt.[19] Sie sympathisiert mit der Forderung der österreichischen FPÖ, eine separate Krankenkasse für Migranten zu installieren:[20] „Es ist evident, dass Migranten mehr Leistungen entnähmen, als sie an Beiträgen einzahlten. (…) So schlügen diese im Bereich der Familienleistungen überdurchschnittlich zu Buche, weil türkische Frauen ungleich häufiger Nachwuchs bekommen als einheimische. Die Politik täte sehr gut daran, den FPÖ-Vorschlag einer separaten Ausländer-Krankenkasse auch für die BRD in Betracht zu ziehen.“
Beim Thema Demographie zeichnet Pro NRW ein Bedrohungsszenario vom „Aussterben des deutschen Volkes“. Die rückläufige Geburtenrate deutscher Frauen wird dem Kinderreichtum von MigrantInnen in Deutschland gegenübergestellt. Um die „völkische Homogenität“ zu erhalten, die einen entscheidenden Punkt in den bevölkerungspolitischen Vorstellungen von Pro NRW einnimmt, sollen deutsche Frauen mehr Kinder gebären und MigrantInnen dagegen weniger. Als der nordrhein-westfälische Minister Armin Laschet (CDU) eine verstärkte Zuwanderung in die BRD forderte, um den Stand der Bevölkerung konstant zu halten, entgegnete der stellvertretende Vorsitzende Kevin Gareth Hauer:[21]„Zur Lösung der demographischen Krise benötigen wir keinen weiteren millionenfachen Zustrom aus dem Ausland, sondern eine Minus-Zuwanderung bei gleichzeitig konsequenter Unterstützung deutscher Familien.“
Pro NRW beruft sich dabei auf den in konservativen Kreisen als bevölkerungspolitischen Nestor gefeierten Herwig Birg.[22] Laut Birg drohe in der Zukunft eine„demographische Zeitenwende“. Die Folge wären entvölkerte Landstriche sowie heruntergekommene und von den migrantischen Bevölkerungsteilen in Besitz genommene städtische Ballungszentren.[23] In der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ stellte Birg fest:[24] „Ein von 90 Prozent Moslems bewohnter Stadtteil ist nicht kulturell ‚zurückzuholen’. (…) Im Jahre 2050 werde man in deutschen Betrieben besser nicht mehr deutsch sprechen, vielleicht ist es bis dahin nur nicht chic, sondern ein Entlassungsgrund.“
Aus diesen Ausführungen Birgs leitet Pro NRW folgende Schlussfolgerung ab:[25] „Das multikulturelle Märchen, dass junge Migranten die demographische Katastrophe abwenden und die Sozialsysteme stabilisieren könnten, ist längst widerlegt. Massenzuwanderung, speziell aus nichteuropäischen Ländern, kostet mehr, als sie einbringt, denn die Integrationskosten werden völlig ignoriert. Besonders in der Bundesrepublik, wo der Anteil der Arbeitslosen und Sozialhilfebezieher unter den Migranten und ihren Kindern mehr als doppelt so hoch wie bei den Einheimischen ist. (…) In den Ghettos der Parallelgesellschaften in unseren nordrhein-westfälischen Großstädten wachsen ganze Generationen von lebenslänglichen Transferempfängern heran.“
Die angebliche „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ wird wie bei Sarrazin zum zentralen Argument: „ In allen öffentlichen Debatten über die Probleme der Staats- und Sozialfinanzen wird eine der Hauptursachen völlig ausgeblendet: die Zuwanderung. Sie ist zu einer umfassenden, schweren und wachsenden Belastung geworden. Fast 40% der türkischstämmigen Menschen sind z.B in Köln arbeitslos. Für die Belastung der Verwaltungsgerichte durch Asylprozesse müssen große Summen angesetzt werden. Das Versagen des Schulsystems (Pisa-Studie) ist wesentlich vom falschen Umgang der Bildungspolitiker mit der Zuwanderung verursacht. (…) Die Zuwanderung wurde immer mehr zu einer Zuwanderung in die Sozialsysteme. (…) Der noch von der ehemaligen Kohl-Regierung geregelte Familiennachzug ist ein Hauptgrund für die Massenzuwanderung größtenteils integrationsunwilliger Fremder. Zuwanderer ohne reguläre Beschäftigung sind im Sozialsystem besser gestellt als Einheimische !!!! (…) Die Zuwanderung löst demzufolge keineswegs, wie uns die etablierten Parteien vorgaukeln wollen, die Probleme der Sozialversicherungen. Vielmehr ist die Massenzuwanderung teilweise integrationsunwilliger Fremder die Hauptursache für den Zusammenbruch der Sozialfinanzen.[26]
Pro NRW lehnt den EU-Beitritt der Türkei ab und fordert die sofortige Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dies wird damit begründet, dass lediglich ein geringer Teil der Türkei in geographischer Hinsicht zu Europa gehöre:[27] „Ein solcher Beitritt dient ausschließlich den strategischen Interessen der USA und läuft der europäischen Identität zuwider. (…) Das Ziel der EU-Polit-Nomenklatura ist also die Schaffung eines regelrechten Molochs, den außer unserer Kultur, fremde, außereuropäische Staaten angehören sollen.“
Außerdem wird argumentiert, dass die politische Kultur der Türkei nicht „mit unserem Wertesystem vereinbar“ sei und „hunderttausende Kurden und Türken dann in unsere sozialen Sicherungssysteme einreisen“ dürften.[28]
Literatur
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Lausberg, M.: Die Pro-Bewegung, Münster 2010
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www.prodeutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=321:...
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www.prodeutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=309:...
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www.pro-deutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=313...
[3]www.pro-deutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=313...
[4] Ebd.
[6] Vgl. dazu Lausberg, M.: Die Pro-Bewegung, Münster 2010, S. 95f, S: 105f
[10] Ebd.
[12]www.pro-deutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=309...
[13] www.pro-berlin.net/?p=1263
[14]www.prodeutschland.net/index.php?option=com_content&view=article&id=321:...
[15] Lausberg, Die Pro-Bewegung, .a.a.O., S. 81f
[16] www.pro-nrw.org/content/view/732/20
[17] www.pro-nrw.org/content/view/124/47
[18] www.pro-nrw.org/content/view/675/22
[19] www.pro-nrw.org/content/view/825/1
[20] www.pro-nrw.org/content/view/71/40
[21] www.pro-nrw.org/content/view/51/23
[22] Vgl. dazu die grundlegenden Werke Birgs: Die demographische Zeitenwende. Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa, München 2001; Die Weltbevölkerung, München 2005; Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt, München 2005
[23] Vgl. dazu Prokla-Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaften: „Bevölkerung“-Kritik der Demographie, Ausgabe 146, März 2007
[24] Junge Freiheit vom 3.3.2006, S. 5
[25] www.pro-nrw.org/content/view/179/46