Ökotopi1
Ernest William Callenbachs Werk "Ökotopia" gibt Stoff zum Nachdenken über ökologische Probleme.
Ernest William Callenbach: Ökotopia
Nach einem abgeschlossenen Studium an der Universität Chicago siedelte Ernest William Callenbach nach Kalifornien über. Dort lehrte er Filmgeschichte und –theorie an der University of California in Berkeley. Die Universität Freiburg verlieh Callenbach wegen seines ökologischen Engagements die Ehrendoktorwürde. Durch den Kontakt mit indianischen Kulturen wurde sein ökologisches Bewusstsein entscheidend geprägt. Mitte der 1970er Jahre formulierte er mit seinem Buch „Ökotopia“ den Entwurf einer dezidiert positiven, sozioökonomischen Alternative auf der Basis ökologischer Strukturen. Aufgrund der Ablehnung von angeschriebenen Verlagen, das Werk herauszugeben, wurde es zunächst 1975 im Eigenverlag gedruckt. Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten wurde das Buch zu einem Kultbuch der Ökologiebewegung. In der Ökotopia wurde gesagt: „Die Menschen sollen ihr Glück nicht in der Herrschaft über die Erde und ihre Lebewesen, sondern in einem Leben suchen, das sich in größtmöglicher Harmonie mit der Natur befindet.“ Callenbach, E.W.: Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahr 1999, Berlin 1978, S. 60)
Hermand betont: „Neu und wichtig an Callenbach sind letztlich (…) die sozioökonomischen Vorstellungen einer besseren Wirtschaftsordnung, der recht praktikable ökologische, feministische und sozialistische Strukturen zugrunde liegen.“ (Hermand, J.: Möglichkeiten alternativen Zusammenlebens. Ernest Callenbachs Ecotopia, in: Berghahn, K. L. /Seeber, H.U. (Hrsg.): Literarische Utopien von Morus bis zur Gegenwart, Königstein/Taunus 1983 , S. 251-264, hier S. 262
Schölderle, T.: Utopia und Utopie, Baden-Baden 2011, S. 298 Callenbach legt den Schauplatz des Geschehens in eines der Zentren der westlichen Industriegesellschaft. Der eigenständige Staat Ökotopia ist 1980 als Abspaltung von den USA aus den nordwestamerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Nordkalifornien hervorgegangen. 1999 bereist der New Yorker Reporter William Weston im Auftrag einer Zeitung unf des Weißen Hauses den Staat. Er soll über die dortigen Entwicklungen Bericht erstatten und zugleich Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen zu den USA ausloten.
Der internationale Flugverkehr ist über dem Territorium Ökotopias aus Gründen der Lärmbelästigung strikt untersagt (S. 11) Die gesamte Ökonomie ist nach außen hin völlig abgeschirmt (S. 60). Bereits 1980 wurden der normale Reiseverkehr sowie alle andren Verbindungen zu den USA und anderen Staaten abgebrochen. (S. 5) Bei Westons Besuch handelt es sich um die erste offizielle Reise eines Amerikanern seit der Unabhängigkeit 1980 überhaupt. (S. 5). In insgesamt 66 Abschnitten schreibt Weston seine Erlebnisse und Eindrücke nieder: zum Teil als persönliche Tagebucheintragungen, zum Teil in Form von Zeitungsartikeln, die für die Öffentlichkeit in den USA bestimmt sind.
Schölderle: S. 299 Der Hauptinhalt des Werkes ist der innere Wandel Westons: Gegen Ende des Romans fasst Weston den Entschluss, nicht in die USA zurückzukehren und in Ökotopia zu bleiben. Dafür sind zwei Gründe ausschlaggebend: seine Liebe zu der Ökotopierin Marissa und die Überzeugung, mit Ökotopia ein eeindeutig besseres Gesellschaftsmodell kennengelernt zu haben. Auf dem Wege der Persönlichkeitsveränderung Westons im Laufe des Werkes gewinnt die Kritik am Lebensstil in den USA immer mehr an Bedeutung.
S. 300 Der Alternativentwurf Ökotopias propagiert „das Konzept eines stabilen Gleichgewichts“. (S. 31) Vom Konsumverhalten bis hin zur industriellen Produktion orientiert sich alles am Vorbild des biologischen Haushalts. Diesem Prinzip wird dort das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben untergeordnet. Man „will einen bescheidenen Platz im geschlossenen, ausgewogenen Gewebe des organischen Lebens einnehmen“. (S. 60) Nicht Herrschaft über die Natur, sondern Integration in ihr Werden und Vergehen, sind die Charakteristika von Callenbachs Utopie.
S. 301 Den Bewohnern von Ökotopia ist bewusst, dass sich das System des „stabilen Gleichgewichts“ nicht von heute auf morgen herbeiführen lässt. Es geht lediglich um die größtmögliche Annäherung an das Ideal. Es findet sich in Ökotopia noch Probleme, die noch nicht im Sinne der Natur behoben sind, daher ist es ein noch unvollkommenes Staatswesen. „Natürlich gibt es immer noch Momente, die sich mit dem Prinzip des stabilen Gleichgewichts nicht vereinbaren lassen: Fahrzeuge sind mit Gummireifen ausgestattet, Zahnfüllungen bestehen aus Silber, einige Gebäude aus Beton usw.. Aber es ist und bleibt ein erstaunliches Verfahren und die Leute haben sichtlich großen Spaß daran, es auf immer weitere Bereiche auszudehnen.“ (S. 31) Für die ökologische Harmonie sind die Menschen bereit, den Preis eines deutlichen Absinkens des Lebensstandards zu zahlen. Fehlner behauptet, dass der angestrebte ökologische Gleichgewichtszustand nicht als „Endpunkt eines historischen Prozesses bestimmt“ wird, sondern „primär als ethische Richtschnur ökotopianischen Verhaltens“ dient. (Fehlner, G.: Literarische Utopien als Rfelexion und Kritik amerikanischer Wirklichkeit. Ausgewählte Beispiele seit den 60er Jahren, Meitingen 1989, S. 13)
S. 303 Zentrale Folge des ökotopianischen Wirtschaftsysytems ist, dass keine Kapitalisten mehr existieren, „die sich persönlich bereichern können, weil sie über Produktionsmittel verfügen und die Arbeitskraft anderer Menschen kaufen.“ (S. 124) Die produktionsstruktur wird hingegen von selbständigen Handwerkern und kleinen Unternehmen getragen, wobei die Arbeiter zumeist selbst Eigentümer der Betriebe sind. Der Bewegungsspielraum dieser kleinen Unternehmen ist durch zahlreiche ökologische Gesetze und eine hohe Körperschaftssteuer eningeschränkt (S. 122-124)
S. 305 Das politische System unterscheidet sich nur minimal von dem Verfassungstyp westlicher Demokratien. Es lässt sich als präsidentiell verfasste, repräsentative Demokratie mit starken dezentralen Strukturen beschreiben.
S. 306 Die Ökotopia ist kein statisches Konstrukt, sondern ein dynamisches System, das eine anhaltende Prozesshaftigkeit betont. Das prinzip des ökologischen Gleichgewichts dient lediglich als normativer Maßstab.
Callenbach will mit seinem Werk eine bewusstere Wahrnehmung der natürlichen Umgebung und Lebensumstände erreichen; eine Reflektion über den eigenen Lebenswandel und ein grundsätzlich ökologisches vernetztes Denken soll geschaffen werden. Die Aufgeschlossenheit für eine neue ökologische Kultur wird von Callenbach geweckt, wobei auch auftretende Konflikte und Probleme nicht verschwiegen werden.
Es gibt in Ökotopia keine Autos, sondern ein ausgebautes Netz aus Zügen und Bussen, einschließlich einer Magnetschwebebahn. Sonnen- und Windenergie, Biomasse, Erdwärme haben die Atomenergie und fossile Brennstoffe ersetzt.
Als Grundlage von Callenbachs Werk dient ein wachsendes Umweltbewusstsein in verschiedenen Teilen der Welt ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Abwässer und anderer Müll werden in organischen Dünger umgewandelt und dem Boden wieder zugeführt. Die Menschen leben häufig in Wohngemeinschaften von 5-20 Mitgliedern, die sich Versorgung, Haushalt und Kindererziehung teilen. Es existiert im Gegensatz zu dem kapitalistischen System in den USA ein garantiertes Mindesteinkommen für Lebensmittel, Wohnung und ärztliche Versorgung. Die Zahl der Erwerbslosen ist auf einem niedrigen Stand; sie werden vor allem beim Aufbau des Eisenbahnnetzes, der Aufforstung von Wäldern sowie in Abwässeranlagen eingesetzt.
Callenbach präsentiert Ökotopia als positiven und universalen Gegenentwurf zu den industrialisierten Staaten, die sich immer mehr Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt auf die Fahnen schreiben.