“Brüder”krieg forever - Die Verwandtschaft des alten ukrainischen und des neuen russischen Nationalismus

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Die UkrainerInnen haben es einfach, Putin zu verstehen. Besonders gut können ihn diejenigen verstehen, die mit der Ideologie des ukrainischen „integralen“ Nationalismus bekannt sind. Der Begriff selbst entstand, wie SpezialistInnen sagen, nach dem 2. Weltkrieg. Er bezeichnet zwei miteinander verwandte, aber nicht übereinstimmende Ideologien: den „wirklichen Nationalismus“ und den „organisierten Nationalismus“. Unter dem ersten versteht man theoretische Arbeiten eines parteilosen Intellektuellen, Dmytro Donzow, eines originellen und belesenen, literarisch begabten Autoren, der von den meisten seiner ehemaligen Kampfgefährten verflucht und verachtet wird, der dabei methodologisch wirr geblieben ist. Das sind alles Qualitäten, die für einen populären faschistischen Autoren Pflicht sind.

 

Quelle der Übersetzung: https://dasgrossethier.wordpress.com/2015/10/26/bruederkrieg-forever/

 

Donzows Ansichten basieren auf einem für das Vorkriegseuropa charakteristischen totalitären Nationalismus. Der Wille zur Macht, Aggressivität, politischer Autoritarismus, Disziplin, Immoralismus, Selbstaufopferung und metaphysische Betrachtungsweise der Geschichte. Das Letztere, freilich, verwundert ein wenig. Donzow kam schließlich aus der marxistischen, nicht aus der religiösen Ecke. Entweder zeugt das von einem Bruch mit der alten Methodologie, oder von einem gewissen politischen Zynismus.

 

Für Donzow ist eine christliche Rhetorik charakteristisch, dabei widerspricht – wenn man ehrlich ist – die Idee des Nationalismus der Botschaft des Evangeliums komplett, das nationale Unterschiede negiert. Nation bedeutet dem Gott des Neuen Testaments nichts. In der zynischen Welt des „wirklichen Nationalismus“ sind Angriff und Verteidigung gleichwertig, Lüge im Namen der Nation moralisch annehmbar, wenn es sich dabei um die ukrainische Nation handelt. Übrigens sind Cholmogorow oder Markin (1), die die Notwendigkeit der Lüge zugunsten Russlands anerkennen, nicht sehr weit von Donzow entfernt. Genauso im Rahmen der integralen Nationalismusdoktrin handelt der offen ins Gesicht lügende Putin.

 

Föderalismus für die Feinde, für uns – Unitarismus

 

Seiner Geisteshaltung und Stellung in der Geschichte des Faschismus nach zu urteilen steht der russische Nationalist Iwan Iljin (der Lieblingsphilosoph Putins) Donzow nahe; er ähnelt ihm mit seinem allgemeinen Pathos, stilistisch ist er aber verwässert und zum Lesen von SchülerInnen höherer Stufen völlig ungeeignet. Ausgerechnet Donzow ist im Unterschied zu Iljin ein hervorragender Schriftsteller für junge Heranwachsende; ein glänzender Stilist, fähig die Jugend zu den schwersten Sünden zu inspirieren. Die einzige Idee Iljins, die heutzutage real das öffentliche Leben in der Russländischen Föderation beeinflusst, ist seine Föderalismusauffassung. Diese Form der staatlichen Organisation hielt er für schädlich für unitäre Staaten. Daher der Abbau des Föderalismus in der RF und sein Export in die Ukraine.

 

Im Artikel „Lebensgrundlagen der Föderation“ schreibt Putins geistiger Lehrer folgende, in ihrem Zynismus und Verachtung für RussInnen erstaunliche Sätze:

 

„Es gibt Staatsformen, die bei primitivem, naivem und wackeligem Rechtsbewusstsein realisierbar sind. So ist ein unitärer Staat weit weniger vom Rechtsbewusstsein seiner Bevölkerung abhängig als ein föderativer; ein autoritärer Staat bezieht weit weniger Menschen in seinen Aufbau ein als ein demokratischer. Und gerade deswegen sind Föderation und Demokratie nur dort möglich, wo im Volk das Pfichtgefühl anerzogen wurde, wo ihm freie Loyalität, Treue zu Verpflichtungen und Verträgen, das Selbstwertgefühl und Ehre, Fähigkeit zur kommunalen und staatlichen Selbstverwaltung eigen sind“.

 

Nach Iljins Auffassung ist Föderation für RussInnen schädlich. Und Putin realisiert diese Idee während der gesamten Regierungszeit, indem er einen unitären Staat aufbaut, der nur durch Missverständnis als Föderation bezeichnet wird. Beachtet man, dass die UkrainerInnen für Putin einen organischen Teil der „russischen Welt“ (2) darstellen, versteht man, warum er so hartnäckig Kiew zu Föderalisierung drängt. Er ist der Meinung, sie schadet den „russischen Leuten“, den UkrainerInnen also, und wird ihren „künstlichen Staat“ zerstören. Das ist eine bewusst gewählte Strategie, die auf traditionelle russische faschistische Philosophie zurückgeht.

 

Der Verteidigungskrieg

 

Die „russische Welt“ kann ohne die Ukraine nicht existieren. Es sei nicht Russlands Angriff gewesen, sondern die UkrainerInnen sprengten die Einheit jener virtuellen Gemeinschaft, an die die meisten RussInnen glauben. Es war also demnach die Ukraine, die Russland angegriffen hatte. Nicht die reale RF, sondern Russland, das größer ist als der jetzige russländische Staat. Das himmlische russische Reich, dessen Lebensgrenzen mit den Grenzen der „russischen Welt“ zusammenfallen. In der drittgrößten Stadt und der ersten heiligen Stätte der „russischen Welt“ fand ein Staatsstreich nicht nur gegen den lokalen, vom Kreml abhängigen Herrscher statt. Alles ist noch schlimmer: „die Mutter der russischen Städte“ (3) wandte sich von Russland ab. Das ist ein Angriff auf etwas, das russische nationale Identität symbolisiert. Ein Angriff auf den Mythos, den Glauben und die ausgedachte heroische Geschichte.

 

Nicht nur die pro-russischen „watnyki“ (4), sondern auch die patriotischen UnkrainerInnen luden Putin zu sich nach Hause. Wenn die „Kartoffelkäfer-Armee“ davon spricht, dass an allem der Maidan schuld ist, lügt sie nicht. Der Abfall von der virtuellen Einheit durchstriecht nicht nur geostrategische Ziele der RF, sondern sprengt auch die Konzeption der „russischen Welt“ selbst, die die Herrschaft der bürgerlich-bürokratischen Elite begründet und eine entsprechende Innen- und Außenpolitik bestimmt. Der Maidan ist kein außenpolitisches Problem der RF. Er ist die innenpolitische Schmach der „russischen Welt“ und der Klasse der Profiteure.

 

Die aktuelle Regierung Russlands benutzt Patriotismus als Vorwand für ihre Legitimität. Hier wird der Kollateralschaden nicht mehr berechnet, gerät doch das gesamte System mit all seinen Eigentumstiteln und informellen Beziehungen in Verruf. Die Unterwerfung der Ukraine ist wichtiger als alle politischen und wirtschaftlichen Schäden für Russland. Wird die Ukraine dem Westen nicht „wieder entrissen“, kündigt sich das Ende des virtuellen Russentums an. Für diese russische Reconquista sind alle Mittel recht, der Angriff ist die beste Verteidigung. Wir erinnern uns daran, dass ausgerechnet auf der Gleichwertigkeit einer Abwehr- und Angriffsstrategie der Großteil von Donzows Überlegungen basiert. Wie illusorisch diese Politik ist, können wir nicht abschätzen. Vielleicht werden die Änderungen in der Politik der RF unbemerkt bleiben, vielleicht zerfällt sie, in einem gewissen Sinne wird aber Russland bleiben und nicht verschwinden. Also wird das Ende der „russischen Welt“ wohl kaum das Ende der Staaten bedeuten.

 

Russland irredentа

 

Öffentliche Verneigungen vor Iljin machen ihn trotzdem nicht zum Vater der modernen, massenhaft rezipierten russischen rechtskonservativen Ideologie. Er ist zu weit entfernt vom Geist der „russischen Welt“, sein monarchistischer und etatistischer Pathos spielen keine zentrale Rolle im modernen russischen Nationalismus. Expansionismus, Immoralismus und Donstow’sche Revision des Fortschrittsglaubens sind dem „Russischen Frühling“ viel näher als der traditionelle russische Nationalismus. Donzow ist ein Antiwestler, aber ohne Sauerkraut im Bart, weil er den westlichen Liberalismus zurückweist und den Imperialismus vertritt. Er rief dazu auf, bei den westlichen imperialistischen Gesellschaften ihre kolonialistische Philosophie zu lernen, die nicht nur den materiellen Nutzen verfolgt, sondern auch eine hohe zivilisatorische Mission anvisiert.

 

Genauso versucht das moderne russische Regime sich in Europa auf ultrakonservative Kräfte zu stützen und von ihnen zu lernen. Die „russische Welt“ ist gegen „Gayropa“, aber für ein konservatives Europa der Nationen. Allerdings schafft er es auch in der EU nicht, sich auf alle EuroskeptikerInnen zu stützen. Die britischen Tories stellten sich als zu fortschrittlich für den Kreml dar und die Konservativen vom Festland sind AnhängerInnen der europäischen Einheit, welche für sie teilweise nicht weniger bedeutet als nationale Identität. Das ist das Resultat der europäischen Geschichte. Auf dem Kontinent wurde zu viel Blut vergossen, weshalb Frieden und Menschenrechte zum Allgemeinplatz auch für die gemäßigten Rechten geworden sind.

 

Donzows Nationalismus ist irredentistisch und für den russischen Nationalismus und Etatismus ist das ein relativ neues Thema. Bis 1991 lebten RussInnen in einem Land und assimilierten erfolgreich Minderheiten. Zum ersten Mal bekamen russische Nationalisten eine Opfergeschichte. Das Volk ist geteilt und kann nur wieder zusammengebracht werden mittels einer totalitären Macht und eines nationalen Anführer. Das ist nicht neu. Genauso waren der ukrainische, ungarische, rumänische Nationalismus der Zwischenkriegszeit, der italienische Faschismus und der deutsche Nazismus. Diese Völker waren „geteilt“ und erfuhren manchmal keine erfundenen, sondern echte Diskriminierungen.

 

Die Geschichte zeigte, dass keine der „geteilten Nationen“ unter der nationalistischen Diktatur Erfolg hatte. Der im nationalen Egoismus begründete Imperialismus ist dem Untergang geweiht. Das beste Beispiel ist gerade das ukrainische. Gerade hier können wir beobachten, dass der totalitäre Nationalismus ohne einen verzweigten Repressionsapparat zu schwach und zur Revision oder zum systematischen Verschweigen der eigenen Ideologie verdammt ist.

 

Geburt und Verfall des ukrainischen totalitären Nationalismus

 

Kommen wir zu Donzow und seiner Version des ukrainischen Nationalismus’ zurück. 1926 schreibt dieser Publizist ein Werk namens „Nationalismus“. In Galizien und in der Tschechoslowakei findet ein Teil der ukrainischen Rechten Inspiration in den Werken Donzows, da der traditionelle „Petljura“-Diskurs (5) keine Antworten auf die wichtigsten weltanschaulichen und organisatorischen Fragen lieferte, die sich NationalistInnen stellten. Donzow schlug den Ton an, und Dutzende parteiische und parteilose PublizistInnen popularisierten seine Ansichten in der Westukraine und in der Diaspora. Er wurde zum Aushängeschild, zur Avantgarde der ukrainischen Reaktion.

 

1929 Gruppen von Veteranen der Ukrainischen Volksrepublik (UNR) und junge NationalistInnen gründen die Organisation Ukrainischer NationalistInnen, OUN. (6) Das ist bereits der „organisierte Nationalismus“. Sie mussten den „wirklichen Nationalismus“ der Marke Donzow den Anforderungen einer konkreten extremrechten Partei anpassen. Die soziale Doktrin des ukrainischen Nationalismus entwickelte Nikolaj Sziborski in „Natiokratie“ und im Verfassungsentwurf, die Philosophie des politischen Aktivismus wurde vom Autoren des „Dekalogs“, Stepan Lenkawski, formuliert. (7)

 

Die Atmosphäre im Polen der Vorkriegszeit förderte solche Stimmungen. Die ethnischen Gemeinschaften waren ziemlich abgeschottet und miteinander verfeindet.

 

Die UkrainerInnen erlebten eine nationale Erniedrigung nach den Niederlagen der Westukrainischen und der Ukrainischen Volksrepubliken, die Politik der „Pazifizierung“ forderte die Radikalisierung des nationalistischen Untergrundes. Der Zusammenbruch Polens und die Repression des NKWD gegen Liberale, legalistische Linke, gemäßigte Konservative, polnische und ukrainische Intellektuelle und Kleriker schufen die Bedingungen, unter denen die galizische Gesellschaft außergewöhnlich ansprechbar für die OUN-Propaganda wurde. Nicht, weil sie mit allem einverstanden war, sondern weil von allen lokalen Kräften und Organisation nur die Untergrund-NationalistInnen und die durch die Sowjets ziemlich ramponierte griechisch-katholische Kirche überlebten.

 

Bis August 1943 war die Ideologie des ukrainischen Suprematismus in der OUN(b) dominierend, auf dem dritten Kongress aber gibt die Organisation die Ideologie fast vollständig auf. Sozialistische und demokratische Forderungen gelangen in das Programm und der Text programmatischer Beschlüsse unterscheidet sich stilistisch sehr von früheren Dokumenten der Organisation. Er ist in einer anderen Unterart des Ukrainischen verfasst. Es ist bereits die östliche Literatursprache, nicht die westliche, auf welcher die Dokumente bis 1943 verfasst wurden. Wie lässt sich das erklären? Ein OUN-Aktivist, Jewgen Stachiw, behauptet, dass die Idee von der „Ukraine für UkrainerInnen“ keine Unterstützung im Osten fand, außerdem fanden die Leute die offen faschistische Haltung der OUN unsympathisch.

 

Antisowjetisch eingestellte UnkrainerInnen strebten nach politischen Freiheiten, Selbstverwaltung, ArbeiterInnenkontrolle in Betrieben und Garantien für nationale Minderheiten. Die Bandera-AnhängerInnen machten Zugeständnisse, aber das Programm und die Ideologie der Organisation waren dann ganz anders. Die Ideologie der UPA (8) musste man unter den Untergrundbedingungen korrigieren.

 

Damit die Bevölkerung den Nationalismus akzeptierte, brauchte man Todesangst, die die Liebe zu Herrschaft hervorrufen würde. Nur so könnte man ohne Stress im Totalitarismus leben. Die OUN(b) war nicht fähig, die ganze Bevölkerung mit Terror zu überziehen (obwohl man die Fähigkeiten der Henker vom Sicherheitsdienst der OUN(b) nicht unterschätzen sollte), deswegen war sie gezwungen, ihre Rhetorik, ihr Programm und ihre Ideologie zu ändern.

 

Die Evolution des ukrainischen Nationalismus

 

Der Propaganda-Chef und Vorgesetzte im System von „Politerziehern“ (Kommissaren) der UPA, Pjotr Fedun-Poltawa, erklärte in seinem Werk „За тип організованої демократії в майбутній незалежній українській державі“ (1949), dass die NationalistInnen sich von der Natiokratie lossagen und die Ideale der Demokratie annehmen sollten. Indes sollte dieselbe Demokratie vom nach Feduns Meinung überflüssigen Liberalismus befreit werden. Die OUN würde in einer unabhängigen Ukraine zusammen mit der PatriotInnen-Front regieren und in einer ferneren Perspektive wäre auch politische Konkurrenz erlaubt, obwohl die Vorstellung eines eingeschränkten politischen Pluralismus dem OUN-Ideologen notwendig schien.

 

Letzten Endes wird daraus etwas putinmäßiges. D.h. das Wahlverfahren besteht, es existieren Gewerkschaften und das Mehrparteiensystem, aber keine Freiheit. So eine Ukraine scheint historisch als ein „Versprechen der Demokratie“, dafür entwickelt sich das heutige Russland von der bürgerlichen Demokratie zu einer Monarchie ohne Thronerbfolge. Aber man sollte sich da nichts einbilden. Die „organisierte Demokratie“ der ukrainischen NationalistInnen und die „souveräne Demokratie“ Putins scheinen Stadien zu sein, die nie selbständig überwunden werden.

 

Also kommen wir zum Schluss, dass die aktuelle Ideologie der „russischen Welt“ bereits reaktionärer ist als die Nachkriegsideologie der UPA. Fedun-Poltawa gibt in den 40er Jahren nach und nach seine verschwörungstheoretische Geschichtsauffassung auf, im heutigen Russland sucht man Rothschilds und Rockefeller unter jedem Bett.

 

Allerdings hätte die UPA keine Demokratie aufbauen können. Sie wäre zu „organisiert“ geraten, sprich: zu steuerbar. Eine Organisation der RevolutionärInnen oder catilinarische VerschwörerInnen geht einem Regime voraus und bestimmt seinen Charakter. Die Bolschewiken z.B. versprachen eine allumfassende Herrschaft des Volkes, aber eine zentralistische Intelligenzler-Partei, die sich die Arbeiterklasse unterstellte, ist für kaum etwas anderes als für eine Diktatur über das Proletariat brauchbar, wovor noch Bakunin warnte.

 

Die OUN war eben nicht einfach zentralistisch, sondern totalitär mit einer großen innerparteilichen Geheimpolizei. Also wäre das Versprechen der Demokratie (wäre Fedun ehrlich gewesen) ohnehin nur ein Versprechen geblieben. Was Herrn Putin angeht, dank eines Krieges an die Macht gekommen, sich auf eine Clique von Superreichen (die dabei großzügig aus dem Budget klauen) und die Geheimpolizei stützend, wird der nationale Anführer Kriege führen, Freunde klauen lassen und Feinde mittels des Polizeiapparates bekämpfen.

 

Nach dem Krieg versuchte die OUN(b) zum alten organisierten Nationalismus zurück zu finden, was zu einer Abspaltung der Auslands-OUN (9) führte. Der Versuch einer ideologischen Restauration bleib erfolglos. Bandera-Anhänger konnten unter den Bedingungen der Emigration die alte, reine Doktrin des „organisierten Nationalismus“ aufbewahren, die OUN(m) gab noch früher den Großteil des alten faschistischen ideologischen Mülls auf und ersetzte ihn durch einen nicht weniger muffigen Konservatismus. Die faschistischen Ideen waren beim Wettkampf um Gelder von emigrantischen Kultur- und Wirtschaftsorganisationen oder beim Beantragen von Projektfinanzierungen bei westlichen Regierungen nur hinderlich.

 

Der bequeme Feind

 

Die letzten AnhängerInnen des „Nationalismus der alten Schule“ waren die AktivistInnen von „Trysub“. (10) Sie betrieben historische Rekonstruktionsspiele reinsten Wassers. Nach dem Maidan aber schufen sie den Rechten Sektor, der gezwungen ist sich verbal immer mehr vom integralen Nationalismus zu distanzieren. Ihre Ideologie ist einem Paleo-Konservatismus nahe, und das ist immerhin eine Form der politischen Ideologie, die mit den Programmen und „Geboten“ der OUN nicht übereinstimmt. Das Ende des Krieges wird ein schwerer Schlag für diese Kraft sein, denn der heroische Pathos soll sich traditionell auf die (in den Augen der Gesellschaft) unbestreitbare Tatsachen (sprich: Krieg, Opfer usw.) stützen. In Friedenszeiten ist die Inkompatibilität von Rechtsradikalismus und der ukrainischen Realität offensichtlich.

 

Der Geist der „alten Schule“ überlebte lange und lebt noch immer in der „Swoboda“. Narwannost und aggressive Intoleranz von Iryna Farion und Igor Miroschnitschenko (11) passte durchaus zur voluntaristischen Kultur des totalitären Nationalismus. Der Pathos des „Schutzes für alle UkrainerInnen“ meinte, dass es ein Angriff im Namen aller UkrainnerInnen sein solle. Im ideologischen Rahmen der „russischen Welt“ muss einE UkrainerIn als AggressorIn erscheinen, in Begriffen Donzows ist Abwehr prinzipiell gleichwertig dem Angriff – ein idealer Sparring-Partner für russische NationalistInnen.

 

Eigentlich war gerade „Swoboda“ die für die Splitter der „russischen Welt“ am meisten begreifliche Vertreterin der ukrainischen politischen Szene. Ich kenne einen Kiewer, der seine Stimme ehrlich für „Swoboda“ abgab und dabei russischer Nationalist blieb. Nach dem Kriegsanfang in den Ostgebieten wurde er zu einem friedlichen Sympathisanten der LVR in ihrem Kampf gegen die „faschistische Junta“. Eine weitere Bekannte aus Kiew brachte es fertig, ihre Erststimme für Les’ Busina (12) und die Zweitstimme für „Swoboda“ abzugeben. Ansonsten übrigens ein sehr netter Mensch. Spricht man heute mit „watniks“, stellt man fest, dass die einzige Kraft in der Ukraine, für die sie viel Sympathie und Verständnis aufbringen, der Rechte Sektor ist. Die „jüdische Regierung“ von Poroschenko und Jatzenjuk ist für sie nicht hinnehmbar. Sympathisch ist jemand, der Angst hervorruft. Sowohl Putin als auch Jarosch (13) erschrecken einen „watnik“. Sie verdienen seine Liebe.

 

Juristisch gesehen, hat „Swoboda“ offiziell ein Parteistatut und ein Parteiprogramm. Faktisch lebt die Partei jedoch nach dem alten Statut und Programm der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine. (14) D.h, sie verwirft nicht das Ziel des „natiokratischen“ Aufbaus (das korporatistische Modell des Faschismus). WählerInnen der „Swoboda“ achteten nicht so darauf. Aber man kann nicht sagen, dass die WählerInnen die Ideologie nicht bemerkten. Genau diese Aggressivität verleitete russischsprachige Internet-Trottel aus Kiew dazu, für die „Swoboda“ abzustimmen. Die „Maskulinität“ von Berufspatrioten imponierte ihnen. Das ideologische Image und nicht das Programm verzauberte sie.

 

Galizische Rechte kämpften seit langem zielgerichtet für das historische Gedächtnis. Sie kämpften „für die Kamera“, d.h. der momentane mediale Effekt war wichtiger als langfristige Pläne. Als Farion noch nicht in die große Politik kam, stellten das Bauen von Bandera- und das Abreißen von Lenin-Denkmälern Höhepunkte ihres Kulturprogramms dar. Iryna Farions (aka „Adlerin“) Kindergartenbesuche und Vorträge vor Kleinkindern über „richtige Namen“ halfen mit, das Bild von patriotischen IdiotInnen zu kreieren. Auf diese Weise bekamen russische NationalistInnen in der Ukraine ein verständliches Feindbild und übernahmen dessen faszinierendes faschistisches Auftreten. All diese Schilder „Lugansk ist russisches Land“ und andere hunde- und katzenmäßige Versuche, das Territorium zu markieren, sind bei pro-ukrainischen und pro-russischen Extremrechten ähnlich. Die faschistische Wählerschaft in der Ukraine ist durch die Frontlinie „tragisch“ in „watniki“ und radikale „wyschiwatniki“ gespalten. 

 

Die „russische Welt“

 

Aus diesem Grund sind „Demokraten-watniki“ und mit der Uraine sympathisierende russische nationale PazifistInnen so besorgt über den ukrainischen Nationalismus. Sie sehen keine integralen NationalistInnen, Nationaldemokraten und wyschiwatniki, die es tatsächlich gibt, sondern nur noch irgendeine mysteriöse „Ukrainisierung“. Sie sei notwendigerweise antirussisch. Niemand von meinen GesprächspartnerInnen war imstande, die Mechanismen der Ukrainisierung zu beschreiben und zu erklären, aber von ihrer Existenz sind sie fest überzeugt. Denn die UkrainerInnen hätten „alles Russische verworfen“, also eine andersartige nationale Indoktrination durchlaufen.

 

Anastasia „wir-werden-niemals-Brüder-sein“ Dmitruk (15) ist der pathologischste Ausdruck dessen. Die Frau leugnet – auf Russisch – jegliche Verwandtschaft mit dem russischen Volk. Auf Russisch! Und das Russische ist das Hauptmerkmal jener „russischen Welt“, wie sie die Moskauer Politberater Schedrowitzki, Ostrowski und Gradirowski Ende der 90er ausgedacht haben. Die Idee bestand in der Suche nach einer kulturellen Gemeinschaft, die in der Welt neben einer „spanischen“, „deutschen“ und „angelsächsischen“ bestehen könnte.

 

Ursprünglich gab es in der Idee der „russischen Welt“ nicht einmal Andeutungen von Aggression oder Krieg. Das war eine eigentümliche Konzeption, die der russischsprachigen Gemeinschaft helfen sollte, sich in einen weltweiten Austausch nationaler Kulturen einzugliedern. Ein kulturelles Konstrukt, das zur Verständigung und nicht zur Isolation Russlands von der Welt beitragen sollte. Die russisch-orthodoxe Kirche verstand diese Idee auf ihre Weise und fing an, offen nationalistische und separatistische Motive in sie hineinzubringen. In der „Deklaration der russischen Identität“ des Weltkonzils des Russischen Volkes (16) heißt es:

 

„Aufgrund programmatischer Thesen dieses Dokuments schlagen wir folgende Bestimmung der russischen Identität vor: russisch ist ein Mensch, der sich für russisch hält; der keine anderen ethnischen Neigungen hat; der in russischer Sprache spricht und denkt; der das orthodoxe Christentum für das Fundament der nationalen geistigen Kultur hält; der solidarisch mit dem Schicksal des russischen Volkes fühlt.“

 

Also folgt daraus, dass die russische nationale Minderheit in baltischen Staaten sich mit den „richtigen RussInnen“ aus den ostukrainischen „Volksrepubliken“ solidarisieren soll und nicht mit den zur Ukraine loyalen russischsprachigen Menschen, denen die Wahl zwischen dem Russischen und dem Ukrainischen schwer fällt (biethnisch). So verlieren russische ProtestantInnen oder AtheistInnen, die sich weder mit dem Kreml noch mit dem „orthodoxen Taliban“ in den „Volksrepubliken“ solidarisieren wollen, das Recht auf das Russisch-Sein. Die organische Gesellschaft zerreißt, deswegen sollte man die UkrainerInnen „töten, töten, töten“ (Alexander Dugin). Es gibt keinen anderen Ausweg.

 

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Die „russische Welt“ kann anderen Ländern nichts außer einer Zollunion anbieten. D.h. nur ein Hinauszögern vom Ende der militärisch-bürokratischen Apparate postsowjetischer Staaten unter den Bedingungen regionaler Halbautarkie. Die reaktionäre wirtschaftliche Konzeption der Globalisierungsumkehr muss eine genauso reaktionäre Ideologie erzeugen. Deswegen verwandelt sich die Idee der „russischen Welt“ – ursprünglich von Moskauer Pro-Westlern ausgedacht – bei 85% (17) in einen Klon der Donzow’schen Ideen. Internet-Krieger in Russland und der Ukraine verpassten der aktuellen Kiewer Politik erfolgreich das „Bandera“-Label. Ukrainische Philister tun das besonders gerne. Für einen nüchternen Blick auf das Weltgeschehen ist das nicht förderlich. Denn die Antiterror-Operation in den Ostgebieten ist ein Krieg des liberalen Volkstum gegen den integralen Nationalismus. (18)

 

Während die UkrainerInnen eine Nation nach einem Muster aufbauen, das nicht dem von Donzow entspricht, so kommt das heutige Russland dem OUN-Ideologen immer näher. Es bleibt nur noch, seine Werke ins Russische zu übersetzen und „ProvençelerInnen“ durch „WestlerInnen“ oder „NationalverräterInnen“ zu ersetzen. Russland heute wäre ein Beispiel für historische Bandera-AnhängerInnen, ein beispielhafter und verständlicher Feind. Und darin liegt die größte Gefahr für die Ukraine. Sich mit Gedanken des Feindes zu infizieren ist einfach. Die hauptsächliche Gefahr, die Bedingungen für eine Faschisierung der Ukraine schafft, ist der von Russland geführte koloniale Krieg. Und nur ein faschistischer Staatsstreich (in Kiew) kann Russland helfen, die Ukraine zu besiegen.

 

Die Gefahr einer vollständigen Okkupation und eines Völkermords an den UkrainerInnen ist noch gering, aber nur die Ermordung einer Vielzahl von UkrainerInnen ist die Weise, endgültig das russische Problem zu lösen. Aus der „russischen Welt“ gibt es keinen anderen Ausweg, versteht und akzeptiert das. Die Rückkehr des „russischen Frühlings“ steht uns bevor. Die UkrainierInnen ähneln den RussInnen viel zu sehr, als dass man ihre Existenz hinnehmen könnte. Nur eine Revolution in Russland könnte die Situation verändern, aber damit sollte man nicht rechnen. Russland ist genügend mit dem Gift des integralen Nationalismus durchtränkt, damit diese Ideologie immer wieder hochkommt.

 

Fußnoten:

 

1) Jegor Cholmogorow – russischer konservativer nationalistischer Publizist, der Urheber des Begriffs „russischer Frühling“. Wladimir Markin – russischer Journalist, Vertreter des staatlichen Ermittlerkommitees. – A.d.Ü.

2) „Russische Welt“ – die Idee einer überstaatlichen interkulturellen Gemeinschaft, die sich in erster Linie durch die Affinität gegenüber Russland und russischer Sprache auszeichnet. – A,d,Ü.

3) Altertümliche Bezeichnung für Kiew. – A.d.Ü.

4) „Watniki“ – ironische Bezeichnung für russische HurrapatriotInnen. Daran angelehnt wird der Begriff „wyschiwatniki» – von „wyschiwanka“ – ein kunstvoll besticktes ukrainisches Hemd, hier eine ironische Bezeichnung ukrainischer HurrapatriotInnen. Siehe auch einen anderen Artikel von Zadiraka, in dem er ebenfalls mit den beiden Begriffen hantiert: https://dasgrossethier.wordpress.com/2015/07/28/ukrainische-rechtsextremisten-und-der-vaterlandsverrat/ – A.d.Ü.

5) Simon Petljura — ukrainischer Militär aus der Zeit der Ukrainischer Volksrepublik. – A.d.Ü.

6) OUN – eine militante extremnationalistische Organisation, tätig vom Ende 1920er bin in die 1950er Jahre hinein. OUN(b), der radikale „Bandera“-Flügel spaltete sich von der insgesamt gemäßigter werdenden Organisation, die man OUN(m) – nach ihrem Anführer Melnikow nennt. – A.d.Ü.

7) Nikolaj Sziborski – einer der Mitbegründer der OUN. Stepan Lenkawski führte die OUN(b) nach Banderas Tos. – A.d.Ü.

8) UPA, Ukrainische Aufständische Armee – bewaffnete Unterorganisation der OUN, kollaborierte mit Nazis, ab 1943 kämpfte auch gegen diese. Endgültig zerschlagen durch sowjetische Geheimdienste und Armee erst 1956. – A.d.Ü.

9) Auslands-OUN – wiederum eine gemäßigte Abspaltung von der OUN(b). – A.d.Ü.

10) Trysub – rechtsradikale ukrainische Organisation, gegründet 1993, Vorläuferorganisation des „Rechten Sektors“. – A.d.Ü.

11) Iryna Farion – ukrainische Politikerin, Mitglied der rechten Partei „Swoboda“. Igor Miroschniyschenko – ukrainischer Politiker, ebenfalls in der „Swodoba“. – A.d.Ü.

12) Oles’ Busyna – 2015 in Kiew ermordete ukrainischer Journalist, der Anti-Maidan- und pro-Föderalismus-Positionen vertrat. – A.d.Ü.

13) Dmytro Jarosch – wichtiger Funktionär des „Rechten Sektors“ und Berater der ukrainischer Streitkräfte. – A.d.Ü.

14) SNPU – 1991 gegründete rechtsradikale Partei, 2004 umbenannt in „Swoboda“. – A.d.Ü.

15) Anastasia Dmitruk – ukrainische Dichterin, Autorin des berühmt gewordenen Gedichts „Wir werden niemals Brüder sein“. Siehe: http://www.ukraweb.com/blog/980/wir-werden-niemals-brueder-sein.html – A.d.Ü.

16) http://www.patriarchia.ru/db/text/508347.html

17) Gemeint sind die 85% der Bevölkerung Russlands, die nach Meinungsbefragungen mit Putins Tätigkeit als Präsident zufrieden sind. – A.d.Ü.

18) „Narodowstwo“, nur unzureichend als „Volkstum“ übersetzbar. Gemeint ist eine historische liberal-demokratische Form der ukrainischen antikolonialen Bewegung. – A.d.Ü.

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