Küstengaskraftwerk Kiel: Satire-Schreiben deckt Heuchelei auf!

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Bekanntmachung an einer Haustür

Eine gefälschte amtliche Bekanntmachung sorgt für Aufruhr in Kiel. Damit wollen Aktivist*innen die vom Profitzwang angetriebene Greenwashing-Kampagne der Stadt demaskieren und auf die ökologisch katastrophalen Folgen der Erdgasförderung und des Transports aufmerksam machen: Erdgas ist keine Alternative!

Heute morgen, den 06.01.20, fanden viele Bürger*innen ein vermeintliches Schreiben des Kieler Ordnungsamtes  in ihrem Postkasten: "Derzeit geht in Neumühlen-Dietrichsdorf ein Brief um, dessen Inhalt Stadt und Stadtwerke Kiel entsetztzurückweisen.", verkündeten die Kieler Nachrichten. Es ging um das neue "Küsten(gas)kraftwerk", das im Schreiben zunächst in üblicher Weise als "Klimawunder" angepriesen wurde - Soweit so glaubwürdig. Allerdings wies der Brief dann richtigerweise darauf hin, dass bei der Erdgasförderung und beim Transport Methan freigesetzt wird - da hätte der Schwindel bereits auffliegen müssen. Über dieses Thema möchten die Stadtwerke Kiel und die anderen Kämpfer für den Profit sicherlich nicht sprechen! Dann wäre es nämlich vorbei mit der schönen PR-Kampagne  der "Klimaschutzstadt" Kiel, die eine private Werbeagentur für die Laneshauptstadt entworfen hat.                        
 "Das Schreiben entbehrt jeglicher Grundlage", hat Stadtwerke-Pressedilettant Sönke Schuster sich heute morgen auf den Social-Media-Kanälen schnell aus den Fingern gesogen. Das ist eine dreiste Lüge. Das Grillen bleibt zum Leidwesen unserer Mit-Lebewesen zwar erlaubt, aber der Methanaustritt ist eine Tatsache. Zum Druckausgleich an den Förderstellen, durch winzige Leckagen an den Pipelines, durch längere Lagerung - das Austreten kleiner Mengen ist nicht zu verhindern. Forschungen der Cornell University ("The Methane Project") schätzen, dass ca. 4% des geförderten Methans in die Atmosphäre entweichen. Das entzündet sich zwar nicht an weggeworfenen Kippen, heizt unserem Klima aber mächtig ein. Dieselben Studien zeigen nämlich für die ersten 10 Jahre in der Atmosphäre eine ca. 100-fach höhere Treibhauswirkung von Methan im Gegensatz zu dem CO2, worauf die Kieler Profit-Propaganda den Diskurs so gerne verkürzt. Na klar entsteht bei der Methan-Verbrennung weniger CO2 als bei der Kohleverbrennung - Rechnet man das entweichende Methan mit ein, ist die Treibhausbilanz des Erdgases aber laut "Methane Project" sogar schlechter als die der Kohle! Ob dabei nun an Kieler Pipelines nur 1% austreten oder auch gar nichts, ist dem globalen Klima herzlich egal.                  
 Offensichtlich haben Überlegungen zur Umwelt hier also keinerlei Rolle gespielt. Das ist auch kein Wunder: Selbst ein Unternehmen in öffentlicher Hand stünde auf dem kapitalistischen Markt unter allerlei "Sachzwängen", die den Mehrwert selbst noch als Sinn und Zweck des Atmens forcieren. Aber die Stadtwerke Kiel AG gehört sogar zu 51% der MVV Energie AG und ist damit allen Übeln der Profitmaximierung voll ausgesetzt. Da kommen erneuerbare Energien natürlich gar nicht in Frage - wer weiß schon, wann da die Rendite kommt. Bei Erdgas hingegen ist eigentlich alles geregelt: Anschluss ans Bundesnetz, neue Kaverne, 20 neue Motoren und fertig ist die Gelddruckmaschine. Als unabdingbar für die Versorgungssicherheit können da sogar noch Steuergelder angezapft werden - ganze 290 Millionen Euro hat der Unsinn gekostet und das Geld ist nun für immer im gierigen Schlund des fossilen Kapitals versenkt. Und dann hat Erdgas ja noch die schöne Eigenschaft, etwas sauberer zu verbrennen. Klasse! Das PR-Konzept steht also auch, damit das sich regende Bewusstsein für die Zerstörung unseres Planeten nicht nur besänftigt wird, sondern sogar noch eingespannt - der neue Hort der Zerstörung soll als Klimaretter gefeiert werden! All die Schlagworte der neuesten kapitalistischen Ideologie, die statistisch abgesichert bei den Ausgebeuteten das gewünschte Verhalten verursachen, werden in Anschlag gebracht: "Innovation", "Nachhaltigkeit", "Klimaneutralität", "Energiewende" - schon freut man sich, was man doch wieder alles geleistet hat und wie rosig der Weg vor einem aussieht: "Energiewende? Gute Aussichten" lügt uns NDR-Wetterfrosch Meeno Schrader grinsend ins Gesicht.                          
 Die ganze Propaganda der Stadt und Stadtwerke "entbehrt jeglicher Grundlage". In diese Wunde hat das Satire-Schreiben durchaus einen kleinen Finger gelegt - garniert mit Seitenhieben auf die nur mit Übergangslösungen geflickten Startprobleme des Kraftwerks und die letzten Reinfälle der "Klimapolitik" in Kiel: Die Absauganlagen vom Theodor-Heuss-Ring, die es sogar bis zum "Realen Irrsinn" bei extra 3 geschafft haben, sollten nun übergangsweise auf dem Kraftwerksgelände das Methan absaugen, damit die Kapitalanlage an der Förde nicht nur lukrativ, sondern zumindest lokal auch noch so klimafreundlich wie behauptet ist.                       
 Wirklich erschreckend waren aber die Reaktionen der Anwohner*innen. Zwar erkundigten sich manche Anwohner*innen bei denzuständigen Stellen, was es denn nun damit auf sich habe und wann man wieder draußen rauchen dürfte, es wurden brav Fenster und Türen vor dem Giftgas verschlossen, aber nicht ein einziger Gedanke wurde darauf verwendet, ob man denn überhaupt ein Kraftwerk vor der Tür haben möchte, das nur übergangsweise durch skurrile Riesenstaubsauger ohne Explosionsgefahr und Klimakatastrophe betrieben werden kann. Stattdessen offenbarte sich mal wieder die Stoa als die eigentliche Philosophie der Bürger*in: "Kann ich nicht ändern. Wird schon nicht so schlimm sein." - Eine parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen der Marktwirtschaft schlägt genau in diesen antidemokratischen Unsinn um. Das haben wir heute morgen wieder gesehen. Und obwohl von den meisten Anwohner*innen also kein Gegenwind zu erwarten ist, waren die Stadtwerke durch den Brief gezwungen, die Arroganz ihrer Festlichkeiten unmissverständlich klar zu machen: Natürlich feiern sie in geschlossener Gesellschaft.        
 Als Anhang noch einmal das ganze Schreiben, wie es heute auf Social-Media-Kanälen zu sehen war:                        

 "An die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils Neumühlen-Dietrichsdorf,               
 Am 28. November 2019 nahm das neue Küstenkraftwerk der Stadtwerke Kiel AG nach anfänglichen Schwierigkeiten den kommerziellen Betrieb auf. Mit der Inbetriebnahme des Kieler Küstenkraftwerks wird ein wichtiger Meilenstein in Richtung Klimaneutralität erreicht. Durch die Nutzung von Erdgas anstelle von Steinkohle wird es möglich, die Treibhausgas-Intensität der lokalen Stromerzeugung um ca. 55% zu reduzieren. Analog wird die Treibhausgas-Intensität der lokalen Fernwärmeerzeugung um ca. 40% gesenkt werden können.        
 Das innovative Küstenkraftwerk ist also ein bedeutender Schritt der Klimaschutzstadt Kiel auf dem Weg zur CO2-Neutralität 2050. Bei dem Transport von Erdgas kommt es natürlicherweise zum Austritt geringer Mengen von Methan. Die Treibhauswirkung von Methan übersteigt die von Kohlendioxid um mehr als das 100-fache. Die Klimafreundlichkeit des neuen Kraftwerks haben wir durch eine innovative Übergangslösung sichergestellt. Auf dem Theodor-Heuss-Ring erprobte Absauganlagen werden zukünftig auf dem Kraftwerksgelände aufgestellt. Wie eine Dauerlösung für das Problem aussieht, muss sich noch zeigen.            
 Da Sie in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk wohnen, möchten wir Sie bis zur Inbetriebnahme der Absauganlagen bitten, offenes Feuer in den Betriebsstoßzeiten zu vermeiden und Fenster und Türen geschlossen zu halten. Bitte vermeiden Sie insbesondere das Grillen, das Befeuern von Kaminöfen und das Rauchen im Freien.       
 Die gilt zu folgenden Zeiten:     
 7:00 Uhr bis 9:00 Uhr        
 16:00 Uhr bis 20:00 Uhr       
 Über die Inbetriebnahme der Absauganlagen werden wir Sie zeitnah informieren.                                           
Am 16. Januar weihen die Stadtwerke Kiel AG, ihr Küstenkraftwerk unter anderem mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther, Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke Kiel AG, Dr. Georg Müller feierlich ein. Dazu laden wir Sie als Bürgerinnen und Bürger herzlich ein.                    
Bei Fragen erreichen Sie uns unter 0431 594-01 oder per E-Mail an ordnungsamt@kiel.de                            
                                   Ihre Landeshauptstadt Kiel"
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