Unter dem Deckmantel der IS-Bekämpfung: Türkei bombardiert PKK und nimmt Massenverhaftungen unter Kurd*innen und türkischen Linken vor

Regionen: 

Am 25. 7. 2015 fand in Bremen eine Protestdemonstration gegen die türkischen Angriffe statt. Einige Hundert Menschen demonstrierten gegen die Politik der Türkei. Ihr findet hier den Redebeitrag des Bremer Solikomitee Kurdistan.

Das türkische Militär bombardiert seit gestern Stellungen der PKK in Nordkurdistan/ Osttürkei und im Irak. Es legt auch Waldbrände in Nordkurdistan und im Kandilgebirge im Irak. Und gleichzeitig finden, auch jetzt in diesem Moment, in vielen Städten in der Türkei Hausdurchsuchungen und Massenverhaftungen statt. Viele dieser Städte sind hauptsächlich kurdisch bewohnt. In Istanbul wurde bei den Festnahmen eine Person erschossen.

Das Ganze heißt in der Türkei „Operation gegen den IS, gegen die PKK und gegen die DHKP-C“ (eine linke türkische Partei).

 

Bisher sollen 600 bis 1000 Menschen festgenommen worden sein, die meisten davon türkische Linke, kurdische Aktivist*innen und Anhänger*innen der pro-kurdischen Partei HDP, die bei den türkischen Wahlen am 7. Juni 13% der Stimmen bekommen hat.

 

Damit passiert genau das, was viele seit Wochen befürchten:
Der türkische Staat sucht sich einen Vorwand, um die kurdische Bewegung in der Türkei anzugreifen. Und er sucht einen Kriegsgrund, um, wie seit Wochen geplant, militärisch in Syrien zu intervenieren, und damit direkt die kurdische Autonomieregion Rojava anzugreifen.

In Rojava, d. h. in Nordsyrien an der türkischen Grenze, versuchen die Menschen seit drei Jahren, eine basisdemokratische Selbstverwaltung aufzubauen, unter Einbeziehung aller Menschen in dieser multiethnischen Region und auf der Basis von Geschlechtergerechtigkeit und Ökologie – im starken Kontrast zu allen repressiven Regimen in der Region.
Und genau das ist der Grund, warum die Türkei jetzt in Syrien interveniert und die kurdische Bewegung in der Türkei angreift:
Die kurdische Selbstverwaltung und die aktuelle Stärke der kurdischen Bewegung in der Türkei sind der Regierung ein Dorn im Auge.

 

Der türkische Ministerpräsident Davutoglu sagte am Montag kurz nach dem Massaker: „Wir werden die Vorkehrungen gegen den Terrorismus im Inneren wie im Äußeren verstärken“. Wir wissen genau, was damit gemeint ist: ein Vorwand, um gegen die kurdische Bewegung vorzugehen, unter dem Deckmantel, den IS zu bekämpfen.
Wenn letzteres wirklich das eigentliche Ziel wäre, hätte die türkische Regierung seit Jahren den IS im eigenen Land bekämpfen müssen.
Stattdessen führen die wichtigsten Nachschubrouten des IS über die Türkei, werden verletzte IS-Kämpfer in staatlichen Krankenhäusern behandelt, soll es militärische Ausbildungslager des IS in der Türkei geben. Ein türkischer Staatsanwalt, der Untersuchungen wegen Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an den IS einleitete, wurde verhaftet und zum Schweigen gebracht. IS-Anhänger können offen Demonstrationen in türkischen Städten durchführen wie kürzlich in Istanbul, sie können kurdische Aktivist*innen bedrohen, ohne dass die Polizei einschreitet, Nachschub und Rekrutierungen für den IS organisieren, Propaganda betreiben, und – ungehindert von der Türkei – über die Grenze nach Rojava eindringen, wie Ende Juni beim erneuten Angriff auf Kobanê.

 

Erdogan hat bisher deutlich gezeigt, dass ihn der IS wenig stört:

- Der IS ist in der Türkei weder verboten noch als Terrororganisation gelistet.
- Erdogan hat vor einigen Wochen gesagt, die Kurden in Rojava und die kurdische Selbstverteidigungsarmee YPG/YPJ seien gefährlicher als der IS, sie seien Terroristen, weil sie mit der PKK verbündet seien.  

- Er hat die YPG/YPJ davor gewarnt, weiter gegen den IS in Syrien vorzugehen. Er werde keinen kurdischen Staat in Syrien dulden.

 

Dazu ist zu sagen: Die YPG/YPJ und die PKK sind derzeit die einzigen, die in der Region wirksam gegen den IS kämpfen. Das tun sie, um zu überleben und ihr basisdemokratisches Gesellschaftsmodell aufzubauen – mit oder ohne Unterstützung der Anti-IS-Koalition. Sie haben die Yeziden in Shengal vor dem IS gerettet, sie haben Kobanê und Tel Abyad befreit und sie sind auf dem Weg, die Stadt Hassaka vom IS zu befreien.

Die PKK will schon lange keinen kurdischen Staat mehr von der Türkei abspalten – das sagt sie seit 15 Jahren ganz offen – sondern demokratische Selbstverwaltungsstrukturen in Kurdistan aufbauen, die Unterdrückung der Kurd*innen beenden und endlich Frieden und Demokratie in Kurdistan. 
Die PKK hat seit 2013 zum wiederholten Mal eine einseitige Waffenruhe gehalten, die von der türkischen Armee in den letzten Wochen Stück für Stück zunichte gemacht wurde.

 

Die aktuellen Militäroperationen und Verhaftungen werden jetzt als Reaktion auf den Bombenangriff von Suruç dargestellt. In deutschen Medien ist hauptsächlich die Rede von einer Kehrtwende der türkischen Politik gegenüber dem IS, den sie viel zu lange geduldet habe. Es entsteht der Eindruck, die Türkei würde nun endlich gegen den IS vorgehen. Aber: 
In Suruç hat nicht „der IS die Türkei angegriffen“, sondern in Suruç hat mit Billigung des türkischen Staates der IS die Kurd*innen angegriffen, und der türkische Staat lädt nach.

 

Und das ist die deutsche Politik: 
Deutschland liefert in aller Ruhe weiterhin Waffen an die Türkei, aber auch an Saudi-Arabien, das als IS-Unterstützer gilt.
Deutschland kriminalisiert durch das absurde PKK-Verbot die Unterstützer*innen der kurdischen Bewegung – vor einigen Wochen wurde ein kurdischer Aktivist in Hamburg verhaftet, vorige Woche ein weiter in Köln – beide unter dem Vorwurf, die PKK zu unterstützen.
Wenn die deutsche und internationale Politik wirklich gegen den IS vorgehen wollte, müsste sie die Kurd*innen in Rojava unterstützen.

 

Das Bremer Solidaritätskomitee Kurdistan setzt sich für die basisdemokratische Selbstverwaltung von Rojava und für Frieden in ganz Kurdistan ein.

Wir fordern:

Ächtung der türkischen Angriffe auf die kurdischen Strukturen!

Ein Ende der Verhaftungen und Operationen gegen die zivile Opposition in der Türkei!

Die Türkei muss die Unterstützung des IS beenden!

Das PKK-Verbot in Deutschland muss weg, um die Kriminalisierung der Solidaritätsarbeit zu beenden!

Solidarität mit Rojava und allen selbstverwalteten basisdemokratischen Strukturen!

 

Und diese Solidarität müssen wir auf die Straße tragen!

Es lebe Rojava! Biji berxwedana Rojava!

Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen