Dem OXI eine Stimme geben - Perspektiven jenseits von Syriza, Staat und Kapital
Mit der Unterwerfung unter die Ausplünderungspolitik der Bundesregierung hat die Syriza-Regierung der parlamentarischen Linken in Europa eine Niederlage von historischem Ausmaß zugefügt. Machen wir sie nicht zu unserer Niederlage!
Selten hat sich ein sozialdemokratisches Projekt so schnell von selbst erledigt wie gerade Syriza. Vor einem halben Jahr angetreten mit dem Versprechen die Austeritäts- und Verarmungspolitik zu beenden, hat sich die vom „Bündnis der radikalen Linken“ geführte Regierung nun der neoliberalen Doktrin der Alternativlosigkeit unterworfen. Die gestrige „Einigung“ mit der Eurogruppe und der Troika stellt alles in den Schatten, was die griechischen Vorgängerregierungen der Bevölkerung aufgebürdet haben: Sie umfasst – soweit bisher bekannt ist – weitere Renten-Kürzungen, Marktliberalisierungen, Privatisierungen, „Reformen“ des Arbeitsmarkts, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie automatische Kürzungen des Staatsbudgets bei Nichteinhaltung der Sparauflagen. Außerdem soll das griechische Staatsvermögen in einen Treuhandfonds überführt werden, den die Gläubiger verwalten. Es wird damit faktisch gepfändet. Als Gegenleistung gibt es so gut wie nichts: Weder wurde ein Schuldenschnitt vereinbart, noch ist ein Grexit wirklich vom Tisch (siehe dazu: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/griechenland-brzeski-101.html). Alles in allem eine Paket, mit dem sich selbst die Genoss*innen der Bosse von der SPD schwer täten – müssten sie es in Deutschland umsetzen.
Problematisch am Scheitern Syrizas ist jedoch nicht die schlichte Tatsache des Scheiterns gegenüber der Übermacht der Gläubiger-Staaten. Es ist vor allem die Art und Weise, wie die Regierung mit ihren eigenen Versprechen umgeht, die dazu geeignet ist, das Vertrauen in jegliche linke Alternative zu zerstören. Dass Syriza mit dem Ziel die Austeritätspolitik zu stoppen innerhalb des Institutionengefüges von EU und Eurozone scheitern musste war von Anfang an klar. Alles andere wäre angesichts der weltweiten Standortkonkurrenz und des Grads der Finanzialisierung des Kapitals, aber auch angesichts der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse in der Eurozone, ein Wunder. Dennoch gab es gute Gründe anzunehmen, dass die Regierungszeit Syrizas auch Chancen für eine gesellschaftliche Linke bietet. Dann nämlich, wenn diese sich „nicht auf Syriza und das Staatsgeschäft fixiert“, sondern offensiv eigene Kämpfe führt und Strukturen etabliert (http://lowerclassmag.com/2015/01/wie-die-welt-veraendern).
Nun ist der Fall des Scheiterns schneller und härter eingetreten, als ich mir das zu Jahresanfang vorzustellen vermochte (vgl. http://www.neues-deutschland.de/artikel/962148.selbst-zum-subjekt-der-ve...). Besonders hart ist die Niederlage für die griechische Linke deshalb, weil die Syriza-Regierung das Kunststück fertig gebracht hat nicht nur sämtliche Wahlversprechen zu brechen, sondern dies auch noch getan hat, nachdem sie sich die Unterstützung der Bevölkerung für einen konfrontativen Kurs gegenüber der Troika eingeholt hatte.
Syrizas Ende und die Folgen
Die Folgen der bedingungslosen Kapitulation vor dem autoritären Projekt der Troika sind absehbar und werden in der Presse bereits diskutiert: „Sobald die wichtigsten Reformen verabschiedet sind, gibt es Neuwahlen, vielleicht Anfang nächsten Jahres. Bis dahin ist bei den Menschen wieder die Vernunft eingekehrt, und der Traum von einem linken, gerechteren Griechenland unter Syriza ausgeträumt“, schreibt etwa Zacharias Zacharakisin der Zeit (http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-07/griechenland-syriza-tsipras-euro-niederlage). Welche politischen Optionen den Griech*innen nach der Selbst-Diskreditierung Syrizas bei einer Neuwahl noch bleiben, drückt Wolfgang Münchau in einem Spiegel-Kommentar (http://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-schaeubles-diplomatie-ist-ruec...) folgendermaßen aus: „Drei weitere Jahre der Sparpolitik, der Rezession, der weiter steigenden Arbeitslosigkeit wird politische Spuren hinterlassen. Für Leute, die in Europa oder in den USA eine keynesianische Wirtschaftspolitik befürworten, bleibt in Griechenland nur noch die Wahl zwischen der Kommunistischen Partei und der rechtsradikalen Partei Goldene Morgenröte“. Unabhängig davon, ob dieses Szenario tatsächlich eintritt: Die Art und Weise, in der die griechische Regierung das in sie gesetzte Vertrauen zerstört hat, ist dazu geeignet, das Vertrauen in linke parlamentarische Alternativen weit über Griechenland hinaus zu zerstören. Nicht nur, dass nun endgültig alle in der EU mitbekommen haben, dass die Troika keine Alternativen in ihrem Einflussbereich duldet und was passiert, wenn es doch einer versucht. Schlimmer noch: Die Botschaft, die von der „Einigung“ nach dem Referendum ausgeht ist, dass sich die Handlungen des angeblich so integre Personal einer „Partei neuen Typs“ im am Ende des Tages kaum von denen aller anderen Parteien unterscheiden. Im Zweifel schlucken auch sie alles, was das Kapital und seine Kettenhunde von ihnen verlangen, und verkaufen das auch noch als „das Beste … das möglich war“ (Tsipras). Warum sollten die Menschen in Spanien im Herbst ihr Kreuz bei Podemos machen, wenn deren griechische Schwester-Partei gerade vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit ihre Wähler*innen ans Messer geliefert hat?
Solidarität mit Syriza?
Angesichts der historischen Niederlage Syrizas stellt sich natürlich die Frage, ob diese nicht zwangsläufig zu einer Niederlage der europäischen Linken insgesamt werden muss. Dies wird dann der Fall sein, wenn sich Linke weiterhin mit dem politischen Projekt von Syriza gemeinmachen bzw. es durch ihre Passivität zulassen mit diesem in einen Topf geworfen zu werden. Das Dümmste, was die Linke in der derzeitigen Situation tun kann, ist Rücksicht auf die Syriza-Regierung zu nehmen oder gar eine weitere Solidarisierung mit deren Politik zu fordern, wie dies Thomas Seibert im Neuen Deutschland tut (http://www.neues-deutschland.de/artikel/977586.gegen-das-linke-grexit-gerede.html). Stattdessen sollten linke Initiativen und Bewegungen offensiv ihre Differenz zu Syriza sichtbar machen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Niederlage des linken Parlamentarismus zu einer allgemeinen Niederlage linker Perspektiven wird. Was vom Lower Class Magazine (http://lowerclassmag.com/2015/07/kapitulation-widerstand-revolutionaerer-bruch/) mit Blick auf die griechische Linke formuliert wurde, gilt für linke Alternativen weit über Griechenland hinaus: „Soll die soziale Bewegung eine weitere Perspektive in Griechenland haben, wird sie die nur gegen die Syriza-Führung haben und nur, wenn sie den Großteil des Syriza-Anhangs überzeugen kann, dass das There-is-no-Alternative-Gerede Blödsinn ist“.
Vom Grexit zum revolutionären Bruch?
So richtig die Kritik am linken Reformismus ist, so falsch wäre allerdings die Illusion, ein Grexit könne einen „revolutionären Bruch“ hervorbringen. Die Debatte um eine linke Strategie jenseits des Reformismus auf die Frage des Grexit zu verkürzen führt in die Irre. Zwar ist es richtig, dass es innerhalb der Institutionen der EU keine Perspektive für eine fortschrittliche Veränderung der Gesellschaft gibt und dass ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro in der aktuellen Situation faktisch die einzige Alternative zur Unterwerfung darstellt. Doch wäre es genauso falsch davon auszugehen, dass eine griechische Regierung nach einem Grexit den Sozialismus in einem Land durchsetzen könnte. Denn: Weder lässt sich eine Veränderung von gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsstrukturen von oben verordnen, noch gibt es in Griechenland eine gesellschaftliche Mehrheit für ein solches Projekt. Die Option eines revolutionären Bruchs hat auch in Griechenland noch viel zu wenige Unterstützer*innen, als das ernsthaft daran zu denken wäre.
Eigene Stärke aufbauen
Statt unsere Hoffnungen auf eine linke Eroberung des Staates zu richten, sollten wir lieber damit beginnen die gesellschaftliche Stärke aufzubauen, die wir brauchen, um grundsätzliche Veränderung denkbar und umsetzbar zu machen. Dabei könnten wir von Versuchen der Kurden*innen in Rojava lernen eigene Strukturen jenseits von Staat und Kapital aufzubauen. Übertragen auf die doch sehr verschiedene Situation hierzulande, könnte das heißen: Sich offensiv in soziale Kämpfe einmischen und solidarische Selbstorganisierungen im Alltag vorantreiben - als Breschen gegen Staat und Kapital und nicht als Nischen in diesen. Statt an nationalen Räumen festzuhalten, sollten wir die transnationale Vernetzung dieser Kämpfe und Basisstrukturen vorantreiben und gemeinsam an einer neue linken Vision arbeiten. Wir werden sie brauchen, wenn wir perspektivisch eine Chance gegen die falschen Alternativen von rechts haben wollen.
Dem OXI eine Stimme verleihen!
Der Aufbau solidarischer Basisstrukturen, ihre Vernetzung und die Entwicklung einer gemeinsamen Vision von einer anderen Gesellschaft ist das was wir brauchen, wenn wir den Lauf der Geschichte in den kommenden Umbrüchen mitbestimmen wollen. Selbstorganisation, Alltagskämpfe und Großprotesten sollten allerdings nicht als Gegensätze behandelt werden. Eine erfolgversprechende linke Praxis braucht beides: Solidarische Alltags-Strukturen, die praktische Alternativen bieten, und unseren sozialen Resonanzboden vergrößern und große Zusammenkünfte, bei denen wir unseren gemeinsamen Anliegen eine Stimme verleihen können. Weder Dauermobilisierung noch der Rückzug in die Alltagskämpfe ist eine erfolgversprechende Strategie. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Protest auf der Straße kann kein Ersatz sein für alltägliche Selbstorganisierung. Es kommt nicht darauf an möglichst viel zu protestieren, sondern es zu den richtigen Anlässen zu tun.
Es gibt historische Momente, in denen jede*r versteht worum es geht und in denen es wichtig ist der Empörung eine gemeinsame Stimme zu verleihen. Ein solcher Moment ist gerade.
Lasst uns dafür sorgen, dass die Niederlage Syrizas nicht zu unserer wird!
Es ist an der Zeit OXI zu sagen, zum Weiterso von autoritärer Politik und kapitalistischer Ausbeutung!