[Hessen] Schlitzer, Nazitattoos und „Old Brothers“

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In Florstadt in der Wetterau hat vor einigen Monaten ein neues Tattoo-Studio eröffnet. Der Betreiber ist in der Region einschlägig bekannt. Patrick Wolf erlangt vor etwa acht Jahren überregional Bekanntheit, nachdem Neonazis von seinem Grundstück stürmten, einen Nachbarn angriffen und anschließend ein Video davon im Netz kursierte. Hinzu kamen perfide Partys, sowie das martialische Auftreten von Wolfs Gruppe „Old Brothers“. Parallel macht er zu dieser Zeit Geschäfte; verkauft Neonazishirts, betreibt einen Tattoo-Laden, sowie ein Taxiunternehmen. Als dies offenbar nicht ausreicht, versuchte sich Wolf im Drogengeschäft, was ihm schließlich, in Verbindung mit weiteren Taten, eine mehrjährige Haftstrafe einbringt. Nun scheint Patrick Wolf mit der Neueröffnung des Tattoo-Studios in seinem Wohnhaus in Florstadt an sein altes Leben anzuknüpfen. Für Ende des Jahres ist darüber hinaus die Jubiläums-Party der "Old Brothers" angekündigt.

2007 kauft Patrick Wolf im Echzeller Ortsteil Gettenau in der Wetterau eine Hofreite. Hier sollen in den kommenden Jahren zahlreiche Partys, vor allem für die rechte Szene stattfinden und ein Tattoo-Studio entstehen. Wolf schwingt sich schnell zum Anführer der „Old Brothers“ auf. Einen Zusammenschluss von neonazistischen Skinheads aus der Wetterau. Wolf selbst umgibt sich mit dem Mythos, als Jugendlicher einen Migranten mit dem Messer niedergestochen zu haben. Daher kommt auch sein Spitzname „Schlitzer“, den er stolz vor sich herträgt.

Unter dem Namen „Old Brothers Inc.“ eröffnet Wolf im Jahr 2008 zunächst in Wölfersheim einen Tattooladen. Neben Tätowierungen werden dort Kleidungsstücke mit klar (neo-)nazistischem Bezug angeboten. Bekleidung mit Motiven und Symbolen die – nur leicht verändert – an jene der Waffen-SS und der Wehrmacht angelehnt sind, werden dort ebenso angeboten, wie Bekleidung mit „Combat 18“- Aufdruck. Auf Druck der Öffentlichkeit schließt der damalige Vermieter eine weitere Verlängerung für den im Oktober 2009 auslaufenden Vertrag aus. Im Anschluss werden weitere Tätigkeiten von Wolf bekannt. So betreibt er ein ein Inkasso-Büro, eine Firma für Autobeschriftungen und eine Sicherheitsfirma. Die Sicherheitsfirma trägt den gleichen Namen wie das Tattoo-Studio, „Old Brothers“ und ist bei verschiedenen Veranstaltungen und Konzerten in der Region im Einsatz. Darunter auch bei einer Abiturfeier in Büdingen. Nachdem der Mietvertrag in Wölfersheim ausläuft, eröffnete er auf seinem eigenem Grundstück ein neues Tattoo-Studio.

„Kammerpartys“ und Angriffe auf Menschen aus der Nachbarschaft

Im Oktober 2009 eskaliert die Situation vor Ort erstmals. Einer Nachbarin die sich über die Lautstärke einer Party beschwert wird gedroht „300 Liter Benzin zu ordern“ um ihr Haus „in die Luft zu jagen“. Diese ruft die Polizei, es dauert beeindruckende 45 Minuten, bis ein Streifenwagen mit zwei Beamt_innen eintrifft. Auch sie werden sofort von der randalierenden Neonazi-Meute angepöbelt und beschimpft. Die Anwohner_innen werden von den Polizist_innen aufgefordert, sich von den Fenstern zu entfernen und nicht weiter zu provozieren. Die Polizist_innen verlassen dann die Straße und halten ihre Mission wohl für erfüllt. Nachdem die Polizei weg ist, greifen die Neonazis allerdings an. Als der Hausbesitzer wegen des Lärms erneut auf den Hof tritt, wird er unvermittelt von den Neonazis die bereits sein Hoftor eingetreten haben, attackiert. Auch die 16-jährige Tochter wird angegriffen. Sie muss mit ansehen, wie ihr Vater mit dem Kopf gegen ein Auto geschlagen wird und schreit die Neonazis vom Fenster heraus an. Einer der Neonazis versucht daraufhin am Fenster hochzuspringen, schließlich wird ihr eine brennende Zigarette ins Zimmer geworfen.

Im mittlerweile als “Old Brothers Castle” titulierten Partyraum auf Wolfs Anwesen werden nun „Kammerpartys“ gefeiert. Im Partyraum steht unübersehbar das Wort „Brausebad“ an der Wand. Das Wort fand sich im Nationalsozialismus auch an den Gaskammertüren in Konzentrationslagern, um deren wahren Zweck zu verschleiern. Von der Decke des Raumes hängen vier blanke Duschköpfe, aus denen weißer Partynebel austritt, die den Gaskammern aus den Vernichtungslagern nachempfunden sind.

Ende April 2011, nur wenige Tage nach Hitlers Geburtstag, lädt Patrick Wolf unter dem Motto “Wir feiern nach” zu einer „Kammerparty“ in Echzell. Diesmal löst die Polizei die Party, zu der etwa 70 Personen gekommen sind, allerdings auf. Am 8. Mai eskaliert die Situation dann erneut. Ein Nachbar stellt fest, dass eine Überwachungskamera, die an Wolfs Haus montiert ist, auf sein Haus gerichtet ist. Bei dem Versuch diese eigenhändig zu verstellen, stürmen mehrere Personen aus Wolfs Haus, zerren ihn von der Leiter, schlagen ihn zu Boden und reißen ihm die Hose herunter. Halbnackt flüchtet das Opfer. Nur wenige Tage später kursierte ein Video von dem Angriff im Internet. Patrick Wolf selbst hatte es unter einem Pseudonym und mit verhöhnenden Kommentaren hochgeladen. In den folgenden Wochen kommt es zu weiteren Angriffen. Zunächst versucht Wolf mit seinem Taxi den Sohn der Familie zu überfahren, dessen Vater er bereits auf seinem Hof 2009 verprügelt hatte. Im Mai wird dann auf das Haus eines Nachbarn von Wolf, der sich gegen die neonazistischen Aktivitäten engagierte, mit Luftdruckwaffen geschossen. Dabei wird mindestens zweimal eine Fensterscheibe getroffen. Im folgenden Wochen gehen die Feiern auf dem Anwesen weiter, auch wenn Wolf zwischenzeitlich mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringt. Ein Ende finden sie erst, als Wolf im März 2012 für längere Zeit inhaftiert wird.

Rechtliche Folgen

Bereits im September 2010 wird Wolf angeklagt. Ihm und zwei weiteren Neonazis wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Es handelte sich um den Vorfall im Oktober 2009, als mehrere Personen das Hoftor eines Nachbarn eintraten und ihn dann verprügelten. Wolf wird zu acht Monaten Haft verurteilt, die zu Bewährung ausgesetzt werden, die anderen beiden erhalten einen Freispruch. Im darauffolgenden Januar wird das Anwesen Wolfs wegen des Verdachts der Volksverhetzung von der Polizei durchsucht. Konkret geht es bei dem Vorwurf um die “Kammerpartys”. Im April folgt die nächste Hausdurchsuchung bei der unter der Theke seines Tattoo-Studios ein Ordner gefunden wird, den Wolf als “Kartei, zur Ablage von Tätowierungen, die ich schon gemacht habe” bezeichnet. Der Ordner umfasst knapp 100 Seiten mit Fotos und Skizzen, darunter Hakenkreuze, Runen, Eiserne Kreuze, Slogans der SS und Bilder von Adolf Hitler in unterschiedlichsten Posen. Besonders fällt eine Tattoo-Vorlage auf, die einen Bagger zeigt, der Leichenberge in ein Massengrab schiebt, während ein Soldat einem Getöteten in den offenen Mund uriniert. Auch Wolf hat Motive dieser Art tätowiert. Auf seinem rechtem Arm prangert ein Galgen, an dem ein Davidstern mit rotgerändertem Einschussloch hängt. Neben dem Galgen ist ein Soldat mit angelegtem Gewehr zu sehen, darunter ein Haufen Totenschädel. Dafür gibt es auch eine Anklage wegen Volksverhetzung. Im Juli 2011 steht die Polizei erneut vor Wolfs Tür. Bei der Anschließenden Hausdurchsuchung finden sie bei ihm 4 kg Amphetamin, 600g Marihuana und eine nicht bezifferte Summe Bargeld. Es folgt wieder einmal eine Festnahme.

Mitte November 2011 wird er unter Auflagen und mit einer elektronischen Fußfessel entlassen. Zudem muss er eine Kaution „in beträchtlicher Höhe“ stellen. Im März 2012 werden zwei ausstehende Bewährungsstrafen widerrufen und Wolf muss zurück ins Gefängnis. Noch im gleichen Monat wird die Anklage erhoben. Neben unerlaubten Handels und Einführen von Betäubungsmitteln, sollen im Verfahren auch weitere Delikte verhandelt werden. Dabei geht es insbesondere um den Verdacht der Volksverhetzung wegen der „Kammerpatrys“, den Tattoovorlagen und den im Studio vertrieben Bekleidungsstücken. Des Weiteren wird er wegen Körperverletzung angeklagt, wegen des Angriffes auf den Nachbarn, welcher von der Leiter gezogen, malträtiert und entkleidet wurde. Auch der Angriff mit einem Auto auf den Sohn des Nachbarn findet sich als „gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“ in der Anklageschrift wieder. Hinzu kommt noch die Verbreitung von Propagandamaterial verbotener Organisationen, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Verstoß gegen das Urheberrecht. Außerdem wird ihm ein Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Wolf besaß ein Schrotgewehr, eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, eine halbautomatische Pistole und einen „Schiesskugelschreiber“. Zu Beginn der Verhandlung waren die Waffen nicht auffindbar, erst im Oktober führt ein ehemaliger Freund von Wolf die Polizei zu seinem Waffenversteck. Des Weiteren besaß Wolf Bauteile für Schusswaffen, die gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstießen.

Am 3. Dezember 2012 fällt schließlich das Urteil. Wolf wird wegen insgesamt 40 Drogendelikten, zwei Fällen von Volksverhetzung, dem Verstoß gegen das Waffengesetz und Beleidigung zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung wird auch festgehalten, dass er in Echzell “ein Regionales Zentrum für seine Gesinnungsgenossen und menschenverachtende Ansichten zum Holocaust aufgebaut” hat.

Nach dem Ende des “Old Brothers Castle”

Bereits kurz nach Prozessbeginn wird bekannt, dass Wolfs Anwesen Zwangsversteigert werden soll. Am dafür anberaumten Termin im Oktober 2012 wird zunächst kein Gebot abgegeben. Schließlich findet sich ein Nachbar der das Anwesen kauft, das “Old Brothers Castle” war somit Geschichte. Hiernach verlagern sich die Aktivitäten der “Old Brothers”, entfalten aber ohne Wolf nicht die gleiche Strahlkraft. Öffentlichkeitswirksam tritt im Folgenden lediglich Jan Kalbhenn auf, der im Februar 2013 eine Kundgebung von ProDeutschland in Butzbach anmeldet und an Kundgebungen der rassistischen Pegida-Gruppe in Frankfurt teilnimmt. 2016 kandidiert er auf der NPD-Wahliste zur Kommunalwahl für den Kreistag in der Wetterau, kann aber keinen Sitz erlangen. Auch Sebastian Scholz versucht sich auf Parteiebene und tritt der Kleinstpartei „die Rechte“ bei, wo er im August 2017 in den Landesvorstand gewählt wird. Der Landesverband entfaltet aber keinerlei Außenwirkung oder sonstige wahrnehmbare Aktivität.

Ab April 2016 ist Wolf im offenen Vollzug und darf das Gefängnis tagsüber verlassen. Sofort sucht er wieder die Nähe zur neonazistischen Szene, welche sich nun wieder häufiger gemeinsam und vor allem wesentlich offensiver zeigt. „Die Old Brothers sind zurück“ postuliert Wolf dann auch selbst via Instagram. Im Nachgang eines Streits in einer Kneipe gibt es allerdings Ermittlungen wegen Bedrohung. Im September 2016 verliert Wolf sein Recht auf Freigang, da es an ein Kontaktverbot zur rechten Szene gekoppelt war. Im Herbst 2018 lehnte das Landgericht Gießen Anträge auf vorzeitige Haftentlassung des mittlerweile 33-Jährigen ab. Das Gericht sieht die Gefahr, dass er weitere Straftaten begehen werde, als zu hoch an. Im Dezember 2018 wird Wolf dann letztendlich regulär aus der Haft entlassen.

Bereits seit Anfang 2019 arbeitet er wieder als Tätowierer, im Januar gehen die Facebook-Seiten „Sir Henrys Tattoo Company“ und „Wolf Lifestyle Unternehmensgruppe“ online. Wenig später eröffnete dann sein Tattoostudio in seinem Wohnhaus in Florstadt. Beim Amtsgericht Friedberg ist bereits am 9.1.2018 die „Wolf Lifestyle UG“ registriert. Eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, welche als Gegenstand des Unternehmens, „Import, Export und Vertrieb von, sowie der Handel mit Kunst, Mode und Schmuck, sowie die internationale Vermittlung von Tätowierern und die Anfertigung von Tätowierungen“ nennt.

Die Tätowierungen die Wolf anfertigt schließen dabei nahtlos an die Arbeiten vor seiner Haft an. Ob Schwarze Sonne, Reichsadler oder SS-Soldaten (bei denen die SS-Runen notdürftig für das Foto verdeckt werden), das Signal welches Wolf damit aussendet ist unzweideutig: „Ihr wollt Nazi-Kram tätowiert haben? Kommt zu mir, ich mach das alles.“

Einschätzung, Ausblick

Zur Hochzeit von Wolf und den „ Old Brohters“ haben er und die Gruppe eine enorme Strahlkraft auf die Jugendlichen in Echzell und dem dortigen Umland. Immer wieder wird berichtet, dass junge Menschen von Wolf und seinen Gefährten zu „Kammerpartys“ oder anderen Events eingeladen werden. Wolf scheint für ein bestimmtes Milieu junger Männer auf dem Dorf großes Charisma zu besitzen. Coole Tattoos, wilde Parties, Grenzüberschreitungen, der Duktus der Gemeinschaft und eines klaren Feindbild schweißen zusammen und besitzen eine hohe Anziehungskraft.
Hinzu kommt, dass Wolf es schafft sich als „Kümmerer“ zu verkaufen und durch seine Organisierung und Geschäftemacherei im kriminellen Milieu sicher auch immer mal wieder den ein oder anderen Job zu vergeben hat. Dominiert von einer Gruppe gewaltbereiter Neonazis gelang es Wolf, einige Menschen für einen Nazi-Lifestyle empfänglich zu machen und an die Szene heranzuführen und zu binden. Es handelt sich hierbei um die klassische Erschaffung einer Erlebniswelt im sonst eher langweiligen Dorfalltag, als Grundlage für die Etablierung einer gewalttätigen subkulturellen Naziszene.

Es ist nicht weit her geholt, Wolf zu attestieren, dass er eben dies nun wieder im Sinn hat. Bereits im Juli kündigte er ein neues „Old Brothers“-Shirt via Facebook an, welches er „Freunden und Unterstützern“ anbietet. Anlass sei das 10-Jährige Jubiläum der Gruppe, eine Party soll Ende des Jahres folgen.

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