Freiheit für alle Revoltierenden!

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Einige Gedanken über die Repression gegen die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich

Seit fast schon einem Jahr hat sich ein aufrichtiges Streben nach einem besseren Leben gelb angezogen, um wagemutig den Widerstand gegen Macron und seiner tödlichen Politik aufzunehmen. Wir sind den Fallen der Politik, der Representation oder des engstirnigen Pazifismus ausgewichen. Wir haben uns getroffen, haben diskutiert und durch das Besetzen von Kreisverkehren, durch militante Aktionen oder dem Samstäglichen unsicher machen der Innenstädte in ganz Frankreich, versucht die Wirtschaft zu blockieren. Und auch wenn die Macht an einem gewissen Punkt etwas ins Wanken gekommen ist, hat sie doch schnell wieder, dank einer verbissenen Repression, die Überhand über die Situation gewonnen.

Politische und soziale Konflikte haben immer den Verdienst, die aggressive und vernichtende Tendenz der Institutionen offen zu legen und die Illusion ihrer Unparteilichkeit zu zerbrechen. Faktisch sind die Polizei, die Justiz sowie der Knast, Kriegswaffen. Ein legitimes Gewaltmonopol für sich zu beanspruchen, bedeutet immer, dass sich eine Seite die Herrschaft über eine andere Seite zusichert. Die Wirtschaft und der Staat gegen die, die sie in Frage stellen. In Zeiten, in der die legitime Macht in der Krise steckt, sind die Polizei sowie die Justiz, die letzte aufstandsbekämpfende Festungsmauer. Zu den Verletzungen und den Traumas, welche man sich an den Demos zugezogen hat, kommt die Justiz-Maschinerie hinzu, und die Strafen prasseln wie am Fliessband auf die Revoltierenden nieder. Der letzten Auszählung nach, am 25. September 2019, haben die Richter über 3000 Strafen ausgesprochen, davon 35% unbedingte Knaststrafen. In den nächsten Monaten werden viele weitere Strafen vor Gericht ausgesprochen werden und etliche weitere Verfahren stehen noch aus.

Wir sind uns darüber bewusst, dass das was hier so hart sanktioniert wird, das subversive Potenzial und die mögliche Verbreitung von solchen Handlungen ist. So erklärt sich, warum die französische Justiz im August eine Busse von 420 Euro gegen Feminist*innen, die Plakate gegen Frauenmorde klebten, ausgesprochen hat. Oder die berühmten 135 Euro Bussgeld für das demonstrieren in verbotenen Zonen. Sowie auch, dass Personen bei der Blockade der Waffenfabrik in Muret oder einer Solikundgebung vor dem Knast in Seysses bei Toulouse, zur Identitätsfeststellung auf die Wache mitgenommen werden.

Aber was ist schon ein geworfener Stein, ein verbrannter Blitzer oder eine eingeschmissene Schaufensterscheibe gegenüber einem System, das durch Gewalt soziale Ungleichheiten aufrecht erhält, uns Brotkrümel für Scheiss-Jobs bezahlt, hunderte von Toten im Mittelmeer zu verantworten hat oder systematisch unsere Umwelt zerstört? Der Staatsaparat übersetzt unsere Revolten ins juristische. “Zusammenrottung im Hinblick auf...”, “Gewalt...” oder “qualifizierte Sachbeschädigung...”, sind nichts weiter als Manöver, um unsere Verweigerung gegenüber dieser Weltordnung zu entpolitisieren. Unsere Handlungen werden abstrahiert, obwohl sie nichts weiteres, als der kollektive Ausdruck einer geteilten Wut sind.

Die Macht hält sich nur noch dank ihrer Polizei und Justiz aufrecht, und eben dieser Polizei und Justiz garantiert sie die absolute Unterstützung. Jegliche Polizei-Gewalt wird komplet verleugnet, und die Täter*innen werden sogar ausgezeichnet. So wurden zum Beispiel am 16. Juni 2019 an die 9000 Polizisten, darunter notorische Scheisskerle, für ihre Dienste im Kampf gegen die Gelbwesten auserkohren und belohnt, ohne dass bis zu diesem Tag eine einzige Klage gegen Polizei-Gewalt zustande kam.

Angesichts der humanitären, politischen, sozialen und ökologischen Katastrophe, die von den Verantwortlichen dieses Systems aufrecht erhalten wird, ist es notwendig zu revoltieren. Und dennoch werden politische Umbrüche nie nur aus unserem legitimen Empfinden heraus entstehen, sondern aus dem Kräfteverhältniss, dass wir im Stande sind herzustellen. Und desshalb darf der Kampf gegen die Repression nie Abseits unserer Kämpfe stattfinden und nur diesem Zweck dienen. Wenn wir die Befreiung unserer Gefangenen fordern, dann muss dass durch die Bewegung, durch Aktionen, durch den Druck den wir auf die Macht ausüben, stattfinden.

Nur weil eine Bewegung friedlicher wird, heisst das nicht, dass die Gewalt auf der anderen Seite zurück geht. Im Gegenteil, dass ist in der Regel für die Macht die Zeit der Rache, der Klarstellung der Position des Siegers. Ab dem Punkt, an dem die Gelbwesten Ende Frühjahr 2019 es nicht mehr schafften, eine reele Offensive gegenüber der Polizei auf dem Terrain aufrechtzuhalten, profitierten die Bullen von dieser Schwäche, um sich neuen Gewaltexessen hinzugeben. Das Einpfeffern der Demonstrant*innen bei der Blockade-Aktion von Extinsion Rebellion auf der Alma Brücke in Paris am 19. Juni oder der Polizeieinsatz, der den Tod von Steve Maia Caniço am 21. Juni in Nantes zu verantworten hat, sind nur einige Beispiele davon.

An dieser Stelle wollen wir nicht tiefgründig auf den baskischen Unabhängikeitsprozess eingehen. Auch wollen wir nicht über eine Bewegung urteilen, dessen Komplexität wir nicht durchschauen. Aber es scheint uns, dass der Imperative Konsens der Gewaltfreiheit mitsamt seinem Ordnungsdienst, der von dem Plattform-Bündnis gegen den G7 in Biarritz, auferlegt wurde, keinesfalls ein Abschwächen polizeilicher Repression während dem Gipfel hervorgebracht hat. Die linke Unabhängigkeitsbewegung gehorcht der Staatserpressung und bringt sich als Garant, für einen friedlichen Verlauf der Proteste gegen den G7. Sie erhoffen sich damit, die seit der Waffenniederlegung seitens der ETA geforderte Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland. Der Friedensprozess findet jedoch einseitig statt. Eine Seite hört auf anzugreifen, die andere verweigert sich jeglicher Verhandlung und vollendet somit seinen Sieg. Während dem G7 hat es sich nicht so verhalten, dass die geringe Offensive seitens des Gegen-Gipfels dazu geführt hätte, dass sich die Polizei friedlicher gegenüber dem Protest zeigte. Im Gegenteil, das Camp wurde von den Bullen angegriffen und eingegast. Autos und Personen wurden systematisch durchsucht, die Kontrollen wiederholten sich unaufhörlich und mehrere Demonstrant*innen wurden schlussentlich vor Gericht gestellt.

Andere Antworten als der Rückzug sind möglich. Seit dem Anfang der Bewegung der Gelbwesten wussten sich die Revoltierenden gegen das Tränengas auszurüsten. Sie konnten die Taktiken eines Schwarzen Blockes verbreiten, Sani-Gruppen organisieren und das Kräfteverhältnis eine zeitlang halten. Die Verbreitung von Bildern und eines Gegendiskurses, das Organisieren von Aktionen gegen die Repression oder auch die Kampagne gegen die LBD-Geschosse, haben es eine Zeitlang geschafft die Agressivität der Polizei etwas einzudämmen, und gaben den Aufständischen etwas mehr Platz.

In der selben Art und Weise wie es uns zum Teil gelungen ist Widerstand gegen die Bullen auf den Strassen zu leisten, müssen wir versuchen, Mittel zu finden, um den Kampf gegen das Räderwerk der Justiz und des Knastes aufnehmen zu können. Die Angeklagten unterstützen, die Gerichte belagern oder die Verantwortlichen anvisieren sind einige solcher Möglichkeiten die es auszuprobieren gilt.

Die Justiz ist eine Kriegswaffe. Durch die Fortführung unseres Kampfes treten wir ihr entgegen.

 

Im Original auf französisch veröffentlich auf paris-luttes.info

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