Keine Unterschrift für den „Berliner Mietenvolksentscheid“

Seit dem 11. April 2015 werden Unterschriften für ein „Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ gesammelt. Auf dem Formular der Unterschriftenliste wird mit „wesentlichen Inhalten des Gesetzes“ zum Unterschreiben gelockt, die im Gesetz nicht oder anders drinstehen:

 

Seit dem 11. April 2015 werden Unterschriften für ein „Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ gesammelt. Die Initiator*innen versprechen mit dem Gesetz: „Erhalt und Schaffung von preiswertem Wohnraum“. Das Gesetz, das sie anbieten, ist ein bürokratisches Monster, bestehend aus 52 Pagraphen, das mit Unterpunkten und Erläuterungen über 50 Druckseiten umfasst.

Auf dem Formular der Unterschriftenliste wird mit folgenden „wesentlichen Inhalten des Gesetzes“ zum Unterschreiben gelockt, die im Gesetz nicht oder anders drinstehen:

„Errichtung eines Wohnraumförderfonds“

Zum 1. April 2015 wurde der „Salzburger Landeswohnbaufonds“ für beendet erklärt. Der Salzburger revolvierende Fonds, der den Volksentscheidinitiator*innen als Vorlbild dient, ist nicht nur wirtschaftlich gescheitert, sondern war während seiner Existenz (2006-2015) auch Quelle von Spekulation und Korruption. Vom Magarineskandal der 1950er Jahre über den Steglitzer Kreisel, Antes-, Garski- und Bankenskandal bis BER ist die Berliner Bevölkerung in Sachen Spekulation, Korruption und Pleite vom herrschenden politischen Personal jahrzehntelang gut versorgt worden.

Beides zusammen genommen, müsste eigentlich bereits für ein NEIN zum Mietenvolksentscheid reichen!

„Einkommensorientierte Mietpreissenkung in Sozialwohnungen“

Falsch. Der Mietpreis wird nicht gesenkt, sondern die Mietzinszahlung einzelner „einkommenschwacher“ Mieter*innen wird subventioniert (4. Abschnitt des Gesetzes), damit die spekulativ hochgetriebenen Kostenmieten an die Immobilienkapitalisten weiterfließen können.

Übrigens sollen die städtischen Wohngesellschaften in ihren Beständen dafür sorgen - so wollen es die Initiator*innen mit diesem Gesetz, dass der HartzIV-Arbeitszwang für solche Mieter*innen unmittelbar angewendet wird. Sie nennen es: „zielgerichtete Sozialarbeit in den bewirtschafteten Wohnungsbeständen im Sinne des § 11 SGB XI“. (§12.4)

„Förderung von Neubau mit einkommensorientierten Mieten“

Irreführend: Zu allererst sichert das Gesetz nicht nur den städtischen Gesellschaften sondern gerade auch privaten Investoren finanzielle Hilfen zu (§3,1), wenn sie mit Sozialwohnungen weiterhin Profite machen wollen.

Unter Profitmacherei mit Immobilien definieren wir mit Bezug auf Marxens Kritik der Politischen Ökonomie, wenn Eigen- und Fremdkapital durch Vermieten - d.h. Verleihen dieses Kapitals in Form von Immobilien - verzinst und durch Mietzinszahlung als Profit realisisiert werden. Hinzukommt, dass durch das Privateigentum an Grundstücken und dem Nachfragedruck durch den unregulierten Immobilienmarkt Extraprofite beim Vermieten abgegriffen werden. Dies alles zusammen bildet den ökonomischen Inhalt, wenn es im Gesetz heißt: „Die Preise für die Überlassung von Mietwohnungen und andere entgeltliche Leistungen der Anstalten sollen... mindestens eine Kostendeckung sowie die Bildung ausreichender Rücklagen insbesondere für eine werterhaltende Instandhaltung ermöglichen.“ (§14.4)

Die „einkommensorientierte Miete“ erweist sich somit als ein ideologisches Konstrukt, um diese Profitmacherei zu verschleiern, indem der Fokus weg von der bestimmenden ökonomischen Basis auf die individuelle Zahlungfähigkeit des Einzelnen gelenkt wird, anstatt beides zusammen zu denken und dazu zielführende, d.h. antikapitalistische Vorschläge zu unterbreiten.

„Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen als Anstalten öffentlichen Rechts“

Tatsache ist: Die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind kapitalistische Betriebe, die unter staatlicher Regie mit Wohnraum und anderen Kapitalgeschäften Profite machen. Und das wird sich durch den Rechtsformwechsel „Anstalt öffentlichen Rechts“ (§10) auch nicht ändern.

Was sich ändert, ist dass diese „Anstalten“ durch Umverteilung im Staatshaushalt im Zeitraum von fünf Jahren über 500 Millionen Euro als Barleinlage zur Eigenkapitalaufstockung erhalten sollen (§11), damit sie beim Einwerben von Fremdkapital dem Privatkapital ebenbürtig sind (S.35). Da es jeglichen Hinweises ermangelt, dass diese 500 Millionen Euro z.B. durch eine Hauszinssteuer oder andere Formen des Eingriffs in die privatkapitalistischen Gewinne aufgebracht werden sollen, liegt die begründete Vermutung nahe, dass die Gelder der lohnarbeitenden Bevölkerung entzogen werden, indem entsprechende Sozialausgaben auf anderen Gebieten des Staatshaushalts gekürzt werden.

Was sich allerdings auch ändern wird, sind die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigen in den „Anstalten“. Sie werden im Gegensatz zu den anderen Landesbetrieben wie z.B. bei BSR oder der BVG nicht mehr mit 50 % im Aufsichtsrat vertreten sein, sondern nur mit 12,5 %. Zusammen mit den 25 % der Mieter*innen erreichen sie damit 6 der 16 Sitze im Verwaltungsrat der Wohnungsbauanstalten.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen die „Anstalten“unverzüglich neue Firmen („Tochterunternehmen“) gründen (§12). Dieses kapitalistisch-betriebswirtschaftliche Outsourcing wird Arbeitplätze vernichten, und wenn nicht, zumindest zu Lohnsenkungen führen. Oder anders ausgedrückt: Das Gesetz befördert in den „Anstalten“ Rationalisierung und Arbeitsverdichtung durch Verminderung des variablen Kapitals.

„Gemeinwohlorientiert, ohne Gewinnausschüttung“

Dieser Satz ist leider nur schlecht gemachte Propaganda. Denn die Tatsache, dass der Gewinn nicht ausgeschüttet werden soll, heißt doch nur, dass zuvor profitable Kapitalverwertung (Geld – Ware - mehr Geld) stattgefunden hat. Damit wird unmißverständlich klargestellt, dass kein Euro der kapitalistischen Verwertung entzogen werden darf. Was übrigens passieren würde, wenn der Gewinn gemeinwohl- und nicht profitorientiert verwendet würde.

Stattdessen gilt: „Die Anstalten sind zu allen Maßnahmen und Geschäften berechtigt, die der Erfüllung ihres Zwecks und der ihnen übertragenen Aufgaben unmittelbar oder mittelbar dienen. Die Anstalten dürfen alle Hilfs- und Nebengeschäfte betreiben, die die Erfüllung ihres Zwecks und ihrer Aufgaben fördern bzw. diese wirtschaftlich berühren, sowie Eigenkapital bilden und Fremdkapital aufnehmen.“(§14,1)

Dass der „Anstalts“-Profit sogar noch außerhalb des Anstaltszwecks Wohnraum gewinnbringend verwertet werden muss, ergibt sich aus so feinen Formulierungen wie z.B. „Sie können zugehörige Gemeinschaftsanlagen, Nachbarschafts und Folgeeinrichtungen, z.B. Einrichtungen der Nahversorgung, der Energieerzeugung, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen betreiben und Dienstleistungen anbieten.“(§13,9)

„Mitbestimmung der Mieter*innen“

Pseudodemokratie: Wenn die Mieter*innen sich nach der exklusiv vom Senat ausgearbeiteten Satzung (§20,1) einen „Gesamtmieterrat“ gewählt haben, der nun nach den Spielregeln des Senats mitbestimmen darf, dann werden vier Räte in den Vorstand der „Anstalt“ entsandt. Für mögliche Konflikte, die in einem staatskapitalistischen Betrieb vorprogrammiert sind, wird ihnen vorsorglich ein Maulkorb umgehängt: „Die Mitglieder des Gesamtmieterrates sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.“(§22,8)

D.h. Mieter*innen dürfen am Katzentisch des fungierenden Kapitalisten – genannt Verwaltungsrat – Platznehmen und mit geballter Faust in der Tasche ein wenig meutern, um schlußendlich vom „Anstalts“-Eigentümer (das „Land Berlin“, vertreten durch das jeweils herrschende politische Personal) überstimmt zu werden (§18,1.4 und 2).

So bleiben die Mieter*innen nach Willen dieses Mietenvolksentscheids das, was sie sind: für den Profit der „Anstalten“ Mietzins zahlende Kunden.

„Langfristig gesicherte Wohnraumversorgung“

Die ökonomische Basis der langfristigen Sicherung soll nach Willen der Initiator*innen des Mietenvolksentscheids der eingangs genannte Förderfonds sein, der als revolvierend konzipiert wird (§5).

D.h. Darlehen werden aus dem Fondsvermögen in Form von zinslosen oder zinsverbilligten Darlehen an Immobilienkapitalisten vergeben und stehen diesem dann als Fremdkapital zur Verfügung. Die aus der Anlage der eingezahlten Mittel erwirtschafteten Zinsen, sowie die Darlehenstilgung werden an den Darlehensfonds zurückgeführt. Und genau dies macht den gravierenden Fehler dieser Konstruktion aus. Denn die Darlehensrückflüsse reichen niemals aus, um den Abfluss an Darlehen zu kompensieren, wenn damit eine nennenswerte Zahl an Wohnungen gefördert würde. Daher muss sich das Land Berlin am Kapitalmarkt unweigerlich Zusatzerträge verschaffen. Dazu hält das Gesetz für den Berliner Senat jede erdenkliche ökonomische Variante offen (§ 5,4 in Verbindung § 50) Das jedoch ist exakt die strukturelle Bruchstelle, die nach dem Prüfbericht des Landesrechnungshof Salzburg zum Garaus des Salzburger Förderfonds geführt hat.

Wer angesichts dieser Erfahrungen mit solch einem Förderfonds langfristige Sicherung verspricht, handelt mehr als fahrlässig und muss sich fragen lassen, wessen materiellen Interessen mit dieser Volksentscheidkampagne eigentlich bedient werden sollen.

Ein kurzes Fazit

Zwar wird in der Gesetzesbegründung ausführlich aufgezählt, wer seit Jahren in den innerstädtischen Wohngebieten vom kapitalistischen Stadtumbau betroffen ist: „Menschen im Alter, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die Transferleistungen beziehen sowie Menschen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt sind“ (S.6), doch der Anstoß zum Mietenvolksentscheid, so die GesetzesInitiator*innen in ihrer Gesetzesbegründung, kam letzendlich aus der Mittelschicht: „Durch die Verteuerung preiswerter Wohnungen, den Verlust von Mietpreis- und Belegungsbindungen, den Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände und die deutliche Zuwanderung ist eine Dynamik entstanden, in der inzwischen auch Mittelschichtshaushalte Schwierigkeiten haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden.“ (S. 4)

Deren Schichtinteressen bilden erstens ganz offensichtlich die Triebkraft der Kampagne und formen zweitens deren kapitalaffirmative Stoßrichtung, anstatt ausgehend von den geschilderten sozialen Verwerfungen den wohnungspolitischen Diskurs in eine antikapitalistische transformative Richtung zu verschieben. Zwei Gründe, um neben vielen Einzelgründen zu sagen:

KEINE UNTERSCHRIFT für den „Berliner Mietenvolksentscheid“

Wer seine Unterschrift bereits gegeben hat, kann sie auch wieder zurückziehen.

 

Weitere Infos zum Berliner Mietenvolksentscheid siehe:
Diese Kröten sind nicht zu schlucken!
http://www.trend.infopartisan.net/trd0415/t120415.html

 

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Ergänzungen

Wenn es dir nicht passt, dann geh einfach hin und schreib einen eigenen Entwurf dazu und bring den ein.
Wenn er besser ist und letztlich beim Volksentscheid von den Leuten angenommen wird gut ansonsten pech.

Und ausserdem wo liegt dein Problem mit Volksentscheiden?

Das Problem ist halt, sowas wie den Wohnungsmarkt innerhalb des Kapitalismus überhaupt zu beeinflussen. Da läuft vieles drauf raus, den bisherigen Profiteuren Staatsknete hinterherzuschmeißen, in der Hoffnung, dass sie sich deswegen vom Publikum ein bisschen weniger holen. Gerade der Immobilienmarkt eignet sich sehr gut dazu, beliebige Mengen an Kapital zu absorbieren und zu Immobilienblasen zu verarbeiten, denn was ist denn ein Grundstück wert? Diese Festsetzung ist absolut willkürlich und kann sich auch sehr schnell ändern.

Diese Probleme greift der Artikel zu Recht auf, das sollte aber zu einer ernsthaften Diskussion führen und nicht zu platten "die-sind-böse"-Angriffen. Wenn wir am 1. Mai wieder mal keine Revolution gebacken kriegen, werden wir uns wohl oder übel um eine erträglichere Gestaltung unserer Überlebensbedingungen unter den herrschenden Zuständen kümmern müssen. Die Ansage "schreib einen eigenen Entwurf" ist durchaus vernünftig. Auch wenn wir ruhig dazu sagen dürfen, dass das Problem letztlich Kapitalismus und Privateigentum an Boden und Immobilien heißt.