Griechenland: Die Jagd auf die Anarchisten ist eröffnet
von: Yannis Youlountas
am: 1.8.2019 - 12:50
Die neue Regierung in Griechenland leitet eine beispiellose Offensive gegen die libertäre und selbstverwaltete Bewegung ein. Der neu gewählte rechte Premierminister Kyrikas Mitsotakis hat öffentlich versprochen, noch in diesem im Sommer Exarchia „zu säubern“ und die anarchistische Gruppe ‘Rouvikonas’ (1) zu zerschlagen. Über das „berühmt-berüchtigte“ Viertel und die nur schwer fassbaren Gruppe hinaus, wird auch die gesamte linke Szene mit verschiedenen repressiven Maßnahmen ins Visier genommen.
Wieder einmal gibt das, was in Griechenland geschieht, Anlass zum Nachdenken. Über das, was in anderen Teilen Europas vorbereitet wird, wie sich der Kapitalismus auf dem ganzen Kontinent immer weiter verpanzert und die Gesellschaften immer autoritärer werden. Diesmal geht es in erster Linie darum, die anarchistische Projekte zu sanktionieren, indem ihre revolutionären politischen Ziele selbst als unmittelbare Bedrohung und damit strafbare Handlung gewertet werden. Oder kurz gesagt: Verboten werden. Nicht anarchistische Projekte als solche, sondern als Kunstgriff die Kreation eines “bedrohlichen Umfeldes”, das eine “Gefahr für die soziale Ordnung und den bürgerlichen Frieden” darstelle.
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Solidarität ist unsere Waffe
Der Name Rouvikonas ist inspiriert von dem historischen Grenzfluss Rubikon in Italien. Julius Caesar überschritt im Jahre 49 vor Christus mit seinen Truppen das Gewässer - gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an den Römischen Senat. Caesar war sich bewusst, dass es ab diesem Punkt kein Zurück mehr gab, was er mit den Worten »Der Würfel ist geworfen worden« zum Ausdruck brachte. Die lebendige Überzeugung von Rouvikonas ist, dass Griechenland seinen »Rubikon« überschritten hat, als es im März 2012 sein zweites Rettungsabkommen mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds unterzeichnete.
Rouvikonas steht in einer langen Tradition des Anarchismus in Griechenland, die bis in die 70er Jahre zurückreicht. Die meisten Gruppen von Anarchisten operieren im Untergrund, die Zahl ihrer Mitglieder sind beschränkt. Sie lehnen in der Regel Lorbeeren für ihre Angriffe ab, zu denen unter anderem die Zerstörung von Geldautomaten oder Auseinandersetzungen mit der Polizei gehören.
Die neue Gruppe in Griechenland unterscheidet sich davon nicht nur in ihrer Offenheit, sondern auch in ihrer Handlungsvielfalt. Sie beteiligt sich auch an Demonstrationen, organisiert Veranstaltungen und leistet Theoriearbeit. Mitglieder von Rouvikonas kämpften im syrischen Bürgerkrieg aufseiten der kurdischen YPG-Miliz. Bekannt ist die Gruppe zudem für soziale Aktivitäten, etwa das Verteilen von Medikamenten oder Nahrungsmitteln - als Gegenmodell zu den Aktionen der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte, die nur an weißhäutige Griechen verteilt.
Seit der ersten Aktion ist das anarchistische Projekt fester Bestandteil der politischen Landschaft des griechischen »Krisenlabors«. Dabei fehlt nicht die Hetze aus rechten Kreisen: Der Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Kyrgiakos Mitsotakis, erwähnt Rouvikonas in jeder dritten Rede. »Der Polizei werden klare politische Anweisungen gegeben, bei solcherart Phänomenen nicht zu stören, die uns in vielen Fällen international blamieren«, so der Politiker in einem Interview gegenüber CNN. Syriza zeige gegenüber Rouvikonas seiner Meinung nach Toleranz, weil viele Menschen mit solchen Praktiken sympathisieren würden - »Chaos« regiere als Folge das Land.
Die Räumungen von besetzten Häusern in Griechenland in den vergangenen Jahren könnten als Machtdemonstration der Regierung gewertet werden. Möglicherweise will sie so beweisen, dass sie auf dem anarchistischen Auge nicht blind ist. Tatsächlich sind Mitglieder von Rouvikonas in der Vergangenheit schon öfter in Gewahrsam gekommen, Polizei und Justiz sehen sich aber nicht in der Lage die Aktionen langfristig zu unterbinden. Aber sie machen Fortschritte: Im März wurde bekannt, dass ein Prozess gegen zwölf identifizierte Mitglieder von Rouvikonas eröffnet wird. Die Vorwürfe: Sachbeschädigung, der Einsatz illegaler Gewalt und Landfriedensbruch. Darunter fällt auch eine der spektakulärsten Aktionen, die Beschädigung des Zauns an der Residenz des deutschen Botschafters.
Syriza befindet sich in einer schwierigen Position: Wie kann man eine in nicht unwesentlichen Teilen der Bevölkerung beliebte Gruppe ausschalten, ohne noch mehr Zustimmung zu verlieren? Unbestritten ist: Trotz Prozessen und Kriminalisierung hält Rouvikonas weiter an seinem Motto fest - »Kein Zurück«.