Debattenbeitrag zu Einlassungen und Distanzierungen

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Wir, die Ortsgruppe Leipzig der Roten Hilfe e.V., möchten mit unserem vorliegenden Text eine öffentliche Debatte in der deutschsprachigen Linken zu der Thematik der Einlassungen und Distanzierungen im Strafprozess und insbesondere vor Gericht anstoßen. Unser Anliegen ist es, diese Debatte innerhalb unserer emanzipatorischen Bewegung entschlossen, aber vor allem wohlwollend und solidarisch zu führen. Unserer Wahrnehmung nach scheint sich ein linkes Verständnis der Prozessführung mit der politischen Justiz verändert zu haben: Wir sehen eine Kontinuität in der Praxis von Deals, also Einlassungen und Distanzierungen. Diese Praxis lehnen wir ab und diese Entwicklung verärgert uns. Daher hier unser Aufschlag, zu dem wir ausdrücklich um Diskussion und Antworten bitten.

Zu den Einlassungen

Wir beziehen uns im Folgenden hier nicht auf jede Art von Aussagen im Strafprozess, sondern nur auf Einlassungen, welche einen Habitus wie „ich war es und mach‘s nicht mehr“ haben und eben explizit nicht auf solche, die hingegen sagen, „ich war es und finde das auch richtig und wichtig so, also darauf abzielen, eine strafbare Handlung als postiv zu bewerten.

Wir finden Einlassungen generell sehr schwierig, da wir die Praxis der Aussageverweigerung sowohl als politische Handlung als auch aus juristisch-prozesstaktischen Erwägung für wirklich sinnvoll erachten. Wenn von Repression Betroffene die Aussage konsequent verweigern, halten wir das für stark und politisch richtig, auch wenn es nicht leicht sein mag, doch ist es ein ausdrückliches Moment eines konsequenten Antagonismus zu dem Staat, der uns für unseren Kampf um Freiheit verurteilen und einsperren will. Ganz pragmatisch schützen wir mit einer konsequenten Aussageverweigerung auch uns selbst, unsere Genoss*innen und unsere Strukturen.

Einlassungen wie „ich war es und mach‘s nicht mehr“ haben für uns ein sich von der vorgeworfenen Straftat distanzierendes Reuemoment, da sich explizit dazu ausgesprochen wird, diese nicht wieder zu tun.

Wir selbst glauben nicht an die Logik der Gerichte und deren milde, vermeintlich gerechte Urteile. Daher veruchen wir auch nicht, diese durch eine Einlassung zu erhaschen. Das Tätigen einer Einlassung, um so ein milderes Urteil zu erhaschen, wird auch häufig als Abschluss eines Deals bezeichnet, also als Annahme eines Angebots vom Gericht. Das kritisieren wir entschlossen, wir finden das sogar einen beschönigenden Ausdruck, weil es eben kein Moment konsensualen Aushandelns auf Augenhöhe ist, sondern nur ein weiterer Druckmoment des Staates.

Dennoch gibt es für uns auch Momente, in denen wir trotzdem eine Einlassung mittragen können. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es persönliche Gründe bei den von Repression Betroffenen für ein Nichtaushalten des repressiven Zustandes gibt. Als Zuspitzung lassen sich hier Isolation und Folter nennen, die Grenze kann aber ein*e jede*r Genoss*in nur für sich selbst individuell bestimmten, die Wahrung der bürgerlichen Identität ist es jedenfalls nicht.

Dann aber muss es jedenfalls eine transparente und umfassende Erklärung dazu geben, damit wir alle die Situation verstehen, einordnen und nachvollziehen können. Uns ist es wichtig, das die Druckmomente des Staates offen benannt werden, vor allem dann, wenn wir ihnen nicht standhalten konnten. Erst dann können wir einen konstruktiven Umgang damit schaffen und hoffentlich zukünftig eine wirksamere kollektive Strategie dazu entwickeln. Unsere Bewegung wird damit aufgefordert, sich damit auseinaderzusetzen, wie der Druck in solchen Momenten verringert werden kann.

Werden die Gründe für eine Einlassung und dessen konkreter Umfang nicht benannt, müssen wir erstmal davon ausgehen, dass Genoss*innen dies tun, weil sie es als richtige Strategie sehen und der Logik der Gerichte vertrauen und wir eben doch nicht die selben Ideen und Ziele verfolgen. Dann ist es aber auch für uns schwierig, sich weiterhin solidarisch zu verhalten, da wir eben nicht mehr bestimmen können, was unser Konsens ist. Weiter halten wir es aus pragmatischen Gründen für notwendig, den konkreten Inhalt einer jeden Einlassung zu benennen, damit sicher ist, dass diese keine Genoss*innen und Strukturen gefährdet – da sie dem Gericht gegenüber getätigt wurde, sind Staat und seine Schergen ja bereits informiert.

Erst in einer offen geführten Auseinandersetzung können wir uns fragen, wie ein weiterer solidarischer und kollektiver Umgang aussieht. Wir halten es für notwendig, diesen Austausch transparent und offen zu führen und nicht nur innerhalb exklusiver Strukturen, denn Repression und auch der Umgang damit geht uns alle an! Wir fordern grundsätzlich nicht den Entzug von Solidarität als Reaktion auf eine Einlassung vor Gericht, sondern streben eine umfassende Betrachtung der Situation unter Einbeziehung subjektiver Beweggründe an.

Zu den Distanzierungen

Distanzierungen lehnen wir konsequent und absolut ab und finden diese einfach richtig scheisze: Distanzierungen lassen Genoss*innen schlecht dastehen, ermöglichen eine Spaltung in legitimen und illegitimen Protest und befeuern destruktive Diskurse. Unsere Ablehnung von Distanzierungen ist keine hohle Phrase oder irgendein Ausschlüsse produzierender Szene-Code, sondern ein Ausdruck unseres konsequenten Antagonismus dem Staat gegenüber und nach wie vor eklatant notwendiger Genoss*innen- und Struktur-Schutz.

Distanzierungen finden wir vor allem unsolidarisch. Immer wieder bekommen wir mit, dass Zusammenhängen, die eine offene und kritische Auseinandersetzung mit Distanzierungen führen, unterstellt wird, „die Spaltung zu wollen“. Wir sehen das anders. Wir sind der Meinung, dass die Auseinandersetzung mit Distanzierungen nicht erst einen Keil in die Bewegung treibt, sondern er ja schon längst durch die getätigte Distanzierung dort ist.

Wir erwarten von unseren Genoss*innen einen verantwortungsvollen Umgang, also dass sie sich die etwaigen negativen Konsequenzen einer Aktion bewusst machen, bevor sie sich dazu entscheiden und diese dann eben auch mittragen. Wenn Menschen in Situationen hineinrutschen, auf die sie sich nicht vorbereitet hatten, steht die Notwendigkeit einer kritischen, aber immer solidarischen Auseinandersetzung damit im Nachgang außer Frage. Aber eine Distanzierung vor Gericht kann auch hier niemals das richtige Mittel sein. Diese Außeinandersetzung müssen wir innerhalb unserer selbstgewählten Zusammenhänge miteinander führen, und zwar an Orten, an denen wir die Deutungshoheit haben, und mit Genoss*innen, die uns auf Augenhöhe begegnen. Auch wenn wir annehmen, dass dies nicht immer einfach ist und gerade in männlich-dominierten Kontexten, in denen jede*r der*die Größte sein will, schwer sein kann, müssen wir uns immer wieder darin üben, uns solidarisch kritisch zueinander zu verhalten.

Manchmal wird gegen eine offene Auseinandersetzung mit einer getätigten Einlassung das Argument angeführt, dass das die Prozess-Strategie gefährden könne.

Wir finden das keinen tragbaren Einwand, da zum einen die getätigte Einlassung ja schon kein klandestiner Inhalt mehr ist, da sie doch eben im Gericht getätigt wurde, und zum anderen so eine Prozess-Strategie, bei der keine politische Auseinandersetzung um dessen Inhalt stattfinden kann, uns fragwürdig erscheint. Für uns ist es wichtig, einen Gerichtsprozess nicht nur taktisch-juristisch sinnvoll zu führen, sondern auch offensiv-politisch.

Die anwaltliche Prozess-Strategie ist demnach eben immer nur ein Aktionsmoment neben anderen. Wir denken nicht, dass ein politischer Strafprozess nur im Gerichtssaal geführt und gewonnen werden kann. Natürlich gibt es ein hierarchisches Verhältnis um das juristische Wissen, dieses sollte aber in erster Linie entsprechend politischer Ideen und für eben solche Prozesse verwendet werden.

Wir sehen eine derzeitige Schwäche innerhalb unserer Bewegung in Bezug auf kollektive Prozesse und auch auf die Begleitung darüber hinaus. Die Notwendigkeit, das aufzubrechen, besteht für uns alle: ob als solidarische Strukturen im Umfeld oder als direkt von Repression Betroffene.

Wir denken, dass wir als linke Bewegung generell wieder mehr lernen müssen, einen kritischen, solidarischen Diskurs miteinander zu führen, anstatt uns über unsere Fehler in Schweigen zu hüllen. Wir sehen darin nicht das Moment einer Schwäche oder gar die Gefahr einer Spaltung, sondern unsere einzige Möglichkeit, gemeinsam und fragend voranzuschreiten.

Lassen wir vor, während und nach dem Gerichtsprozess niemanden allein!

Entwickeln wir gemeinsam politische Prozesstrategien!

 

Rote Hilfe Leipzig, Mai 2019

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Rote Hilfe Leipzig
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