Krisenticker #1

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Der Artikel in Hydra One über die „Krise“ ist schon ein paar Monate alt. Die Krisendynamik bewegt die Krisenzustände unerbittlich voran. Unser Blog unter dem Titel „Krisenticker“ will versuchen, ihre Zustände auf der Zeitebene ständig zu beobachten und an markanten Punkten der Entwicklung auf Stand zu bringen. Stay tuned.

Der Artikel in Hydra One über die „Krise“ ist ein paar Monate alt. Die Krisendynamik bewegt die Krisenzustände unerbittlich voran. Unser Blog unter dem Titel „Krisenticker“ will versuchen, ihre Zustände auf der Zeitebene ständig zu beobachten und an markanten Punkten der Entwicklung auf Stand zu bringen. Stay tuned.

Aktuell, d.h. im April 2019, sind die kompetenten Auguren von IWF über OECD, BIZ und die hierin vertretenen Zentralbanken bis hin zu den Beobachtern aus den kompetenten Think-Tanks und Zeitungen sehr beunruhigt. Die offiziellen von ihnen, an der Spitze der IWF, zeigen das nur in Daten und in den Bewertungen mit äußerster Vorsicht. Denn ein unbedachtes Wort und die Märkte kollabieren. Manche Beobachter vom Kaliber Nouriel Roubinis halten sich etwas zurück, denn sie hatten in der Vergangenheit die Elastizität des transnationalen Finanzsysteme in der Geldvermehrung unterschätzt. Liquiditätsvermehrung bedeutet, wir erinnern uns, Erhöhung des Kreditpegels im Immobiliensektor, dem Sektor langlebiger Verbrauchsgüter (Autos, bis Möbel), dem Sektor der Verbrauchs- und Überlebenskredite (Studentenkredite, Konsumentenkredite etc., auch und zunehmend über Kreditkarten), Unternehmenskredite, Länderkredite. Alle in immer stärkeren Maß in den geringerwertigen „Subprime“-Bereich hinein. Dadurch ist er mit hohen Risiken und Renditen verbunden und wird, soweit möglich, mit schnell abrufbarem „heißen“ Geld bedient. Auf alldem schwimmt weltweit ein großer Teil der effektiven Nachfrage. Der aktuelle Zustand ähnelt demjenigen vor 2006. Denn wir wissen, dass schon damals nicht punktuelle oder sektorale Verschuldungen das Problem waren, sondern der ausgeglichene sich ständig weiter erhöhende “systemische“ Gesamtpegel. Die Krisenberichterstattung vor allem des IWF begnügt sich daher nicht mehr mit Befunden zu einzelnen Sektoren oder Ländern, sondern zeichnet übergreifende Bilder, allerdings mit Schwerpunkten. Dazu gehören der Immobiliensektor wegen der großem konjunkturellen Umschwünge, der Unternehmenssektor wegen der Investitionen und der Sektor der Staatsverschuldung wegen der mit steigender Verschuldung zunehmenden Anfälligkeit der Volkswirtschaften.

Die Nervosität der „Märkte“ nimmt zu. Ihr Barometer sind die Börsen. An ihnen wird nicht nur spekuliert. In den Kursbewegungen drücken sich auch die Erwartungen der Entwicklungen von Unternehmen, Schuldpapieren der Länder („bonds“) etc. aus. Die Analyseapparate der Investoren und Beobachter sind gewaltig, sie übersteigen diejenigen der Regierungen um Größenordnungen. Mithalten können nur wenige Institute, allen voran der IWF. Kursrutsche werden heftiger, wie derjenige Mitte Oktober letzen Jahres, Mitte Januar diesen Jahres und vor allem derjenige in der letzten Märzwoche. Rezessionsängste trieben am Montag, dem 25.3. zuerst die asiatischen Märkte nach unten und ergriffen dann die europäischen und amerikanischen Aktien- und Bondmärkte. Die Suche nach sicheren Häfen drückte sich in Investitionen in Gold und Schatzbriefe der als solide angesehenen Volkswirtschaften (Japan, US, Deutschland) aus. Die „inverse“ Rendite- und Zinskurve (kurzfristige Verschuldungen sind teurer als langfristige), die zunehmend Profil gewinnt, vertiefte sich. Gegen alle derzeitigen akademischen Versuche einer rein technischen Begründung sagt sie vor allem eins: langfristige Investitionen werden krisenbedingt negativ bewertet, der Markt setzt nicht mehr darauf. Die langfristigen Profitaussichten werden als mau angesehen. Die Inversion wird als Indiz einer Rezession gewertet. Sie ging den letzten sieben Rezessionen voraus.

Der IWF, unter den großen öffentlichen Institutionen zu recht am meisten beachtet, verfährt in der Beschickung von Öffentlichkeit und Märkten mit Analysen und Bewertungen zweigleisig, um die Beunruhigung so gering wie möglich zu halten. Im Vorfeld seiner großen „Outlooks“ und Finanzstabilitätsberichte (Herbst und Frühling) lanciert er Warnungen und schwere Sorgen. Sie werden im Report selbst detailliert mit Zahlen und Kurven belegt. Die Prognosen sind eher nach dem Prinzip Hoffnung gestaltet und bleiben moderat.

Einzelne Schlaglichter: Am 2. April warf IWF-Chefin Lagarde das Bild eines Wachstumsrückgangs infolge der hohen Verschuldung, der Spannungen zwischen den Ländern und Unbehagen auf den Finanzmärkten an die Wand. Am 4. April wiesen ihre Forschungsabteilungen auf die weltweite Schwäche im Immobilienbereich mit fallenden Hauspreisen und die Folgen in den Länderkonjunkturen und damit der Weltkonjunktur und Finanzstabilität hin. Dementsprechend verwies ein vorab veröffentlichter Auszug des Finanzstabilitätsberichts darauf, dass die Risken auf dem US-Häusermarkt eine ähnliche Höhe aufwiesen wie 2002/03, vor dem Beginn des globalen Zusammenbruchs bei einer ähnlichen Gefährdung der Kreditnehmer im untersten Segment. Am 10.4. verwiesen – zeitgleich mit der Veröffentlichung des Finanzstabilitätsberichts – zwei IWF-Funktionäre auf die Rekordhöhe der Verschuldung auf dem amerikanischen Unternehmenssektor im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt, den Gewinnverfall in China und die bedrohliche Überbelastung europäischer Banken mit „bonds“, staatlichen Schuldtiteln, hin. Der „Outlook“ sagte voraus, dass 70% der Weltwirtschaft dieses Jahr einen Abschwung erleben werden, bei erheblicher Reduzierung des Wachstums in den USA und der Eurozone.

Die von den Märkten so sehnlichst benötigte Note des Optimismus begründet der IWF mit einer Erwartung der Erholung der Entwicklungs- und Schwellenländer, der „emerging economies“. Woher das denn, fragt sein früherer hochrangig tätiger Mitarbeiter Desmond Lachman, jetzt beim American Enterprise Institute. Schwergewichte unter den aufsteigenden, emergierenden Volkswirtschaften wie z.B. Türkei, Argentinien, Brasilien seien im Abstieg begriffen und eher „submerging economies“. Die Gefahr liege nicht nur in der dadurch reduzierten Nachfrage nach metropolitanen Konsum- und Investitionsgütern, sie und ihre Unternehmen könnten auch die vorrangig in Dollar und Euro aufgenommenen Schulden immer weniger bedienen. Schon im Februar hatte die für Entwicklungsfragen zuständige OECD auf die Verdopplung der Unternehmensschulden seit 2008 auf 1,7 Billionen (amerikanisch: „trillions“) bei fallender Bonität hingewiesen. In der Tat, die Fadenscheinigkeit der IWF-Einschätzung ergibt sich aus seinen eigene Zahlen und bleibt ohne stichhaltige Begründung. Laut Lachman könnte die nächste Finanzkrise schlimmer werden als 2008. Das meinen wir auch.

Noch ein Wort zu Handels- und Zollkonflikten. Sie sind zunächst das Resultat des Krisenprozesses selbst und der daraus fließenden Erwartungen. Davon ausgehend entwickeln sie sich zunehmen zu eigenständigen, ihn verstärkenden Faktoren. Ähnlich wie in den Jahren nach 1929.

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