[S] Revolutionärer 1. Mai
Frauenstreik und Antikapitalistischer Block auf DGB-Demo +++ Bis zu 1200 TeilnehmerInnen auf Revolutionärer Demo +++ Agit-Prop-Aktion in Gedenken an Else Himmelheber +++ Kurze Auseinandersetzung nach Sprinteinlage +++ Top-Transpi-Aktion +++ mehrere Hundert TeilnehmerInnen auf Internationalistischem Fest
Antikapitalistischer Block auf der DGB-Demo
Am Antikapitalistischem Block auf der diesjährigen Gewerkschaftsdemo beteiligten sich bis zu 200 GenossInnen aus verschiedenen Feldern des politischen Widerstandes und aus Gewerkschaftsjugenden. Die DGB-Losung "Europa - jetzt aber richtig!" konterte der antikapitalistische Block, der von einem Bündnis aus Gewerkschaftsteilen und linken Gruppen getragen wurde, mit dem Motto "Streiken - jetzt aber richtig!": Eine Absage an Sozialpartnerschaft und ein Aufruf zu offensiver Gewerkschaftspolitik, die auch den Ansätzen rechter Betriebsarbeit den Wind aus den Segeln nimmt. Neben kurzen Moderationsbeiträgen zu verschiedenen aktuellen Kämpfen, wurde vom Lautsprecherwagen des Blocks klar gemacht, dass die EU, die vom DGB offensichtlich mit "Europa" gemeint ist, als Klassenprojekt der Herrschenden eben nichts, ist, das von unten ein wenig freundlicher gestaltet werden könnte. Internationale Solidarität ist mit einem imperialistischen Machtblock eben nicht zu machen.
Zu Beginn der Demonstration blockierten Frauen aus Gewerkschaften und der linken Bewegung den Aufzug symbolisch mit einer Agit-Prop-Aktion, um auf die besondere Ausbeutung und immerwährende Herabwürdigung der Frau im Kapitalismus aufmerksam zu machen. In Anlehnung an den diesjährigen Frauenstreik am 8. März saßen und standen sie auf Stühlen kurzzeitig vor und anschließend neben der Demo. Auf Schildern zeigten sie dabei die unterschiedlichen Facetten des Patriarchats auf. Beide Demonstrationen des Tages waren insgesamt stark von frauenkämpferischen und antipatriarchalen Parolen geprägt.
Schilder, die mit roten Rauchfackeln ausgestattet wurden, entschleierten im weiteren Verlauf der Demo die realen Zustände hinter bürgerlichen Kampfbegriffen wie "Soziale Marktwirtschaft", "Demokratie", "ArbeitnehmerInnen" und "Sozialpartnerschaft". Der Demozug endete am traditionellen Gewerkschaftsfest auf dem Stuttgarter Marktplatz. Hier zog ein großer Teil des antikapitalistischen Blocks mit lautstarken Parolen weiter, vorbei am Fest, zur Auftaktkundgebung der Revolutionären 1. Mai Demo am zentral gelegenem Karlsplatz.
Revolutionäre Demo
Die Revolutionäre Demo begann mit einer lebendigen Auftaktkundgebung in strahlendem Sonnenschein mit Redebeiträgen zum Kampf um Wohnraum, den Perspektiven eines antikapitalistischen Frauenkampfes und den Auswüchsen prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen in dieser Gesellschaft. Die Mobilisierung im Ganzen zielte vor allem darauf ab, die aktuell an verschiedenen Ecken aufklaffenden Widersprüche und Protestbewegungen im Kapitalismus in Zusammenhang mit dem Aufbau einer vielschichtigen revolutionären Bewegung zu bringen - eine Bewegung, die die Verschiedenheit der Proteste vereint, sie organisiert, festigt und damit eine neue Qualität revolutionärer Gegenmacht ermöglicht.
Der Demozug bewegte sich unter dem Motto "Kapitalismus hat keine Zukunft - Protest. Widerstand. Revolution!" lautstark mit bis zu 1200 TeilnehmerInnen durch die Stuttgarter Innenstadt. Während der vordere Bereich maßgeblich von kommunistischen GenossInnen mit Schildern, roten Fahnen und einem Hochtransparent, das an die Mobilisierung der Plattform "Perspektive Kommunismus" anknüpfte, geprägt wurde, beteiligten sich auch zahlreiche anarchistische und libertär-kommunistische GenossInnen, linke GewerkschafterInnen und KommunistInnen aus kurdisch/türkischen Strukturen an der Demo. Nach kurzer Zeit stießen etwa zwei Dutzend GenossInnen hinzu, die sich im Vorhinein am antikapitalistischen Bereich der Waiblinger Gewerkschaftsdemo beteiligten.
Mit einer kollektiven Schilder-Aktion im Front-Block, Lila-Rauch und einer kurzen Rede vom Lautsprecherwagen, machte die Demo im späteren Verlauf auf eine größere Street-Art Plakatierung an der Route in Gedenken an die Stuttgarter Kommunistin Else Himmelheber aufmerksam. Else spielte eine wichtige Rolle für die Frauenarbeit der KPD in den 1920er Jahren, war im Faschismus in einer antifaschistischen Widerstandsgruppe mit anderen KPD-Genossen aktiv und wurde schließlich von den Faschisten im KZ Dachau ermordet.
Kurz darauf startete der vordere Bereich einen spontanen Sprint, der in einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Bullenblock, der durchgehend vor der Demo lief, endete. Anlass für den Angriff der Bullen auf die vorderen Reihen war wohl, dass einige besonders motivierte Teile ihrer Warnwesten-Fraktion des "Anti-Konflikt-Teams" es für sinnvoll hielten, sich gegen den rennenden Demozug zu stemmen. Der folgende Prügel- und Pfefferspray-Einsatz wurde mit Rauchfackeln beantwortet. Die Demo stellte sich während der Auseinandersetzung auf kompletter Straßenbreite auf und ließ sich nicht Desorganisieren oder Zurückdrängen. Dennoch blieben leichte Verletzungen bei einzelnen TeilnehmerInnen nicht aus. Nach kurzem Stillstand konnte die Demo weiterziehen.
Ein Top-Transparent über dem Front-Block mit dem Motto der PK-Mobilisierung "In die revolutionäre Offensive!" sorgte auch im Anschluss noch für gute Stimmung. Die anschließende Zwischenkundgebung am Rande des belebten Marienplatzes konnte auch die Frühlingsfans im Stuttgarter Süden zumindest kurz an den politischen Charakter des Maifeiertages erinnern: Mit einem Redebeitrag zu den repressiven Verschärfungen des Polizeiapparates, die gerade aktive AntifaschistInnen besonders oft und hart zu spüren bekommen und einem weiteren, in dem Anarcho-SyndikalistInnen eine radikale Arbeitszeitverkürzung als Antwort auf die ständigen Überproduktionskrisen und die systematische Entwertung unserer Arbeitskraft im Kapitalismus forderten. Erwähnung fanden im Demoverlauf auch die neue Umweltbewegung und das in ihr schlummernde antikapitalistische Potenzial und der Widerstand der 7000 türkischen und kurdischen GenossInnen, die sich teils schon seit Monaten in den Knästen der Türkei im Hungerstreik befinden. Die Demo endete, wie auch in den vergangenen Jahren, mit einer Rede unserer Organisation, in der wir auf die Notwendigkeit und vor allem auf die Möglichkeit eines ernsthaft angegangenen revolutionären Aufbaus aus der Klasse der Lohnabhängigen eingingen. Eine Perspektive, die auch die tagtäglichen Anstrengungen und Schwierigkeiten im politischen Widerstand in ein neues, motivierendes Licht stellt. Erneut wurde die Rede vermummt und nach offizieller Auflösung der Demo vom Lautsprecherwagen aus gehalten, um den Bullen die personelle Einsicht in unsere Strukturen zu erschweren und trotzdem präsent und Teil der Demo zu sein.
Zum Ausklang des Tages fanden sich beim "Internationalistischem Fest" im Linken Zentrum Lilo Herrman mehrere Hundert BesucherInnen ein - mit Liedermacher, Gedichten aus dem kurdisch-türkischen Widerstand, einem antimilitaristischem Theater zur Mobilisierung zum Rheinmetall-Entwaffnen-Camp im September diesen Jahres, Liedbeiträgen des ArbeiterInnen-Chor Heslach und einem Antifa-Activity-Spiel zum Mitmachen.
Kurze Bewertung
Der diesjährige 1. Mai hat gezeigt, dass der ArbeiterInnenkampftag auch nach einem mobilisierungsintensiven Frühjahr in Stuttgart noch großes Potenzial hat. Nach dem Frauenstreik am 8. März, einer Hausbesetzung und der großen Wohnraumdemo nur wenige Wochen später, können wir 2019 auf eine der größten Revolutionären 1. Mai-Demos der letzten 15 Jahre zurückblicken. In der Mai-Mobilisierung wurden mit dem Wohnraum-, dem Frauenkampf und der Umweltfrage gezielt Felder aufgegriffen, die nicht nur ohnehin schon Thema sind, sondern in denen sich aktuell auch relevante Auseinandersetzungen im Klassenkampf entwickeln. Das organisierte Auftreten der Demo und die Erprobung verschiedener Propaganda- und Aktionsformen in der Mobilisierung und der Demo selber, sind Ausdruck einer Bewegung, die gerade auch in der Praxis die Weiterentwicklung sucht. Dennoch gilt es noch an vielen wichtigen Punkten voranzukommen: Der antikapitalistische Block auf der Gewerkschaftsdemo ist noch lange nicht Teil einer stärkeren Mobilisierung aus der Basis der Gewerkschaften und aus Betrieben selber, revolutionäre Mobilisierungen sind zwar wahrnehmbar, prägen öffentliche Debatten und das Stuttgarter Stadtbild aber noch lange nicht und auch die Übermacht an Bullen stellt uns immer wieder aufs Neue vor große Herausforderungen.
Das heißt für uns: Anpacken! Nach den diesjährigen Mobilisierungs-Erfahrungen sind wir guter Dinge, weiter im gemeinsamen Kampf mit vielen befreundeten und solidarischen GenossInnen zu lernen, um Schritt für Schritt voranzukommen...
...die Perspektive heisst Kommunismus! In die revolutionäre Offensive!