Statement: Die generationsübergreifenden Probleme des alternativen, selbstverwalteten Jugendclubs und Freiraums der Gerber 1
Statement: Die generationsübergreifenden Probleme des alternativen, selbstverwalteten Jugendclubs und
Freiraums der Gerber 1
und wie der Lauf der Dinge durchbrochen wurde
Das folgende Statement beinhaltet komplexe Zusammenhänge. Um LeserInnenfreundlichkeit zu gewährleisten gliedern wir den Text in folgende Punkte, die deutlich werden müssen:
- Was ist eigentlich passiert?
- Wie stehen die Häuser in Verbindung damit?
- Betroffenperspektive
- Unsere Position
- Fragen
- Einordnung/Fazit
Was ist eigentlich passiert?
Begonnen hat unsere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen, als wir darauf darauf aufmerksam wurden, dass unsere Veranstaltungspostings der Gerber 1 und 3 (auf instagram) mit den Worten „Täter/schutzstrukturen boykottieren!“ versehen wurden. Daraufhin stellten wir uns die Fragen, woher solche Aussagen kommen und wir haben sie von Beginn sehr ernst genommen. Es folgte die Kontaktaufnahme zu dem Account, der diese Postings gemacht hat. Kurz darauf fand auch ein Treffen statt mit der Person die hinter dem Account steht. In diesem Gespräch einigten wir uns darauf, dass wir uns als Gerber 1 mit den Geschehnissen auseinandersetzen wollen. Wir entschieden uns für die Ausarbeitung eines Statements bis Ende August. Während des Gesprächs wurde eine Audiodatei aufgenommen, in der die Betroffene Person (wir nennen sie X) ihre Erfahrungen in der Gerberstraße schildert. Diese Datei war Grundlage für unsere Ausarbeitung. In einer Runde von ca. 12 Personen hörten wir uns die Erzählungen an. Im Folgenden wollten wir die benannten Situationen schildern. Wir traten kurz vor unserer geplanten Veröffentlichung des Statements noch einmal in Kontakt mit der betroffenen Person X und ließen ihr die von uns aus den Audiodateien transkribierte Version der Betroffenenperspektive zukommen. Mit dieser war die Betroffene nicht einverstanden und sie wollte in keinem Fall, dass ihre Perspektive so veröffentlicht wird. Wir wollten die Version überarbeiten. An heutigem Stand können wir den Fehler einräumen, dass wir nicht genug mit der Betroffenen kommuniziert haben. Wir hätten ihr von Anfang an sagen müssen, dass wir in unserem Statement keine Namen verwenden. Und, dass wir eben ein Statement und keinen Outcall schreiben. An dieser Stelle möchten wir erklären, warum wir einen Outcall in diesem Sinne nicht als bedachten Weg ansehen.
Einen Outcall sehen wir als letztes Mittel, wenn Kommunikation nicht möglich ist und wenn keine Veränderung wahrgenommen wird. Ein Outcall zielt nach unserer Auffassung nicht darauf ab, zu sagen: Hier schaut, das ist die schlimme Person; sondern dazu, andere vor potentiell schädlichem Verhalten zu warnen und zu schützen. Veränderung wurde klar deutlich, durch eben einen konsequenten Umgang mit Tätern. Auch hier lassen wir natürlich Raum für Kritik, manche sehen sich noch heute in ihrem Freiraum eingeschränkt durch aufbauschendes, mackriges Verhalten. Dieses ist schädlich und wir wollen einen Umgang dafür finden. Die Dimensionen sind heute völlig andere – wir wollen dieses Verhalten trotzdem nicht verharmlosen, ignorieren oder entschuldigen.
Weiterhin müssen wir den Zeitraum und die vorherrschenden Macht- und Mackerverhältnisse der damaligen Zeit benennen. Die strukturellen Probleme waren im Zeitraum von ca. 2010 bis 2018 besonders präsent. In der Gerber 1 hielten sich in diesem Zeitraum vorwiegend Menschen im Alter von ca. 14 bis 20 Jahren auf. Die betroffene Person X war laut unserem Kenntnisstand über 40 Jahre alt. Dieses tendenziell unausgewogene Machtverhältnis aufgrund des Alters sehen wir kritisch. Das heißt aber in keinem Fall, dass wir dadurch die Betroffenheit absprechen, nur weil die Person zu dem Zeitpunkt älter war.
Wie stehen die Häuser in Verbindung damit?
Die Gerberstraße 1 und 3 sind zwei verschiedene Häuser. Sie unterscheiden sich in ihren Strukturen, Konzepten, aktiven Personen und Altersgruppen. Während die Gerberstraße 1 ein selbstverwaltetes Jugendzentrum ist, ist die Gerberstraße 3 ein Wohnprojekt mit Kneipe. Dieses Statement ist von den Menschen aus der Gerberstraße 1 verfasst – ein Statement der Gerber 3 wird voraussichtlich noch veröffentlicht. Kontakt mit der Gerber 3 fand statt, hierbei haben wir (G1) erwähnt, dass wir an einem eigenen Statement schreiben und uns zu den Vorfällen äußern werden. An dieser Stelle können wir einräumen, dass wir gegen den Wunsch der Betroffenen mit der G3 in Kontakt getreten sind. Es ist nicht in unserem Interesse, ein Strafgericht zu imitieren und „Beweise zu sammeln“, dennoch liegen uns weitere Betroffenenperspektiven aus der Gerber 3 vor. Diese Menschen haben im genannten Zeitraum u.a. physische Gewalt und Drohungen erfahren. Trotzdem solidarisieren wir uns nicht mit dem damaligen Verhalten von der Gerber 3.
Betroffenperspektive
Im folgenden Teil wäre die Betroffenenperspektive aufgeführt. Wie zu Beginn erläutert, ist dies nicht gewünscht. Also verweisen wir nun auf den Outcall, der von der Betroffenen Person X und der Band Raufasertapete veröffentlicht wurde (https://www.instagram.com/p/CwSu0uCMHlF/?igshid=NTc4MTIwNjQ2YQ== ). Wir verweisen ausdrücklich darauf, den Betroffenen Gehör zu schenken und an dieser Stelle den Post zu lesen.
Position
Im Folgenden schildern wir unsere Positionen zu den Ereignissen, welche über fünf Jahre zurückliegen.
Wir nehmen die Vorwürfe der betroffenen Person X ernst. Wir haben uns diese Perspektive angehört; wir verurteilen den damaligen Umgang untereinander und die geschilderten Ereignisse. Wir erkennen die Betroffenheit an.
Wir sehen uns zusätzlich dazu verpflichtet zu erwähnen, dass mehrere Parteien in dem damaligen Konflikt beteiligt waren und sich Unrecht angetan haben.
Wir saßen seit den Postings, als uns die Vorwürfe bekannt wurden, mehrfach wöchentlich zusammen und haben uns mehreren Fragen gestellt. Hier sind unsere Gedanken dazu auch mit Bezug auf früher:
Wie gehen wir mit Dingen um, die vor unserer Zeit im Haus (G1) passiert sind? Fehler müssen nicht wiederholt werden und aus der Vergangenheit können wir lernen. Die Geschehnisse betreffen uns nicht, aber die Geschichte des Hauses, in dem wir uns aufhalten. Daher ist es uns, als neue Generation der G1 wichtig, die Problematik darzustellen, die Betroffenenperspektive zu verstehen und einen Umgang mit alten Konflikten zu finden. In den letzten 5 Jahren ist viel Entwicklung passiert. Oder besser gesagt, nicht einfach passiert, sie wurde erarbeitet:
Als wesentlichen Punkt für einen Wandel sehen wir den Generationswechsel, die Coronapandemie und Zuwachs vieler neuer anderer Menschen in verschiedenen Zeiträumen. Diese neuen Menschen haben neue Denkanstöße mitgebracht, die Grundstimmung hat sich geändert und dadurch hat sich ein Awareness-Bewusstsein entwickelt. Heute sind wir ein selbstverwalteter Jugendclub und Begegnungsort. Wir hinterfragen und sind selbstkritisch: Was mache ich hier eigentlich? Uns ist ein bedachter und gemeinschaftlicher Umgang miteinander in unserem Freiraum wichtig. Zu unserer Carearbeit gehört unter anderem: Auseinandersetzungen mit Problemen, regelmäßige Runden zum Gefühslsaustausch, Raum zum Hinterfragen von toxischem Verhalten und auch Hausverbote. Auch dieses Statement ist ein Versuch die Vergangenheit einzuordnen, daraus zu lernen und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Auseinandersetzungen mit Problemen und Aufklärung werden durch Aktivitäten wie beispielsweise Politcafes, CivilCourage-Treffen, Inforunden und Vorträge umgesetzt. Dabei wird versucht Männliche Dominanz abzubauen um eine kreative Entfaltung zu erleichtern. Außerdem gibt es Konsequenzen bei Übergriffen, welche auf dem Konzept unseres Hauses beruhen. Diese Konzepte wurden in den vergangen Jahren erarbeitet. Es liegt in unserem Interesse damit umzugehen und einen Freiraum zu schaffen.
Wir müssen anerkennen, dass Sexismus und Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft allgegenwärtig sind. In unserem Haus haben wir heute nicht dieselben Probleme wie damals und vor allem nicht in dem Ausmaß. Innerstrukturell haben wir Awareness-Konzepte und Anhaltspunkte für den Umgang mit Übergriffen und auch konkrete Vorstellungen darüber, welche Konsequenzen Tätern bevorstehen, die wir auch umsetzen.
Was bedeutet eigentlich ein Freiraum für uns und für wen wird dieser gestaltet?
Wie wird er genutzt und von wem; und vor allem wofür?
Der bestehende Freiraum in der Gerber 1 ist für jeden willkommen, außer für Cops, Nazis und allgemein übergriffige Menschen (keine abgeschlossene Aufzählung von Gruppen, die wir ausschließen).
Wir arbeiten kontinuierlich daran, dass sich interessierte Menschen hier, unabhängig von Autorität (im körperlichen und psychischen Sinn), kreativ und politisch weiterentwickeln können, ohne von Queerfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus oder Ähnlichem diskriminiert zu werden. Außerdem können sich die Menschen in diesem Haus kritisch reflektieren, weiterentwickeln, gegenseitig unterstützen, Verantwortung für das Haus übernehmen und ihre Persönlichkeit bilden, was zu einem offenen und akzeptierenden Miteinander beiträgt. Dies geschieht durch Mittel wie gemeinsame, persönliche und häusliche Herausforderungen bewältigen, Veranstaltungsplanung, Kreativzeiten, Hausaufgabenhilfen, Verwaltung des Hauses, Spiel und Spaß und ein gemeinsames Interesse für Musik und Kunst der alternativen Szene.
Welche Werte sind uns wichtig und was wollen wir nicht? Wie setzen wir das um?
Die Gerberstraße 1 ist und war schon immer eng mit der linken Szenen verbunden, weshalb wir grundsätzlich antifaschistische und antidiskriminierende Werte und Prinzipien vertreten. Das schließt auch die Kooperation mit den Cops aus.
Darüber hinaus verinnerlichen wir auch mit unserem Konzept eines selbstverwalteten Jugendclubs, auf die Werte und Grenzen anderer zu achten. Das setzen wir um, in dem z.B. Aufgaben im Haushalt und einzelne Dienste nach Kapazitäten aufgeteilt werden. All das geschieht auf Konsensprinzip vor allem im wöchentlichen Plenum, wo wir uns auch über aufkommende Probleme, anhaltende Diskussionsthemen und Care-Arbeit untereinander austauschen. Durch die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung versuchen wir für uns eine Utopie im Kleinen zu schaffen, für die, die unter dem Systemen leiden und sich nach Verständnis sehnen und frei von Gewalt in unserem Haus existieren können. Dazu gehört auch die regelmäßige Reflektion in der Gruppe und das Erlernen von Kritikfähigkeit. Natürlich kommt es auch oft zu Diskussionen, welche wir versuchen gemeinsam, mithilfe eskalationsfreier Herangehensweisen und konstruktiver, gewaltfreier Kommunikation zu lösen. Kommt es häufiger zu Problemen zwischen bestimmten Menschen oder im Haushalt, wird das offen thematisiert und lösungsorientierte Verfahren eingeleitet, wie moderierte Gruppen- oder Einzelgespräche und direkte Aufarbeitung von Fehlern. Wird im schlimmsten Fall nach Bruch des Hauskonsens keine Hilfestellung akzeptiert und keine Reflektionsbereitschaft gezeigt, wird für entsprechende Personen ein Hausverbot ausgesprochen, um die Menschen im Haus bzw. das Haus selbst zu schützen - auch dies geschieht nach Konsens im Plenum.
Einordnung/Fazit
Durch dieses Statement wird der Konflikt, welcher in mehreren Jahren vor 2018 stattfand, wieder zu einem aktuellen Thema für die Betroffenen. Daher ist uns ein kommunikativer, sachlicher und offener Umgang wichtig, um erneute Verletzungen der Betroffenen zu vermeiden und uns klar gegen die damals vorherrschenden Strukturen zu positionieren. Wir möchten benennen, dass die Vorfälle das Haus und Antifaarbeit der Stadt beeinträchtigt haben. Politischer Arbeit wurden Steine in den Weg gelegt. Bis heute sind die Konsequenzen davon (auch für uns) spürbar. Fehlende Antifastrukturen über Jahre hinweg tragen mit Sicherheit dazu bei, dass die heutigen Montagsspaziergänger sich so wohl und sicher fühlen. Oder sich junge Neonazis zusammenrotten und vor der Gerber 1 pöbeln. Hier möchten wir noch explizit unser Mitgefühl für alle aussprechen, die unter den Zuständen und dem strukturellen Versagen gelitten haben. Vor allem den Betroffenen und der politischen Szene.
Unsere Meinung zu der allgemeinen Lage ist:
Als beteiligter Ort der Geschehnisse in diesem Konflikt und als Politisches Haus haben wir uns dazu entschieden dieses Statement zu verfassen und uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Meisten, die dieses Statement erarbeitet haben, haben zum ersten Mal von dem Konflikt erfahren und sich dem zu folge zum ersten Mal mit diesem auseinandergesetzt. Dennoch möchten wir hervorheben, dass die G1 solches Verhalten und solche Zustände schon lange nicht mehr duldet.
Wir finden schade, dass Folgendes keine Erwähnung im öffentlichen Outcall (der Band Raufasertapete) gefunden hat: Die Vorfälle sind über 5 Jahre her. Wir wissen nicht, ob in der Nachricht an die Band konkrete Situationen beschrieben wurden. Wir finden auch schade, dass die Person X kein Bezug zu ihrem eigenen Verhalten genommen hat, da sie mehrfach physische Gewalt ausgeübt hat, Wutausbrüche hatte und anderen Menschen mit dem Tod gedroht hat. Auch das Machtverhältnis aufgrund des Altersunterschieds hat eine einschüchternde Wirkung auf das Umfeld gehabt.
Die Darstellung, dass wir aktuell ein massives Täter(schutz)problem in der Gerber 1 hätten, ist schlichtweg nicht der Fall. Wir dulden Grenzüberschreitungen nicht und setzen Hausverbote in die Tat um, wenn Übergriffe passieren. Heute herrscht ein konsequenter Umgang und eine andere Realität als vor über 5 Jahren. Auch im Gespräch wurde dies schon geschildert.
Leider sahen wir uns im Verlauf der Ausarbeitung unseres Statements auch mit dem aggressiven Verhalten der Person X konfrontiert, als wir mit ihr in Kontakt standen. X hat uns, ohne die heutige Generation der Jugendlichen überhaupt zu kennen oder zu wissen, wie unser aktueller Arbeitsstand ist, Sprachnachrichten geschickt. Diese beinhalteten z.B. den Satz: „Ihr habt ausgedrückt, was ihr seid, was ihr wollt und was ihr macht: Eigentlich gar nichts.“
Das hat uns verletzt, da Person X uns damit unsere Konzepte und die Arbeit der letzten Jahre abgesprochen und uns als „Nichts“ abgewertet hat. Besonders schade ist es für uns in dem Punkt, dass wir in den letzten Wochen im Rahmen unserer Möglichkeiten versucht haben einen Umgang zu finden, und das scheinbar nicht ausreicht, um zumindest nicht mit aggressivem Tonfall konfrontiert zu werden.
Wir gestehen ein, dass es strukturelle Probleme gab und kaum Konzepte vorhanden waren, um Gewalt und Übergriffen entgegenzutreten. Wir verurteilen alle Übergriffe, die passiert sind. Wir nehmen Aussagen von Betroffenen in jedem Fall ernst, auch wenn Vorfälle lange Zeit zurück liegen (ein langer Zeitraum macht Vorfälle ja nicht ungeschehen oder weniger problematisch).
Nach wie vor sehen wir eine große Veränderung und arbeiten kontinuierlich weiter unsere Konzepte aus.
Wir sind überzeugt davon, dass wir heute in der Gerberstraße 1 einen Zustand etabliert haben, der Gewalteskalationen in diesem Ausmaß nicht zulässt.
Eure Gerber 1