Geschichte. Gedenken. Ideologie. Eine Kritik anlässlich des 70. Jahrestags der Bombardierung Freiburgs.

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Am Abend des 27. November 1944 erfolgte ein Luftangriff auf die Stadt Freiburg im Breisgau, bei dem knapp 2800 Menschen ums Leben kamen. Orientiert man sich an der gegenwärtigen Berichterstattung der führenden Freiburger Tageszeitung „Badische Zeitung“ oder am offiziellen Gedenkband „Dem Vergessen entreißen“, der vor kurzem anlässlich des 70. Jahrestages der Bombardierung im Rombach-Verlag erschien, drängt sich der Eindruck auf, die Bomben wären aus heiterem Himmel auf eine friedliche, vom Zweiten Weltkrieg gänzlich unberührte Studenten- und Lazarettstadt gefallen. Tatsächlich fielen die Bomben nicht vom Himmel, sondern aus Flugzeugen der Royal Air Force. Dass diese an jenem Herbsttag über Freiburg flogen, hatte seine Gründe: Die Bomben gingen auf eine Stadt nieder, deren Bevölkerung in weiten Teilen, wie im restlichen Deutschen Reich, dem Nationalsozialismus auch im Angesicht der sicheren Niederlage bis zum Äußersten die Treue hielt. Während die alliierten Piloten über Freiburg ihr Leben riskierten, liefen im Osten die Vernichtungslager auf Hochtouren. Der Versuch, die alliierten Luftangriffe vom deutschen Vernichtungskrieg zu trennen, sie gänzlich zu entkontextualisieren, sie zu einer Art Naturkatastrophe zu verklären und am Ende mit den beispiellosen deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg sogar gleichzusetzen, ist als solcher zu benennen und zu kritisieren. Es ist das Ziel dieser Broschüre, diese Kritik zu leisten.

Es geht uns nicht darum, zu behaupten, alle Toten des Angriffs hätten „bekommen, was sie verdient haben.“ Unser Ziel ist es nicht, das private Betrauern verstorbener Verwandter oder Freund*innen als grundsätzlich falsch (oder per se richtig) darzustellen. Es geht uns nicht darum, eine eindeutige ethische Bewertung aller Aspekte des alliierten Luftkriegs abzugeben. Auch wenn wir uns einer pauschalen Diffamierung dessen als „Kriegsverbrechen“ entschieden entgegenstellen, weil sie im Kontext des Zweiten Weltkriegs eine Gleichsetzung mit dem deutschen Vernichtungskrieg nahelegt. Es geht uns vielmehr darum, politische und historische Deutungen zu kritisieren, die auf der Ausblendung und Verschleierung wesentlicher historischer Tatsachen beruhen. Außerdem wollen wir im Folgenden versuchen, diesen – im „offiziellen Gedenken“ ausgeblendeten – Kontext herzustellen, indem wir auf den Zusammenhang zwischen Vernichtungskrieg, Volksgemeinschaft und alliiertem Luftkrieg eingehen und diesen sowohl historisch als auch theoretisch beleuchten.

Zunächst wird auf den bereits erwähnten Gedenkband „Dem Vergessen entreißen“ eingegangen (2.). Wir stellen dar, wie sich die Ausblendung des historischen Kontexts sowie die offene Verklärung und Beschönigung des Nationalsozialismus darin widerspiegeln. Ferner kritisieren wir die grundlegende Konzeption des Bandes und die sich aus seiner Veröffentlichung ergebenden politischen Implikationen.

Anschließend werden die historischen Hintergründe des alliierten Bombenkriegs dargestellt (3.). Wir ordnen ihn als das ein, was er war: eine verzweifelte Reaktion auf den deutschen Vernichtungskrieg. Außerdem thematisieren wir den fanatischen Durchhaltewillen der Deutschen, der sich nur durch die Verinnerlichung der nationalsozialistischen Ideologie in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung erklären lässt.

Im folgenden Kapitel (4.) gehen wir auf das ideologische Konzept der Volksgemeinschaft ein, als deren Kern wir in unserer Analyse den Antisemitismus herausarbeiten. In einem angeschlossenen Exkurs werden wir dem Zusammenhang von Kapitalismus, moderner Vergesellschaftung, Volksgemeinschaft und Antisemitismus nachgehen.

Das Kapitel „Erinnern und Verdrängen“ (5.) kritisiert die Berichterstattung der Badischen Zeitung über den Bombenangriff vom 27.11.1944. Davon ausgehend ordnen wir diese Berichterstattung in den Kontext aktueller geschichtspolitischer Entwicklungen in der BRD ein: Denn die BZ steht mit ihrer Geschichtsvernebelung nicht alleine da. Sie reiht sich, ganz im Gegenteil, in den gegenwärtigen deutschen Geschichts- und Gedenkdiskurs ein und liegt damit voll im Trend. Wie der weithin bejubelte ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, Unsere Väter“ exemplarisch belegt, ist aktuell nichts weniger das Ziel, als die Begriffe „Täter“ und „Opfer“ im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus jedweder Bedeutung zu berauben. An ihre Stelle soll ein ethisches Einerlei treten, in dem „auch die Opfer [...] irgendwo Täter und die Täter [...] irgendwo Opfer [sind]“, wie Arnulf Baring im Anschluss an die Ausstrahlung des genannten Machwerks in Markus Lanz‘ Talkshow unwidersprochen formulieren durfte. Diese besorgniserregende Tendenz soll im letzten Kapitel aufgezeigt werden.

Wir hoffen mit den folgenden Texten in dieser Stadt und darüber hinaus zum Nachdenken anzuregen und freuen uns über Kritik, Anregungen und Rückmeldungen. •

  

Antifaschistische Initiative Freiburg im November 2014

 

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