Antimilitaristischer Workshoptag: Bericht und Audiomittschnitt
Am 10. November 2018 – fast taggenau 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs – trafen sich 50 bis 60 Antimilitarist*innen, um auf einem von der Initiative NoWar Berlin organisierten Workshoptag in Berlin über „Antimilitaristische Perspektiven“ zu diskutieren. In zwei Phasen á drei Workshops diskutierten die Teilnehmer*innen über verschiedene aktuelle Aspekte und Konsequenzen von Krieg, Militarisierung, der kriegerischen Außenpolitik der BRD und die Rolle der Bundeswehr. Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion mit Teilnehmer*innen von NoWar, dem (nomadischen) Antikriegscafé und dem Arbeitskreis Internationalismus aus Stuttgart, auf dem mit den Teilnehmer*innen Möglichkeiten antimilitaristischen Widerstands gegen den steigenden Militarismus unserer Zeit diskutiert wurden. Zwischen den Programmpunkten gab es genügend Raum und Zeit, sich bei lecker Kaffee, Keksen, Kuchen und Vokü der Küchen-Crew kennenzulernen, auszutauschen und Bündnisse zu schmieden.
Im folgenden dokumentieren wir die Ergebnisse der einzelnen Programmpunkte. Grundlage dafür bilden Zusammenfassungen, die nach jeder Workshopphase gegeben wurden.
Workshop-Phase 1
Türkei, Deutschland und Krieg in Kurdistan
In dem Workshop von Tatort Kurdistan und Menschen des diesjährigen Rheinmetall-entwaffnen!-Camps in Unterlüß wurde über die Rolle des Rüstungskonzerns Rheinmetall im türkischen Krieg gegen Kurdistan allgemein und in Afrin im speziellen berichtet. Besonders hervorgehoben wurde die lange Geschichte der Kooperation von Rheinmetall mit dem türkischen Militär, die über 130 Jahre zurückreicht. Außerdem wurde vom Camp und den in dessen Rahmen stattfindenden Aktionen berichtet. In der Diskussion ging es vor allem darum, wie den kriegerischen Aktivitäten Rheinmetalls begegnet werden kann. So wurde zum Beispiel auf die alljährlich in Berlin stattfindende Aktionärsversammlung verwiesen, die 2019 am 28. Mai stattfinden wird. Außerdem wurde angekündigt, dass ein zweites Rheinmetall-entwaffnen!-Camp im August/September nächstes Jahr stattfinden wird. Zudem wurde die Frage diskutiert, wie die über 80 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen, die gegen Waffenexporte sind, mobilisiert werden können, um aktiv dagegen auf die Straße zu gehen.
Feministische Militärkritik
Leitfrage des Workshops war „Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Patriarchat und Krieg?“ Als Antwort wurde zunächst festgestellt, dass Militär grundsätzlich immer patriarchal strukturiert ist, genauso wie die Gesellschaft in der wir leben auch. Da sich beide wechselseitig beeinflussen, werden die patriarchalen Verhältnisse durch das Militär verfestigt. Durch den Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe finden dies ihren grausamsten Ausdruck. Als Gegenbeispiele zum patriarchalen Militär wurden bewaffnete Befreiungsbewegungen wie die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten der YPG und die mexikanischen Zapatistas genannt. Nach dem Input von NoWar wurde die Frage diskutiert, wie eine feministische Position gegen Krieg und Militär aussehen kann und welche Positionen zu kritisieren sind. Während der Diskussion wurde die Rolle von Frauen* im Militär kontrovers diskutiert. Die eine Position lautete, dass sich konsequenter Antimilitarismus gegen Frauen* im Militär positioniert, die andere das konsequenter Feminismus für den Zugang von Frauen* zum Militär eintreten müsse. Ein Vorschlag einer Synthese lautete, dass mensch für den freien Zugang aller zum Militär sein und mensch sich gleichzeitig dafür einsetzen müsse, das Militär abzuschaffen. Zum Schluss wurde die Frage diskutiert, welche Möglichkeiten einer antipatriarchalen Praxis es innerhalb der antimilitaristischen Bewegung gibt. Genannt wurde vor allem, eigene Frauen*organisationen und FLTI*-Strukturen zu stärken. Als positives Beispiel wurde das Frauen-Lesben-Widerstandscamp in den 1980er Jahren im Hunsrück genannt. Perspektivisch sollte dieses als Beispiel dafür dienen, FLTI*-Räume bzw. Strukturen auf antimilitaristischen Camps zu stärken, um auf die Verknüpfung von Patriarchat und Militär einzugehen und um die Männerdominanz in Bündnissen und bei Aktionen zu durchbrechen.
»Die Schlacht ums menschliche Gehirn hat begonnen«
Der Workshop des (nomadischen) Antikriegscafés Berlin hatte zum Ziel, in das Thema „Ritualisierte Gewalt“ einzuführen. In einem historischen Rückblick wurde dafür zunächst auf das CIA-Programm MK-ULTRA eingegangen, an dem neben den USA auch Kanada und Großbritannien beteiligt waren und das auf Forschungen des Naziregimes zurückgriff. Vor dem Hintergrund des Nordkoreakrieges war eines der Ziele dieses Projekts, aus dem Krieg heimkehrende Soldaten vor feindlichen psychischen Einflüssen (der sogenannten „Gehirnwäsche“) zu schützen und letztendlich den perfekten Soldaten zu schaffen. Ziel ritualisierter Gewalt ist es, Menschen zu kontrollieren. Sie beinhaltet alle Formen der Gewalt: physische, psychische und sexualisierte. Systematisch angewandte Folter führt zur Veränderung des Bewusstseins. Es werden Triggerpunkte geschaffen, um Persönlichkeitswechsel zu veranlassen, damit Menschen Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun würden. In der Diskussion des Workshops wurden vor allem Nachfragen zum umfangreichen und komplexen Thema gestellt und die Workshopteilnehmer*innen teilten und diskutierten eigene Erkenntnisse zum Thema ritualisierter Gewalt im militärischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Bereich.
Workshop-Phase 2
Fluchtursachen bekämpfen
In diesem Workshop des Arbeitskreis Internationalismus Stuttgart wurde der Zusammenhang von Kapitalismus und Flucht in den Vordergrund gestellt. Der Kapitalismus ist der Drang nach Gewinnmaximierung und nach menschlichen und natürlichen Ressourcen inhärent. Deshalb ist im Kapitalismus kein Frieden möglich und Krieg ist immer eine Fluchtursache. Deshalb bedeutet Fluchtursachen bekämpfen immer auch den Kapitalismus abzuschaffen. Nach dem Input wurde die Frage diskutiert, wie mensch sich vor Ort gegen Krieg und Kapitalismus organisieren kann. Mensch kann sich zum Beispiel in Anti-Kriegs- und Geflüchteten-Strukturen engagieren und sich zusammen mit Geflüchteten organisieren. Es können internationale und antimilitaristische Strukturen aufgebaut werden. Dazu sollen solidarische Beziehungen mit fortschrittlichen Organisationen in anderen Ländern aufgebaut werden. Hierzulande kann Deutschland als Kriegstreiber enttarnt und gegen den militaristischen Normalzustand interveniert werden. Zum Beispiel indem mensch Demos und Kundgebungen etc. organisiert.
Jobcenter und Bundeswehr gemeinsam gegen den Frieden
Im Inputteil des Workshops der Berliner Erwerbsloseninitiative BASTA! wurde über die große Nähe der Bundeswehr zur Bundesagentur für Arbeit berichtet. Es gibt sowohl personelle, institutionelle (die Führungsakademie der Bundeswehr und der Führungskompass der Bundesagentur für Arbeit) und konzeptionelle (Kooperationsvereinbarungen) Überschneidungen. Dadurch wird der Druck auf Menschen in prekären Situationen verstärkt, sich bei der Bundeswehr zu bewerben. Dafür gibt es massive Werbekampagnen. Vor allem Menschen ohne Schulabschluss sind im Visier der Werbung fürs Töten und Sterben. In der Diskussion des Workshops waren neben der zunehmenden Bundeswehrpräsenz an Schulen mögliche Gegenmaßnahmen zur Bundeswehr im öffentlichen Raum Thema. Dabei wurden Adbusting, das Stören von Bundeswehrveranstaltungen und Aufklärung darüber, dass Soldat*in kein normaler Beruf ist, genannt. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob es Sinn machen könnte, zur Bundeswehr gehen. Eine Position besagt, dass mensch als Soldat*in in der Bundeswehr das System von innen angreifen könne. Die Gegenposition dazu lautete, dass sich mensch in den militärischen Strukturen der Bundeswehr so verändert, dass mensch an Protest nicht mehr denken wird.
Militärische Digitalisierung
Der Input des (nomadischen) Antikriegscafés Berlin behandelte verschiedene Aspekte, wie die Digitalisierung Militär und Kriegsführung verändert und verschaffte zunächst einen allgemeinen Überblick darüber, was Digitalisierung auf militärisch bedeutet. Neben der sich verändernden Organisationsstruktur Militär und Kriegsführung wurde dabei auch auf die wesentlichen Akteur*innen aus der Wirtschaft eingegangen. Neben großen Technologie-Firmen wie Google, Microsoft und Amazon wurden dabei auch vergleichsweise kleine Unternehmen wie SAP und Palantir als Kollaborateure genannt und darauf hingewiesen, dass es auch militärisches Interesse an sogenannten StartUps gibt. Anschließend wurde konkret auf die Digitalisierungsbestrebungen der Bundeswehr eingegangen. Neben dem seit 2017 für den Cyberkrieg der Bundeswehr zuständigen „Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum“ wurden Bestrebungen der Bundeswehr genannt, Verbindungen in die Digital-Wirtschaft zu knüpfen, wie zum Beispiel mit dem „Cyber Innovation Hub“ in die StartUp-Szene. Zum Schluss wurde auf die verschiedenen Social-Media-Präsenzen der Bundeswehr eingegangen, die vor allem dazu dienen, nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 neue Soldat*innen zu rekrutieren. Abschreckendstes Beispiel ist dabei die WhatsApp-Serie „KSK“. In der Diskussion ging es vor allem um die Frage, wie mensch gegen militärische Digitalisierung und Rekrutierung im Internet aktiv werden könne. Neben antimilitaristischen Informationskampagnen im Internet wurde dabei immer auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich im analogen Leben zu organisieren, um deutliche Zeichen gegen die Bundeswehr im virtuellen wie im realen öffentlichen Raum setzen zu können.
Abschlussdiskussion zu Antimilitaristischen Perspektiven
Am Podium Abschlussrunde des Workshoptages nahmen Vertreter*innen vom Arbeitskreis Internationalismus Stuttgart, der Initiative NoWar Berlin und dem Berliner (nomadischen) Antikriegscafé teil, die zu Beginn ihre Gruppen Aktivitäten kurz vorstellten. Anschließend beantworteten sie Fragen zum Verhältnis von Kapitalismus und Krieg, ihrer antimilitaristischen Perspektive und danach, welche konkreten praktischen Initiativen gegen Krieg und Militarisierung zukünftig auf der Agenda antimilitaristischer Praxis stehen sollten. Die Antworten im einzelnen dokumentieren wir in einem Audiomitschnitt. Tenor der Antworten war, dass es in Zeiten zunehmender Militarisierung notwendig ist, sich in antimilitaristischen Basisgruppen, die sich klar gegen reaktionäre und rechte Bestrebungen abgrenzen, zu organisieren und eine deutliche Ablehnung von Krieg und Kapitalismus, Militarisierung und Patriarchat in die Öffentlichkeit zu tragen. Antimilitarismus wurde dabei von keine*r der Teilnehmer*innen als bloße Ein-Punkt-Bewegung verstanden, denn eine Welt ohne Krieg und Militarismus ist ohne die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse nicht denkbar. Die Antworten auf die Frage nach zukünftigen antimilitaristischen Initiativen waren vielfältig. Im wesentlichen wurde auf der einen Seite internationale Solidarität mit fortschrittlichen Kräften in Kriegsgebieten wie beispielsweise in Kurdistan als möglicher Aktivitätsschwerpunkt genannt, wie ein Vertreter von Tatort Kurdistan in einem Statement vor allem mit Blick auf Rojava betonte. Auf der anderen Seite wurde der Blick auf die Verhältnisse hier gerichtet und betont, dass hier in der BRD der Krieg beginnt und es auch hier genug Ansatzpunkte für antimilitaristisches Engagement gibt, wie zum Beispiel Militärtransporte oder – wie die Erwerbsloseninitiative BASTA! feststellte – im Alltag gegen die Rekrutierungsbestrebungen der Bundeswehr vorzugehen. Einig waren sich alle, dass beide Seiten der antimilitaristischen Medaille auf dem nächsten Rheinmetall-entwaffnen!-Camp in Unterlüß nächstes Jahr zusammengebracht und diskutiert werden können.