Greece: Staatstrauer mittels Tränengas, Gesellschaft wehrt sich

Regionen: 

Nach dem schwersten Zugunglück in Griechenland am Dienstag Abend, 28. Februar, hatte das Mitsotakis-Regime eine dreitägige Staatstrauer verkündet und seitdem ausgiebig mit chemikalischen Kampfstoffen gegen Protestkundgebungen zelebriert. In Athen und Thessaloniki kam es täglich zu Auseinandersetzungen.

Ein Intercity von Athen nach Thessaloniki prallte bei der Ortschaft Tembi frontal auf einen entgegenkommenden Güterzug. An Bord waren ungefähr 350 Menschen, überwiegend Studierende auf dem Rückweg nach einem verlängertem Wochenende. 57 Tote wurden bislang geborgen, zahlreiche Menschen werden noch vermisst. Viele verbrannten in den ersten Waggons, die in Flammen aufgingen. Der Stationsvorsteher von Larissa wurde festgenommen, er hatte die Züge eine Viertelstunde aufeinander zufahren lassen.

Was die Gesellschaft aufbringt, sind die technischen Details und ihre politischen Ursachen. Betreiber der Zugverbindung ist Hellenic Train, die im Rahmen des Privatisierungspakets öffentlicher Betriebe, im Jahr 2017 an die Italienische Eisenbahngesellschaft verscherbelt wurde. Die dabei getätigten Investitionen wurden aber nicht in zeitgemäße Sicherheitstechnik gesteckt, scheinbar waren auf der Strecke keine Signalanlagen oder andere technische Sicherungen vorhanden. Die Gewerkschaft der Eisenbahner hatte deshalb seit Jahren vor solch einem Unfall gewarnt, war aber von der Regierung nicht ernst genommen worden. Das Personal der Bahn ist seit dem Unglück im Streik.

Die Anzahl der Toten, ihr jugendliches Alter und die Vermeidbarkeit des Unfalls haben die griechische Gesellschaft, die ansonsten durch Waldbrände, Überschwemmungen und Polizeigewalt in Bezug auf Katastrophen etwas abgestumpft erschien, aufgebracht. Eine am Mittwoch spontan mobilisierte Trauerkundgebung vor der Zentrale der Eisenbahngesellschaft wurde von MAT angegriffen, nachdem einige Scheiben zu Bruch gingen. Die folgende Demonstration zum Parlament wurde mit der üblichen Mischung aus Tränengas und Blendschockgranaten zerschlagen.

Video: https://www.youtube.com/watch?v=jOfugylYyqk

Am Donnerstag versammelte sich eine große Menschenmenge trotz strömendem Regen auf dem Syntagma Platz und demonstrierte zum Bahnhof von Athen. Aufgerufen hatte u.a. die „Gesamtkünstlerische Mobilisierung“, von der momentan die Besetzungen kultureller Einrichtungen, wie dem Theater Rex, ausgehen. Diese Besetzungen richten sich gegen die Abwertung der künstlerischen Bildungsabschlüsse. Aus ihrem Aufruf:

„Nach der heutigen Tragödie ist es völlig verständlich, dass die für morgen geplante Demonstration ihren Inhalt ändert. Die Kunstbewegung kann nicht gleichgültig bleiben angesichts eines Verbrechens, das sich seit Jahren gegen die unteren Schichten richtet und sich auf die schlimmste Art und Weise manifestiert hat. Die ständige strategische Abwertung jedes öffentlichen Gutes, jeder öffentlichen und kostenlosen Dienstleistung ist eine konstante politische Haltung sowohl in diesem Land als auch in der gesamten großen westlichen Zivilisation, in der das kapitalistische System dominiert. Es ist dieselbe ideologische Matrix, aus der die Verschlechterung aller Aspekte unseres Lebens (Gesundheit, Bildung, Kultur) entspringt, die solche tragischen Ereignisse hervorbringt. Menschen werden auf dem Altar des Profits ermordet.
Es ist eine tragische Ironie, dass der Premierminister heute das nordgriechische Eisenbahnnetzleitzentrum besuchen sollte, wo er öffentlich die Privatisierung der OSE loben wollte.

Die Verantwortung ist sicherlich nicht individuell … Und die politische Verantwortung drückt sich nicht in Resignation und Krokodilstränen aus, vor allem, wenn die inakzeptablen Bedingungen seit Jahren bekannt waren, wie die Arbeitnehmer selbst in einer Erklärung am 7.2.2023 mitteilten.

Aus den genannten Gründen bekräftigen wir den bereits bestehenden Aufruf zu den morgigen Demonstrationen und laden die ganze Welt ein, sich ihnen anzuschließen, auch wenn es dabei nicht nur um kulturelle Fragen, sondern um die Verarmung unseres Lebens im Allgemeinen gehen wird.“

Die Bullen ließen sich zunächst nicht blicken, aus einem unerfindlichen Grund verschonte die Demo auf ihrem Weg die berüchtigte Mord- und Folterwache in Omonia. Der Bahnhof war von Bullen abgeriegelt, auch auf diese Provokation ging die Demo nicht ein. Lediglich am Endpunkt kam es zu einem kurzen Scharmützel mit MAT, die noch schnell Gas in eine Metrostation warfen.

In Thessaloniki ebenso Demonstrationen im Tränengas: https://www.youtube.com/watch?v=IKA_6wfEWds , dort Angriff auf Polizeiwache: https://twitter.com/partizanGreece1/status/1631420883494379525

Für den gestrigen Freitag hatten fast alle gesellschaftlichen Sektoren, die nicht völlig apathisch sind, zu einer Demonstration vor dem Parlament, wie auch in den meisten anderen Städten des Landes, aufgerufen. Der Syntagma war so voll wie schon lange nicht mehr und irgendwann wurden die zum Schutz der Regierung abgestellten Linien der Polizei mit reichlich Feuer und Steinen angegriffen. Die Wut von Vielen hat sich entladen, es gab Beifall von den anderen Blöcken, die nicht wie sonst sofort die Flucht ergriffen. Mehr Bullen wurden ins Rennen geschickt, eine DELTA Staffel überschätzte ihre Kräfte und wurde von der Menge auseinander genommen, dann tauchte MAT das ganze Zentrum in Tränengas und räumte jeden Protest, inklusive Shopping people und Touris, aus der Einkaufsmeile Ermou. In Monastiraki stiegen Rauchwolken auf, während die obligatorische Drohne ihre Runden drehte.

Video: https://twitter.com/vedatyeler_/status/1631725978950017038
            https://twitter.com/partizanGreece1/status/1631738709438607361
            https://twitter.com/partizanGreece1/status/1631729086837006344
    

Zwar versucht die Presse den Widerstand herunterzuspielen, doch für Mitsotakis und die ND kommt das Zugunglück zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, angeblich denken sie sogar über eine Verschiebung der Wahlen im April nach. Tatsächlich wirkt die Kaste der politischen Eliten überrascht, dass ihre Gier – hier auf Kosten der Bahnsicherheit – von Teilen der Gesellschaft als Mord bezeichnet wird. Mit dem Rücktritt einer korrupten Figur, die bislang den Transportminister mimte und dem Einsatz der Bereitschaftspolizei, zeigt das Regime eine Einfallslosigkeit, die hoffentlich nicht mit Erfolg belohnt wird.

Bilder: 
webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen