(B) Politikunfall Rigaer Straße 4 Ever
Am Montag Abend versuchten die SPI-Stiftung, Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt und Sigmar Gude (asum GmbH) unter dem Deckmantel einer „Kiezversammlung“ eine bezirkseigene Informationsveranstaltung im Jugendwiderstandsmuseum in der Rigaer Straße durchzuführen. Eingeladen waren offensichtlich nur wenige Ausgewählte, die die SPI vorher mit E-mail angeschrieben hatte. Aushänge gab es in der Straße nicht.
Es blieb jedoch bei dem Versuch. Kurz vor der Veranstaltung wurden engagierte Anwohner_innen auf diese aufmerksam, sammelten sich daraufhin in der Galiläakirche und begannen die Diskussion von sich aus, ohne auf die Veranstalter_innen zu warten. Florian Schmidt wurde an diesem Abend keine Gelegenheit gegeben, sich die Macht über die Situation anzueignen, wie er dies z.B. mit dem Ruf nach einem Mikrofon verlangte, und die Diskussion nach seinem Willen zu strukturieren. Weil seine Autorität als Politiker nicht anerkannt wurde, verlor er einige Male die Selbstbeherrschung. Die Fassade des moderaten basisdemokratischen Politikers bröckelte und lenkte den Blick darauf, wie jemand versuchte mit aller Mühe seine Macht zu erhalten. Nach einer Stunde Diskussionen sahen die Veranstalter_innen schließlich ein, dass die Anwesenden nicht nach ihrer Pfeife tanzen würden und beendeten die von ihnen geplante Veranstaltung, bevor sie überhaupt dazu gekommen waren, ihre Präsentation vorzuführen. Wenn die Veranstalter_innen die Bewohner_innen des Kiezes informieren wollten, warum haben sie dann nicht ihre Informationen vor Ort gelassen? Ihre Schriften verteilt, ihre Präsentation Allen zur Verfügung gestellt? Rein rhetorische Fragen, denn allen selbst denkenden Menschen müsste klar sein: es geht nicht darum, Informationsgleichheit herzustellen.
Eigentlich nur ein Moment unter vielen anderen, in dem Menschen dem Geschwafel der Politiker_innen nicht zuhören wollen und sich als rebellischer Kiez gegen staatliche Herrschaft wehren. Da es aber nicht ein CDU-Hardliner oder ein schon als profilierungssüchtig bekannter Tom Schreiber gewesen war, sondern ein Grünen-Politiker, der sich in letzter Zeit vor allem durch den bezirkseigenen Hauskauf versuchte, in der Mieter_innenbewegung zu profilieren, ist die Aufregung danach eine andere.
Also sagen die einen „er ist doch eigentlich auf unserer Seite“ oder „der will doch nur Gutes“. Jedoch, das Vorgehen der linken Parteien gegen selbstorganisierte und rebellische Strukturen ist weniger sichtbar als das der rechts-konservativen Parteien, aber nicht minder gewalttätig und weitaus gefährlicher, da es eben oft nicht als solches erkannt wird. Es ist der Kurs der Integration, der parteipolitischen Integrierung von Widerstand, um Einfluss auf diesen zu nehmen und ihn in „böse“ und „gut“ zu spalten, in Verhandler und Nicht-Verhandler, in friedlich und gewalttätig, in Chaot_innen und vernünftige Bürger_innen. Getreu dem alten Motto „teile und herrsche“. Es lassen sich einige konkrete Beispiele unter vielen dafür nennen. Zum Beispiel stellt Florian Schmidt Gelder des Bezirks für die Kreuzberger Initiative Bizim-Kiez bereit, um gemeinsam mit ihnen in den schwelenden Konflikt um den Google Campus in Kreuzberg zu intervenieren und zu befrieden, damit sich nicht „Kiezaktivisten durchsetzen, die sich einem Dialog mit Google und Co verweigern und stattdessen darauf setzen, diese zu vertreiben“(Bizim-Kiez Leaks http://lowerclassmag.com/2018/04/bizim-leaks-die-manager-der-befriedung/ ). Mitte Juli lässt er in einem Zeitungsinterview zur Entwicklung des RAW-Geländes arrogant verkünden, was er von Selbstorganisierung hält: „Mitreden und den Stadtrat beeinflussen. Das wollen auch die üblichen Berliner Aktivisten Gentrifizierungsgegner und Entsandte von Betroffenen-Gruppen. Schmidt weiß längst, wie man mit ihnen umgehen muss: reden lassen, zuhören, gelegentlich hart kontern – und ankündigen, dass sich nun die Politik wieder damit befassen wird.“
Es ist der Beruf eines Politikers, Konflikte zwischen den Ausgebeuteten und den Ausbeuter_innen zu moderieren um die bestehende Ordnung zu erhalten und Profit und Eigentum zu schützen. Der soziale Frieden ist oberstes Ziel, denn die Wut der Menschen gegen Verdrängung, Kontrolle und soziale Kälte wächst. In den letzten Monaten ist zum Beispiel die #besetzen Kampagne zu einem Kristallisationspunkt radikaler Kämpfe um die Wohnungsfrage geworden. Auch nach den letzten Besetzungen in Kreuzberg und Moabit äußerten linke Politiker_innen in den Massenmedien ihre Unterstützung und versuchten auch direkt vor Ort in den Konflikt zu intervenieren, um sich als Ansprechpartner_innen einer wütenden Bewegung zu inszenieren. Es ist unsere Aufgabe, sie aus unseren Kämpfen konsequent zu vertreiben. So dass sie gar nicht erst Fuß fassen können, um den einen gnädig Brotkrumen hinzuwerfen und den anderen ihre uniformierten Schläger zu schicken, je nachdem wie es die parteipolitische Linie für sinnvoll zur Erhaltung der bestehenden Macht hält. In unseren Kämpfen um rebellische Orte, Kieze, Momente muss uns klar sein, dass wir diese niemals mit Berufspolitiker_innen führen sondern gegen sie.
Sigmar Gude
Sigmar Gude ist Gründungsmitglied des Berliner Stadtplanungsbüros Topos. Als Sozialwissenschaftler forscht er seit vielen Jahren zu „sozialen Verdrängungen in Berliner Innenstadtbezirken“. Sein momentaner Arbeitgeber, die asum GmbH ist seit 1991 beim Bezirk Friedrichshain angestellt, für die „umfassendere Steuerung von sozialen Prozessen in der städtebaulichen Erneuerung“ (https://www.asum-berlin.de/ueber-asum/). Im März 2018 nahm er zusammen mit führenden Immobilienfirmen wie Ziegert am Berliner Immobilienkongress an einem Podium teil (https://www.berliner-immobilienkongress.de/programm/).
SPI
Das Sozialpädagogische Institut „Walter May“ (SPI) wurde nach dem rebellischen Sommer 2016 vom Bezirk beauftragt, einen „Dialogprozess“ im Kiez zu veranstalten zum Zweck der Befriedung des Kiezes.
Worterklärung Pädagogik: „Technik“, „Kunst“ oder „Wissenschaft“ der Kindesführung
Kiezversammlung
Die ersten Kiezversammlungen fanden Anfang 2016 unter den Eindrücken der Belagerung des Kiezes durch die Bullen und der täglichen Gewalt gegen die Bewohner_innen rund um die Rigaer Straße statt. Anfangs trafen sich um die 250 Menschen um eine Basis für Diskussionen und Organisierung zu schaffen. Man lernte sich kennen, es bildeten sich Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen im Kiez, weitere selbstorganisierte Kiezversammlungen fanden statt. Auch damals wurde von Politiker_innen versucht, den offenen Austausch zu instrumentalisieren, für den eigenen Vorteil zu nutzen, sich über andere zu stellen und Politik damit zu machen, z.B. durch die Grünen-Politikerin Canan Bayram. Sie nutzte die Kiezversammlung als eigenes Aushängeschild für Wahlpropaganda. Daraufhin wurde durchgesetzt, dass sie als Parteipolitikerin die Versammlung verlässt. Die nächste Kiezversammlung zur anstehenden Verteidigung der Liebig34 findet am 28. Oktober statt.
Trotz geheuchelter Selbstkritik daran, dass das Wort Kiezversammlung durch ihn mißbraucht wurde, will Schmidt am Format der fehlgeschlagenen Veranstaltung festhalten. Er hat bereits angekündigt, wieder zu kommen und auch beim nächsten Anlauf keine Polizei mitzubringen. Für uns ist klar, dass Florian Schmidt in diesem Fall klar und deutlich der Weg durchs Frankfurter Tor gewiesen werden muss. Dann wäre die solidarische Mithilfe berlinweiter Strukturen sinnvoll.