Kassel: Recherche zu Reservistenkameradschaft, AfD und CDU
Dieses Jahr gibt es mal wieder Streit um den Volkstrauertag in Kassel. Die Reservisten der Bundeswehr in Kassel würden gerne, wie sonst jedes Jahr, am „Ehrenmal“ im Auepark der getöteten NS-Kriegsverbrecher der Wehrmacht gedenken. Das grün-geführte hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst dagegen steht militärischen Zeremonien am „Mahnmal“ skeptisch gegenüber und sieht den Ruf von Stadt und Bundeswehr in Gefahr. Wir wollen – statt uns an dem Selbstgespräch deutscher Erinnerungspolitik zu beteiligen – den diesjährigen Volkstrauertag zum Anlass nehmen, die Verflechtung der Reservistenkameradschaft in die politische Landschaft Kassels aufzuzeigen. Dabei lässt sich ein durchaus typisches Bild zeichnen: Die Schnittmenge von Militarismus und Nationalismus führt hier rechtskonservative CDU mit Faschisten aus AfD und Burschenschaften zusammen.
Das „Kurhessische Ehrenmal“
Bis 2021 fand jährlich eine Veranstaltung der Reservistenkameradschaft Kassel zum Volkstrauertag am „Kurhessischen Ehrenmal“ in der Karlsaue statt. Das Bauwerk diente seit der Weimarer Republik der Ehrung deutscher Kriegsverbände und wurde von Beginn an durch rechte Kräften als ein Ort der politischen Mobilisierung genutzt. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden hier Treffen von Altnaziverbänden der Wehrmacht statt, bis 2015 nutzen Neonazis den Ort für ihr Gedenken.
Seit 2015 sind Neonazis nur noch vereinzelt zum Volkstrauertag in der Aue anzutreffen. Stattdessen spielen Soldaten und Reservisten gemeinsam mit Stammgästen aus CDU und der lokalen AfD-Fraktion jährlich die immergleiche Zeremonie für die gefallenen Soldaten beider Weltkriege ab. Offizieller Veranstalter hierfür ist die Reservistenkameradschaft Kassel, eine Untergliederung der Kreisgruppe Kurhessen der deutschen Reservisten.
„Einmal Stahlhelmer, immer Stahlhelmer“
Politisch wird die Kasseler Reservistenkameradschaft traditionell von der CDU dominiert. Bis 2014 war ihr Vorsitzender der CDU-Politiker Jörg Hildebrandt, seitdem hat das Amt sein Parteikollege Valentino Lipardi inne. Hildebrandt flog 2020 aus der Kasseler CDU-Fraktion nachdem er bei Facebook rassistische Inhalte geteilt hatte. Rückendeckung erhielt er damals nur vom CDU-Ortsverband Niederzwehren, der bis heute von seinem Kameraden Valentino Lipardi geführt wird. Diese Geschichte steht exemplarisch für das Verhältnis der Reservisten: Sie stehen oftmals am rechten Rand der Partei und bilden eine politische Gemeinschaft, die zusammenhält auch über die Parteipolitik hinaus.
Der aktuelle Vorsitzende der Reservistenkameradschaft Kassel, Oberstleutant der Reserve Valentino Lipardi, ist selbst ein Beispiel für die politische Rechte innerhalb der CDU. Er fiel immer wieder durch politische Nähe zur AfD auf. Deren Funktionäre begrüßte er regelmäßig als Ehrengäste bei seinen Veranstaltungen, sowohl in seiner Funktion als Vorsitzender der Reservistenkameradschaft als auch als Sektionsleiter der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“. Auch die Gerichtsverhandlung gegen den ehemaligen Kasseler Universitätsprofessor und Wurmforscher Ulrich Kutschera besuchte Lipardi. Kutschera war zeitweise Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und wurde aufgrund seiner homofeindlichen Aussagen wegen Volksverhetzung angeklagt. Als Unterstützer waren außer Personen aus den Reihen der AfD nur der damalige CDU-Stadtverordnete Valentino Lipardi gekommen.
Ein weiterer rechter CDU-Politiker, der vom Spektakel des Volkstrauertags angezogen wird, ist Julian Auell. Auell studiert Physik an der Universität Kassel und ist Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er ist aktiv für die Werteunion, als Vorsitzender in Hessen und als Mitglied des Bundesvorstands. Vor Ort ist er Teil des CDU-Vorstands in Wehlheiden. Bis vor kurzem war er außerdem Vorstandsmitglied der Kasseler Jungen Union und Vorsitzender des RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) in Kassel. Auf Social Media sprach er sich für eine „konsequente Remigration“ nicht deutschstämmiger Bevölkerungsteile aus, sollten diese sich nicht an die deutsche Leitkultur anpassen.
Auch Auell zeigt eine große Verbundenheit zu Aktivistinnen und Aktivisten der Jungen Alternative. Zur Vernetzung von Mitgliedern der CDU und AfD gründete er eine eigene Facebook-Gruppe. Diese soll nach eigenen Angabe dazu dienen, Rechte über die Parteigrenzen hinweg zu vereinen, um gemeinsam wieder „mehr Deutschland zu wagen“. In der Gruppe mit mittlerweile knapp 2000 Mitgliedern werden dementsprechend rassistische und verschwörungstheoretische Postings geteilt. Neben seine Aktivitäten als Möchtegern Max Otte, schrieb er für die „Achse des Guten“.
Gefechtsübungen mit Naziburschen
Anziehungskraft übt die Reservistenkameradschaft Kassel und deren Inszenierung zum Volkstrauertag allerdings nicht nur auf Politiker des rechten CDU-Flügels aus, sondern auch auf Mitglieder neonazistisch geprägter Burschenschaften.
Ein Beispiel hierfür sind die Aktivitäten von Andreas Graudin, der 2015 an der Veranstaltung der Reservistenkameradschaft zum Volkstrauertag teilnahm. Graudin ist Alter Herr und ehemaliger Sprecher der Neonaziburschenschaft Germania Marburg sowie Oberstleutnant der Reserve. Er ist bereits seit Jahrzehnten rechter Aktivist: Nach seiner Studienzeit war er als Autor für die Junge Freiheit tätig, beteiligte sich am neurechten „Studienzentrum Weikersheim“ und kandidierte für die rechte Partei „Pro Deutschland“. Momentan ist er parlamentarischer Referent für die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der AfD-nahen Friedrich-Friesen-Stiftung aus Magdeburg.
Neben den Aktivitäten bei der Rerservistenkameradschaft Kassel nahm er auch an Übungen des Fallschirmsprungverbandes des europäischen Militärs teil. Graudin ist weiterhin bei Veranstaltungen auf dem Germanenhaus in Marburg anzutreffen und wohnt aktuell im Kasseler Stadtteil Wilhelmshöhe.
Auch Mitglieder der Kasseler Neonaziburschenschaft Germania nutzen die Möglichkeiten der Reservistenkameradschaft Kassel. So war etwa Richard Klock, Oberfeldwebel der Reserve, über Jahre hinweg Mitglied der Reservistenkameradschaft und leitete dort selbst Gefechtsübungen an. Klock selber hat, wie viele andere Burschenschafter, eine Vergangenheit im NPD-Umfeld.
Daniel Wohlgemuth, mittlerweile Alter Herr und Vereinsvorstand der Germania Kassel, war ebenfalls Mitglied der Kasseler Reservistenkameradschaft und nahm an Aktivitäten wie dem Volkstrauertag teil. Jüngst besuchten die beiden Burschen Wohlgemuth und Klock in Coleur die Trauerfeier ihres verstorbenen Bundesbruders Harald Lönnecker, ehemaliger Funktionär der Deutschen Burschenschaft.
Ehrengäste: die „Alternative für Deutschland“
Klock war neben seiner Mitgliedschaft in der Burschenschaft und der Reservistenkameradschaft auch für die AfD in Kassel aktiv. Damit ist er keine Ausnahme in der Kasseler Reserve. Zu nennen wären hier etwa Marvin Blatz, ehemals Beisitzier im Bundesvorstand der Jungen Alternative, oder Bernd Kautzmann aus Baunatal, gegenwärtig Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Flugsport“.
Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Rechtsanwalt, Reservist und Anhänger des völkischen AfD-Flügels Otto Baumann aus Witzenhausen-Gertenbach. 2011 löste er einen kleinen Skandal aus, als bekannt wurde, dass Neonazis des Freien WIderstand Kassel (FWKS) in die Aktivitäten seiner Marschgruppe Hürtgenwald eingebunden waren. Konkret ging es zunächst um Roman Wagemans und David Rose. Letzterer zählte damals auch zu den wenigen verbliebenen Aktiven der NPD in Nordhessen und ist bis heute im Umfeld der „Arischen Bruderschaft“ aktiv. Beide zusammen waren im September 2011 dabei erwischt worden, wie sie ein Holocaustmahnmal mit der Parole „Braun statt bunt“ beschmierten. Wagemans wurde in dem Verfahren vorübergehend von Baumann anwaltlich vertreten. Etwa ein Jahr später kam dann raus, dass mit Michael Löbermann ein weiterer Neonazi am Hürtgenwaldmarsch der Gruppe von Baumann teilgenommen hatte. Löbermann nahm ebenfalls an Treffen des FWKS teil und war als Offizier in Afghanistan eingesetzt. Baumann behauptete wenig überzeugend, von der politischen Gesinnung der Teilnehmer seiner Marschgruppe nichts gewusst zu haben. Trotzdem leitete Baumann bis zu diesem Jahr die Reservistenkameradschaft Werra Gertenbach und die Marschgruppe der Reservisten.
Neben den AfD’lern in Uniform ist jedes Jahr auch eine Gruppe von Parteimitgliedern als „Ehrengäste“ zum Volkstrauertag der Reservistenkameradschaft geladen. 2019 waren etwa unter anderem Manfred Mattis, Sven Dreyer, Michael Werl, Gerhard Gerlach sowie Thomas und Gerhard Schenk anwesend. Als die Veranstaltung zum Volkstrauertag coronabedingt ausfiel, legten Stadtverordnete der AfD ebenfalls einen Gedenkkranz nieder.
Neben dem Gedenken an die toten deutschen Soldaten der beiden Weltkriege bringt auch ein kruder Antikommunismus AfD, CDU und Reservistenverbände thematisch zusammen. Dies zeigte sich zum Beispiel bei einer von Valentino Lipardi organisierten Veranstaltung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Zu einem Vortrag zum Thema „Antifa – Die neue RAF?“ mit Bettina Röhl wurden die erschienenen AfD-Funktionäre von Lipardi erneut als „Ehrengäste“ begrüßt.
2022 sieht es für die Reservisten nicht gerade gut aus: Der Volkstrauertag wird nicht mehr am Denkmal in der Aue statt finden, Otto Baumann musste doch noch seinen Posten in der Reservistenkameradschaft räumen und so manch CDU’ler befindet sich karrieretechnisch mittlerweile eher auf dem Abstellgleis.
Nichtsdestotrotz: Die Reservistenkameradschaft Kassel und ihre Veranstaltungen brachten in den vergangenen Jahren faschistische Burschenschafter, AfD-Funktionäre und CDU-Politiker bis hin zur ehemaligen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann zusammen. Sie bietet darüber hinaus eine Struktur für militärisches Training – von Gefechtsübungen bis zum Schießen mit der Panzerfaust. Kein Wunder, wenn davon auch zukünftig Kasseler Faschisten angezogen werden.